BT-Drucksache 14/8856

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung anonymer Geburten

Vom 23. April 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8856
14. Wahlperiode 23. 04. 2002

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Harald Friese, Anni Brandt-Elsweier, Christel
Riemann-Hanewinckel, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dieter Wiefelspütz, Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Beatrix Philipp, Renate Diemers, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), Maria Eichhorn und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
Monika Knoche, Steffi Lemke, Christa Nickels, CemÖzdemir, KerstinMüller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Ina Lenke, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung anonymer Geburten

A. Problem
Eine anonyme Geburt ist in Deutschland rechtlich nicht zulässig. Das gültige
Personenstandsgesetz unterwirft jede Person, die von der Geburt eines Kindes
weiß bzw. jede Person, die an einer Entbindung beteiligt ist, der Anzeigepflicht
gegenüber dem Standesamt.
Frauen, die ihr Kind anonym zur Welt bringen, und alle Personen, die ihnen bei
einer anonymen Geburt beistehen, handeln also rechtswidrig.
Eine Frau, die – aus welchen Gründen auch immer – ihr Kind anonym zur Welt
bringen will, ist also während der Geburt allein auf sich gestellt, sofern sie nicht
Personen findet, die ihr bei der Geburt beistehen. Da diese Personen aber
gegenüber dem Standesamt zur Anzeige verpflichtet sind, ist eine Anonymität
nicht mehr gewährleistet, weshalb Frauen auf einen solchen Beistand in aller
Regel verzichten. Mit der Konsequenz, dass die Geburt nicht unter humanen
und medizinisch einwandfreien Bedingungen erfolgt.
Es gibt keine nachprüfbaren Zahlen, wie viele anonyme Geburten in Deutsch-
land stattfinden. Jährlich werden zwischen 20 und 24 unmittelbar nach der Ge-
burt getötete Säuglinge gefunden. Empirisch nicht belegte Schätzungen gehen
von einer vierzigfachen Dunkelziffer aus.

B. Lösung
Durch eine Änderung des Personenstandsgesetzes sollen anonyme Geburten
dadurch geregelt werden, dass die Anzeigepflicht der Mutter und der an einer
anonymen Geburt Beteiligten dann entfällt, wenn eine Frau ihr Kind anonym
zur Welt bringen will.

Drucksache 14/8856 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Für die Haushalte des Bundes und der Länder entstehen keine Mehrkosten. Für
die Sozialhilfeträger können Kosten dadurch entstehen, dass Frauen nunmehr
ein Krankenhaus aufsuchen. Da die Zahl der anonymen Geburten nicht bekannt
ist, können diese Kosten nicht quantifiziert werden. Wenn man von ca. 400 ano-
nymen Geburten im Jahr ausgeht, wäre dies für die 440 Landkreise und kreis-
freien Städte im Bundesgebiet durchschnittlich weniger als eine zu finanzie-
rende anonyme Geburt pro Jahr.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8856

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung anonymer Geburten

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes

Das Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung …, wird
wie folgt geändert:
§ 4 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Ein Kind, das im Inland
1. von einer Mutter geboren wird, die keine Angaben zu

ihrer Person macht (§ 21c Abs. 1 PStG) oder
2. nach der Geburt aufgefunden wird (§ 25 Abs. 1

PStG) oder
3. nach der Geburt bei einer Anstalt oder Einrichtung

abgegeben wird (§ 26 Abs. 2 PStG), gilt bis zum Be-
weis des Gegenteils als Kind eines deutschen Staats-
angehörigen.“

Artikel 2
Änderung des Personenstandsgesetzes

Das Personenstandsgesetz in der im Bundesgesetzblatt
Teil III, Gliederungsnummer 211-1, veröffentlichten berei-
nigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 3 § 9 des Ge-
setzes vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618), wird wie folgt
geändert:
1. Dem § 17 Abs. 1 wird folgender Satz angefügt:

„Im Falle des § 21c Abs. 1 entfällt die Anzeigepflicht
nach den Nummern 1 und 5.“

2. § 21b wird wie folgt gefasst:
㤠21b

Der Standesbeamte hat die Geburt eines Kindes,
1. dessen Eltern nicht miteinander verheiratet sind,
2. dessen Mutter keine Angaben zu ihrer Person ma-

chen will (§ 21c Abs.1), unverzüglich dem Jugend-
amt anzuzeigen.

