BT-Drucksache 15/1024

Die europäische Biopatentrichtlinie von 1998 umsetzen

Vom 21. Mai 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1024 (neu)
15. Wahlperiode 21. 05. 2003

Antrag
der Abgeordneten Helmut Heiderich, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Maria Böhmer,
Hubert Hüppe, Katherina Reiche, Dr. Wolfgang Götzer, Dr. Jürgen Gehb, Ute
Granold, Michael Grosse-Brömer, Siegfried Kauder (Bad Dürrheim), Dr. Günter
Krings, Barbara Lanzinger, Daniela Raab, Andreas Schmidt (Mülheim), Andrea
Voßhoff, Marco Wanderwitz, Ingo Wellenreuther, Wolfgang Zeitlmann und der
Fraktion der CDU/CSU

Die europäische Biopatentrichtlinie von 1998 umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, die
sog. Biopatentrichtlinie, musste bis zum 30. Juli 2000 in nationales Recht um-
gesetzt werden. In der vergangenen Legislaturperiode ist dies ist jedoch nicht
geschehen.
Stattdessen hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf erst ein halbes Jahr
nach Ablauf der Umsetzungsfrist eingebracht. Dieser wurde wegen massiver
Widerstände aus den eigenen Reihen nach der ersten Lesung zurückgezogen.
Seitdem ist ein völliger Stillstand im gesetzgeberischen Verfahren zu verzeich-
nen. Auch in dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung noch nicht er-
kennen lassen, ob und wann eine Umsetzung erfolgen soll. Zudem ist nicht er-
kennbar, dass die Bundesregierung, wie im Oktober 2000 angekündigt, Initiati-
ven zur Nachbesserung der Richtlinie auf EU-Ebene unternommen hätte.

1. Dabei drängt die Zeit:
Zum einen kann die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren jeder-
zeit beginnen. Die so genannte zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens
nach Artikel 226 EG-Vertrag ist Ende Februar 2003 abgelaufen, die EU-Kom-
mission kann nun den Europäischen Gerichtshof anrufen. Denn auf die von der
EU-Kommission versandte Aufforderung mit begründeter Stellungnahme gab
die Bundesregierung innerhalb der festgelegten Frist bis Ende Februar 2003
keine zufrieden stellende Antwort. Hohe Schadenersatzzahlungen können als
Folge eines Vertragsverletzungsverfahrens auf die Bundesrepublik Deutschland
zukommen.
Zum anderen leiden die betroffenen Forschungs- und Entwicklungsbereiche
wie Industriezweige an der Rechtsunsicherheit wirtschaftlich. Zwar könnte
nach Angaben der EU-Kommission der europäische Biotechnologiemarkt bis
2005 ein Volumen von über 100 Mrd. Euro erreichen. Stattdessen haben EU-
weit allein im Bereich der gentechnisch veränderten Organismen über 60 % der

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privaten Biotech-Unternehmen in den letzten vier Jahren entsprechende For-
schungsprojekte gestrichen.
Auch vor dem Hintergrund, das vom Europäischen Rat in Lissabon 2000 be-
schlossene und auf dem Europäischen Rat in Stockholm 2001 bekräftigte Ziel
zu erreichen, Europa bis 2010 zur wettbewerbsstärksten und dynamischsten
wissensbasierten Wirtschaft der Welt zu entwickeln, müssen dringend die not-
wendigen Umsetzungsschritte erfolgen, um den Wirtschaftszweig der Biotech-
nologie zu fördern und ihm Rechtssicherheit zu geben.

