Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.02.2012, Az. V ZR 254/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9006

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

VERSÄUMNISURTEIL

V [X.]
Verkündet am:

17. Februar 2012

Langendörfer-Kunz

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 418 Abs. 2

Steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein Schriftstück zu einem anderen Zeitpunkt als aus dem [X.] ersichtlich bei Gericht eingegangen ist, ist der
Beweis der Unrichtigkeit des [X.] auch dann erbracht, wenn unerklär-lich bleibt, wie dieser auf den Schriftsatz gelangt ist.

[X.], Versäumnisurteil vom 17. Februar 2012 -
V [X.] -
OLG [X.]

LG [X.]

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17.
Februar
2012
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richter Dr.
Lemke
und Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, die
Richterin Dr.
Stresemann und den
Richter Dr.
Czub

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] in [X.] des [X.]s [X.] vom 10. November 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagten legten
gegen ein Urteil des [X.], durch das sie verurteilt worden sind, 40.000

, fristgerecht Berufung ein. Die
Berufungsbegründungsfrist wurde bis zum 13. Juli 2010 verlängert.
Am Morgen des 14. Juli 2010 wurde die Berufungsbegründung in dem Nachtbriefkasten des [X.] vorgefunden und erhielt, weil sie sich 1
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nach Darstellung des zuständigen [X.] hinter der um Mitternacht fallenden Klappe befand, den Eingangsstempel 14.
Juli 2010.
Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten behauptet hingegen, die Berufungsbegründung vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten eingeworfen zu haben. Er habe sich in seiner -
unstreitig etwa 5 Gehminuten von dem [X.]
gelegenen
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Kanzlei noch um 23:15 Uhr mit seinem Kollegen darüber unterhalten, dass er die Berufungsbegründung nun [X.] und einreichen wolle. Der Ausdruck der Statistik der Anwaltssoftware zei-ge, dass die Endversion der Berufungsbegründung gegen
23:30 Uhr ausge-druckt worden
sei. Sodann sei er zum [X.] gegangen und habe den Schriftsatz eingeworfen. Kurz nach dem Einwurf habe die Uhr seines [X.] oder 23:53 Uhr gezeigt. Er habe dann den Entschluss gefasst, seine Geldkarte aufzuladen, was ausweislich des Kontoausdrucks um 0:02 Uhr erfolgt sei. Die Wegstrecke vom [X.] zur Bank könne nicht in zwei Minuten zurückgelegt werden.
Das [X.] hat Beweis erhoben durch Vernehmung des [X.] der Beklagten und
des für die Leerung des [X.] zuständigen [X.]. Ferner hat der Berichterstatter die Funktionsfähig-keit der Klappe überprüft, indem er die Uhr auf 23:57 Uhr vorstellen ließ und beobachtete, dass die Klappe um 0:00 Uhr fiel. Das [X.] hat die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Mit der von dem Senat zuge-lassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, es habe sich nicht mit der erforderlichen Si-cherheit davon überzeugen können, dass die Berufungsbegründung noch am 13.
Juli 2010 in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden sei. Zwar habe der Bevollmächtigte der Beklagten seine Darstellung der Geschehnisse in der [X.] bestätigt, ohne dass sich Widersprüche zu seiner eidesstattli-chen Versicherung ergeben hätten. Auch im Übrigen habe der Senat konkrete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht feststellen können. Das [X.] der Berufungsbegründung sei ebenso belegt wie eine Aufbuchung
auf die Geldkarte des Bevollmächtigten um 0:02 Uhr. Dessen Kollege habe zudem das Gespräch mit ihm gegen 23:15 Uhr bestätigt. Auf der anderen Seite sei kein ernstlich in Betracht zu ziehender Geschehensablauf denkbar, der [X.] hätte führen können, dass ein am 13. Juli 2010 in den Nachtbriefkasten ein-geworfener Schriftsatz in das Fach für Einwürfe nach 24:00 Uhr hätte geraten können. Der Wachtmeister habe sich an den Schriftsatz genau erinnert, was nachvollziehbar sei, weil sich nur selten Schriftsätze in dem Fach für nach 24:00 Uhr eingeworfene Post befänden. Auch habe der Senat persönlich Kenntnis von der Zuverlässigkeit des [X.]. Die Möglichkeit eines menschlichen Fehlers bzw. einer Verwechselung sei daher mit absoluter Si-cherheit auszuschließen. Ferner
stehe die Funktionsfähigkeit des Nachtbrief-kastens außer Frage. Bei der versuchsweisen Überprüfung habe sich gezeigt, dass der Hebel genau um 0:00 Uhr auslöste
und die Klappe betätigte. Es sei damit ausgeschlossen, dass die Klappe am 13. Juli 2010 zu einem früheren Zeitpunkt ausgelöst habe. Eine auffällige Häufung von Streitigkeiten um Fris-tenwahrung
im Zusammenhang mit dem Nachtbriefkasten gebe es nicht. Die Berufungsbegründung sei auch nicht so dick gewesen, dass
sie steckengeblie-5
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ben sein könne. Das Fehlen eines ernstlich in Betracht zu ziehenden Gesche-hensablaufs, der den Widerspruch zur Aussage des Bevollmächtigten der [X.] erklären könne, führe zu nicht überwindbaren Zweifeln des Senats, die zu Lasten der Beklagtenseite gingen; dies sei das Ergebnis der bestehenden Beweislast. Dem hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag sei nicht statt-zugeben, denn es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sowohl die Sekretariatsuhr, das Mobiltelefon des Anwalts als auch das System der Bank eine falsche Uhrzeit angezeigt
hätten.

