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PDF anzeigen[X.]:[X.]:[X.]:2016:081116BVIZR512.15.0
BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZR
512/15
vom
8. November
2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 7
Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes in einem [X.].
[X.], Beschluss vom 8.
November 2016 -
VI ZR 512/15 -
KG Berlin
[X.]
-
2
-
Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
8. November
2016
durch den Vorsitzenden [X.], den
Richter
Offenloch und die Richterinnen Dr.
[X.], [X.] und Müller
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der
Klägerin
wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] Berlin
vom 2. Juli
2015
aufgehoben.
Der
Rechtsstreit
wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das [X.] wird auf bis 45.000
festgesetzt.
Gründe:
I.
Im November 2011 wurden der Klägerin im Krankenhaus der [X.] operativ Krampfadern im linken Bein entfernt. Postoperativ zeigten sich infolge einer Schädigung des Nervus Peroneus eine Fußheberschwäche und
eine Ge-fühlsstörung. Unter anderem mit der Behauptung, die Nervschädigung beruhe auf Behandlungsfehlern der sie operierenden Ärzte der [X.], nimmt die 1
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Klägerin die Beklagte auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in [X.].
Das [X.] hat die Klage
abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544
Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Klägerin rügt zu Recht, das Be-rufungsgericht habe ihren Anspruch aus Art.
103 Abs.
1 GG in entscheidungs-erheblicher Weise verletzt.
1.
Land-
und Berufungsgericht haben einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint und zur Begründung unter anderem ausgeführt, der [X.] seien keine Behandlungsfehler unterlaufen. Der gerichtliche Sachver-ständige habe -
so das [X.] -
zwar
erläutert, dass eine Durchtrennung des Nervs bei der [X.] nicht geschehen dürfe und folglich einen Behand-lungsfehler darstelle, angesichts der beginnenden [X.] habe er eine
solche Durchtrennung aber ausgeschlossen. Es sei
deshalb von einer
bloßen
Druckschädigung auszugehen, bei der es sich um ein typisches [X.]srisi-ko handle, die sich auch bei sorgfältigem Vorgehen nicht immer ausschließen lasse und auch im Streitfall nicht auf ein [X.]es Verhalten der Ärzte der [X.] zurückzuführen sei. Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, einer (weiteren) sachverständigen neurologischen Abklärung, dass bei der Klägerin "nur"
ein Kompressionsschaden vorliege, bedürfe es nicht. 2
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-
Denn der (Privat-) Sachverständige [X.] -
Facharzt
für Neurologie und Psychiat-rie
-
habe bereits in seinem von der Klägerin selbst eingereichten Gutachten Zeichen einer beginnenden [X.] beschrieben und festgestellt, dass damit eine komplette Durchtrennung des Nervus Peroneus ausgeschlossen sei. Gleichermaßen habe sich der Gerichtssachverständige, bei dem es sich [X.] nicht um einen Neurologen handle, geäußert.
2.
Diese Ausführungen verletzen die Klägerin in entscheidungserhebli-cher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Die [X.] legt zutreffend dar, gehörswidrig übergangen worden sei der Vortrag der Klägerin, vom Ausschluss einer -
dann behandlungsfehlerhaf-ten
-
vollständigen
Durchtrennung des Nervs dürfe nicht darauf geschlossen werden, dass nur eine
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dann nicht [X.]e -
Druckschädigung des Nervs vorliege, weil in Betracht komme, dass der Nerv teilweise
durchtrennt worden sei, was dann auch als [X.] anzusehen sei.
a)
Gerichte
sind
nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer [X.] ausdrücklich auseinanderzusetzen ([X.], Beschluss vom 12. September 2016 -
1 BvR 1311/16 Rn. 3, juris; [X.]E 115, 166, 180; 54, 86, 91 f.; jeweils mwN). Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von [X.]vorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm [X.] Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat ([X.], Beschluss vom 12. September 2016 -
1 BvR 1311/16 [X.]O). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des [X.] Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat ([X.]E 54, 86, 91). Davon ist unter anderem dann auszugehen, wenn das Gericht auf [X.] des Tatsachenvortrags eines Be-5
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teiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingegangen ist, sofern er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht un-erheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war ([X.], Beschluss vom 12. September 2016 -
1 BvR 1311/16
[X.]O, mwN).
b)
So liegt der Fall hier:
[X.])