Ist im Falle der Nummer 1 die Mutter minderjährig, so
ist ihr religiöses Bekenntnis anzugeben, wenn es im Ge-
burtseintrag enthalten ist.“

3. Nach § 21b wird folgender neue § 21c eingefügt:
㤠21c

(1) Die Angaben nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 werden nicht
eingetragen, wenn die Mutter des Kindes keine Angaben
zu ihrer Person machen will; der Wille der Mutter muss
der Anzeige der Geburt zu entnehmen sein. In diesem
Falle stellt der Standesbeamte die Beurkundung der Ge-
burt bis zum Ablauf der Frist nach Absatz 2 zurück; die
Frist endet vorzeitig, wenn die Mutter die ergänzenden
Angaben macht.

(2) Im Falle des Absatzes 1 Satz 1 kann die Mutter
dem Standesbeamten die Angaben binnen einer Frist
von acht Wochen nach der Geburt des Kindes über die
Anstalt oder die Person, von der die Geburtsanzeige er-
stattet worden ist, zuleiten; der Standesbeamte berück-
sichtigt die Angaben bei der Beurkundung der Geburt.
Für eine etwaige spätere Eintragung der Mutter nach der
Beurkundung der Geburt des Kindes gilt § 30 Abs. 1.
(3) Die Mutter kann gegenüber dem Anzeigenden die

Vornamen des Kindes auch dann bestimmen, wenn sie
keine Angaben zu ihrer Person macht; die Vornamen
sind mit einem Hinweis auf die Namensbestimmung
durch die Mutter in der Geburtsanzeige anzugeben.
(4) Im Falle des Absatzes 1 Satz 1 bestimmt die zu-

ständige Verwaltungsbehörde den Familiennamen und,
sofern die Mutter nicht von ihrem Bestimmungsrecht
gemäß Absatz 3 Gebrauch gemacht hat, auch die Vor-
namen des Kindes.
(5) Die Mutter kann dem Kind mit der Möglichkeit

der späteren Aushändigung (§ 61 Abs. 4) eine Nachricht
(z. B. mit Angaben über die Eltern des Kindes und deren
Familie) hinterlassen. Die Nachricht ist der Geburtsan-
zeige in einem verschlossenen Umschlag beizufügen; sie
kann von dem Anzeigenden oder der Mutter auch noch
zu einem späteren Zeitpunkt abgegeben werden. Nach
der Beurkundung der Geburt leitet der Standesbeamte
den Umschlag zusammen mit einer beglaubigten Ab-
schrift des Geburtseintrags dem für die Aufbewahrung
der Nachricht zuständigen Standesbeamten zu. In jedem
Land nimmt ein Standesbeamter diese Aufgabe zentral
wahr; die Landesregierungen werden ermächtigt, den
zuständigen Standesbeamten zu bestimmen. Der Stan-
desbeamte hat die Nachricht auf Verlangen der Mutter
an diese zurückzugeben.“

4. § 26 wird wie folgt geändert:
a) Der bisherige Wortlaut wird Absatz 1.
b) Es wird folgender Absatz 2 angefügt:

„(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Kinder, die in
einer dafür vorgesehenen Vorrichtung einer Anstalt
oder Einrichtung im Sinne der §§ 18 und 19 oder ei-
ner sonstigen Einrichtung der Mutter- oder Jugend-
hilfe abgegeben worden sind.“

5. Dem § 61 wird folgender neue Absatz 4 angefügt:
„(4) Im Falle des § 21c Abs. 5 wird dem über sech-

zehn Jahre alten Kind auf seinen Wunsch die hinterlegte
Nachricht ausgehändigt. Andere Personen und Behörden
können weder die Einsicht in die Nachricht noch ihre
Aushändigung verlangen; § 21c Abs. 5 Satz 5 bleibt un-
berührt.“

6. In § 70 wird nach Nummer 11 folgende neue Num-
mer 12 eingefügt:
„12. die Hinterlegung, die Rückgabe und die Aushändi-

gung einer Nachricht nach § 21c Abs. 5,“.