II.
Diese
Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Re-vision ist begründet. Da
die Klägerin im Verhandlungstermin nicht vertreten war, ist das durch Versäumnisurteil auszusprechen, welches jedoch inhaltlich auf einer Sachprüfung beruht (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 -
V
ZR 110/60, [X.]Z 37, 79, 81).
1. Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, wird die rechtzeitige [X.] einer Prozesshandlung im Regelfall durch den Eingangsstempel des Gerichts auf dem entsprechenden Schriftsatz nachgewiesen (§
418 Abs.
1 ZPO). Der im Wege des [X.] zu führende Gegenbeweis ist zulässig (§
418 Abs. 2 ZPO); notwendig ist die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang des Schriftsatzes. Wegen der Beweisnot des [X.] hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge dürfen die Anforderungen an den Gegenbeweis allerdings nicht überspannt werden. Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachbriefkas-tens sowie in das
Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhalts-punkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die 6
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insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen ([X.], Beschluss vom 3. Juli 2008 -
IX
ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn. 11; Beschluss vom 15.
September 2005
-
III
ZB 81/04, NJW 2005, 3501 jeweils mwN). Dieser Ver-pflichtung ist das Berufungsgericht durch die Vernehmung des für die Leerung des [X.] zuständigen [X.] sowie dadurch nachgekom-men, dass es sich über die Funktionsweise des [X.] informiert und einen Probelauf durchgeführt hat.
2. [X.] ist jedoch die Annahme des [X.], das [X.] einer plausiblen Erklärung, wie der Eingangsstempel vom 14. Juli 2010 auf die Berufungsbegründung gelangt sei, gehe infolge bestehender
Beweislast zu Lasten der Beklagten. Dies verkennt, welchen Beweis die Beklagten zu erbrin-gen haben.
a) Der Eingangsstempel beweist, dass das Schriftstück zu einem be-stimmten Zeitpunkt bei Gericht eingegangen ist (vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2000 -
IX
ZR 251/99, [X.], 1872, 1873). Der nach §
418 Abs. 2 ZPO zu führende Gegenbeweis geht folglich dahin, dass das Schriftstück zu einem an-deren Zeitpunkt in den Herrschaftsbereich des Gerichts gelangt
ist. Diesen [X.] haben die Beklagten erbracht, wenn die Darstellung ihres Bevollmächtig-ten, er habe die Berufungsbegründung um 23:52 oder 23:53 Uhr in den Nach-briefkasten eingelegt, wie von dem Berufungsgericht angenommen,
in den [X.] plausibel
und
widerspruchsfrei ist und konkrete Zweifel an der
Glaubwür-digkeit des Bevollmächtigten nicht bestehen.
b) Nicht beweisen müssen die Beklagten
hingegen, wie es trotz [X.] der Berufungsbegründung dazu gekommen ist, dass diese den Eingangsstempel des Folgetages trägt. Dass eine
ernstlich in Betracht zu zie-hende
Erklärung hierfür fehlt, führt deshalb nicht dazu, dass der von ihnen zu 8
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erbringende Beweis misslungen ist. Bedeutung gewinnt dieser Aspekt nur im Rahmen der Beweiswürdigung. Erscheint ein Fehler im Verantwortungsbereich des Gerichts als unwahrscheinlich, kann dies im Einzelfall die Glaubhaftigkeit einer Aussage