Nachdem der Sachverständige in seinem Gutachten vom 3. August 2013 zum einen ausgeführt hatte, dass aufgrund der beginnenden [X.] des verletzten Nervs eine -
in jedem Fall [X.]e -
vollstän-dige Durchtrennung des Nervs nicht angenommen werden
könne, und er zum anderen davon ausgegangen war, dass eine bloße Druckschädigung nicht zwingend auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen sei, behauptete die Klä-gerin, die Ärzte der [X.] hätten ihren Nerv ([X.]) teil-weise durchtrennt. Nachdem der Vorwurf einer kompletten Durchtrennung ent-kräftet worden war, handelte es sich dabei um einen der Hauptvorwürfe der Klägerin, den sie
bereits erstinstanzlich mehrfach wiederholte und auch im Be-rufungsverfahren wieder aufgriff. Der Vorwurf einer teilweisen Durchtrennung des Nervs gehörte damit -
nach Entkräftung des Vorwurfs einer vollständigen Durchtrennung des Nervs -
zum [X.] des klägerischen Vortrags zur für das Verfahren zentralen Frage nach dem Vorliegen eines Behandlungs-fehlers.
bb)
Land-
und Berufungsgericht haben sich mit diesem Vorwurf nicht be-fasst. Weder die
Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils noch die
Gründe des Berufungsurteils gehen auf ihn ein. Sie befassen sich insoweit [X.] mit der Abgrenzung einer -
[X.]en -
kompletten Durch-trennung des Nervs einerseits und einer -
nicht [X.]en
-
Druckschädigung andererseits, nicht aber mit den Fragen, ob von einer teilwei-sen Durchtrennung des Nervs ausgegangen werden kann und ob eine solche 7
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gegebenenfalls einen Behandlungsfehler darstellte. Hinzu kommt, dass der Vorwurf der Klägerin, Ärzte der [X.] hätten den Nervus Peroneus behand-lungsfehlerhaft teilweise durchtrennt, im Verfahren
auch sonst
nicht aufgeklärt wurde. Zwar wurde der gerichtliche Sachverständige -
ein [X.] -
im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem [X.] vom [X.] der Klägerin darauf ausdrücklich angesprochen; er vermochte die diesbezüglich an ihn gerichtete Frage aber nicht abschließend zu beantwor-ten, sondern erklärte:
"Wenn ich danach gefragt werde, ob es nicht auch sein kann, dass die Nervenbahnen angeritzt worden sind oder teildurchtrennt, so möchte ich darauf hinweisen, dass also viele Nervenfasern und -bündel gemeinsam verlaufen. Dabei ist es natürlich auch denkbar, dass es zu einer par-tiellen Durchtrennung kommt. Dann müsste es aber gleichwohl einen bleibenden Effekt geben. Der aktuelle neurologische Befund der Klägerin ist [X.] nicht bekannt. Im Übrigen ist dieser Bereich auch nicht der Bereich, für den ich sachverständig bin."
Eine weitere Aufklärung erfolgte -
trotz entsprechender Hinweise und [X.] auch im Berufungsverfahren -
nicht.
c)
[X.] ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausge-schlossen werden, dass das Berufungsgericht im Falle, es hätte sich mit der Möglichkeit einer teilweisen Durchtrennung des Nervs befasst, eine solche teil-weise Durchtrennung und in der Folge auch einen von der [X.] zu [X.] Behandlungsfehler festgestellt hätte.
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3.
Gemäß § 544 Abs. 7 ZPO war das
angefochtene Urteil deshalb auf-zuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im weiteren Verfahren wird insbesondere zu klären sein, ob der Nervus Peroneus bei der [X.] -
wie von der [X.] behauptet -
teilweise durchtrennt wurde und, wenn ja, ob darin ein Behand-lungsfehler zu sehen ist. Die erste Frage dürfte nur unter Hinzuziehung neuro-logischen [X.] beantwortet werden können, die zweite Frage -
dem Grundsatz fachgleicher Begutachtung entsprechend -
unter Inanspruchnahme gefäßchirurgischen [X.].
Galke
Offenloch
[X.]
Roloff
Müller
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.04.2014 -
8 O 495/12 -
KG Berlin, Entscheidung vom 02.07.2015 -
20 [X.] -
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Meta
08.11.2016
Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2016, Az. VI ZR 512/15 (REWIS RS 2016, 2824)
Papierfundstellen: REWIS RS 2016, 2824
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
VI ZR 512/15 (Bundesgerichtshof)
Arzthaftung: Gehörsverletzung im Prozess wegen einer Nervschädigung bei einer Krampfader-Entfernungsoperation
I-8 U 119/12 (Oberlandesgericht Düsseldorf)
26 U 166/18 (Oberlandesgericht Hamm)
3 U 154/05 (Oberlandesgericht Hamm)
VI ZR 323/04 (Bundesgerichtshof)