BT-Drucksache 15/1390

Konsequenzen aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Thessaloniki am 19. und 20. Juni 2003 zu den Bereichen Asyl und Einwanderung

Vom 1. Juli 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1390
15. Wahlperiode 01. 07. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
(Heilbronn), Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann, Clemens Binninger,
Hartmut Büttner (Schönebeck), Norbert Geis, Roland Gewalt, Ralf Göbel,
Reinhard Grindel, Martin Hohmann, Dorothee Mantel, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Stephan Mayer (Altötting), Beatrix Philipp, Dr. Ole Schröder
und der Fraktion der CDU/CSU

Konsequenzen aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von
Thessaloniki am 19. und 20. Juni 2003 zu den Bereichen Asyl und Einwanderung

Wir fragen die Bundesregierung:
I. Entwurf des Vertrages über die Verfassung der Europäischen Union
1. Trifft es zu, dass Teil I des Entwurfs eine erst ganz am Schluss der Arbeiten

des Konvents eingefügte und völlig neue Regelung enthält, wonach der
Europäische Rat für alle Politikbereiche jederzeit einstimmig den Übergang
von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit beschließen kann?

2. Wenn ja, aus welchen Gründen hat die Bundesregierung nicht wenigstens
durchgesetzt, dass im Justiz- und Innenbereich die zuständigen Fachminister
zunächst über diesen Übergang entscheiden?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit der in Frage 1 bezeich-
neten Vorschrift jedenfalls die spätere Einführung der qualifizierten Mehr-
heit zu Lasten des Vetorechts erleichtert werden soll und davon auch Sicher-
heits-, Asyl- und Einwanderungsfragen betroffen sind?

4. Befürwortet die Bundesregierung diese Vorschrift im Hinblick auf Sicher-
heits-, Asyl- und Einwanderungsfragen und das ggf. zusätzlich durch diese
Vorschrift gefährdete Vetorecht, oder lehnt die Bundesregierung die Vor-
schrift ab, und was sind jeweils die Gründe?

5. Wird sich die Bundesregierung nach dem Rat von Thessaloniki dafür einset-
zen, dass den Mitgliedstaaten im Bereich der zentralen Fragen der Sicher-
heitspolitik, der Asyl- und der Einwanderungspolitik ihr Vetorecht erhalten
bleibt?

6. Wird sich die Bundesregierung nach dem Rat von Thessaloniki dafür einset-
zen, dass bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik das geltende Einstimmigkeits-
erfordernis beibehalten wird und das Recht, den Zugang von Asylbewerbern
und Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt zu regeln, den Mitgliedstaaten vorbehal-
ten bleibt, und wenn nein, warum nicht?

Drucksache 15/1390 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

7. Wird sich die Bundesregierung nach dem Rat von Thessaloniki dafür einset-
zen, dass das geltende Einstimmigkeitserfordernis für einwanderungspoliti-
sche EU-Regelungen beibehalten wird, damit das Recht der Mitgliedstaaten
gewahrt wird, Zahl und Personenkreis der jeweiligen Drittausländer und
deren Zugang zum Arbeitsmarkt zu bestimmen?

II. Visa
8. Wann wird es sichergestellt sein, dass die Pässe von EU-Bürgern den

amerikanischen Einreisebestimmungen in Bezug auf biometrische Identifi-
katoren bzw. biometrische Daten entsprechen?

9. Was unternimmt die Bundesregierung, damit die Einreise deutscher Staats-
bürger in die Vereinigten Staaten zu dem in den amerikanischen gesetz-
lichen Bestimmungen (Enhanced Border Security Act vom 14. Mai 2002,
dort section 303) genannten Stichtag (26. Oktober 2004) im Sinne der vor-
hergehenden Frage gewährleistet sein wird?

III. Grenzschutz an den Außengrenzen
10. Wird sich die Bundesregierung nach den Feststellungen des Rates in Thes-

saloniki über die herausragende Bedeutung der Asyl- und Einwanderungs-
politik für die Europäische Union hinsichtlich eines wirksameren Grenz-
schutzes an den Außengrenzen der Europäischen Union dafür einsetzen,
dass es neben operativen Maßnahmen auch gesetzliche Maßnahmen geben
wird, die die Außengrenze der Europäischen Union vor illegaler Zuwande-
rung aus Drittländern schützt?