Drucksache 14/8856 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Artikel 3
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt
Teil III, Gliederungsnummer 400-2, veröffentlichten berei-
nigten Fassung, zuletzt geändert durch …, wird wie folgt
geändert:
1. § 1773 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Ein Minderjähriger erhält einen Vormund auch
dann, wenn
1. sein Familienstand nicht zu ermitteln ist,
2. er nach der Geburt bei einer Anstalt oder Einrichtung

abgegeben wird (§ 26 Abs. 2 des Personenstands-
gesetzes),

3. die Mutter keine Angaben zu ihrer Person machen
will (§ 21c Abs. 1 des Personenstandsgesetzes).“

2. § 1791c wird wie folgt geändert:
a) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingefügt:

„(3) Absatz 1 Satz 1 gilt entsprechend für ein Kind,
1. das nach der Geburt bei einer Anstalt oder Ein-

richtung abgegeben wird (§ 26 Abs. 2 des Perso-
nenstandsgesetzes) oder

2. dessen Mutter keine Angaben zu ihrer Person ma-
chen will (§ 21c Abs. 1 des Personenstandsgeset-
zes).“

b) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 4.

Artikel 4
Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten

der freiwilligen Gerichtsbarkeit
§ 48 des Gesetzes über die Angelegenheiten der frei-

willigen Gerichtsbarkeit in der im Bundesgesetzblatt Teil
III, Gliederungsnummer 315-1, veröffentlichten bereinigten
Fassung, zuletzt geändert durch …, wird wie folgt gefasst:

㤠48
„Wird einem Standesbeamten

1. der Tod einer Person, die ein minderjähriges Kind hin-
terlassen hat,

2. die Geburt eines Kindes nach dem Tode des Vaters,
3. die Geburt eines Kindes, dessen Mutter keine Angaben

zu ihrer Person machen will (§ 21c des Personenstands-
gesetzes), oder

4. die Auffindung eines Minderjährigen, dessen Familien-
stand nicht zu ermitteln ist,

angezeigt, so hat der Standesbeamte hiervon dem Vormund-
schaftgericht Anzeige zu machen.“

Artikel 5
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am … in Kraft.

Berlin, den 23. April 2002

Dr. Peter Struck und Fraktion
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8856

Begründung

A. Allgemeiner Teil
Eine anonyme Geburt ist in Deutschland rechtlich nicht zu-
lässig. Die Mutter und die an einer Geburt beteiligten Perso-
nen sind nach dem Personenstandsgesetz verpflichtet, die
Personenstandsdaten der Mutter gegenüber dem Standesamt
anzugeben. Wer dies nicht tut, handelt rechtswidrig.
Eine schwangere Frau, die ihr Kind anonym zur Welt brin-
gen will, muss dies also ohne geburtshilfliche Hilfe tun,
wenn sie ihre Anonymität bewahren will. Sie kann sich bei
der Geburt nicht helfen lassen. Die geburtshilflichen Min-
deststandards wie Hygiene und ärztliche Betreuung sind
weder für die Schwangere noch für das Neugeborene
sichergestellt. Geburten in öffentlichen Toiletten, in einer
fremden Wohnung oder einem anderen Ort sind die Folge.
Die Zahl anonymer Geburten ist in Deutschland nicht be-
kannt. Jährlich werden zwischen 20 und 24 unmittelbar
nach der Geburt getötete Kinder gefunden. Fachleute ver-
muten, dass die Dunkelziffer vierzig Mal so hoch ist, weil
es ein reiner Zufall sei, ob ein getötetes Neugeborenes ge-
funden werde.
Nach diesen Schätzungen würden also in Deutschland zwi-
schen 800 und 1000 Kinder nach der Geburt getötet werden.
Auch wenn diese Schätzungen empirisch nicht belegt sind
und von der Anzahl fast nicht vorstellbar sind, geben die Er-
fahrungen in Frankreich, wo seit vielen Jahrzehnten ano-
nyme Geburten rechtmäßig sind, ein Indiz für die Richtig-
keit dieser Annahme. In Frankreich werden rund 1 Promille
der Kinder anonym geboren. Auf Deutschland bezogen
wären dies rund 800 anonyme Geburten pro Jahr.
Auch ein flächendeckendes Angebot von so genannten Ba-
byklappen oder ähnlichen Einrichtungen löst das Problem
nur scheinbar: Nach der Geburt kann dann zwar das Leben
des Kindes erhalten werden. Nicht gesichert ist aber die me-
dizinische Versorgung und Betreuung des Kindes und der
Mutter vor, während und nach der Geburt. Babyklappen und
ähnliche Einrichtungen eröffnen einer betroffenen Frau
nicht die Möglichkeit einer Geburt unter humanen Bedin-
gungen, da sie während der Schwangerschaft und der Ge-
burt allein auf sich gestellt bleibt.
Nach der vorgesehen Änderung des Personenstandsgesetzes
soll die Anzeigenpflicht über die Daten der Mutter entfallen,
wenn die Mutter dies wünscht. Unabhängig davon muss die
Geburt des Kindes wie bisher dem Standesamt mitgeteilt
werden. Durch diese Regelung anonymer Geburten hat eine
Betroffene dann die Möglichkeit, in einem Krankenhaus zu
entbinden oder sich der Hilfe einer Hebamme zu bedienen.
Damit ist auch die Möglichkeit gegeben, mit einer schwan-
geren Frau über Ursachen und Motive des Wunsches nach
einer anonymen Geburt ins Gespräch zu kommen, sie zu be-
raten und sie von dem psychischen Druck zu befreien, ihr
Kind ohne Hilfe gebären zu müssen. Damit kann auch ver-
hindert werden, dass sie in Panik gerät und Handlungen vor-
nimmt, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass Beratungs-
gespräche vor und nach der Geburt dazu beitragen, schwan-

