Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.01.2024, Az. VI ZR 592/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1755

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Gegenstand

Deliktische Haftung eines Fahrzeugherstellers wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen gegenüber Käufer eines im Jahr 2017 erworbenen Gebrauchtwagens


Leitsatz

Zur deliktischen Haftung des Kfz-Herstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 3. April 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 17. Oktober 2019 wird auch insoweit zurückgewiesen, als der Kläger Zinsen auf die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer [X.] befinde.

Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 17. Oktober 2017 bei einem Händler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw [X.] zu einem Preis von 14.650 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des [X.] ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse [X.] erteilt. Der Motor des Fahrzeugs war mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem [X.] (NEFZ) unterzogen wurde, und schaltete in diesem Fall in den [X.] 1, einen Stickoxid-optimierten Modus. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem [X.] statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des [X.] schaltete der Motor dagegen in den [X.] 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der [X.] höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse [X.] maßgeblich war der [X.] auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der [X.]-Norm wurden nur im [X.] 1 eingehalten.

3

Am 22. September 2015 hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des [X.] eine auffällige Abweichung zwischen [X.]werten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem [X.] ([X.]) stehe. Das [X.] sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte im Oktober 2015, die Abschalteinrichtung zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Ebenfalls im Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der jedermann unter Eingabe der Fahrzeugidentitätsnummer ermitteln konnte, ob in das betreffende Fahrzeug die beschriebene "Umschaltlogik" verbaut gewesen ist. Die Beklagte entwickelte, um die Vorgaben des [X.] zu erfüllen, im weiteren Fortgang der Ereignisse ein Software-Update. Über die erwähnte Webseite konnte später auch ermittelt werden, ob ein solches Software-Update auf ein bestimmtes Fahrzeug bereits aufgespielt worden war. Das war bei dem Fahrzeug, das der Kläger erwarb, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags der Fall.

4

Mit seiner Klage begehrt der Kläger zuletzt die Zahlung von 14.650 € nebst Zinsen [X.] gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme der [X.]-Leistung sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] die Beklagte unter [X.] im Übrigen zur Zahlung von [X.] € nebst Zinsen [X.] gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen verurteilt und den Verzug der Beklagten mit der Annahme der [X.]-Leistung festgestellt. Mit ihrer von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung des [X.] insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte dem Kläger wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises in Höhe von 14.650 € abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von dem Kläger gezogenen Nutzungen [X.] gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Das Verhalten der Beklagten sei objektiv sittenwidrig gewesen. Dieses objektiv sittenwidrige Verhalten habe im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger noch angedauert und nicht etwa mit der Offenlegung des Sachverhalts ab [X.] 2015 geendet. Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung aus § 826 BGB lägen noch im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags durch den Kläger vor. Durch das Verhalten der Beklagten sei dem Kläger Schaden entstanden, der auch nicht durch das Aufspielen des Software-Updates entfallen sei, wobei insbesondere die Frage keiner Erörterung bedürfe, ob das Software-Update ein ebenfalls unzulässiges [X.] enthalte. Der Anspruch des [X.] richte sich auf Ersatz des negativen Interesses, also auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung der von ihm gezogenen Nutzungen nach dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung sowie [X.] gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte. Dementsprechend seien auch der Annahmeverzug der Beklagten festzustellen und dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zuzuerkennen.

II.

6

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

7

Soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) ungeachtet der seit September 2015 erfolgten Verhaltensänderung der Beklagten für gegeben hält, steht dies in Widerspruch zur gefestigten, wenn auch erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Rechtsprechung des [X.] und ist rechtsfehlerhaft (unter II.1). Infolgedessen ist das Berufungsurteil aufzuheben. Soweit die Beklagte durch dieses zur Zahlung von [X.] € nebst Zinsen [X.] gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, ist die Sache - soweit der Kläger nicht Zinsen auf die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt, worauf ihm Ansprüche nicht zustehen (vgl. [X.], Urteil vom 16. Oktober 2023 - [X.] 1139/22, juris Rn. 11) - zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), weil insoweit die Sache nach dem festgestellten Sachverhältnis nicht zur Endentscheidung reif ist (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 nicht geprüft (unter II.2). Der [X.] hat hingegen, weil insoweit weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO), in der Sache selbst zu entscheiden, soweit in dem Berufungsurteil der Verzug der Beklagten mit der Annahme der [X.]-Leistung festgestellt worden ist. Mit diesem Antrag ist der Kläger jedenfalls deshalb abzuweisen, weil ihm Ansprüche aus § 826 BGB nicht zustehen (unter II.1).

