31. Zivilkammer | REWIS RS 2021, 1750
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
I
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen,
1.
einer Plattform, auf der ärztliche Dienstleistungen für Patienten aus der Bundesrepublik Deutschland angeboten werden, Patienten zuzuführen, wenn dies erfolgt wie nachfolgend eingeblendet;
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2.
für eine medizinische Fernbehandlung zu werben oder werben zu lassen, sofern sich die Fernbehandlung im Ausfüllen eines Fragebogens erschöpft, wenn dies geschieht wie in den mit diesem Urteil fest verbundenen Anlagen K5 und K7 ersichtlich;
3.
für einen Service für Online-Rezepte auf der Plattform A zu werben ohne darauf hinzuweisen, dass die gesetzlich Versicherten in jedem Fall die Kosten der verschriebenen Arzneimittel selbst zu tragen haben, wenn dies geschieht wie in der mit diesem Urteil fest verbunden Anlage K2 ersichtlich;
4.
auf die Frage „Welche Vorteile habe ich, wenn mein Rezept von A an T übermittelt wird“ wie nachfolgend zu antworten:
„Als Kunde von T können Sie sich auf die bekannten Vorteile verlassen. Unser pharmazeutisches Team prüft wie gewohnt Ihr Rezept und liefert Ihre Medikamente sicher und bequem an Ihre Wunschadresse. Unser Tipp: Bestellen Sie gleich freiverkäufliche Produkte mit, so liefern wir Ihnen auch diese ohne Versandkosten“.,
wenn dies geschieht wie in der mit diesem Urteil fest verbundenen Anlage K2 ersichtlich;
5.
für telemedizinische Dienstleistungen wie nachfolgend eingeblendet zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass die Anbieter der telemedizinischen Dienstleistungen ihren Sitz nicht in Deutschland haben:
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II.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen 3.660,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.03.2021 zu zahlen.
III.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV.
Von den Kosten des Rechtsstreit haben die Klägerinnen 14% und die Beklagte 86% zu tragen.
V.
Das Urteil ist hinsichtlich des Tenors zu I. 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110.000,00 EUR, hinsichtlich des Tenors zu I 2. bis 5. jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 33.000,00 EUR und hinsichtlich des Tenors zu II. und IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerinnen sind die Berufsvertretungen der Apotheker in den Bezirken Nordrhein und Westfalen-Lippe. Die Beklagte ist eine Versandapotheke. Sie betreibt auf einer von ihr betriebenen Internetseite unter anderem einen Online-Shop, in dem Verbraucher gegebenenfalls nach Einreichung eines entsprechenden Rezeptes Medikamente bestellen können.
Die Beklagte ist eine Kooperation mit dem „Online-Portal A “ (im Folgenden „A “) eingegangen, das von einer in England ansässigen Gesellschaft, der I Ltd., betrieben wird. Auf A haben Verbraucher die Möglichkeit, eine Indikation zu wählen und nach Beantwortung eines Online-Fragebogens und anschließender Auswertung durch Ärzte von A ein sogenanntes Privatrezept ausgestellt zu erhalten. Mit diesem Rezept können die Verbraucher auf der Internetseite im Online-Shop der Beklagten das im Rezept genannte Medikament erwerben.
Die Beklagte wirbt auf ihrer Internetseite ferner mit der Angabe, dass sie verschreibungspflichtige Medikamente liefern könne. Die Beklagte gibt in ihren, auf ihrer Internetseite abrufbaren, FAQ ferner an, dass ein pharmazeutisches Team vom Verbraucher eingereichte Rezepte prüfe.
Hinsichtlich der näheren Gestaltung der Plattform A und der Internetseite der Beklagten, den FAQ und des Online-Fragebogens wird ergänzend auf die Anlagen K2 bis K7 verwiesen.
Die Klägerinnen mahnten die Beklagte mit Schreiben vom 02.12.2020 ab.
Die Klägerinnen sind der Auffassung, dass das Eingehen der Kooperation mit A gegen das Standesrecht der Apotheker verstoße. Hiernach sei es Apotheken untersagt, mit Ärzten Kooperationen einzugehen. Dies gelte ausdrücklich auch für im Ausland ansässige Versandapotheken. Die Beklagte führe mit der Kooperation Ärzten Patienten zu. Sie weise dort auch nicht hinreichend prominent genug auf die Möglichkeit der Konsultationen eines Arztes vor Ort hin.
