Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.03.2014, Az. I ZB 32/13

I. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6963

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 32/13
vom

19. März 2014

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der [X.] Zivilsenat des [X.] hat am 19. März 2014
durch [X.] Dr.
Büscher, Pokrant, Prof.
Dr.
Schaffert, Dr.
Kirchhoff und Dr.
Koch

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.]n wird
der
Beschluss des [X.], 4.
Zivilsenat, vom 12.
März 2013 auf-gehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwie-sen.

[X.]: 15.000

Gründe:

[X.] Die Klägerin nimmt den [X.]n, mit dem sie beim Vertrieb von Mo-bilfunktelefonen samt
Zubehör in Wettbewerb steht, wegen eines nach ihrer Ansicht begangenen Verstoßes gegen die Verpflichtung, bei Angeboten zum Abschluss von Fernabsatzverträgen anzugeben, dass
der Preis die [X.] enthält, auf Unterlassung und Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat der [X.] fristge-recht Berufung eingelegt.

1
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3
-
Nachdem das Berufungsgericht den [X.]n mit Schreiben des Be-richterstatters vom 7.
Februar 2013 darauf hingewiesen hatte, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der bis zum 22.
Januar 2013 laufenden Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei, hat der [X.] die Berufung mit einem am 27.
Februar 2013 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz begründet und zugleich wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Prozessbevollmäch-tigter habe die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten, weil er seit Ende 2012 an einer für ihn selbst nicht wahrnehmbaren schweren Schilddrü-senerkrankung gelitten
habe, die insbesondere deutliche kognitive und mnesti-sche Einschränkungen verursacht habe, aufgrund deren er beim Eingang des erstinstanzlichen Urteils übersehen habe, dass neben der Berufungsfrist auch die Berufungsbegründungsfrist zu notieren gewesen sei. Unmittelbar nachdem der Prozessbevollmächtigte des [X.]n die Diagnose Ende 2012 mitgeteilt bekommen habe, seien Vorkehrungen für seinen absehbaren Ausfall [X.] getroffen worden, dass sein Sozius, der die Streitsache nicht bearbeitet habe, zeitweise mit der Wahrnehmung der Fristenkontrolle für ihn betraut [X.] sei. Dass die bis zum 22.
Januar 2013 einzureichende Berufungsbegrün-dung gefehlt habe, habe der Sozius erst durch das am 20.
Februar 2013 in [X.] Kanzlei eingegangene Schreiben des Berichterstatters vom 7.
Februar 2013 erfahren.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbe-schwerde des [X.]n, mit der er die Aufhebung des angefochtenen [X.] erstrebt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.

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-
4
-

I[X.] Das Berufungsgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung mit der [X.] abgelehnt, der [X.] habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter seine Erkrankung nicht habe vorhersehen können und dass sein Verschulden, das sich der [X.] nach §
85 Abs.
2 ZPO zurechnen lassen müsse, daher ausgeschlossen gewesen sei. Auch wenn die geltend ge-machten kognitiven und mnestischen Einschränkungen für den [X.] selbst nicht wahrnehmbar gewesen seien, habe er aufgrund der während der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist erfolgten Mitteilung der Diagnose und der mit der Erkrankung verbundenen Einschränkungen mit deren Auftreten
rechnen müssen. Er hätte daher die Wahrung der Frist durch geeig-nete Maßnahmen sichern müssen.

II[X.] Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zuläs-sig (dazu
1) und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-richt. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt eine Rechtsver-letzung (dazu
2).
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht bislang getroffe-nen Feststellungen kann nicht
abschließend
beurteilt werden, ob diese
Ent-scheidung im Ergebnis
richtig ist
(dazu
3).

1. Die nach §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
238 Abs.
2 Satz
1, §
522 Abs.
1 Satz
4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß §
574 Abs.
2 Nr.
2 Fall
2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent-scheidung des [X.] erfordert. Der angefochtene [X.] verletzt den [X.]n in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser ge-bietet es, einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die [X.] auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis 4
5
6
-
5
-
des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (st. Rspr.; vgl. nur [X.], [X.] vom 7.
März 2013
I
ZB
67/12, NJW-RR 2013, 1011
Rn.
6 mwN).

2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann dem [X.] die beantragte Wiedereinsetzung nicht versagt und seine Berufung [X.] nicht verworfen werden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des [X.]n nicht darin gese-hen werden, dass dieser auch dann, wenn er die geltend gemachten deutlichen kognitiven und mnestischen Einschränkungen nicht selbst hat
wahrnehmen können, aufgrund der während der laufenden Berufungsbegründungsfrist erfolg-ten Mitteilung der Diagnose und der mit seiner Erkrankung verbundenen [X.] mit deren Auftreten hat
rechnen und daher die Wahrung der Frist durch geeignete Maßnahmen hätte sichern müssen. Das Berufungsgericht lässt in diesem Zusammenhang unberücksichtigt, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.]n die Fristenkontrolle in den von ihm bearbeiteten Sachen nach seiner mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ab dem Zeitpunkt der Kenntnis seiner krankheits-bedingten Einschränkungen auf seinen
Sozius übertragen hat.

