BT-Drucksache 15/1098

Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren - Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichtshofes sicherstellen

Vom 3. Juni 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1098
15. Wahlperiode 03. 06. 2003

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Jürgen Gehb,
Tanja Gönner, Dr. Wolfgang Götzer, Ute Granold, Michael Grosse-Brömer,
Volker Kauder, Siegfried Kauder (Bad Dürrheim), Dr. Günter Krings, Daniela Raab,
Andreas Schmidt (Mülheim), Andrea Voßhoff, Marco Wanderwitz,
Ingo Wellenreuther, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU

Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren –
Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichtshofes sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Zivilprozessrecht kam der das
Revisionsgericht bindenden Zulassung der Revision durch die Berufungsge-
richte eine eigenständige Bedeutung zu: Sie hatte die Aufgabe, in Rechtsstrei-
tigkeiten, die unter der Revisionsbeschwer von damals DM 60 000,01 lagen,
wegen Grundsatzbedeutung den Zugang zur Revisionsinstanz zu eröffnen. Eine
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsge-
richt (Nichtzulassungsbeschwerde) sah das alte Recht nicht vor. Diese Funktion
ist mit dem Zivilprozessreformgesetz, das den Zugang zur Revision – abgese-
hen von der Übergangsregelung des § 26 Nr. 8 EGZPO – vom Streitwert unab-
hängig macht, weggefallen. Die Parteien haben jetzt im Falle der Nichtzulas-
sung der Revision durch das Berufungsgericht die Möglichkeit, sich in Form
einer Nichtzulassungsbeschwerde den Zugang zum Revisionsgericht selbst zu
verschaffen, wenn die Rechtsstreitigkeit grundsätzliche Bedeutung hat.
Seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist ein sprunghafter Anstieg der Revisi-
onszulassungen durch die Berufungsgerichte festzustellen. Zum Jahresende
2002 waren es bereits 783 zugelassene Revisionen. Diese müssen vom Bundes-
gerichtshof – unabhängig davon, ob das Berufungsgericht die Grundsatzbedeu-
tung zutreffend angenommen hat oder nicht – im Urteilsverfahren mit münd-
licher Verhandlung entschieden werden. Entscheidungen über Nichtzulassungs-
beschwerden der Parteien erfordern hingegen weder eine mündliche Verhand-
lung noch eine detaillierte Begründung. Mit den in den Jahren 2001 und 2002
jeweils gefällten 686 Urteilen und der Zahl von 4 452 erledigten Revisionen im
Jahr 2002 galt der Bundesgerichtshof bereits als ausgelastet. Alleine die Ende
2002 erreichte Zahl von 783 zugelassenen Revisionen übersteigt diesen Erfah-
rungswert bereits deutlich. Es ist zu befürchten, dass die damit drohende Über-
lastung des Bundesgerichtshofes entweder zu einer rigiden – seiner Aufgaben-
stellung nicht gerecht werdenden – Nichtzulassungspraxis bei der eigenverant-
wortlichen Überprüfung der Grundsatzbedeutung auf die Nichtzulassungs-
beschwerde der Parteien – eines der angeblichen Kernstücke des durch die
Zivilprozessreform geschaffenen Revisionsrechts – oder zu einem im Interesse
der Rechtsuchenden und der Rechtsprechung insgesamt nicht hinnehmbaren
Verfahrensstau führen wird.

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Erwartungen, bei diesem Anschwellen der Revisionszulassungen handele es
sich um eine Übergangserscheinung, haben sich nicht bestätigt. Nach den bis
April 2003 vorliegenden Zahlen ist bei gleich bleibender Entwicklung zum Jah-
resende 2003 mit 800 bis 900 Zulassungen zu rechnen.
Die Erfahrung seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes hat zudem ge-
zeigt, dass die Berufungsgerichte zu einem erheblichen Umfang die Zulassung
der Revision wegen Rechtsfragen aussprechen, denen zwar abstrakt-wissen-
schaftliche Bedeutung zukommen kann, die aber aus der Sicht des Bundes-
gerichtshofes gegenüber anderen, für die Praxis bedeutsameren Fragen hätten
zurückstehen müssen. In einem Extremfall wurde dem Bundesgerichtshof
eine seit der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts streitige, durch das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz aber erledigte Rechtsfrage vorgelegt.
Diese Problematik wird sich mit dem Durchschlagen der Schuldrechtsmoder-
nisierung auf die Revisionsinstanz potenzieren. Nach gegenwärtigem Stand der
Verfahren in den Tatsacheninstanzen ist hiermit in 12 bis 18 Monaten zu rechnen.
Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurden das allgemeine Schuld-
recht (Verjährungsrecht und Recht der Leistungsstörungen) sowie zwei zentrale
Schuldverträge, Kauf- und Werkvertrag, neu gestaltet. Es ist zu erwarten, dass
die Zulassung der Revision durch die Berufungsgerichte in diesen Bereichen
zur Regel werden wird. Wenn es dem Bundesgerichtshof dann nicht ermöglicht
wird, seine Arbeitskapazität auf die Klärung wesentlicher Fragen zu konzent-
rieren, wird die für die Praxis und die Rechtsuchenden unerlässliche einheit-
liche Anwendung des neuen Rechts nicht durchzusetzen sein.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
l Vorschläge für eine Änderung des Revisionsrechts zu unterbreiten, die ge-

eignet sind, die durch die Reform des Zivilprozesses gefährdete Entschei-
dungsfähigkeit des Bundesgerichtshofes und damit die einheitliche Rechts-
anwendung dauerhaft sicherstellen;

l zu prüfen, ob dies sinnvollerweise durch eine gesetzliche Regelung gesche-
hen kann, die die Revisionszulassung durch die Berufungsgerichte auf die
Fälle beschränkt, in denen der Beschwerdegegenstand 20 000 Euro nicht
übersteigt (hierbei handelt es sich um die Fallgruppe, in der nach dem bis
31. Dezember 2006 geltenden Recht eine Nichtzulassungsbeschwerde nach
§ 26 Nr. 8 EGZPO nicht zulässig ist, eine Grundsatzfrage mithin ohne
Zulassung durch das Berufungsgericht nicht zum BGH gelangen kann), im
Übrigen aber die Zulassung der Revision durch die Berufungsgerichte und
damit auch die Nichtzulassungsbeschwerde durch den Antrag an das Revi-
sionsgericht auf Zulassung der Revision ersetzt (Antragsrevision);

l zu prüfen, ob eine solche Antragsrevision in weitgehender Anlehnung an das
Verfahren bei der bisherigen Nichtzulassungsbeschwerde konzipiert werden
kann, so dass der Antrag auf Zulassung der Revision – wenn er Erfolg hat –
unmittelbar in das Revisionsverfahren überleitet, bei Ablehnung durch den
Bundesgerichtshof aber die Rechtskraft des Berufungsurteils eintretenwürde;

l ggf. ein anderes Konzept vorzulegen, dass mindestens in gleicher Weise
geeignet ist, die Entscheidungsfähigkeit des Bundesgerichtshofes und eine
einheitliche Rechtsanwendung dauerhaft sicherzustellen.

Berlin, den 3. Juni 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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