8

1. Das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem massenweisen Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung im Verhältnis zu Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, ist zwar - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist - objektiv sittenwidrig und geeignet gewesen, die Haftung der Beklagten zu begründen (ständige Rechtsprechung des [X.]; vgl. nur [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 16 mwN; ferner [X.], Urteile vom 23. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3725 Rn. 17; vom 28. Oktober 2021 - [X.], NJW-RR 2022, 243 Rn. 16). Ein Anspruch des [X.] aus § 826 BGB besteht aber - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, die die Revision mit Erfolg angreift - nicht, weil sich auf der Grundlage der von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des revisionsrechtlich erheblichen Parteivorbringens das gesamte Verhalten der Beklagten im Zeitraum bis zum Eintritt des Schadens bei dem Kläger in der gebotenen Gesamtschau aufgrund einer zwischenzeitlichen Verhaltensänderung der Beklagten (ständige Rechtsprechung des [X.]; vgl. nur [X.]surteil vom 30. Juli 2020 - [X.] 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 15 ff.; [X.], Urteile vom 23. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3725 Rn. 18 f.; vom 28. Oktober 2021 - [X.], NJW-RR 2022, 243 Rn. 17) nicht als sittenwidrig darstellt (ständige Rechtsprechung des [X.]; vgl. [X.]surteil vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 8; [X.]sbeschluss vom 14. September 2021 - [X.] 491/20, juris Rn. 7; auch [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 14). Dieser Zeitraum ist insofern - anders als das Berufungsgericht zumindest erwogen hat, als es zu der Auffassung neigte, es sei für die Frage der Sittenwidrigkeit auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, das der Kläger später erwarb, abzustellen - maßgeblich (ständige Rechtsprechung des [X.]; vgl. nur [X.]surteile vom 30. Juli 2020 - [X.] 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 f.; vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 8; [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 13).

9

Ohne Erfolg macht der Kläger in der Revisionserwiderung mit einer Gegenrüge geltend, die Beklagte hafte gegenüber dem Kläger ungeachtet ihres Strategiewechsels seit [X.] 2015 jedenfalls deshalb aus § 826 BGB, weil in dem Software-Update, das nach den von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch bei dem Fahrzeug, das der Kläger erwarb, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags aufgespielt gewesen ist, unstreitig ein so genanntes [X.] verbaut gewesen sei, was die Beklagte indessen sowohl dem [X.] als auch den Fahrzeugerwerbern gegenüber verschwiegen habe. In dieser nicht offen gelegten Implementierung des [X.]s, bei dem es sich ebenfalls um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 handle, in das Software-Update liege ein (weiteres) [X.] Verhalten der Beklagten, was ihre Haftung aus § 826 BGB selbstständig begründe.

Sollte die Beklagte mit dem Software-Update eine solche - dem [X.] und den Fahrzeugerwerbern gegenüber von ihr nicht offen gelegte - Steuerung des [X.] implementiert haben, begründete allein dies entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht eigenständig die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten und damit ihre Haftung aus § 826 BGB. Der [X.] legt dabei das Vorbringen der Revisionserwiderung zugrunde, die Abgasreinigung finde nach dem Software-Update nur in einem Temperaturbereich ab 15 Grad Celsius und bis zu einer Seehöhe von 1.000 Metern statt, und er unterstellt, dass eine derartige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 2022 - [X.]/20, NJW 2022, 2605 Rn. 31 ff.). Wie der [X.] bereits mehrfach entschieden hat (vgl. näher [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 25 ff.; [X.]surteile vom 23. November 2021 - [X.] 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 19 f.; vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 19; [X.], Urteile vom 23. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3725 Rn. 21 ff.; vom 28. Oktober 2021 - [X.], NJW-RR 2022, 243 Rn. 21 ff.), reichte indessen selbst ein solcher Gesetzesverstoß nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates (vgl. [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26, 28; [X.]surteile vom 22. Februar 2022 - [X.] 934/20, [X.], 852 Rn. 19; vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 19; [X.], Urteile vom 23. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3725 Rn. 22; vom 28. Oktober 2021 - [X.], NJW-RR 2022, 243 Rn. 22), etwa einer erneuten Täuschung des [X.] (vgl. [X.]surteil vom 23. November 2021 - [X.] 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 20) oder aber zumindest eines Bewusstseins der für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des [X.], eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und der billigenden Inkaufnahme des darin liegenden Gesetzesverstoßes (vgl. [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28; [X.], Urteil vom 23. September 2021 - [X.]/20, NJW 2021, 3725 Rn. 22; Beschluss vom 12. Januar 2022 - [X.], juris Rn. 31).