Zudem werde die Fernbehandlung nicht ausschließlich mit Kommunikationsmedien durchgeführt. Online-Fragebögen seien gerade kein Kommunikationsmedium.
Ein solches Vorgehen entspreche auch nicht allgemeinen medizinischen Standards, die für eine Fernbehandlung erforderlich seien.
Dem Verbraucher werde zudem unterschlagen, dass allenfalls sogenannte „Privatrezepte“ erteilt werden, die von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht erstattet werden. Es sei für Verbraucher eine wesentliche Information, dass sie in jedem Fall die Kosten selbst zu tragen haben.
Die Beklagte führe Verbraucher weiter auch deswegen in die Irre, weil sie suggeriere, sämtliche verschreibungspflichtigen Medikamente liefern zu können. Da die Beklagte ihren Sitz in den O habe, könne sie gerade nicht alle im Inland verschreibungspflichtigen Medikamente liefern. Dies gelte etwa für Benzodiazepine, die im grenzüberschreitenden Verkehr nicht versandt werden dürfen.
Der Beklagten sei zudem vorzuwerfen, dass sie in ihren FAQ mit Selbstverständlichkeiten werbe. Dort stelle sie es nämlich als Vorteil dar, dass ein pharmazeutisches Team das Rezept prüfe. Dies sei kein Vorteil gegenüber sonstigen Apotheken, wo dies selbstverständlich auch geschehe.
Zudem führe die Beklagte Verbraucher in die Irre, wenn sie nicht darauf hinweise, dass A aus Großbritannien heraus betrieben werde. Verbraucher würden annehmen, dass es sich um eine deutsche Plattform handele und dass deutsche Standards Anwendung finden würden.
Nach Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen ihre Anträge modifiziert.
Die Klägerinnen beantragen zuletzt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, ab sofort zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen
1.1
einer Plattform, auf der ärztliche Dienstleistungen für Patienten in Deutschland angeboten werden, Patienten zuzuführen, wenn dies erfolgt, wie nachfolgend eingeblendet:
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1.2
für eine medizinische Fernbehandlung zu werben oder werben zu lassen, sofern sich die Fernbehandlung im Ausfüllen eines Fragebogens erschöpft, wie unter Anlage K5 und K7 eingeblendet;
1.3
hilfsweise für eine medizinische Dienstleistung zu werben, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass derartige telemedizinische Dienstleistungen nicht in allen Fällen, sondern nur in den Fällen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem behandelten Menschen nicht erforderlich ist, vorgenommen werden können;
1.4
für einen Service für Online-Rezepte zu werben auf der Plattform A ohne darauf hinzuweisen, dass die gesetzlich Versicherten in jedem Fall die Kosten der verschriebenen Arzneimittel selbst zu tragen haben, wenn dies geschieht wie unter Anlage K2 eingeblendet;
1.5
mit der Aussage „T kann Ihr verschreibungspflichtiges Arzneimittel an Sie liefern – versandkostenfrei“ zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass bestimmte Gruppen von Arzneimitteln aus rechtlichen Gründen nicht geliefert oder versendet werden können, wenn dies geschieht, wie unter Anlage K2 eingeblendet;
1.6
auf die Frage „Welche Vorteile habe ich, wenn mein Rezept von A an T übermittelt wird“ wie nachfolgend eingeblendet zu antworten
„Als Kunde von T können Sie sich auf die bekannten Vorteile verlassen. Unser pharmazeutisches Team prüft wie gewohnt Ihr Rezept und liefert Ihre Medikamente sicher und bequem an Ihre Wunschadresse. Unser Tipp: Bestellen Sie gleich freiverkäufliche Produkte mit, so liefern wir Ihnen auch diese ohne Versandkosten“
wenn dies geschieht wie unter Anlage K2 eingeblendet;
1.7
für telemedizinische Dienstleistungen, wie nachfolgend eingeblendet zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass die Anbieter der telemedizinischen Dienstleistungen ihren Sitz nicht in Deutschland haben