11. Wird sich die Bundesregierung nach den Feststellungen des Rates in Thes-
saloniki über die herausragende Bedeutung der Asyl- und Einwanderungs-
politik für die Europäische Union hinsichtlich eines wirksameren Grenz-
schutzes an den Außengrenzen der Europäischen Union dafür einsetzen,
dass die – heutigen und künftigen – Staaten mit Außengrenzen verpflichtet
werden, eine gesetzliche Regelung nach Vorbild der deutschen Drittstaa-
tenregelung (Artikel 16a Abs. 2 Grundgesetz, § 26a Asylverfahrensgesetz)
vorzusehen, nach der Grenzbehörden eine Zurückweisung in einen siche-
ren Drittstaat ohne Einzelfallprüfung vorzunehmen haben?

IV. Asyl
12. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die noch ausstehen-

den grundlegenden Rechtsvorschriften im Bereich Asyl, die „Richtlinie zu
Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsange-
hörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderwei-
tig internationalen Schutz benötigen“ (Anerkennungsrichtlinie) und die
„Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur
Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft“ (Verfahrens-
richtlinie), die zusammen das Kernstück des zukünftigen Asylrechts der
EU-Mitgliedstaaten bilden werden, den Kernelementen der Asylrechts-
reform des Jahres 1993 entsprechen?

13. Wird sich die Bundesregierung bei der Verfahrensrichtlinie nach den Er-
gebnissen des Rates von Thessaloniki dafür einsetzen, dass insbesondere
die Drittstaatenregelung mit der Möglichkeit der Grenzabweisung und der
Abkehr von der Einzelfallprüfung, die sich angesichts des Asylbewerber-
rückgangs von 1993 bis heute als Prinzip bewährt hat, in allen EU-Staaten
nicht nur fakultativ, sondern zwingend vorzusehen ist?

14. Wird sich die Bundesregierung nach den Ergebnissen des Rates von Thes-
saloniki bei der Anerkennungsrichtlinie dafür einsetzen, dass der Flücht-

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lingsbegriff nicht über das geltende Asyl- und Ausländerrecht hinaus
erweitert wird?

15. Wird sich die Bundesregierung nach den Ergebnissen des Rates von Thes-
saloniki bei der Anerkennungsrichtlinie dafür einsetzen, dass die subsi-
diäre Schutzgewährung, also nach deutschem Recht der Abschiebungs-
schutz, nicht über die des geltenden Asyl- und Ausländerrechts, wie sie
von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerich-
tes und Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der nichtstaatlichen bzw.
geschlechtsspezifischen Verfolgung konkretisiert worden ist, hinaus erwei-
tert wird?

16. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass angesichts der Arbeitslo-
sigkeit in Deutschland von prognostizierten 5 Millionen und berstender
Sozialsysteme zuzugserweiternde EU-Regelungen bestehende Integrati-
onsprobleme verschärfen und den sozialen Frieden gefährden können und
zudem weitgehende Auswirkungen für die Bereiche Arbeitsmarkt, Sozial-
systeme und Bildungswesen haben?

17. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die hierfür zuständi-
gen Mitgliedstaaten durch derartige gemeinschaftliche Regelungen nicht
vor vollendete Tatsachen gestellt werden und ihre Handlungsfähigkeit in
Bereichen verlieren, für die sie politisch verantwortlich sind?

V. Integration von Drittstaatsangehörigen
18. Welches ist nach Ansicht der Bundesregierung die Rechtsgrundlage, nach

der die Europäische Union für die Integrationspolitik von Drittstaatsange-
hörigen zuständig ist?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Integration von Dritt-
ausländern nicht originäre Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist, und was
erhofft sie sich von einer vergemeinschafteten Integrationspolitik?

20. Was erwartet die Bundesregierung inhaltlich von dem von der EU-Kom-
mission geforderten Jahresbericht über Migration und Integration in Eu-
ropa, der als Instrument zur Steuerung legaler Zuwanderung beschlossen
wurde, nachdem die EU-Kommission erst am 3. Juni 2003 erneut eine er-
höhte Einwanderung in die Europäische Union gefordert hatte, um den
prognostizierten Arbeitskräftemangel ab 2010 auszugleichen?

21. Mit welchen Argumenten will Bundeskanzler Gerhard Schröder die in
Frage 20 bezeichnete Schlussfolgerung von Thessaloniki der Bevölkerung
und insbesondere den vom Vizekanzler und Bundesminister des Auswärti-
gen, Joseph Fischer, prognostizierten 5 Millionen arbeitslosen Deutschen
verständlich machen?

Berlin, den 1. Juli 2003
Wolfgang Bosbach
Hartmut Koschyk
Thomas Strobl (Heilbronn)
Wolfgang Zeitlmann
Günter Baumann
Clemens Binninger
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Norbert Geis
Roland Gewalt

Ralf Göbel
Reinhard Grindel
Martin Hohmann
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Stephan Mayer (Altötting)
Beatrix Philipp
Dr. Ole Schröder
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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