gere Frauen psychisch zu entlasten und sie die Möglichkeit
erhalten, ohne Druck darüber nachdenken zu können, ob sie
ihr Kind annehmen oder nicht. Es hat sich außerdem ge-
zeigt, dass rund 50 Prozent der betroffenen Frauen ihr Kind
im Nachhinein angenommen und auf eine anonyme Geburt
verzichtet haben.
Der Gesetzentwurf begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Zwar bestimmt Artikel 7 der UN-Kinderkonvention, die al-
lerdings noch nicht in nationales Recht übergeführt wurde,
dass jedes Kind das Recht hat, seine Herkunft zu kennen.
Artikel 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonven-
tion verlangt, dass von Geburt an die Integration des Kindes
in seine Familie ermöglicht werden muss. Das Bundesver-
fassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31. Januar
1989 das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als
Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nach Arti-
kel 2 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG bezeichnet.
Diese Ansprüche eines Kindes sind aber mit dem Recht des
Kindes auf Leben abzuwägen. Wenn eine rechtliche Rege-
lung dazu führt, dass ein neugeborenes Kind sein Recht auf
Leben wegen der äußeren Umstände nicht durchsetzen
kann, hat dieser Anspruch auf Leben Vorrang vor dem
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.
Der Gesetzentwurf trägt diesen rechtlichen Bedenken auch
dadurch Rechnung, dass nach Artikel 2 Nr. 3 des Gesetzent-
wurfs die Mutter, die ihr Kind nicht annimmt, diesem eine
Nachricht mit Angaben über die Eltern und der Familie hin-
terlassen kann, die dem Kind auf dessen Wunsch hin nach
seinem 16. Geburtstag ausgehändigt werden muss.
Dabei ist davon auszugehen, dass Krankenhäuser und Heb-
ammen eine Frau, die ihr Kind anonym zur Welt bringen
will, über diese Möglichkeit informieren.
Es ist davon abgesehen worden, für die bei einer anonymen
Geburt entstehenden Kosten eine finanzielle Regelung zu
treffen. Wenn man von 800 anonymen Geburten im Jahr
ausgeht und annimmt, dass rund 50 Prozent der Mütter nach
der gesetzlichen Regelung anonymer Geburten ihr Kind an-
nehmen, verbleiben 400 anonyme Geburten. Verteilt auf die
440 Landkreise und kreisfreien Städte wären dies im statis-
tischen Mittel weniger als eine anonyme Geburt im Jahr.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die für die
Sozialhilfeträger entstehenden Kosten weitgehend durch
Spenden finanziert werden können.