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.1 meint die Beklagte, dass sie Ärzten keine Patienten zuführe. Insoweit weise sie in ihren FAQ darauf hin, dass Patienten auch einen stationären Arzt aufsuchen können. Zudem halte A ein Tool vor, mit dem Patienten einen Arzt in der Nähe suchen können. Der Hinweis auf die Möglichkeit, einen stationären Arzt aufzusuchen, sei direkt beim Aufrufen der Seite sichtbar.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.2 meint die Beklagte, dass die Nutzung eines Online-Fragebogens nicht zu beanstanden sei. Zwar sei der Begriff der Kommunikationsmedien im Heilmittelwerberecht nicht näher definiert. Ein Online-Fragebogen entspräche dem aber. Denn mit dessen Hilfe könnten fachliche Standards eingehalten werden. Im Übrigen sei die Nutzung von Online-Fragebögen als Mittel der Behandlung am Sitz der von der Plattform beschäftigten Ärzte anerkannt.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.3 meint die Beklagte, dass A auch nicht undifferenziert Fernbehandlungen anbiete, sondern nur für bestimmte Indikationen. Entsprechendes ergäbe sich auch aus den FAQ der Beklagten. Bei anderen Indikationen würden Patienten auf den Besuch des Hausarztes verwiesen.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.4. meint die Beklagte, dass der Hinweis darauf, dass Rezepte nicht von gesetzlichen Krankenversicherungsträgern erstattet würden, keine wesentliche Information sei. Verbrauchern sei bekannt, dass Ärzte auch solche Medikamente verschreiben, die nicht erstattungsfähig seien. Zudem weise die Beklagte in ihren FAQ auf diesen Umstand hin.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.5. meint die Beklagte, dass sich der von der Klägerin angeführte Sinngehalt der Werbeaussage nicht entnehmen lasse. Die Aussage beziehe sich klar auf die von A erfassten Indikationen. Die zur Behandlung der umfassten Indikationen notwendigen Medikamente könne sie liefern. Ein entsprechender Hinweis sei auch in ihren AGB enthalten.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.6. meint die Beklagte, dass der Verkehr erkenne, dass es sich um eine Selbstverständlichkeit handele, dass Rezepte durch Pharmazeuten geprüft werden.
Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.7 meint die Beklagte, dass sie darauf hinweise, dass A europaweit tätig sei. Zudem weise sie in ihren FAQ darauf hin, dass A in London reguliert werde. Es handele sich zudem um keine wesentliche Information.
Die Klage wurde der Beklagten am 04.03.2021 zugestellt. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
I.
Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 14 Abs. 2. S. 2 und S. 3 UWG. Die Beklagte hat keinen Gerichtsstand im Inland.
II.
In der Sache hat die Klage überwiegend, bis auf die mit dem Klageantrag zu 1.5. von der Beklagten begehrte Unterlassung, Erfolg.
1.
a)
Die Klägerinnen sind nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktiv legitimiert.
b)
§ 11 Abs. 1 ApoG ist eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG (OLG Köln, Urt. v. 11.01.2019 – 6 U 131/18, PharmR 2019, 123).
c)
Die Beklagte hat gegen diese Vorschrift auch verstoßen. Die Beklagte hat – entgegen § 11 Abs. 1 S. 1 und S. 3 ApoG - A Patienten zugeführt. Dem gesetzgeberischen Anliegen folgend, das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers zu schützen, soll § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG sicherstellen, dass sich der Erlaubnisinhaber einer Apotheke bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Eine Zuführung von Patienten im Sinne letztgenannter Norm liegt daher vor, wenn Apotheker das Aufsuchen eines bestimmten Arztes unmittelbar bewerben. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG sind aber auch Verhaltensweisen untersagt, die mittelbar das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit der Apotheker durch das Gebaren des Apothekers stören. Letzteres ist etwa der Fall, wenn eine Online-Apotheke eine Kooperation mit einer Behandlungsplattform eingeht und diese Behandlungsplattform auf ihrer Internetseite werbend herausstellt, ohne gleichwertig auf die Möglichkeit der Konsultation eines stationären Arztes hinzuweisen (vgl. OLG Köln. Urt. v. 22.02.2017 – 6 U 101/16, GRUR-RR 2017, 341 (344) – Tattoo-Apotheke).
Die Darstellung der von A auf der Internetseite der Beklagten angebotenen Dienstleistungen versteht der angesprochene Verkehr als Werbung der Beklagten für die Dienstleistungen von A oder aber jedenfalls als eine klare Präferenz der Beklagten für die Dienstleistungen von A . Die Logos werden ausweislich der von den Klägern vorgelegten Screenshots mit einem stilisierten „+“ versehen. Im Zusammenhang mit A wird dort herausgestellt, dass Rezepte „einfach online“ zu erhalten seien. A sei ein „neuer Service“.