2. Inhaltliche Bedenken, mit denen eine weitere Verzögerung der Umsetzung
begründet werden sollen, überzeugen nicht:

Hervorzuheben ist, dass die Biopatentrichtlinie kein neues Patentrecht schafft,
sondern vielmehr auf dem Patentrecht der Mitgliedstaaten aufbaut. Danach ge-
hört es seit Ende der siebziger Jahre zum Bestand des Patentrechts, dass Patente
auf Erfindungen, die sich auf „Naturstoffe“ beziehen, erteilt werden können.
Selbst das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Bio-
logical Diversity) erkennt in seinem Artikel 16 Abs. 5 ausdrücklich die Paten-
tierbarkeit in diesem Bereich an.
In der öffentlichen Diskussion wird häufig die Frage, worauf ein Patent erteilt
werden kann, mit der Frage verwechselt, wozu ein Patent berechtigt. Denn ein
Patent berechtigt noch nicht zur Nutzung. Die Nutzung wird in den Fachgeset-
zen, wie zum Beispiel dem Arzneimittelgesetz oder dem Tierschutzgesetz gere-
gelt. Gerade in dem sich schnell entwickelnden Bereich der Biotechnologie
kann es deshalb vorkommen, dass ein normalerweise mehrere Jahre vor der tat-
sächlichen Marktreife erteiltes Patent später nicht mehr mit der Rechtsordnung
übereinstimmt und deshalb nicht mehr genutzt werden darf.
Auch wendet die Europäische Patentorganisation (EPO) schon in ständiger
Übung die in der Biopatentrichtlinie zum Ausdruck kommenden Grundsätze
und Vorgaben an. Denn die Europäische Patentorganisation hat durch Be-
schluss diese wesentlichen Grundsätze übernommen und in der Ausführungs-
verordnung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) bereits 1999 um-
gesetzt (Regel 23b ff., insbesondere Regel 23d). Damit ist die Richtlinie zum
verbindlichen Maßstab für die Erteilung und Überprüfung europäischer Patente
geworden, soweit das EPÜ ein einheitliches Prüfverfahren des Europäischen
Patentamts für Patentanträge vorsieht. Dieses einheitliche Verfahren gilt für
neun weitere Länder außerhalb der EU wie die Schweiz, Bulgarien, Estland,
Slowenien, Tschechien und die Türkei.
Die Biopatentrichtlinie gibt überdies in vielen sensiblen Fragen eine klarere
Orientierung als das bisherige Recht. Denn die Bedingungen und Voraussetzun-
gen für die Erteilung eines Biopatents beruhten bis zu ihrem Erlass vornehm-
lich auf der Rechtsprechung. Sie führt damit im Ergebnis zu mehr Rechts-
sicherheit bei gleichzeitiger Formulierung und Berücksichtigung ethischer
Grenzen. So legt sie beispielhaft spezifische Patentierungsverbote fest, statt
sich wie bislang nur auf die „ordre public“ zu beziehen. Auch werden spekula-
tive und Vorratspatente untersagt. Dagegen werden der Zugang zu dominieren-
den Patenten und die Erteilung von Zwangslizenzen erleichtert. Ebenso wie das
EPÜ und das deutsche Patentgesetz schließt die Biopatentrichtlinie die Paten-
tierbarkeit von Pflanzensorten und Tierarten aus.
Die Biopatentrichtlinie und ihre Umsetzung bedeuten damit einen Fortschritt in
Bezug auf die Präzisierung des Patentschutzes und die dringend benötigte
Rechtsicherheit für forschende Unternehmen. Der angemessene Patentschutz
biotechnologischer Erfindungen ist auch Voraussetzung für den Anreiz zu mehr
Forschung und Entwicklung zum Wohle der Menschen.