B. Einzelbegründung
Zu Artikel 1 (Änderung des Staatsangehörigkeits-

rechts)
Die bisher auf „Findelkinder“ beschränkte Regelung ist auf
anonym geborene Kinder und Kinder, die nach der Geburt
bei einer Anstalt oder Einrichtung abgegeben wurden, aus-
zudehnen. Eine Beibehaltung der jetzigen Regelung würde
zu einer Rechtsunsicherheit darüber führen, ob die neu hin-
zugekommenen Kinder ohne Eltern analog der Findelkin-
der-Regelung behandelt werden können oder als Staatenlose

Drucksache 14/8856 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

gelten. Eine staatsangehörigkeitsrechtliche Andersbehand-
lung dieser Kinder ist nicht beabsichtigt; sie wäre auch nicht
mit der Intention des Entwurfs, schwangeren Frauen und
Müttern in Not Hilfe anzubieten, zu vereinbaren.
Zu Artikel 2 (Änderung des Personenstands-

gesetzes)
Zu Nummer 1 (§ 17 Abs. 1)
Bei der Anzeige einer Geburt korrespondiert die allgemeine
Anzeigepflicht einer jeden Person, die von der Geburt des
Kindes weiß (§ 17 PStG), mit den besonderen Anzeigen-
pflichten bei Geburt in einer öffentlichen oder privaten Ein-
richtung (§§ 18, 19 PStG). Im „Normalfall“ der Entbindung
in einer öffentlichen Krankenanstalt ist ausschließlich die
Einrichtung anzeigenpflichtig; die Anzeige wird von der
Krankenhausverwaltung schriftlich erstattet.
Im Fall der „anonymen Geburt“ dürfte – weil kaum eine an-
dere Einrichtung mit einem entsprechenden Angebot zur
Hilfe an die Mütter herantreten kann – die Anzeigenpflicht
fast ausschließlich bei öffentlichen oder privaten Einrich-
tungen liegen.
Dennoch können die Vorschriften über die mündliche An-
zeige des § 17 PStG nicht insgesamt von einer Anwendung
bei „anonymer Geburt“ ausgenommen werden, weil auch
hier der Ausnahmefall einer Hausgeburt ggf. auch einer
Frühgeburt an unterschiedlichstem Ort (z. B. während der
Taxifahrt ins Krankenhaus) nicht auszuschließen ist.
Allerdings scheidet die nach Absatz 1 Nr. 5 zur Anzeige
verpflichtete Mutter im Falle des § 21c Abs. 1 PStG aus
dem Kreis der verpflichteten Personen naturgemäß aus, weil
sie sonst ihre Anonymität aufgeben müsste.
Gleiches gilt für die den sorgeberechtigten Vater des Kindes
betreffende Anzeigepflicht nach Absatz 1 Nr. 1. Zwar
könnte es einen solchen Vater geben (z. B. wäre bei beste-
hender Ehe der Mutter deren Ehemann gesetzlicher – und
sorgeberechtigter – Vater des Kindes), doch ist auch der
Weg zu ihm durch die Anonymität der Mutter versperrt.
Zu Nummer 2 (§ 21b)
Die Mitteilungspflicht an das Jugendamt ist bei anonymer
Geburt aus zwei Gründen unverzichtbar:
Zum einen muss wegen des hohen Beweiswertes der Perso-
nenstandsbücher und der aus ihnen zu erteilenden Personen-
standsurkunden sichergestellt sein, dass auch tatsächlich ein
Kind geboren worden ist.
Zum anderen hat das Jugendamt aus Anlass der Geburt sofort
tätig zu werden (Vormundschaft über das Kind; Einleitung ei-
ner Adoptionspflegschaft); nicht zuletzt aber auch, um Miss-
brauchsfällen (z. B. Kinderhandel) entgegenzuwirken.
Beide Zwecke lassen sich sinnvoll über eine Mitteilungs-
pflicht des beurkundenden Standesbeamten gegenüber dem
Jugendamt und über die diesem obliegende Kontrolle errei-
chen.
Zu Nummer 3 (§ 21c)
Absatz 1 Satz 1 räumt der Mutter das Recht ein, keine An-
gaben über ihre Person zu machen. Bekundet die Mutter
dies gegenüber dem Anzeigenden, so hat dieser den Willen