Anders als die Beklagte meint, kann der Hinweis auf die Möglichkeit auch einen stationären Arzt aufzusuchen, nicht aus der Verletzung von § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG herausführen. Auf der insoweit für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr maßgeblichen Anlage B1 ist ersichtlich, dass dieser Hinweis erst nach Aufblendung eines weiteren Feldes ersichtlich wird. Erforderlich wäre aber eine eindeutige, zumindest gleichwertig werbende Empfehlung für den Besuch eines stationären Arzt.
cc)
Der Verstoß ist auch spürbar im Sinne von § 3a UWG. Das Verhalten der Beklagten schränkt die in § 11 ApoG normierte Freiheit bei der Wahl eines Arztes unzulässig ein.
2.
a)
§ 9 S. 1 HWG stellt eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG dar (OLG München, Urt. v. 09.07.2020 – 6 U 5180/19, MMR 2021, 343 Rn. 50).
b)
Die Beklagte verstößt gegen diese Norm, denn sie wirbt, was zwischen den Parteien unstreitig ist, für A , auf der gerade Fernbehandlungen angeboten werden. Es muss nicht entschieden werden, ob ein Online-Fragebogen ein Kommunikationsmedium im Sinne von § 9 S. 2 HWG ist. Denn anders als die Beklagte meint, kann sie sich bereits deswegen nicht auf den in § 9 S. 2 HWG geregelten Ausnahmetatbestand stützen, weil sie nicht dargetan hat, dass im Rahmen der von ihr angebotenen telemedizinischen Dienstleistungen die Behandlung mit Kommunikationsmedien anerkannten fachlichem medizinischen Standards im Sinne von § 9 S. 2 HWG genügt. Medizinische fachliche Standards im Sinne von § 9 S. 2 HWG sind nach dem Willen des Gesetzgebers erfüllt, wenn nach dem anerkannten medizinischen Stand der Erkenntnisse eine ordnungsgemäße Behandlung und Beratung unter Einsatz von Kommunikationsmedien grundsätzlich möglich ist (Begr. zum RefE zum Digitalen Versorgungs-Gesetz, S. 83). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm hat derjenige, der mit einer Fernbehandlung wirbt, diesen medizinischen Stand der Erkenntnisse, etwa unter Vorlage der Leitlinien einer medizinischen Fachgesellschaft, darzulegen (so auch Tillmanns, PhamrR 2021, 247 (249)).
Dem wird der Vortrag der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte trägt nicht dazu vor, dass die Indikationen, die auf A behandelt werden können, grundsätzlich dafür geeignet seien, mittels Fernbehandlung behandelt zu werden. Dies erscheint auch wenig nachvollziehbar. Denn im Grundsatz gehört zu jeder Behandlung nach allgemeinen fachlichen Standards eine Basisuntersuchung, zu der in der Regel Funktionsprüfungen und Besichtigungen des Körpers sowie ggf. der Erhebung weiterer Laborwerte gehören (Katzenmeier, NJW 2019, 1769). Dies alles ist im Rahmen der von A angebotenen Fernbehandlung nicht möglich (vgl. auch OLG München, Urt. v. 09.07.2020 – 6 U 5180/19, MMR 2021, 343 zur Fernbehandlung per App durch Ärzte in der Schweiz). Insbesondere gilt dies für die von der Beklagten angebotene Behandlung einer errektilen Dysfunktion (so ausdrücklich KG, Urt. 03.12.2019 – 5 U 45/19, GRUR-RS 2019, 40959; vgl. auch Tillmanns, PhamrR 2021, 247 unter Fußnote. 26). Hieran ändert auch die von der Beklagten vorgelegten Studie nichts, denn diese trifft gerade keine Aussage zu den von der Beklagten konkret angebotenen Behandlungen und warum in diesen Fällen eine Fernbehandlung ganz grundsätzlich möglich sein soll und dem anerkannten fachlichen Stand der Erkenntnisse der Medizin entspräche.
Anders als die Beklagte meint, kommt es auch nicht darauf an, ob am Sitz der von A beschäftigten Ärzte in England oder Irland Fernbehandlungen grundsätzlich dem anerkannten fachlichen Stand der dortigen Erkenntnisse der Medizin entsprächen. Die Regulierung der Fernbehandlung unterfällt der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Hiervon erfasst ist auch die Einschränkung der Werbung für Fernbehandlungen, wie sie § 9 S. 2 HWG unternimmt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der nationale Gesetzgeber die Öffnung der Werbung für Fernbehandlung nach letztgenannter Norm vom Domizilstaat des behandelnden Arztes abhängig machen wollte.
cc)
3.
