BT-Drucksache 14/6057

Nachhaltigkeitsstrategie in der Europäischen Union

Vom 16. Mai 2001


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

16. 05. 2001

Antrag

der Abgeordneten, Ursula Burchardt, Dietmar Nietan, Doris Barnett, Hans-Werner
Bertl, Petra Bierwirth, Rainer Brinkmann (Detmold), Hans Büttner (Ingolstadt),
Marion Caspers-Merk, Christel Deichmann, Marga Elser, Gernot Erler, Petra
Ernstberger, Lilo Friedrich (Mettmann), Rainer Fornahl, Iris Gleicke, Günter Gloser,
Monika Griefahn, Klaus Hagemann, Reinhold Hemker, Rolf Hempelmann,
Monika Heubaum, Gerd Höfer, Lothar Ibrügger, Renate Jäger, Susanne Kastner,
Horst Kubatschka, Helga Kühn-Mengel, Christian Lange (Backnang), Detlev von
Larcher, Robert Leidinger, Erika Lotz, Winfried Mante, Lothar Mark, Christoph
Matschie, Heide Mattischeck, Markus Meckel, Ulrike Mehl, Dr. Jürgen Meyer (Ulm),
Michael Müller (Düsseldorf), Andrea Nahles, Günter Oesinghaus, Eckhart Ohl,
Holger Ortel, Joachim Poß, Karin Rehbock-Zureich, Gudrun Roos, Michael Roth
(Heringen), Dr. Hansjörg Schäfer, Bernd Scheelen, Dieter Schloten, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Heinz Schmitt (Berg), Ottmar Schreiner, Reinhard Schultz
(Everswinkel), Dr. R. Werner Schuster, Dr. Angelica Schwall-Düren, Wolfgang
Spanier, Jella Teuchner, Hedi Wegener, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Ernst
Ulrich von Weizsäcker, Lydia Westrich, Dr. Margrit Wetzel, Dr. Norbert Wieczorek,
Dr. Wolfgang Wodarg, Heidemarie Wright, Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD
sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske,
Michaele Hustedt, Albert Schmidt (Hitzhofen), Silvia Voß, Kerstin Müller (Köln)
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nachhaltigkeitsstrategie der Europäischen Union

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft haben sich bei der Reform
der europäischen Verträge 1997 in Amsterdam verpflichtet, künftig bei der
Festlegung und Durchführung der Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen
den Umweltschutz stets mit einzubeziehen. Dies gilt insbesondere bei Pro-
grammen und Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

Zur Umsetzung dieser Verpflichtung hat der Europäische Rat in Cardiff im Juni
1998 eine Strategie zur Einbeziehung von Umweltbelangen in die verschiede-
nen Fachpolitiken der Gemeinschaft beschlossen und die für Landwirtschaft,
Verkehr und Energie zuständigen Fachministerräte mit der Entwicklung von
Sektorstrategien beauftragt.
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Auf weiteren Ratstreffen haben die Staats- und Regierungschefs diese Strategie
weiterentwickelt und zusätzliche Fachministerräte in die Arbeiten einbezogen.
Bis zum Europäischen Rat von Göteborg am 15. und 16. Juni 2001 sollen um-
fassende Sektorstrategien auch für die Bereiche Allgemeine Angelegenheiten,
Wirtschaft und Finanzen, Binnenmarkt, Industrie und Entwicklungszusammen-
arbeit einschließlich eines Zeitplans für die Durchführung und eines Systems
von Indikatoren vorgelegt werden.

Einen neuen Impuls erhielt das Prinzip der Umweltintegration durch den an die
Europäische Kommission ergangenen Auftrag, eine Nachhaltigkeitsstrategie
als Beitrag der Gemeinschaft zur 10-Jahres-Überprüfung des Rio-Prozesses im
Jahr 2002 auszuarbeiten.

Die Europäische Gemeinschaft steht damit vor der Herausforderung, die bis-
lang weitgehend unverbundenen und heterogenen Sektorstrategien zur Einbe-
ziehung des Umweltschutzes aufeinander abzustimmen und in den größeren
strategischen Zusammenhang einer nachhaltigen Entwicklung in Europa zu
stellen. Deshalb hält es der Deutsche Bundestag für notwendig, den Prozess der
Integration von Umweltbelangen in die Fachpolitiken weiterzuentwickeln und
institutionell zu stärken.

