Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.03.2022, Az. IV R 19/19

4. Senat | REWIS RS 2022, 3794

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Gegenstand

Betrieblich veranlasste Schuldzinsen bei Überentnahme


Leitsatz

NV: Vor Einschränkung des Abzugs von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG ist in einem ersten Schritt zu klären, ob und inwieweit die Schuldzinsen überhaupt betrieblich veranlasst sind.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 31.05.2019 - 15 K 1131/19 G,F aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine OH[X.]. Beteiligt an der Klägerin sind [X.] sowie [X.].

2

Am 21.12.2018 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) für die Klägerin betreffend die Jahre 2013 bis 2016 geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ([X.]ewinnfeststellungsbescheide), in denen u.a. Einkünfte aus [X.]ewerbebetrieb festgestellt wurden. In den Bescheiden wurden in dem [X.]esamthandsvermögen der Klägerin Hinzurechnungen wegen nicht abziehbarer [X.]chuldzinsen nach § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (E[X.]t[X.]) vorgenommen. In den [X.]ewinnfeststellungsbescheiden für die Jahre 2014 bis 2016 erfolgten solche Hinzurechnungen auch für das [X.]onderbetriebsvermögen des [X.] bei der Klägerin.

3

Am 08.01.2019 ergingen zudem geänderte [X.]ewerbesteuermessbescheide für die Klägerin betreffend die Jahre 2013 bis 2016 sowie ein geänderter Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen [X.] auf den 31.12.2016 für die Klägerin.

4

In dem Einspruchs- und Klageverfahren wandte sich die Klägerin mit verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die Höhe der Hinzurechnungen. [X.]ie begehrte, den Hinzurechnungen einen Prozentsatz von 2,9 % statt des gesetzlich vorgesehenen Prozentsatzes von 6 % zugrunde zu legen. Die Einsprüche blieben erfolglos.

5

Das Finanzgericht ([X.]) Düsseldorf wies die Klage mit [X.]erichtsbescheid vom 31.05.2019 als unbegründet ab. Das [X.] habe zutreffend den gesetzlich typisierten Prozentsatz von 6 % nach § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] angewendet.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des [X.]leichheitssatzes aus Art 3 Abs. 1 des [X.]rundgesetzes. Die verfassungsrechtlichen Einwände gegen den Ansatz eines typisierten Zinssatzes, die in Verfahren wegen der Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) erhoben worden seien, träfen auch auf die hier streitige Regelung des § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] zu. Der Prozentsatz von 6 % in § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] sei im [X.]treitzeitraum realitätsfern.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] vom 31.05.2019 - 15 K 1131/19 [X.],F aufzuheben und unter Aufhebung der [X.] vom [X.] die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2013 bis 2016 vom 21.12.2018, über die [X.]ewerbesteuermessbeträge für 2013 bis 2016 vom 08.01.2019 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen [X.] auf den 31.12.2016 vom 08.01.2019 dahingehend zu ändern, dass den Hinzurechnungen nach § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] nur ein Prozentsatz von 2,9 % zugrunde zu legen ist.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Das [X.] ist dem Verfahren beigetreten. Es erachtet den in § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] enthaltenen Prozentsatz von 6 % als zulässige gesetzliche [X.]ypisierung für die Ablehnung des [X.]chuldzinsenabzugs bei Vorliegen von Überentnahmen. Die gegen die Zinshöhe in den §§ 233a, 238 Abs. 1 [X.] erhobenen Einwände seien nicht auf § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] übertragbar. Maßgeblich sei der jeweilige Regelungszweck der Norm. Der Regelungszweck des § 4 Abs. 4a E[X.]t[X.] unterscheide sich wesentlich von dem einer Zinsregelung.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. [X.]ie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der [X.]ache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob die [X.]chuldzinsen, deren vollständigen Abzug die Klägerin begehrt, überhaupt betrieblich veranlasst sind. Zudem fehlen nachvollziehbare Feststellungen dazu, ob es in den [X.]treitjahren überhaupt zu Überentnahmen gekommen ist.

