BT-Drucksache 14/5245

Jobrotation im Arbeitsförderungsrecht verankern

Vom 7. Februar 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

07. 02. 2001

Antrag

der Abgeordneten Franz Thönnes, Doris Barnett, Klaus Brandner, Peter Dreßen,
Konrad Gilges, Walter Hoffmann (Darmstadt), Renate Jäger, Anette Kramme,
Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Brigitte Lange, Erika Lotz, Andrea Nahles,
Leyla Onur, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Silvia Schmidt (Eisleben), Ulla
Schmidt (Aachen), Olaf Scholz, Klaus Barthel (Starnberg), Ingrid Becker-Inglau,
Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Hans-Günter Bruckmann, Ulla Burchardt, Dr. Peter
Eckart, Lothar Fischer (Homburg), Klaus Hagemann, Rolf Hempelmann, Monika
Heubaum, Dietmar Nietan, Ulrich Kasparick, Ernst Küchler, Robert Leidinger,
Dr. Edelbert Richter, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hansjörg
Schäfer, Siegfried Scheffler, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Heinz Schmitt (Berg),
Angelica Schwall-Düren, Bodo Seidenthal, Jörg Tauss, Brigitte Wimmer
(Karlsruhe), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Ekin Deligöz, Matthias Berninger,
Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jobrotation im Arbeitsförderungsrecht verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:





Die rasante technologische Entwicklung stellt immer neue und steigende
Anforderungen an die Beschäftigten. Der permanenten Anpassung der be-
ruflichen Qualifikationen kommt im Kontext lebensbegleitenden Lernens
daher eine immer größere Bedeutung zu. Die betriebliche Weiterbildung er-
scheint in besonderer Weise geeignet, den steigenden Anforderungen am
Arbeitsplatz gerecht zu werden und die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer zu erhöhen.





Jobrotation als Instrument der betrieblichen Weiterbildung unterstützt Un-
ternehmen – insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Jobrotation er-
leichtert den Betrieben, ihre Beschäftigten für Weiterbildungsmaßnahmen
freizustellen. Das kommt den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu-
gute, die ihre Kenntnisse und Fertigkeiten entsprechend den neuen Anforde-
rungen des Arbeitsplatzes weiterentwickeln wollen oder denen aufgrund der
Inanspruchnahme von Elternzeit der Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert
werden soll.

Diese Qualifizierungsmaßnahmen ermöglichen den Betrieben, mit der tech-
nologischen Entwicklung Schritt zu halten und ihre Wettbewerbsfähigkeit
zu erhöhen.





Jobrotation dient vor allem der frühzeitigen und passgenauen Vermittlung
arbeitsloser Männer und Frauen in den ersten Arbeitsmarkt. Zur Vermei-
dung von Personalengpässen wird der Arbeitsplatz des Beschäftigten für die
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Zeit seiner Weiterbildung mit einem Arbeitslosen besetzt. Der zuvor arbeits-
lose Stellvertreter kann seine berufliche Qualifikation erweitern, praktische
Berufserfahrung sammeln und damit seine Vermittlungsfähigkeit steigern.
Jobrotation kann für Arbeitslose daher große Chancen zur Übernahme in
den an der Maßnahme beteiligten Betrieb bieten. Jobrotation ist somit eine
sinnvolle Verknüpfung der Bildungspolitik mit der Beschäftigungs- und Ar-
beitsmarktpolitik.





Die Erfahrungen im europäischen Ausland, von Modellprojekten und Lan-
desprogrammen in Deutschland sprechen dafür, über die bestehenden Mög-
lichkeiten im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) hinaus, Jobrotation
als eigenständiges Regelinstrument im Arbeitsförderungsrecht zu veran-
kern. Auch die Partner im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbe-
werbsfähigkeit haben sich darauf verständigt, dass die Weiterbildungsaktivi-
täten der Unternehmen durch die Förderung der Stellvertretung im Rahmen
von Jobrotation unterstützt werden sollten.





Die durch Jobrotation erzielbare Beschäftigungswirkung hängt in erhebli-
chem Maße davon ab, inwieweit die Tarifvertragsparteien und die Sozial-
partner auf Betriebsebene bestehende Möglichkeiten zur Weiterbildung von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nutzen und dabei auf eine moderne
Arbeitszeitgestaltung (z. B. Langzeitarbeitskonten, Sabbaticals), die Spiel-
räume für eine Weiterqualifizierung der Beschäftigten schafft, zurückgrei-
fen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf
zur Änderung des SGB III vorzulegen, in dem eine Stellvertreterförderung für
eine stärkere Nutzung von Jobrotation vorgesehen ist.