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Unberührt bleibt von der Biopatentrichtlinie überdies die Möglichkeit der Bun-
desregierung, die Nutzung einer Erfindung sogar gegen den Willen des Patent-
inhabers anzuordnen, wenn dies aus sozialethischen Gründen im öffentlichen
Interesse liegt.
Der Europäische Gerichtshof hat zudem in seinem Urteil zur Nichtigkeitsklage
des Königreichs Niederlande und der Italienischen Republik vom 9. Oktober
2001 darauf hingewiesen, dass die Richtlinie insbesondere Sicherungsmecha-
nismen zur Wahrung der Menschenwürde beinhaltet. Der EuGH weist darauf
hin, dass sie insbesondere die Ergebnisse einer wissenschaftlichen oder tech-
nischen erfinderischen Tätigkeit schützen soll. Die weitverbreitete Annahme,
dass damit jedes Gen, jede Gensequenz oder sogar das gesamte menschliche
Genmaterial ohne weiteres patentiert werden könne, sei aber unzutreffend. Der
EuGH hat mit diesem Urteil die maßgeblichen Grundsätze der Richtlinie be-
kräftigt und zugleich einige Unklarheiten beseitigt, die einer Umsetzung ent-
gegengehalten worden waren.
Aus der Richtlinie und dem Urteil des EuGH ergibt sich für eine Umsetzung
insbesondere:
Die Anforderungen an die Erfindungshöhe eines Patents richten sich nach dem
Stand von Forschung und Technik. Um die Patentierung rein spekulativer und
unfertiger Erfindungen zu verhindern, fordert die Richtlinie darüber hinaus,
dass bei Gensequenzen und Teilsequenzen eines Gens die gewerbliche An-
wendbarkeit (Funktion) bereits in der Patentanmeldung konkret beschrieben
werden muss. Der Schutzumfang für Sequenzen oder Teilsequenzen von Genen
im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Biopatentrichtlinie muss dabei auf die
konkrete gewerbliche Anwendung beschränkt werden.
Es muss sichergestellt werden, dass der auf einer Gensequenz oder Teilsequenz
basierende Patentschutz für eine gewerbliche Anwendung – beispielsweise ein
Diagnostikum – nicht mit einer anderen auf der gleichen Gensequenz oder Teil-
sequenz basierenden gewerblichen Anwendung – beispielsweise einem Thera-
peutikum – in Konflikt gerät.
Einige der Unzulänglichkeiten bzw. Unschärfen der Richtlinie sind soweit
möglich durch die nationale Umsetzung auszuräumen. Der Anspruch an die
politische Glaubwürdigkeit gebietet, neben der Umsetzung eine Fortentwick-
lung der Richtlinie selbst anzustreben. Auch das Europäische Parlament und
die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ (Teil-
bericht zu dem Thema Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechnologie,
Drucksache 14/5157) haben eine solche Grenzsetzung bei der Patentierung
menschlicher Gene gefordert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 („Biopatent-Richtlinie“) vorzule-
gen, der medizinische Behandlung, Forschung und wirtschaftliche Entwicklung
– auch im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen – nicht gefährdet. Der
Gesetzentwurf hat folgenden Anforderungen gerecht zu werden:
1. Bei der Umsetzung ist die Gewährleistung ethischer Maßstäbe sicherzustel-

len, dass nämlich die Patentierung des menschlichen Körpers ab seiner Ent-
stehung und Entwicklung nach den Bestimmungen des deutschen Rechts
(Verbote nach dem Embryonenschutzgesetz, dem Transplantationsgesetz
und dem Stammzellgesetz, Verbot des Klonens) vollständig ausgeschlossen
bleibt.

Drucksache 15/1024 (neu) – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

2. Die Umsetzung soll möglichst Begriffs- und Auslegungsdifferenzen zwi-
schen dem Europäischen Patentrecht und dem Deutschen Patentrecht ver-
meiden.

3. Die Umsetzungsregelungen sollen im deutschen Patentgesetz an geeigneter
Stelle eingefügt werden, um zu betonen, dass es sich nur um eine spezifische
Anpassung handelt.