1. a) Nach § 4 Abs. 4a E[X.]tG sind [X.]chuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt wurden. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die [X.]umme des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren [X.]chuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben ([X.]) ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieser Regelung nicht abziehbaren [X.]chuldzinsen auszugehen. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen [X.]chuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a [X.]ätze 1 bis 4 E[X.]tG). § 4 Abs. 4a E[X.]tG ist auch im Rahmen der Ermittlung des [X.] nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes zu berücksichtigen (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 09.05.2012 - X R 30/06, [X.], 484, [X.], 667, Rz 33).

b) [X.]) Die Einschränkung des Abzugs von [X.]chuldzinsen nach § 4 Abs. 4a E[X.]tG ist in zwei [X.]tufen zu prüfen. In einem ersten [X.]chritt ist zu klären, ob und inwieweit [X.]chuldzinsen überhaupt zu den betrieblich veranlassten Aufwendungen gehören. Ergibt die Prüfung, dass [X.]chuldzinsen privat veranlasst sind, so sind sie nicht bei der Ermittlung der Entnahmen nach § 4 Abs. 4a E[X.]tG zu berücksichtigen. Danach ist in einem zweiten [X.]chritt zu prüfen, ob der Betriebsausgabenabzug im Hinblick auf Überentnahmen durch § 4 Abs. 4a E[X.]tG eingeschränkt ist (ständige [X.]-Rechtsprechung, z.B. Urteile vom 21.09.2005 - X R 47/03, [X.], 227, [X.], 504, unter II.2. [Rz 20 f.], und vom 03.03.2011 - IV R 53/07, [X.], 127, [X.], 688, Rz 25).

bb) Die Bemessungsgrundlage für die nicht abziehbaren [X.]chuldzinsen ist begrenzt auf den [X.] des Zeitraums von 1999 bis zum aktuellen Wirtschaftsjahr. Auch [X.] ist zu berücksichtigen, dass Verluste für sich genommen nicht zu einer Kürzung des [X.] führen dürfen (dazu im Einzelnen [X.]-Urteile vom 14.03.2018 - X R 17/16, [X.], 273, B[X.]tBl II 2018, 744, und vom 06.12.2018 - IV R 15/17).

c) Das [X.] hat weder Feststellungen dazu getroffen, ob die in [X.]treit stehenden [X.]chuldzinsen betrieblich veranlasst sind, noch dazu, ob in den [X.]treitjahren überhaupt Überentnahmen vorliegen.

Das [X.] hat sich bei der erforderlichen Tatsachenfeststellung im Tatbestand seines Urteils im Wesentlichen darauf beschränkt, das Ergehen von [X.] festzustellen. Für den mit dem Klagebegehren angestrebten Prüfungsumfang reicht das aber nicht aus. Die für die Anwendung des § 4 Abs. 4a E[X.]tG erforderliche betriebliche Veranlassung der [X.]chuldzinsen ist aus den Feststellungen des [X.] nicht erkennbar. Ebenso fehlen Feststellungen dazu, ob es auf der Grundlage der neueren [X.]-Rechtsprechung (Urteile in [X.], 273, B[X.]tBl II 2018, 744, und vom 06.12.2018 - IV R 15/17) in den [X.]treitjahren überhaupt zu Überentnahmen gekommen ist. Der [X.] ist nach § 118 Abs. 2 [X.]O an eigenen Feststellungen hierzu gehindert, zugleich aber im Hinblick auf eine etwa erforderliche Vorlage der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit des in § 4 Abs. 4a E[X.]tG enthaltenen Prozentsatzes von 6 % an das [X.] ([X.]) gehalten, die Feststellungen zu veranlassen, die notwendig sind, um die Entscheidungserheblichkeit der ggf. vorzulegenden Rechtsfrage darzulegen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 26.02.2020 - 1 BvL 5/19, und vom 06.05.2016 - 1 BvL 7/15). Das angegriffene Urteil war danach aufzuheben und die [X.]ache an das [X.] zurückzuverweisen, um dem [X.] die Gelegenheit zu geben, die bislang fehlenden Feststellungen nachzuholen. [X.]olange die Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage nicht feststeht, sieht der [X.]enat von einer eigenen verfassungsrechtlichen Prüfung der Frage ab.