der Mutter in der Anzeige zweifelsfrei zum Ausdruck zu
bringen. In diesem Fall sind der Anzeigende und alle weite-
ren Beteiligten von der Verpflichtung nach § 68a PStG, er-
gänzende Angaben zu machen und die dazu erforderlichen
Urkunden vorzulegen, befreit; Zwangsmitteln nach § 69
PStG ist ebenfalls die Grundlage entzogen.
Absatz 1 Satz 2 i. V. m. Absatz 2 trägt einem sich wandeln-
den Mutterwillen Rechnung: Innerhalb von acht Wochen
nach der Geburt des Kindes kann die Mutter die Angaben
zu ihrer Person über den für den Inhalt der Anzeige Ver-
pflichteten dem Standesbeamten noch zuleiten. In diesem
Zeitraum geschieht nichts, was einen späteren Rückschluss
auf den ursprünglich geäußerten Willen der Mutter zuließe.
Die Beurkundung der Geburt des Kindes wird zurückge-
stellt und damit der Weg zu einer späteren „normalen“ Be-
urkundung nicht versperrt. Bei sofortiger Beurkundung der
Geburt würde durch einen nachträglich aufzunehmenden
Vermerk über die Mutter ihre ursprüngliche Absicht dauer-
haft offenbart. Der sonst im Personenstandswesen vorherr-
schende Grundsatz, unmittelbar nach Eintritt eines Perso-
nenstandsfalls beurkundungsrechtliche Klarheit zu schaf-
fen, muss hier hinter den Interessen von Mutter und Kind
zurückstehen. Dies fällt nicht schwer, sind doch alle Doku-
mente zur Geburt beim Standesbeamten in sorgsamen Hän-
den. Einer sich erst nach Ablauf der Frist und der Beurkun-
dung der Geburt bekennenden Mutter bleiben allerdings die
Vorzüge der Sonderregelung versagt. Für beide Fälle gilt,
dass auf den verfahrensmäßigen Umweg, den die Angaben
zur Mutter über den Anzeigenden der Geburt nehmen müs-
sen, nicht verzichtet werden kann; nur der Anzeigende kann
ihre Identität gegenüber dem Standesbeamten bestätigen.
Die Absätze 3 und 4 regeln die notwendige Namensbestim-
mung (Vor- und Familiennamen) für das Kind.
Unabhängig von der Personensorge eröffnet Absatz 3 der
Mutter die Möglichkeit der Namensbestimmung. Dies ist
aus zwei Gründen ratsam: Zum einen mit Blick auf die der
Mutter durch Absatz 5 eingeräumte Option der Hinterlas-
sung von Nachrichten an das Kind, in der sich auch Gründe
für die Vornamenswahl angesprochen werden können. Zum
anderen, aber auch aus der Sicht einer so weit wie möglich
zu entlastenden zuständigen Verwaltungsbehörde, deren
Namenswahl sonst willkürlich erfolgen muss.
Angelehnt an die für Findelkinder und Personen mit unge-
wissem Personenstand getroffenen Regelungen (§§ 25, 26
PStG) soll die zuständige Verwaltungsbehörde den Famili-
ennamen des Kindes bestimmen. Hat die Mutter von ihrem
Recht der Vornamensgebung keinen Gebrauch gemacht,
fällt der zuständigen Verwaltungsbehörde auch die Bestim-
mung des Vornamens zu.
Absatz 5 relativiert den Willen der Mutter, keine Angaben
über sich zu machen und damit dem Kind jedwede Informa-
tion über seine Herkunft vorzuenthalten: Der Mutter wird
die Möglichkeit eingeräumt, ihrem Kind eine Nachricht zu
hinterlassen. Die Eröffnung dieser Möglichkeit ist nicht nur
aus der Sicht einer Mutter zu verstehen, die sich erst zu ei-
nem späteren Zeitpunkt an ihr Kind wenden will; sie ist
auch ein Zugeständnis an das Recht des Kindes, u. U. auf
diesem Weg Licht in seine Abstammungsverhältnisse zu
bringen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/8856