3. Der Erfolg des [X.] hängt danach davon ab, ob der Prozessbevollmächtigte des [X.]n
bei der Information seines Sozius oder gegebenenfalls dieser bei der weiteren Behandlung der Sache durch schuldhaftes Verhalten dazu beigetragen hat, dass die [X.] versäumt worden ist. Der [X.], der die Tatsachen, aus denen sich ein fehlendes Verschulden bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ergibt, darzulegen und glaubhaft zu machen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
Mai 2011
IV
ZB
6/10, juris Rn.
10; Beschluss vom 5.
Juni 2013

XII
ZB
47/10, juris Rn.
14), kann
in der wiedereröffneten Berufungsinstanz un-klare oder ungenaue Angaben, deren Aufklärung nach §
139 ZPO geboten ist, 7
8
-
6
-
auch über die Frist nach §
234 Abs.
1, §
236 Abs.
2 ZPO hinaus noch erläutern oder ergänzen
(vgl. [X.], Beschluss vom 5.
Juni 2013
XII
ZB
47/10, NJW-RR 2013, 1393
Rn.
14; Beschluss vom 1.
Juli 2013 -
VI
ZB
18/12, [X.], 3181
Rn.
14; Beschluss vom 25.
September 2013 -
XII
ZB
200/13, NJW 2014, 77 Rn.
9, jeweils
mwN).
Dazu zählen vorliegend die Einzelheiten der Einweisung des Sozius seines Prozessbevollmächtigten und die von diesem zur Fristenkon-trolle veranlassten Maßnahmen.

Das Berufungsgericht wird danach
zu prüfen haben, ob
den Prozessbe-vollmächtigten des [X.]n ungeachtet seiner krankheitsbedingten kognitiven und mnestischen Einschränkungen, die der [X.] glaubhaft gemacht hat, insofern ein der Wiedereinsetzung gemäß §
85 Abs.
2 ZPO entgegenstehendes Verschulden traf, als er seinen Sozius nicht hinreichend über die sich zur Wah-rung der einzuhaltenden Fristen stellenden Aufgaben instruiert hat. In diesem Zusammenhang wird es
zu berücksichtigen
haben, dass zwischen dem Zeit-punkt, zu dem der Prozessbevollmächtigte des [X.]n von seiner Erkran-kung erfahren und daraufhin seinen Sozius mit der Wahrnehmung der Fristen-kontrolle für ihn beauftragt hat, und der am 22.
Januar 2013 endenden Frist zur Begründung der Berufung nach dem eigenen Vortrag des [X.]n mehr als drei Wochen lagen.

Im Falle einer ordnungsgemäßen Instruierung des Sozius durch den Pro-zessbevollmächtigten des [X.]n wird das Berufungsgericht

wiederum un-ter Berücksichtigung der zeitlichen Verhältnisse

zu prüfen haben, ob
den [X.] ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Begründung der Beru-fung getroffen hat, das der [X.] sich ebenfalls gemäß §
85 Abs.
2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob der Sozius vom [X.]n bereits von Anfang an mit
mandatiert worden war
dafür spricht die Wendung in der Verteidzeigen 9
10
-
7
-
wir an, dass wir den [X.]n vertreten."

oder
wie die Rechtsbeschwerde geltend macht
erst nachträglich dadurch
zuständig geworden ist, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.]n ihm
die Fristenkontrolle übertragen hat. In
der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass als [X.] einer [X.] im Sinne von §
85 Abs.
2 ZPO der nach §
53 [X.] all-gemein bestellte Vertreter des Prozessbevollmächtigten (vgl. [X.], Beschluss vom 23.
Juni 1994
VII
ZB
5/94, NJW 1994, 2957, 2958) und

wenn er nicht ohnehin zum allgemeinen Vertreter des Prozessbevollmächtigten bestellt [X.] ist

auch ein Rechtsanwalt anzusehen ist, der als Angestellter oder als freier Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten von diesem mit der selbständi-gen Bearbeitung eines Rechtsstreits betraut worden und nicht als bloßer Hilfs-arbeiter in untergeordneter Funktion tätig geworden ist. Wo die Grenze zwi-schen selbständiger Bearbeitung des Rechtsstreits und lediglich [X.] Hilfstätigkeit verläuft, richtet sich dabei nach den gesamten Umständen des
jeweiligen
Einzelfalls ([X.], Beschluss vom 27.
Januar 2004
VI
ZB
39/03, [X.] 2004, 993). Da der Sozius zum Prozessbevollmächtigten des Beklag-ten im Verhältnis der Gleichordnung und nicht der Unterordnung steht, ist er
-
8
-
jedenfalls insoweit mit der selbständigen Bearbeitung des im zweiten [X.] geführten Rechtsstreits betraut worden, als es um die Wahrung der dort laufenden [X.] gegangen ist.

Büscher
Pokrant
Schaffert

Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.11.2012 -
17 O 106/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 12.03.2013 -
4 U 2/13 -

Meta

I ZB 32/13

19.03.2014

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.03.2014, Az. I ZB 32/13 (REWIS RS 2014, 6963)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6963

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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