Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.03.2011, Az. VI R 81/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 8679

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Gegenstand

Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision: Eingangsstempel - Widerlegung der Beweiswirkung eines Eingangsstempels - Eidesstattliche Versicherung kein geeigneter Beweismittel


Leitsatz

1. NV: Der Eingangsstempel eines Gerichts erbringt grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens .

2. NV: Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus .

3. NV: Die eidesstattliche Versicherung ist ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises .

Tatbestand

1

I. Das [X.] entschied im Verfahren 8 K 2633/08 am 24. [X.]eptember 2010 vorab durch Zwischenurteil und ließ die Revision zu. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) am 8. Oktober 2010 zugestellt worden. Mit [X.]chriftsatz vom 8. November 2010 legte der Kläger gegen das Urteil Revision ein. Der in den Nachtbriefkasten des [X.] ([X.]) eingeworfene [X.]chriftsatz wurde laut Eingangsstempel am 10. November 2010 entnommen und an diesem Tag mit der Eingangslistennummer 2182/10 erfasst. Der [X.]tempel lautet im Einzelnen wie folgt:

2

"Dem Nachtbriefkasten heute entnommen aus dem Behältnis V (vor 24 Uhr) - [X.]törungen am Nachtbriefkasten wurden nicht festgestellt.

[X.]

München, den 10.11.10

. . . . . . .          . . . . . . ."

(Unterschrift)          (Unterschrift)

3

Unterschrieben ist der Eingangsstempel von den Beamten [X.] ([X.]) A und [X.] ([X.]) B des [X.]. Lt. "Protokoll über die Leerung des [X.] des [X.]" für den Monat November 2010 ([X.]) waren die genannten Beamten am 10. November 2010 für die Leerung des [X.] zuständig. Am 9. November 2010 war neben [X.] A der Beamte [X.] C zuständig. Dies wird durch die eigenhändigen Unterschriften der genannten Personen im Protokoll dokumentiert.

4

Mit [X.]chreiben vom 19. November 2010 teilte der Vorsitzende des erkennenden [X.]enats dem Kläger mit, dass die Revision "erst am 9. November 2010 beim [X.] - und daher verspätet - eingegangen" sei. Daraufhin beantragte der Kläger mit [X.]chriftsatz vom 2. Dezember 2010 die Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Zur Begründung trägt der Kläger unter entsprechender Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts und [X.]teuerberaters [X.] vor:

5

Die Prozessbevollmächtigte habe mit dem Kläger bereits am Freitag, den 5. November 2010, abgestimmt, dass die Revision am 8. November 2010 durch persönlichen Einwurf in den Briefkasten am Haupteingang des [X.] eingelegt werden solle. Der [X.]chriftsatz zur Einlegung der Revision sei an dem genannten Montag gegen 17:00 Uhr unterzeichnet worden. Anschließend sei der Kläger darüber informiert worden, dass die Revisionsschrift am selben Tag dem [X.] zugehen werde.

6

Das [X.]ekretariat der Prozessbevollmächtigten habe den [X.] A4-Umschlag mit der Revisionsschrift am Nachmittag des 8. November 2010 fertig gestellt und [X.] übergeben. [X.] habe es persönlich übernommen, den Umschlag mit dem [X.]chriftsatz auf seinem Heimweg nach Arbeitsschluss vom Büro nach [X.] in den Gerichtsbriefkasten des [X.] einzuwerfen.

7

[X.] sei am Abend des 8. November 2010 noch bis ca. 20:00 Uhr in seinem Büro (…) tätig gewesen. Auf dem Weg nach [X.] sei er zwischen 20:00 Uhr und 21.00 Uhr, jedenfalls mehrere [X.]tunden vor Mitternacht, mit seinem Fahrzeug vom [X.] kommend beim Haupteingang des [X.] vorgefahren und habe den Briefumschlag in den ihm bestens bekannten Gerichtsbriefkasten rechts vom Haupteingang eingeworfen. [X.] habe an diesem Gerät keine Irregularität feststellen können. Er sei deshalb bis zum [X.]chreiben des Vorsitzenden des erkennenden [X.]enats vom 19. November 2010 vom fristgerechten Zugang der Revisionsschrift ausgegangen. Es sei unerklärlich, wie es zu der Fristüberschreitung habe kommen können.

8

Da dem Kläger die nähere technische Beschaffenheit des Gerichtsbriefkastens des [X.] nicht bekannt sei, könne und wolle er auch keine Vermutungen darüber anstellen, ob überhaupt und aufgrund welcher technischer oder eventuell auch menschlicher Vorkommnisse der nach bestem Wissen am 8. November 2010 eingeworfene Umschlag erst am 9. November 2010 beim [X.] eingegangen sei.

9

In der beim [X.] fristgerecht eingegangenen [X.] beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) zu verpflichten, unter Änderung des [X.] vom 20. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2008 die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und [X.]olidaritätszuschlag 2003 um 17.947,46 € herabzusetzen.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Die Revision ist verspätet eingelegt worden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand kommt nicht in Betracht.

1. Die gegen das Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 FGO) gerichtete Revision ist verspätet eingelegt worden.

a) Nach § 120 Abs. 1 [X.]atz 1 FGO ist die Revision beim [X.] innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Im [X.]treitfall endete nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 8. Oktober 2010 die Revisionsfrist am 8. November 2010. Die ausweislich des beim [X.] angebrachten [X.] erst am 9. November 2010 eingegangene Revision war daher verspätet.

b) [X.]oweit der Kläger die sachliche Unrichtigkeit des [X.] in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden.

Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 121 [X.]. § 96 Abs. 1 [X.]atz 1 FGO) muss der [X.] von der Rechtzeitigkeit einer Rechtsmitteleinlegung überzeugt sein ([X.]-Urteil vom 19. Juli 1995 [X.], 169/94, [X.]E 178, 303, [X.] 1996, 19). Auch im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung kommt einer öffentlichen Urkunde entsprechend § 418 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein hoher Beweiswert zu, so dass diese nach allgemeinen [X.] im Regelfall vollen Beweis für die in ihr beurkundeten Tatsachen erbringt. [X.]o erbringt der Eingangsstempel eines Gerichts grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines [X.]chreibens ([X.]-Urteil in [X.]E 178, 303, [X.] 1996, 19; [X.]-Beschluss vom 7. April 1998 [X.], [X.]/NV 1998, 1115; [X.]-Beschluss vom 25. April 1988 [X.], [X.]/NV 1989, 110; Lange in [X.]/[X.]/ [X.], § 96 FGO [X.]). Zwar ist der Gegenbeweis zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Rechtzeitigkeit des Eingangs muss aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis noch nicht erbracht ([X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 418 Rz 4; s. auch [X.]-Beschluss in [X.]/NV 1998, 1115, m.w.N.; [X.]-Beschluss vom 19. Mai 1999 [X.], [X.]/NV 1999, 1460). Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des [X.] nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden (Urteil des [X.] --BGH-- vom 14. Oktober 2004 [X.], Betriebs-Berater 2005, 182).

c) Im [X.]treitfall hat der Kläger den Gegenbeweis dafür, dass der Eingangsstempel des [X.] unzutreffend ist, nicht geführt. [X.]eine Behauptung, [X.] habe den [X.]chriftsatz selbst am 8. November 2010 vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, kann mit der dem [X.]enat vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht bewiesen werden. Denn die eidesstattliche Versicherung ist letztlich ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises (§ 155 FGO [X.]. § 294 ZPO; [X.]-Urteil in [X.]E 178, 303, [X.] 1996, 19; [X.] vom 30. März 2000 IX ZR 251/99, [X.] --HFR-- 2000, 852). Die Glaubhaftmachung, die anders als der Vollbeweis nur eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung ist, kommt nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen in Betracht ([X.]/ [X.], a.a.[X.], § 294 Rz 1; Gräber/[X.]tapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 96 Rz 42).

Nach den Feststellungen des [X.]enats funktionierte der Nachtbriefkasten des [X.] im fraglichen Zeitraum einwandfrei; zu [X.]törfällen ist es nicht gekommen, wie auch das erwähnte Protokoll dokumentiert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Leerung am 9. November 2010 zuständigen Bediensteten versehentlich ein falsches Datum (etwa 10. statt 9. November 2010) gestempelt und zu Protokoll gegeben hätten. Dagegen spricht bereits, dass [X.], dessen Unterschrift sich auf dem Eingangsstempel befindet, lt. erwähntem Protokoll am 9. November 2010 an der Leerung des [X.] nicht beteiligt war und deshalb die Unterschrift an diesem Tag weder auf dem [X.]tempel noch im Protokoll leisten konnte. Es kommt hinzu, dass die Revisionsschrift ebenfalls erst am 10. November 2010 von der [X.] als neues Verfahren "erfasst" worden ist. Regelmäßig wird nämlich die dem Nachtbriefkasten entnommene Post, die keinem Verfahren zugeordnet werden kann, unverzüglich der Erfassungsstelle weitergeleitet.

Die nicht völlig auszuschließende Möglichkeit, dass der nach Angaben des [X.] am 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten eingeworfene [X.]chriftsatz bei der Entleerung am Morgen des 9. November 2010 versehentlich nicht entnommen worden ist, reicht, wie dargestellt, zur Führung des [X.] nicht aus.

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen [X.]tand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden.

Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert ist (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.

Das Vorbringen des [X.] ist nicht geeignet, ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen. Nach der Darstellung des [X.] hat [X.], einer der beiden Unterzeichner der Revisionsschrift, den [X.]chriftsatz persönlich am Abend des 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten des [X.] einwerfen wollen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass der Einwurf durch ein von [X.] nicht zu [X.] Ereignis verzögert worden wäre. Wenn gleichwohl aus den genannten Gründen ein verspäteter Einwurf als bewiesen anzusehen ist, kann das nur daran liegen, dass der [X.]chriftsatz zu spät aus dem Machtbereich der Prozessbevollmächtigten [X.] ist; das wäre nach dem von dem Kläger geschilderten Geschehensablauf nicht ohne Verschulden des [X.] denkbar (s. [X.] in [X.], 852).

Meta

VI R 81/10

14.03.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 24. September 2010, Az: 8 K 2633/08, Zwischenurteil

§ 120 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 56 FGO, § 418 ZPO, § 294 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.03.2011, Az. VI R 81/10 (REWIS RS 2011, 8679)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8679

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Referenzen
Wird zitiert von

10 B 5/17

B 10 LW 1/16 R

8 N 16.2563

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