des Inhalts in Zweifel ziehen, ein Schriftsatz sei rechtzeitig in den Gerichtsbriefkasten eingelegt worden, und damit zur Folge haben, dass sich das Gericht nicht die erforderliche Überzeugung von deren
Richtigkeit [X.] kann. Auf Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Bevoll-mächtigten der Beklagten oder an dessen Glaubwürdigkeit ist das Berufungsur-teil jedoch nicht gestützt worden.
III.
Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist [X.] und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
562 Abs.
1, §
563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei der erforderlichen erneuten Würdigung, ob die Beklagten den Gegenbeweis im Sinne des §
418 Abs. 2 ZPO erbracht haben, wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass ein Fehler im Verantwortungsbereich des Gerichts nicht mit Sicherheit auszuschließen ist.
Die von dem Berichterstatter im Oktober 2010 vorgenommene Prüfung des
[X.], bei der die Klappe um 0:00 Uhr auslöste, stellt nur ein Indiz für die Funktionsfähigkeit der Einrichtung zu dem hier maßgeblichen Zeit-punkt dar, lässt aber nicht den sicheren Schluss
darauf zu, dass die Klappe am 13. Juli 2010 nicht vor
Mitternacht ausgelöst worden ist. In welchem Zustand sich der Nachtbriefkasten zu dieser Zeit befand, ist heute nicht mehr feststell-bar. Ohnehin kann die Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktionierte, in aller Regel nicht völlig ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2000 -
IX
ZR 251/99, [X.], 1872, 1873; Beschluss vom 8.
Mai 2007 -
VI
ZB 80/06, NJW 2007, 3069 Rn.
12). Das 11
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gilt hier auch deshalb, weil der für das Auslösen der Klappe verantwortliche Zeitmesser nach der Armbanduhr des [X.] gestellt und normaler-weise nur in unregelmäßigen Monatsabständen überprüft wird.
Zu beachten ist ferner, dass die Annahme, ein Fehler des [X.] bei der Überprüfung und Leerung des [X.] und bei dem [X.] des [X.] sei mit absoluter
Sicherheit
ausgeschlossen,
allgemeinen Erfahrungssätzen widerspräche
und damit rechtsfehlerhaft wäre. Auch wenn ein Zeuge dem Gericht als überaus zuverlässig bekannt und seine Aussage in jeder Hinsicht glaubhaft ist, lässt sich niemals völlig
ausschließen, dass sich ein aus der Erinnerung wiedergegebener
Vorgang anders als ge-schildert zugetragen hat. Diese Möglichkeit darf das Berufungsgericht deshalb bei der Würdigung, ob die Glaubhaftigkeit der Aussage des Bevollmächtigten
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der Beklagten oder
dessen Glaubwürdigkeit durch die Aussage des Wacht-meisters in Zweifel gezogen wird, nicht außer Betracht lassen.
Krüger

Lemke

Schmidt-Räntsch

Stresemann

Czub

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 09.04.2010 -
14 O 410/08 -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 10.11.2010 -
13 [X.] -

Meta

V ZR 254/10

17.02.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.02.2012, Az. V ZR 254/10 (REWIS RS 2012, 9006)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9006

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V ZR 254/10

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