BT-Drucksache 15/1002

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes

Vom 20. Mai 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1002
15. Wahlperiode 20. 05. 2003

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Siegfried Kauder (Bad Dürrheim), Dr. Norbert Röttgen, Andreas
Storm, Annette Widmann-Mauz, Dr. Wolf Bauer, Monika Brüning, Verena
Butalikakis, Dr. Hans Georg Faust, Dr. Jürgen Gehb, Tanja Gönner, Dr. Wolfgang
Götzer, Ute Granold, Michael Grosse-Brömer, Michael Hennrich, Hubert Hüppe,
Volker Kauder, Dr. Günter Krings, Barbara Lanzinger, Maria Michalk, Hildegard
Müller, Daniela Raab, Andreas Schmidt (Mülheim), Matthias Sehling, Thomas
Silberhorn, Jens Spahn, Matthäus Strebl, Andrea Voßhoff, Marco Wanderwitz,
Gerald Weiß (Groß-Gerau), Ingo Wellenreuther, Wolfgang Zeitlmann, Wolfgang
Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes

A. Problem
Die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center in New York, auf
Djerba und Bali belegen ein zunehmendes Risiko für die körperliche Integrität
Deutscher, die sich als Touristen im Ausland aufhalten. Das Opferentschädi-
gungsgesetz (OEG) gewährt Deutschen, die im Ausland Opfer einer Straftat ge-
worden sind, keinen Anspruch auf eine Opferentschädigung. Dies ist unbillig.

B. Lösung
Der Entwurf sieht vor, deutschen Staatsbürgern und ihnen nach § 1 Abs. 4 OEG
gleich gestellten EU-Ausländern, die im Ausland Opfer einer Gewalttat wer-
den, nach den Voraussetzungen des Opferentschädigungsgesetzes einen Ent-
schädigungsanspruch zuzubilligen.

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Die Einräumung eines Entschädigungsanspruches nach dem Opferentschädi-
gungsgesetz für deutsche Staatsbürger nicht nur für Straftaten auf dem Territo-
rium der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch dann, wenn diese im Aus-
land begangen werden, wird den Bundeshaushalt und die Länderhaushalte
belasten. Soweit im Tatortland staatliche Entschädigungsvorschriften bestehen,
ist an einen Ausgleich zwischen entschädigungsgewährendem Land und Tatort-
land durch bi- und multilaterale Verträge sowie durch EU-rechtliche Regelun-
gen zu denken.

Drucksache 15/1002 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Opferentschädigungsgesetzes
Das Opferentschädigungsgesetz in der Fassung der Be-

kanntmachung vom 15. Mai 1976, zuletzt geändert durch
das 1. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschä-
digung für Opfer von Gewalttaten vom 20. Dezember 1984,
wird wie folgt geändert:
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:
„Versorgung erhalten auch Deutsche und Anspruchsberech-
tigte nach § 1 Abs. 4, die einen festen Wohnsitz im Gel-
tungsbereich dieses Gesetzes haben, wenn der Tatort im
Ausland liegt und sie sich dort vorübergehend für längstens
3 Monate aufhalten.“

Artikel 2
Kollisionsnorm

Auf Anspruchsberechtigte, die aus derselben Ursache
einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat
besitzen, wird das Gesetz nicht angewendet, wenn und so-
weit gegen den anderen Staat Ansprüche geltend gemacht
werden, es sei denn, dass zwischenstaatliche Vereinbarun-
gen etwas anderes bestimmen.