Die Klägerinnen können von der Beklagten Unterlassung wie unter Ziffer I. 3. tenoriert gemäß §§ 8, 3, 5, 5a UWG verlangen. Es handelt sich bei der Information, dass die Kosten für Medikamente, die auf Grundlage der von A ausgestellten Rezepte nicht von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden, um eine wesentliche Information im Sinne von § 5a UWG (so auch LG Aschaffenburg, Urt. v. 13.10.2020 – 2 HK O 20/20, vorgelegt als Anlage B8, S. 16). Eine Information ist wesentlich und wird benötigt, wenn Marktteilnehmer sie für eine informierte geschäftliche Entscheidung benötigen und das Vorenthalten geeignet ist, sie zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten. Ob eine derartige Eignung besteht, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der Verkehrsauffassung zu beurteilen.
Letzteres ist hier der Fall. Es handelt sich bei der Frage der Erstattbarkeit der Kosten von Medikamenten durch die gesetzlichen Krankenkassen, um einen Umstand, der die Entscheidung von Verbrauchern, ob ein Online-Arzt aufgesucht werden soll, maßgeblich beeinflusst. Dem Patienten geht es dort nicht nur um die Beratung, sondern auch darum, ob die Kosten für die Medikamente, die er verschrieben bekommt, von seiner Krankenversicherung getragen werden. Eine Erwartung des Verkehrs dahingehend, dass die Rezepte, die von Online-Ärzten ausgestellt werden, nicht erstattungsfähig sind, kann die Kammer, die dem angesprochenen Verkehr angehört, nicht feststellen.
Die Darstellung in der von der Beklagten vorgehaltenen FAQ zur Erstattung der Kosten vertieft die Irreführung eher, als dass sie sie beseitigt, denn dort wird herausgestellt, dass „nichts gegen eine Erstattung spreche“ (vgl. Anlage B9). Zwischen den Parteien ist aber unstreitig, dass dies bei gesetzlichen Krankenversicherungen gerade nicht der Fall ist. Die durch Unterlassen erfüllte Irreführung ist für den Verkehr auch relevant.
4.
Die Kläger können von der Beklagten darüber hinaus wie im Tenor zu I. 4. gemäß §§ 8, 3, 5 UWG Unterlassung verlangen. Nach letztgenannter Vorschrift kann auch die Werbung mit einer objektiv richtigen Angabe irreführend und damit unlauter sein, nämlich dann, wenn durch sie ein unrichtiger Eindruck vermittelt wird. Ein solcher unrichtiger Eindruck kann zum Beispiel entstehen, wenn Werbebehauptungen etwas Selbstverständliches in einer Weise betonen, dass der Adressat der Werbung hierin einen besonderen Vorzug der beworbenen Ware oder Leistung vermutet. Dies wiederum kann der Fall sein, wenn mit gesetzlich vorgeschriebenen Eigenschaften einer Dienstleistung geworben wird (Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, § 5 Rn. 1.113 m. w. N.). Maßgeblich ist, dass der angesprochene Verkehr in der herausgestellten Eigenschaft der beworbenen Dienstleistung irrtümlich einen Vorteil sieht, den er nicht ohne weiteres, insbesondere auch nicht bei Bezug der gleichen Dienstleistung bei einem Mitbewerber, erwarten kann. Eine Irreführung scheidet demgegenüber aus, wenn der Verkehr den Vorteil als Selbstverständlichkeit erkennt. Entscheidendes Kriterium hierfür ist, ob die Selbstverständlichkeit als etwas Besonderes herausgestellt wird (Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, § 5 Rn. 1.114 m. w. N.).
So liegt der Fall hier. Die Beklagte stellt die Tatsache, dass das eingereichte Rezept durch ein pharmazeutisches Team geprüft werde als „Vorteil“ der von ihr betriebenen Apotheke heraus. Ein solcher Vorteil gegenüber anderen, nicht im Online-Handel tätigen Apotheken gibt es aber, was zwischen den Parteien unstreitig ist, gerade nicht. Der Satz bezieht sich auch, anders als die Beklagte meint, nicht lediglich auf die „sichere und bequeme“ Lieferung, sondern auch auf die Prüfung durch ein pharmazeutisches Team. Hieran dürfte auch der Zusatz „wie gewohnt“ nichts ändern. Denn dieser kann sich genauso gut auf die „bekannten“ Vorteile im vorangegangenen Satz beziehen. Die Irreführung ist für den Verkehr auch relevant.