Der Entwurf nennt zwar Beispiele für den Inhalt der Nach-
richt, setzt hierfür aber keine Norm. Auf eine – denkbar – am
Wohl des Kindes orientierte Festlegung des Inhalts der Nach-
richt wurde bewusst verzichtet, weil eine damit zwangsläufig
verbundene Kontrolle (z. B. durch das Jugendamt) bei den
betroffenen Müttern wohl nicht gewollte Zurückhaltung aus-
lösen könnte. Die Mutter entscheidet also allein, ob und ggf.
welche Nachricht sie dem Kind hinterlässt.
Im Regelfall wird die Nachricht in einem verschlossenen
Umschlag der Anzeige der Geburt beiliegen. Der Standes-
beamte, der die Geburt beurkundet, soll aber nicht Verwah-
rer der Nachricht sein. Er könnte von betroffenen Müttern
als zu ortsnah, d. h. zu nah am Geschehen der Geburt, u. U.
auch als zu nah am Lebensmittelpunkt der Mutter empfun-
den werden. Da nicht auszuschließen ist, dass Ortsnähe von
Müttern mit der Befürchtung mangelnder Geheimhaltung
verbunden wird, sieht der Entwurf die Aufbewahrung der
Nachricht bei einem in jedem Land zentral zuständigen
Standesamt vor.
Nicht auszuschließen ist, dass die Mutter nach der Anzeige
der Geburt (u. U. Jahre nach der Geburt) eine Nachricht hin-
terlegen, die ursprüngliche Nachricht verändern oder sie gar
zurückziehen möchte. Der Entwurf lässt diese Möglichkeiten
zu, knüpft ihre Verwirklichung aber an das Erfordernis, dass
nur der Anzeigende oder die Mutter selbst sie veranlassen.
Nähere Regelungen über das Verfahren der Hinterlegung,
der Änderung, der Rückforderung und der Aushändigung
der Nachricht sowie den späteren Nachweis der Identität
des Anzeigenden und der Mutter sollen in den Durchfüh-
rungsbestimmungen zum Personenstandsgesetz getroffen
werden. Die Ermächtigungsgrundlage hierfür findet sich in
§ 70 Nr. 12 PStG (siehe unter Nummer 5).
Zu Nummer 4 (§ 26 Abs.2)
Der neue Absatz 2 regelt erstmals das Verfahren der Ge-
burtsbeurkundung nach anonymer Abgabe von Kindern in
hierfür vorgesehenen Vorrichtungen von Anstalten oder
Einrichtungen (vornehmlich Krankenanstalten). Diese so
genannten Babyklappen und ähnliche Einrichtungen werden
bereits seit einigen Jahren angeboten und auch genutzt. Da
es im geltenden Recht eine spezielle Regelung für diese Art
des anonymen Abgebens von Kindern nicht gibt, hat sich
die Praxis bisher mit der analogen Anwendung der beste-
henden Regelungen für Findelkinder (§ 25 PStG) und Per-
sonen mit ungewissem Personenstand (§ 26 PStG) behol-
fen. Beide Vorschriften lassen sich hinsichtlich Tatbestand
und Rechtsfolgen aber nicht auf den hier zu regelnden Sach-
verhalt anwenden. Insbesondere die bei Findelkindern vor-
gesehene Einschaltung der Ortspolizeibehörde, die ihrer-
seits Ermittlungen anzustellen hat, lässt sich nicht mit einem
Angebot zur Hilfe und Betreuung vereinbaren. Da der Re-
gelungsinhalt des § 26 PStG der neu aufzunehmenden Vor-
schrift am nächsten kommt, wurde er als Standort gewählt.
Die zuständige Verwaltungsbehörde soll die in das Gebur-
tenbuch aufzunehmenden Angaben festlegen.
Zu Nummer 5 (§ 61 Abs. 4)
Der neue Absatz 4 korrespondiert mit § 21c Abs. 5 PStG.
Die von der Mutter bei anonymer Geburt hinterlegte Nach-
richt für das Kind soll dem Kind auf seinen Wunsch ausge-