Feststellungen zu solchen weiteren Umständen hat das Berufungsgericht, aus dessen rechtlicher Sicht es auf die Frage der Implementierung eines [X.]s in das Software-Update von vornherein nicht ankam, nicht getroffen. Die Revisionserwiderung zeigt in ihrer Gegenrüge keinen übergangenen Tatsachenvortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.]surteil vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 19; [X.]sbeschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 29 mwN) auf, der die insoweit maßgebenden rechtlichen Voraussetzungen ausfüllen könnte. Die in der Gegenrüge erhobene, durch vorinstanzliches Vorbringen des [X.] jedoch bereits nicht unterlegte und überdies pauschale Behauptung, die Beklagte habe sowohl dem [X.] als auch den Fahrzeugerwerbern gegenüber die Implementierung des [X.]s im Software-Update verschwiegen, genügt insofern nicht.

Soweit die Revisionserwiderung unter Bezugnahme auf die - in anderem rechtlichem Zusammenhang - von dem Berufungsgericht getroffene Feststellung, es sei "unklar", ob und welche Auswirkungen das Software-Update habe, und seine "Langzeittauglichkeit" stehe nicht fest, ferner geltend macht, eine weitere Täuschung der Beklagten liege darin, dass sie "über die negativen Auswirkungen und fehlende Langzeittauglichkeit des Software-Updates ebenfalls nicht aufgeklärt" habe, ergibt sich daraus keine andere rechtliche Beurteilung. Unabhängig davon, dass sich einer solchen pauschalen Vorhaltung ohnehin bereits nicht hinreichend entnehmen ließe, welche "negativen Auswirkungen" genau sie aufgriffe, reichte der Umstand, dass mit dem Software-Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern namentlich auch negative Auswirkungen auf den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge oder aber eine - unterstellt nachteilige - Veränderung sonstiger Parameter verbunden sein mögen, ebenfalls nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. [X.]surteil vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 20; [X.]sbeschlüsse vom 9. März 2021 - [X.] 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 30; vom 14. September 2021 - [X.] 491/20, juris Rn. 13; [X.], Beschluss vom 12. Januar 2022 - [X.], juris Rn. 33).

2. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob die Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO ([X.]) Nr. 715/2007 begründet ist. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, um diesem Gelegenheit zu geben, die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO).

a) Bei diesen Normen handelt es sich - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der [X.] in seinem Urteil vom 21. März 2023 ([X.]/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.

b) Die oben angeführten Abgasnormen - auch in Verbindung mit der Übereinstimmungsbescheinigung - schützen allerdings nicht die allgemeine Handlungsfreiheit und als deren Ausfluss das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers, das heißt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mit der Folge, dass die - gegebenenfalls auch fahrlässige - Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung zu einem deliktischen Anspruch des Käufers gegen den Hersteller auf Rückerstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises führte. Die allgemeine Handlungsfreiheit fällt nicht in den sachlichen Schutzbereich dieser Normen (so bereits [X.]surteil vom 25. Mai 2020 - [X.] 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 76; nachfolgend ständige Rechtsprechung des [X.]). Dem Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 21. März 2023 ([X.]/21, NJW 2023, 1111) lässt sich nichts entnehmen, was zu einer Abkehr von dieser Rechtsprechung nötigen würde ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, [X.]Z 237, 245 Rn. 24-26; [X.]surteil vom 24. Oktober 2023 - [X.] 493/20, [X.], 36 Rn. 23).

c) Jedoch kann dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Schutzgesetzverletzung zustehen, weil ihm aufgrund des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs ein Vermögensschaden in Form des Differenzschadens entstanden ist. Ein solcher Schaden, der darauf zurückzuführen ist, dass der Hersteller die ihm auch zugunsten des Käufers auferlegten Pflichten nach dem [X.] nicht eingehalten hat, fällt nach Maßgabe des Urteils des Gerichtshofs der [X.] vom 21. März 2023 ([X.]/21, NJW 2023, 1111) in den sachlichen Schutzbereich der [X.] Abgasnormen und ist insoweit im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB zu entschädigen.

d) Ob dem Kläger im Ergebnis ein solcher Anspruch zusteht, lässt sich auf der Grundlage der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht wird dem Kläger im erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben haben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

[X.]     

      

Müller     

      

Allgayer

      

Böhm     

      

Katzenstein     

      

Meta

VI ZR 592/20

23.01.2024

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 3. April 2020, Az: 8 U 1956/19, Urteil

§ 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 EGV 715/2007

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.01.2024, Az. VI ZR 592/20 (REWIS RS 2024, 1755)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1755

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