4. Mit der Umsetzung soll das Hauptanliegen des Patentsrechts für die moderne
Biotechnologie präzisiert und zur Geltung gebracht werden. Diese Anliegen
sind, spezifische Erfindungen zu schützen sowie den Erfinder durch eine zeit-
lich begrenzte Exklusivität der gewerblichen Verwertung zu belohnen und
dabei gleichzeitig die Erfindung der Öffentlichkeit zu offenbaren sowie nach
Patentablauf der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Grundanliegen
sollen sich in den einzelnen Regelungen widerspiegeln.
Insbesondere sind die nachfolgenden Anliegen zu berücksichtigen:
a) Schutzumfang/Reichweite der Biopatente

– Die Umsetzung muss sicherstellen, dass bei der Patentanmeldung
einer Erfindung, die eine Sequenz (Teilsequenz) eines Gens beinhaltet,
die damit zusammenhängende Funktion und die beanspruchte gewerb-
liche Anwendung konkret beschrieben wird.

– Die Umsetzung muss sicherstellen, dass patentrechtlich jede Gen-
sequenz (Teilsequenz) als selbständige Sequenz anzusehen ist, wenn
sie sich nicht in den für die Erfindung wesentlichen Genabschnitten
mit solchen einer patentierten Sequenz überlagert.

– Die Umsetzung muss sicherstellen, dass der Schutzumfang von Paten-
ten, die auf Gensequenzen (Teilsequenzen) im Sinne des Artikels 5
Absatz 2 der Biopatentrichtlinie beruhen, auf die spezifisch nachge-
wiesene gewerbliche Anwendung beschränkt wird.

– Die Umsetzung muss sicherstellen, dass die Freiheit der Forschung
von der Umsetzung der Richtlinie nicht in Frage gestellt oder beein-
trächtigt wird. Sie hat zu berücksichtigen, dass hinsichtlich möglicher
Einengung der Forschung durch Patente die Rechtslage in Deutsch-
land durch das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Forschungs-
freiheit geklärt worden ist.

– Die Umsetzung muss sicherstellen, dass auf Antrag die Erteilung einer
Zwangslizenz für ein abhängiges Patent erleichtert wird, wenn dieses
einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaft-
licher Bedeutung aufweist.

b) Pflanzen und Tiere
– Die Umsetzung muss sicherstellen, dass Pflanzensorten und Tier-

rassen gemäß dem Urteil des EuGH vom 9. Oktober 2001 auch dann
vom Patentschutz unbeeinträchtigt bleiben, wenn sie
l durch ein patentgeschütztes Verfahren erzeugt sind
l und/oder patentgeschützte Gensequenzen (Teilsequenzen) enthal-
ten, welche durch Gentechnik in die Elternpflanzen/-tiere einge-
bracht wurden.

– Die Umsetzungsregelungen müssen festlegen, dass im Konfliktfall für
die Erteilung von Zwangslizenzen das Bundessortenamt zuständig ist.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1024 (neu)

c) Entwicklungsländer
Bei der Umsetzung ist zu beachten, dass insbesondere Artikel 16 des
„Übereinkommens über die biologische Vielfalt“, von der EU am 25. Ok-
tober 1993 angenommen, berücksichtigt wird.

5. Die Bundesregierung unternimmt alle geeigneten Schritte zu einer Weiter-
entwicklung der Richtlinie durch die Europäische Kommission, die den
oben genannten Anforderungen an die nationale Umsetzung genügt.

6. Die Bundesregierung wird weiterhin aufgefordert, die wissenschaftliche Be-
gleitung zur Weiterentwicklung von patentrechtlichen Kriterien im Bereich
der Biowissenschaften sicherzustellen und sich für die politische Beratung
und Implementierung der daraus folgenden Ergebnisse einzusetzen.

Berlin, den 21. Mai 2003
Helmut Heiderich
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Maria Böhmer
Hubert Hüppe
Katherina Reiche
Dr. Wolfgang Götzer
Dr. Jürgen Gehb
Ute Granold
Michael Grosse-Brömer
Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)
Dr. Günter Krings
Barbara Lanzinger
Daniela Raab
Andreas Schmidt (Mülheim)
Andrea Voßhoff
Marco Wanderwitz
Ingo Wellenreuther
Wolfgang Zeitlmann
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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