Im Interesse einer kohärenten Politik der Gemeinschaft für eine nachhaltige
Entwicklung ist es erforderlich, für den Prozess zur Integration von Umweltbe-
langen und für die europäische Nachhaltigkeitsstrategie ein Monitoringsystem
einzurichten. Bezogen auf die Nachhaltigkeitsstrategie bietet es sich an, das
Monitoring in das bereits bestehende Monitoringsystem (jährliche Synthesebe-
richte anhand festgelegter Indikatoren) des Lissabon-Prozesses zur Stärkung
von Wachstum und Beschäftigung einzubeziehen.

Dies setzt die Festlegung von Leitindikatoren voraus, die eine Bewertung der
Wirksamkeit der Nachhaltigkeitsstrategie ermöglichen (Indikatoren für Treib-
hauseffekt, Beschäftigungsentwicklung etc.). Ebenso sind klare Zielvorgaben
und zeitlich definierte Schritte zur Umsetzung notwendig. Auf diesem Weg
können gegenläufige Tendenzen zwischen verschiedenen Fachpolitiken syste-
matisch identifiziert und ausgeräumt werden; zugleich würde eine institutiona-
lisierte regelmäßige Erfolgskontrolle für die Nachhaltigkeitspolitik der Ge-
meinschaft etabliert.

Der Lissabonner Prozess zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung ist
durch Kriterien der Nachhaltigkeit zu ergänzen. Der Europäische Rat von
Göteborg sollte deshalb eine europäische Nachhaltigkeitsstrategie beschließen,
die auf der Lissabonner Strategie aufbauen und diese ergänzen soll. Die Fort-
schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung sollten im Rahmen
der jährlichen Frühjahrstagung des Europäischen Rats überprüft werden.

Eine Schlüsselfunktion als ökologische Säule der Nachhaltigkeitsstrategie
kommt dem 6. Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft zu. Der vorliegende
Entwurf der Europäischen Kommission genügt diesen Anforderungen nach
Auffassung des Deutschen Bundestages allerdings noch nicht. Dies ist umso
bedauerlicher, als bereits die Bewertung des Vorläuferprogramms zur Förde-
rung der Umweltintegration durch die Europäische Kommission recht negativ
ausfiel.

Es wurde festgestellt, dass das Hauptdefizit des 5. Umweltaktionsprogramms
seine unzureichende Umsetzung und das Fehlen verbindlicher Vorgaben war.
Aus dieser Erfahrung heraus ist daher eine Spezifizierung im Sinne konkreter
Zielvorgaben und zeitlicher Schritte im 6. Umweltaktionsprogramm dringend
erforderlich.

Die Europäische Kommission hat im Rahmen eines Konsultationspapiers kon-
krete Vorschläge für eine europäische Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt. Der
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strategische Ansatz, die Fachpolitiken der Gemeinschaft besser aufeinander ab-
zustimmen und ein stabiles langfristiges Politikmanagement zu etablieren, das
sich an ehrgeizigen, nachprüfbaren Zielen orientiert, findet grundsätzlich die
Zustimmung des Deutschen Bundestages. Dabei wird es sinnvoll sein, sich auf
solche Handlungsfelder zu konzentrieren, die von besonderer Bedeutung für
eine nachhaltige Entwicklung sind. Neben Feldern wie Klimaschutz, Mobilität,
Umgang mit natürlichen Ressourcen und Gesundheitsschutz muss vor dem
Hintergrund aktueller Entwicklungen die Reform der Gemeinsamen Agrarpoli-
tik und der Verbraucherschutz einen besonderen Stellenwert im Rahmen der
europäischen Nachhaltigkeitsstrategie erhalten. Des Weiteren sollte die EU-
Nachhaltigkeitsstrategie auch die internationale Verantwortung der EU für eine
global nachhaltige Entwicklung insbesondere in Feldern wie der Handelspoli-
tik, der Entwicklungszusammenarbeit und der Fortentwicklung des internatio-
nalen Institutionengefüges ansprechen.

Die amtierende schwedische Ratspräsidentschaft hat Umwelt und nachhaltige
Entwicklung zu Schwerpunkten ihres Arbeitsprogramms erklärt. Das Ziel, bis
zum Gipfel von Göteborg eine beschlussreife europäische Nachhaltigkeitsstra-
tegie zu erarbeiten und operative Vorschläge für die Fortsetzung des Prozesses
der Umweltintegration vorzulegen, wird vom Deutschen Bundestag ausdrück-
lich unterstützt.

An die Bundesregierung richtet sich die Erwartung, dass sie bei der Formulie-
rung einer gemeinschaftlichen Politik für Umweltintegration und eine nachhal-
tige Entwicklung eine aktive Rolle übernimmt und dazu beiträgt, die begonne-
nen Prozesse zum Erfolg zu führen.