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes

Berlin, den 20. Mai 2003

Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1002

Begründung

I. Allgemeines
Bereits in den späten 60er Jahren lösten Pressemitteilungen
in Deutschland eine heftige Diskussion über die Notwendig-
keit einer staatlichen Entschädigung für Opfer von Strafta-
ten aus. Die Diskussion rankte sich um die Frage, ob auf
den Staat jedes Risiko menschlichen Zusammenlebens ab-
gewälzt werden könne. Teilweise sah man keinen plausiblen
Grund dafür, Opfer von Gewaltverbrechen gegenüber Op-
fern von Unfällen oder Naturkatastrophen zu privilegieren.
Teilweise wurde ein staatlicher Handlungsbedarf auch des-
halb verneint, weil das bestehende Rechtssystem bereits
ausreichend Entschädigung gewähre (siehe Torsten Otte,
Staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten in Ös-
terreich, Deutschland und der Schweiz, Mainzer Schriften
zur Situation von Kriminalitätsopfern, hrsg. v. Weissen
Ring, Mainz 1998, S. 77 ff.). Die Diskussion mündete
schließlich in das am 15. Mai 1976 im Bundesgesetzblatt
verkündete Opferentschädigungsgesetz.
Dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) liegt der Territoria-
litätsgrundsatz zugrunde. Opfer von Gewaltverbrechen ha-
ben einen Anspruch auf Versorgung, wenn die Schädigung
im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen
Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist. Nach der amtlichen
Begründung kann nämlich nur für diesen Bereich den deut-
schen Organen eine Verantwortung für die Sicherheit der
Menschen zugeschrieben werden (vgl. Bundestagsdruck-
sache 7/2506, S. 13). Diese gesetzliche Vorgabe hat in einer
neuen Entscheidung des Bundessozialgerichts dazu geführt,
einer deutschen Staatsangehörigen, deren Kinder vom Vater
im Ausland ermordet wurden, unter dem Gesichtspunkt ei-
nes Schock-Schadens eine Opferentschädigung zu versagen
(siehe Entscheidung des 9. Senates des Bundessozial-
gerichts AZ B 9 VG 7/01 R).
Diese Entscheidung ist vor folgendem Hintergrund grob un-
billig:
Wegen des im EU-Recht geltenden Diskriminierungsverbo-
tes erhalten ausländische Staatsangehörige selbst dann nach
dem deutschen Opferentschädigungsgesetz eine Entschädi-
gung, wenn die Tat auf deutschem Territorium von einem
Ausländer begangen worden ist. Umgekehrt erhält ein deut-
sches Opfer einer Gewalttat, das von einem Bürger eines
europäischen Mitgliedstaates in dessen Heimatland geschä-
digt wurde, weder nach dem deutschen Opferentschädi-

gungsgesetz und oft auch nicht nach dem Recht des Tatortes
(wenn dort eine Opferentschädigung nicht vorgesehen ist)
eine Entschädigung. Besondere Härtefälle können augen-
blicklich ohne Rechtsanspruch nur aus dem Opferfonds für
Opfer terroristischer Gewalttaten (Kapitel 07 04 Titel
681 02) entschädigt werden.
Anders hat sich beispielsweise Österreich entschieden.
Nach dem österreichischen Verbrechensopfergesetz (VOG)
knüpft die staatliche Opferentschädigung am Staatsangehö-
rigkeitsprinzip an. Einer Angleichung des deutschen Rechts
an das österreichische können nur fiskalische Gründe, die
der Situation eines Gewaltopfers nicht gerecht werden, ent-
gegenstehen. Langfristig dürfte es ohnehin eine Anglei-
chung der Opferentschädigungsvorschriften im europäi-
schen Raum geben. Diskussionsansätze finden sich im
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaft
zur Entschädigung für Opfer von Straftaten vom 28. Sep-
tember 2001. In der Übergangsphase dürfen jedoch deut-
sche Tatopfer nicht im Stich gelassen werden.

II. Zu den einzelnen Bestimmungen
Zu Artikel 1
Der Gesetzesänderungsvorschlag ersetzt in § 1 des Opfer-
entschädigungsgesetzes das Territorialitätsprinzip durch das
Staatsangehörigkeitsprinzip mit der Folge, dass deutsche
Staatsangehörige auch bei Gewalttaten im Ausland einen
Anspruch auf Opferentschädigung nach dem OEG haben.
Ihnen sind EU-Ausländer nach Maßgabe des § 1 Abs. 4
OEG gleich gestellt.

Zu Artikel 2
Um Doppelleistungen auch dem Entschädigungsrecht des
Wohnsitz- und Tatortlandes zu vermeiden, ist eine dem § 7
Abs. 2 BVG entsprechende Kollisionsnorm aufzunehmen.
Über § 2 Abs. 1 OEG ist dieses Problem nur unzulänglich
zu lösen (siehe Kunz/Zellner, OEG-Kommentar, 4. Auflage,
§ 1 OEG, Rn. 104).

Zu Artikel 3
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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