Anzustreben ist eine Beschäftigung des Stellvertreters in einem befristeten,
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mit Lohn-/Gehalts-
zahlung durch den Arbeitgeber. Dabei ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber ein
Zuschuss zu den Kosten für die Beschäftigung des Stellvertreters gewährt
werden kann. Für die Gewährung eines Arbeitgeberzuschusses sind die be-
rufliche Weiterbildung eines oder mehrerer Beschäftigten bei Lohnfortzah-
lung durch den Arbeitgeber, die Beschäftigung eines gemeldeten Arbeits-
losen und dessen tarifübliche Entlohnung während der Stellvertretung als
Voraussetzungen zu Grunde zu legen.





Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, inwie-
weit bei der Einführung von Jobrotation als SGB III-Leistung auch Rege-
lungen zur Koordinierung der für die Durchführung von Jobrotation not-
wendigen Vermittlungsaktivitäten, zur vorbereitenden Qualifizierung der
Stellvertreter und zur Betreuung (Coaching) während der Durchführung der
Maßnahme zu treffen sind. Das Projektmanagement von Jobrotation ist ein
Feld, in dem die Bundesanstalt für Arbeit Dritte mit den notwendigen Koor-
dinierungs- und Betreuungsaufgaben beauftragen kann.





Die Stellvertreterförderung sollte über den Eingliederungstitel des Haushalts
der Bundesanstalt für Arbeit erfolgen. Für die Projektorganisation und Be-
treuung von Jobrotationsmaßnahmen sollten nach Auslaufen der Gemein-
schaftsinitiative ADAPT neue Finanzierungsstrukturen über den Europäi-
schen Sozialfonds geschaffen und eine Verzahnung mit entsprechenden
Förderprogrammen der Bundesländer hergestellt werden. Hierbei ist insbe-
sondere an eine Finanzierung über das ESF/BA-Programm zu denken, die
bereits 2001 ansetzen könnte.

Berlin, den 7. Februar 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
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Begründung

1. Jobrotation ist ein in verschiedenen europäischen Ländern erfolgreich er-
probter Ansatz, der zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit (emplo-
yability) von Arbeitnehmern, zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der
Unternehmen sowie zur betriebsnahen Qualifizierung und passgenauen Ver-
mittlung von Arbeitslosen (Aktivierung) dient. Bei Jobrotation kommt es zu
einer sinnvollen Verknüpfung von Bildungs-, Beschäftigungs- und Arbeits-
marktpolitik.

2. Durch die Stellvertretung werden betriebliche Hemmnisse gegenüber Quali-
fizierungsaktivitäten abgebaut, da der Arbeitsausfall zumindest teilweise
ersetzt werden kann. Jobrotation ist daher gerade für kleinere und mittlere
Unternehmen ein besonders attraktives Instrument. Mit der Einführung von
Jobrotation als Regelinstrument der Arbeitsförderung können weitere Im-
pulse für die betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten ausgehen.

3. Im Spitzengespräch am 10. Juli 2000 haben sich die Partner im Bündnis für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit für Jobrotation ausgespro-
chen. Die dort behandelten Fragen zur Finanzierung von betrieblicher Wei-
terbildung, zur Qualifizierung von Un- und Angelernten und älteren Arbeit-
nehmern sowie zur möglichen Verwendung von Guthaben aus (Lang-)
Zeitarbeitskonten bleiben auch bei einer SGB III-Regelung Angelegenheit
von Vereinbarungen zwischen den Tarifvertragsparteien oder den Sozial-
partnern auf Betriebsebene. Aufgabe der beitragsfinanzierten Arbeitsförde-
rung ist die Unterstützung der Betriebe bei der Integration von Arbeitslosen
in Erwerbstätigkeit.

4. Mit Jobrotation werden in Übereinstimmung mit den Beschäftigungspoliti-
schen Leitlinien der EU arbeitsmarkt-, arbeitszeit- und bildungspolitische
Wirkungen erzielt. Die positiven Erfahrungen mit diesem Instrument aus
den skandinavischen Ländern können aber nicht ohne weiteres auf die ge-
setzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen in Deutschland übertra-
gen werden. Die Erfahrungen mit Jobrotation aus abgeschlossenen ADAPT-
Projekten und aus den Bundesländern sind zu berücksichtigen.