Für die Fachressorts des Bundes stellt sich damit die Aufgabe, bei der Formu-
lierung europapolitischer Strategien nachhaltige Entwicklung ebenso als zen-
trales Thema zu berücksichtigen, wie dies auch auf nationaler Ebene erfolgen
muss. Die europapolitisch geforderte Integration der Umweltbelange kann nur
gelingen, wenn sie auch auf der Ebene der Fachressorts in den Mitgliedstaaten
erfolgt.

Auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung dem Thema Nachhaltigkeit
durch die Berufung eines Rates für nachhaltige Entwicklung und durch die Ein-
setzung eines ständigen Staatssekretärsausschusses einen hohen Stellenwert
eingeräumt.

Gleiches sollte im Hinblick auf die europäische Nachhaltigkeitspolitik der
Bundesrepublik Deutschland gelten. Für eine Verzahnung des deutschen und
des europäischen Nachhaltigkeitsprozesses ist Sorge zu tragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,





die schwedische Ratspräsidentschaft in ihrem Bemühen um eine kohärente
und wirksame Politik der Gemeinschaft für eine nachhaltige Entwicklung
nach Kräften zu unterstützen und dazu beizutragen, dass die gesetzten Ziele
beim Gipfel von Göteborg erreicht werden können;





einen wesentlichen und erkennbaren Beitrag dazu zu leisten, dass der in
Cardiff begonnene Prozess der Integration von Umweltbelangen in den
Fachpolitiken der Gemeinschaft weiterentwickelt wird;





im Interesse einer engeren Zusammenführung der verschiedenen Sektorstra-
tegien insbesondere auf die Entwicklung von Mindestanforderungen an die
Strategien wie Ziele, Zeitpläne und Leitindikatoren hinzuwirken; darüber
hinaus sollten weitere bisher nicht befasste Ministerräte, wie beispielsweise
der Forschungsministerrat, in den Prozess der Umweltintegration einbezo-
gen werden;
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sich für eine Einbeziehung der Strategie zur Integration von Umweltbelan-
gen in die Fachpolitiken als wirksames Instrument in die europäische Nach-
haltigkeitsstrategie einzusetzen. Im Zentrum muss dabei die Steigerung der
Ressourcenproduktivität stehen. Potentiale einer Steigerung um ein Mehrfa-
ches stehen zur Verfügung und sollten in den unterschiedlichen Fachpoliti-
ken erschlossen werden. Darüber hinaus ist die Bundesregierung aufgefor-
dert, auf eine Integration der Nachhaltigkeitsstrategie in den Lissabon-
Prozess hinzuwirken. Insbesondere sollen Status und Fortschritte der Ge-
meinschaft auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in den jährli-
chen Syntheseberichten regelmäßig überprüft werden;





bei der Auswahl der Themenschwerpunkte für eine europäische Nachhaltig-
keitsstrategie darauf hinzuwirken, dass über die von der Europäischen Kom-
mission vorgeschlagenen Felder Klimaschutz, Sicherung natürlicher Res-
sourcen, Armut, Demographischer Wandel, Mobilität und Gesundheitsschutz
hinaus insbesondere – auch unter Kostengesichtspunkten – die Reform der
Gemeinsamen Agrarpolitik in Anknüpfung an die Agenda-2000-Beschlüsse
des Europäischen Rats sowie der Verbraucherschutz prioritär behandelt wer-
den; des Weiteren sollte die internationale Verantwortung der EU für eine glo-
bal nachhaltige Entwicklung insbesondere in Feldern wie der Handelspolitik,
der Entwicklungszusammenarbeit und der Fortentwicklung des internationa-
len Institutionengefüges angesprochen werden;





den Erweiterungsprozess der Europäischen Union auch unter Nachhaltig-
keitsaspekten zu betreiben;





bei der Beratung der Vorschläge der Europäischen Kommission für ein
6. Umweltaktionsprogramm dafür Sorge zu tragen, dass der vorliegende
Entwurf um konkrete Ziele und Zeitpläne ergänzt wird;





bei der Koordinierung der Europapolitik durch die Europastaatssekretäre
unter Federführung des Auswärtigen Amts in gleicher Weise nachhaltige
Entwicklung als Querschnittsaufgabe zu behandeln, wie dies auf nationaler
Ebene unter Federführung des Kanzleramtes geschehen soll.

Berlin, den 16. Mai 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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