2. Für den zweiten Rechtsgang weist der [X.]enat darauf hin, dass auch noch eine notwendige Beiladung des [X.] vorzunehmen ist, soweit es um die [X.] bis 2016 geht.

a) Nach § 60 Abs. 3 [X.]atz 1 [X.]O sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies gilt nicht für [X.], die nach § 48 [X.]O nicht klagebefugt sind. Klagen nicht alle von mehreren nach § 48 [X.]O Klagebefugten, müssen deshalb die übrigen Klagebefugten mit Ausnahme solcher, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt von dem Ausgang des Rechtsstreits betroffen sind, zum Verfahren beigeladen werden (z.B. [X.]-Urteil vom 13.04.2017 - IV R 25/15, Rz 8). Da die Feststellung eines [X.]onderbetriebsgewinns eine selbständige Feststellung innerhalb eines Gewinnfeststellungsbescheids darstellt (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteil vom 23.01.2020 - IV R 48/16, Rz 17), ist, wenn es in einem [X.]treitfall darum geht, ob und ggf. in welcher Höhe ein [X.]onderbetriebsgewinn eines Mitunternehmers festzustellen ist, dieser Mitunternehmer nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 [X.]O klagebefugt und für den Fall, dass er nicht selbst Klage erhoben hat, nach § 60 Abs. 3 [X.]atz 1 [X.]O notwendig beizuladen.

Danach ist [X.] zu dem Verfahren notwendig beizuladen, soweit es um die [X.] bis 2016 geht. Denn in diesen Jahren betrifft die zwischen den Beteiligten streitige Frage der Höhe der hinzuzurechnenden [X.]chuldzinsen auch den [X.]onderbetriebsgewinn des [X.].

b) Durch die Zurückverweisung erhalten zudem alle Beteiligten Gelegenheit, sich zu dem zwischenzeitlich ergangenen [X.]-Beschluss vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 ([X.]E 158, 282) über die [X.] betreffend die [X.] nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO zu äußern, auf die sich die Klägerin zur Begründung ihrer Revision bezogen hat. In seiner Entscheidung hat das [X.] die [X.] mit 0,5 % monatlich erst ab dem 01.01.2014 als mit dem Gleichheitssatz unvereinbar festgestellt. Zudem hat es auch für diese Jahre die Weitergeltung der Regelung der Verzinsung bis zum 31.12.2018 angeordnet. Von besonderer Bedeutung für das vorliegende Verfahren könnte zudem sein, ob sich der dortige besonders strenge Prüfungsmaßstab, der sich aus der Qualität der Regelung über die [X.] als steuerliche Nebenleistung nach § 3 Abs. 4 Nr. 4, §§ 233a, 238 AO ableitet (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]E 158, 282, Rz 113), auf die hier vorliegende Regelung zur Ermittlung des steuerrechtlichen Gewinns nach § 4 Abs. 4a E[X.]tG überhaupt übertragen lässt. Gleiches gilt in Bezug auf die Tatsache, dass ein [X.]teuerpflichtiger grundsätzlich die Wahl hat, ob er Überentnahmen tätigt und damit eine Hinzurechnung von nicht abziehbaren [X.]chuldzinsen bewusst in Kauf nimmt (zu diesem Gesichtspunkt vgl. [X.]-Beschluss in [X.]E 158, 282, Rz 242 f.).

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IV R 19/19

22.03.2022

Bundesfinanzhof 4. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 31. Mai 2019, Az: 15 K 1131/19 G,F, Gerichtsbescheid

§ 4 Abs 4a EStG 2009, § 7 GewStG 2002, § 3 Abs 4 Nr 4 AO, § 233a AO, § 238 Abs 1 AO, § 60 Abs 3 S 1 FGO, § 105 Abs 2 Nr 4 FGO, § 105 Abs 3 FGO, § 106 FGO, § 118 Abs 2 FGO, EStG VZ 2013, EStG VZ 2014, EStG VZ 2015, EStG VZ 2016, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.03.2022, Az. IV R 19/19 (REWIS RS 2022, 3794)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3794

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