5. Zur weiteren Verbreitung der Jobrotation ist es unerlässlich, dass sie als Re-
gelinstrument in der aktiven Arbeitsförderung verankert wird. Es gilt, die
rechtliche Stellung der Stellvertreter eindeutig zu klären und geeignete An-
reize für Unternehmen und Arbeitslose zu schaffen. Nach geltendem Recht
ist eine Förderung von Jobrotation nur über in der Praxis umständlich an-
wendbare Behelfskonstruktionen im SGB III möglich. Bis auf wenige Aus-
nahmen sind die Teilnehmer nicht in einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung während der Stellvertretung tätig.

Mit der Neuregelung werden die Gestaltungsmöglichkeiten für Jobrotation
im SGB III einheitlich zusammengefasst:

Im Falle von Stellvertretungen bei Weiterbildung von Beschäftigten soll mit
dem zuvor Arbeitslosen in der Regel ein befristetes sozialversicherungs-
pflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet werden. Für dessen Dauer
soll dem Arbeitgeber ein Lohnkostenzuschuss gewährt werden. Vorausset-
zung ist die tarif- bzw. ortsübliche Entlohnung des Stellvertreters entspre-
chend der Qualifikations- und Tätigkeitsanforderungen.

Eine Förderung des Stellvertreters über das SGB III ist auch dann gerecht-
fertigt, wenn es nur zu einer zeitweiligen Eingliederung des Stellvertreters
im Betrieb kommt. Eine Verpflichtung zur Übernahme im Falle eines Lohn-
kostenzuschusses ist nicht hilfreich für die Etablierung von Jobrotation. Bei
den in der Bundesrepublik durchgeführten Projekten fanden nach Teilneh-
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merbefragungen über 60 % eine Anschlussbeschäftigung bei demselben
oder einem anderen Arbeitgeber.

6. Eine erfolgreiche Umsetzung von Jobrotation setzt intensive Koordinie-
rungsarbeiten voraus. Zur personellen Entlastung der Arbeitsämter sollte da-
her auch eine Aufgabenübertragung an Dritte möglich sein, z. B. an bisher
schon in diesem Feld tätige Trägereinrichtungen. Diese könnten aufgrund
von Leistungskontrakten die ggf. notwendige Vorqualifizierung, die Akqui-
sition von Betrieben und ein begleitendes Coaching der Stellvertreter über-
nehmen. Der Abschluss von Leistungsvereinbarungen zwischen der Ar-
beitsverwaltung und den entsprechenden Dienstleistungsunternehmen
könnte auch auf andere arbeitsmarktpolitische Instrumente übertragen wer-
den.

7. Der Einsatz von Jobrotation passt zu einer dezentralen Organisation der Ar-
beitsmarktpolitik. Nötig sind Kenntnisse über die lokalen Arbeitgeber, das
regionale Arbeitskräftepotenzial und bestehende Qualifizierungsbedarfe.
Eine Einbeziehung der lokalen Akteure der beruflichen Bildung und des Ar-
beitsmarktes wird daher für die Umsetzung einer neuen gesetzlichen Rege-
lung für Jobrotation im SGB III von großer Bedeutung sein.

8. Eine Qualifizierungsberatung und -planung für kleinere und mittlere Unter-
nehmen bedarf eigener Förderprogramme, die nicht durch das SGB III, son-
dern wie bisher durch den Europäischen Sozialfonds oder Landesförderpro-
gramme sichergestellt werden müssten. Das Projektmanagement bei
Jobrotation wird bisher hauptsächlich über Mittel des Europäischen Sozial-
fonds finanziert. Weitere Finanzierungsquellen sind Landesprogramme.
Etwa die Hälfte der bisher eingesetzten Mittel für Jobrotation entfällt auf die
Finanzierung der Weiterbildungsmaßnahmen, das Projektmanagement
nimmt ein knappes Viertel des finanziellen Aufwandes in Anspruch. Neben
einer gesetzlichen Regelung im Zuge einer Reform des SGB III könnte eine
Kofinanzierung von Jobrotation durch das ESF/BA-Programm bereits ab
2001 sinnvoll sein.

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