5.
Die Klägerinnen können von der Beklagten auch Unterlassung wie im Tenor zu I. 5. gemäß §§ 8, 3, 5, 5a UWG verlangen. Auch bei der Information, dass A englischer Regulierung unterliegt, handelt es sich um eine wesentliche Information im oben erläuterten Sinne von § 5a UWG. Letzteres ergibt sich insbesondere, aber nicht nur, daraus, dass Großbritannien nicht mehr der europäischen Gesetzgebung unterliegt und dort, was auch die Beklagte nicht in Abrede stellt, ein anderes Regulierungsregime etwa zur Frage der Zulässigkeit von Fernbehandlungen gilt. Entsprechendes gilt, soweit die behandelnden Ärzte in Irland ansässig sind. Die Aufmachung der Plattform A erweckt insgesamt den Eindruck, dass Patienten durch deutsche Ärzte behandelt würden. Sämtliche Hinweise sind in deutscher Sprache gehalten.
Die Beklagte hat den Sitz von A auch vorenthalten im Sinne letztgenannter Norm oder aber zumindest verheimlicht im Sinne von § 5a Abs. 2 Nr. 2 UWG. Zwar findet sich die Information im FAQ an zwei verschiedenen Stellen. Es ist aber, was die Kammer aus eigener Sachkunde beurteilen kann, nicht naheliegend, dass Verbraucher unter FAQs einer deutschsprachigen Onlinebehandlungsplattform der Frage nachgehen, welchem Regulierungsregime diese unterliegt (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 10.12.2019 – 3 U 1021/19, MMR 2019, 869 (870 f.); LG Düsseldorf, Urt. v. 08.05.2019 – 12 O 158/18, MMR 2019, 626 (627)). Die Irreführung ist auch relevant.
6.
Die Klägerinnen können von der Beklagten schließlich auch die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.660,80 EUR auf Grundlage einer 1,3 Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG, der Auslagenpauschale nach Nr. 7001 und 7002 VV RVG jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer verlangen. Die Erstattbarkeit ihrer Rechtsverfolgungskosten scheitert nicht daran, dass die Klägerinnen Verbände im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG sind. Die Klägerinnen sind als Berufsvertretungen nicht gehalten, Ausstattung und Personal zur selbstständigen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen vorzuhalten (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urt. 04.02.2016 – 6 U 150/15, GRUR 2016, 625 – Taxiverband). Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.
III.
Im Übrigen hat die Klage in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerinnen können von der Beklagten unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt Unterlassung wie mit dem Antrag zu 1.5. begehrt verlangen. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus §§ 8, 3, 5 UWG. Die von den Klägern angegriffenen Angaben führen den Verkehr nicht in die Irre im Sinne letztgenannter Norm. Der Verkehr, zu dem die Mitglieder der Kammer gehören, entnimmt der Angabe – „T kann ihr verschreibungspflichtiges Arzneimittel an Sie liefern – versandkostenfrei“ nicht, dass alle erdenklichen verschreibungspflichtigen Arzneimittel geliefert werden können. Der Vortrag, dass die Angabe im Zusammenhang mit den auf der Internetseite der Beklagten erwähnten Indikationen steht, haben die Klägerinnen nicht bestritten. Aus diesem Kontext ist gerade ersichtlich, dass die Beklagte sich mit ihrer Angabe auf verschreibungspflichtige Medikamente bezieht, die sie anbieten kann.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1. Die Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 bzw. S. 2 ZPO.
V.
Der Streitwert wird auf 250.000,00 EU festgesetzt, wovon 100.000,00 EUR auf den Antrag zu 1.1. und jeweils 30.000,00 EUR auf die Anträge 1.2 und 1.4 bis 1.7 entfallen.
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19.10.2021
Landgericht Köln 31. Zivilkammer
Urteil
Sachgebiet: O
Zitiervorschlag: Landgericht Köln, Urteil vom 19.10.2021, Az. 31 O 20/21 (REWIS RS 2021, 1750)
Papierfundstellen: REWIS RS 2021, 1750
Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.
Landgericht Köln, 31 O 20/21, 19.10.2021.
Oberlandesgericht Köln, 6 U 204/21, 10.06.2022.
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
6 U 204/21 (Oberlandesgericht Köln)
Werbung für digitale medizinische Konsultation durch Ärzte in der Schweiz
6 U 101/16 (Oberlandesgericht Köln)
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