händigt werden. Die Aushändigung setzt den ausdrückli-
chen Wunsch des Kindes voraus. Gegen seinen Willen kann
die Nachricht nicht eröffnet werden. Auch niemand anders
kann sie einsehen. Es liegt mithin in der Hand des Kindes,
aus der Nachricht etwa Näheres über die Umstände seiner
Geburt, insbesondere über die Person der Mutter, ggf. des
Vaters und deren Familie zu erfahren.
Indem es der freien Entscheidung des Kindes überlassen
bleibt, die Nachricht einzusehen, wahrt man die individuelle
Wertung einer solchen Nachricht für das Kind, insbesondere
die eigene Einschätzung seiner Gefühle, des künftigen Ver-
haltens gegenüber Adoptiveltern und -geschwistern, aber
auch des Wissens über die leibliche Abstammung.
Zu Nummer 6 (§ 70 Nr. 12)
Die neue Nummer 12 ermächtigt das Bundesministerium
des Innern zum Erlass von Durchführungsvorschriften über
das Verfahren für die Hinterlegung und Ergänzung einer
Nachricht der Mutter an ihr Kind, die etwaige Rückgabe der
Nachricht an die Mutter und schließlich die Aushändigung
der Nachricht an das Kind. Mit umfasst von der Ermächti-
gung sind die erforderlichen Vorschriften über die Weiter-
leitung der Nachricht von dem für die Beurkundung der Ge-
burt zuständigen Standesbeamten an den nach Landesrecht
zentral zuständigen Standesbeamten, die Aufbewahrung der
Nachricht und – damit verbunden – das Aushändigungsver-
fahren.
Zu Artikel 3 (Änderung des Bürgerlichen Gesetz-

buchs)
Zu Nummer 1 (§ 1773 Abs. 2)
Eine Mutter, die anonym bleiben will, kann ohne Gefähr-
dung ihrer Anonymität weder tatsächlich für das Kind sor-
gen noch es im Außenverhältnis rechtsgeschäftlich vertre-
ten. Damit in dieser Situation gleichwohl die notwendigen
Maßnahmen zur Versorgung und Betreuung des Kindes,
etwa die Unterbringung in einer Pflegefamilie, getroffen
werden können, soll das anonym geborene Kind einen Vor-
mund erhalten. § 1773 Abs. 2 BGB wird dahin gehend er-
gänzt, dass ein Vormund auch dann zu bestellen ist, wenn
ein Kind nach der Geburt bei einer Anstalt oder Einrichtung
abgegeben wird (§ 26 Abs. 2 PStG) oder seine Mutter keine
Angaben zu ihrer Person machen will (§ 21c Abs. 1 PStG).
Abweichend vom bisherigen Recht ist damit in diesen Fäl-
len nicht Voraussetzung für die Bestellung eines Vormun-
des, dass der Familienstand des Kindes nicht zu ermitteln
ist. In diesen Fällen soll künftig die gesetzliche Vormund-
schaft eintreten (Änderung von § 1791c BGB).
Zu Nummer 2 (§ 1791c)
In allen Fällen der anonymen Geburt oder der Abgabe des
Kindes nach der Geburt bei einer Anstalt oder Einrichtung
soll das Jugendamt zum Amtsvormund des anonym gebore-
nen Kindes bestellt werden. Damit sollen insbesondere Ver-
eine und Organisationen, die die Möglichkeit für eine ano-
nyme Geburt eröffnen oder eine entsprechende Einrichtung
betreiben, davor bewahrt werden, in den Verdacht des Kin-
derhandels zu kommen. Dieser Verdacht könnte entstehen,
wenn der die Einrichtung betreibende Verein selbst oder ei-
nes seiner Mitglieder zum Vormund bestellt wird. Mit der

Drucksache 14/8856 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Regelung wird dieser Verdacht von vornherein ausgeschlos-
sen, da kraft Gesetzes das Jugendamt zum Vormund des
Kindes bestimmt wird und in dieser Funktion insbesondere
auch die erforderliche Einwilligung zur Adoption erteilt.
Zu Artikel 4 (Änderung des Gesetzes über die

Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit)

In § 1773 Abs. 2 BGB (Artikel 3) ist vorgesehen, dass das
Kind einen Vormund erhält, wenn dessen Mutter keine An-

gaben zu ihrer Person machen will (§ 21c PStG). Die Vor-
mundschaft hat das Vormundschaftsgericht gemäß § 1774
BGB von Amts wegen anzuordnen. Damit das Vormund-
schaftsgericht von der Geburt eines Kindes, dessen Mutter
keine Angaben zu ihrer Person machen will, Kenntnis er-
langt, wird § 48 FGG um eine entsprechende Anzeigepflicht
des Standesbeamten ergänzt.

Zu Artikel 5 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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