Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.08.2011, Az. III B 155/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 4012

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde; Darlegung von Zulassungsgründen; Zulassung aufgrund eines schwerwiegenden Rechtsfehlers


Leitsatz

1. NV: Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht, erfordert dies eine Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen sowie die Darlegung, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist .

2. NV: Bei geltend gemachter Divergenz müssen die Entscheidung, von der das FG-Urteil abweichen soll, bezeichnet und die nach Auffassung des Beschwerdeführers voneinander abweichenden Rechtssätze gegenübergestellt werden .

3. NV: Ein Rechtsfehler führt nur dann zur Zulassung der Revision, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist .

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden für das Streitjahr 1999 mit [X.] vom 5. Oktober 2001 antragsgemäß zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der [X.] erging nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Nach einvernehmlichem Abschluss einer Außenprüfung ließen die Kläger durch ihren damaligen steuerlichen Berater ([X.]) dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) mitteilen, sie wählten aufgrund der geänderten Ergebnisse für das Streitjahr nunmehr die getrennte Veranlagung. Unter dem 21. Dezember 2005 hob das [X.] mit unmittelbar an die Kläger adressiertem [X.], dessen Bekanntgabezeitpunkt streitig ist, den Zusammenveranlagungsbescheid vom 5. Oktober 2001 auf. Mit [X.]en vom 22. Dezember 2005, [X.] für die Klägerin am 23. Dezember 2005 und für den Kläger am 28. Dezember 2005 bekannt gegeben, führte das [X.] getrennte Veranlagungen durch. Die [X.]e enthalten u.a. folgende Erläuterungen:

"Der Festsetzung/Feststellung liegen die Ergebnisse der bei Ihnen durchgeführten Außenprüfung zugrunde (siehe Prüfungsbericht vom 08.11.05). ... Es wurde eine getrennte Veranlagung nach § 26a EStG durchgeführt."

Die [X.]e vom 22. Dezember 2005 wurden nicht mit Einspruch angefochten. Dem Antrag der Kläger vom 18. September 2006, die [X.]e vom 22. Dezember 2005 aufzuheben, weil diese unwirksam seien, entsprach das [X.] nicht. Die entsprechende Feststellungsklage hatte keinen Erfolg.

2

Das Finanzgericht (FG) ging in seinem Urteil vom 15. Juli 2010  7 K 14/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1660) zugunsten der Kläger davon aus, dass der Aufhebungsbescheid vom 21. Dezember 2005 erst am 9. Januar 2006 bei den Klägern eingegangen und mit erfolgter Weiterleitung an [X.] wirksam geworden sei. Mithin habe es für einen kurzen Zeitraum ein rechtliches "Nebeneinander" der Zusammenveranlagung mit [X.] vom 5. Oktober 2001 und der getrennten Veranlagungen vom 22. Dezember 2005 gegeben. Dies habe jedoch nicht zur Nichtigkeit der neuen [X.]e wegen Unbestimmtheit oder widersprüchlicher Steuerfestsetzung geführt. Denn aufgrund der maßgeblichen Umstände sowie der in den [X.]en vom 22. Dezember 2005 gegebenen Erläuterungen habe für die Kläger kein Zweifel bestehen können, dass das [X.] nunmehr die Einkommensteuer abschließend geregelt habe und diese [X.]e an die Stelle des ursprünglichen Zusammenveranlagungsbescheides getreten seien. Die Kläger könnten sich nicht auf eine unklare Rechtslage berufen, zumal die getrennte Veranlagung und damit der Erlass neuer [X.]e anstatt lediglich eines geänderten [X.]es auf ihrem Antrag beruhten.

3

Die Frist zur Begründung der von den Klägern erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde wurde antragsgemäß bis 5. November 2010 verlängert. Die Seiten 11 bis 20 der Beschwerdebegründung einschließlich der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten gingen beim [X.] ([X.]) am 6. November 2010 um 00:00 Uhr, die Seiten 1 bis 10 um 00:05 Uhr ein. Die Kläger hingegen machen geltend, laut [X.] habe die erste Übertragung am 5. November 2010 um 23:55 Uhr begonnen und 03:36 Minuten gedauert, die zweite Übertragung habe um 23:59 Uhr begonnen und 03:42 Minuten gedauert. Selbst wenn die Frist aber versäumt wäre, sei ihnen im Hinblick auf den dargelegten körperlichen und geistigen Erschöpfungszustand des Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

4

Mit ihrer Beschwerde machen die Kläger geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) zuzulassen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O).

6

Der Senat kann offen lassen, ob die Kläger die verlängerte [X.] gewahrt haben oder ob ihnen ggf. Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren ist. Soweit die Kläger Zulassungsgründe den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechend dargelegt haben, liegen solche jedenfalls nicht vor.

7

a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen sowie die Darlegung, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 20. März 2006 [X.], [X.], 1320).

8

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerde nicht gerecht. Die Kläger wenden sich mit ihren Ausführungen vielmehr gegen die inhaltliche Richtigkeit der Vorentscheidung und setzen ihre Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des [X.]. Dies vermag die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O jedoch nicht zu begründen.

9

b) Bei dem Erfordernis einer Revisionsentscheidung zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 [X.]O) handelt es sich um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung. In beiden Fällen muss es sich um eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage handeln (z.B. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2006 [X.]/05, [X.], 1653). Eine solche Rechtsfrage haben die Kläger jedoch nicht herausgestellt.

c) Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert vorliegend keine Entscheidung des [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.]O).

aa) Eine Abweichung der Vorentscheidung von einer divergenzfähigen Gerichtsentscheidung, namentlich dem [X.]-Urteil vom 23. August 2000 [X.] ([X.]E 193, 19, [X.] 2001, 662), haben die Kläger nicht dargelegt.

Wird als Zulassungsgrund eine Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.]O geltend gemacht, so muss in der Beschwerdeschrift nicht nur die Entscheidung, von der das Urteil des [X.] abweichen soll, bezeichnet werden. Es muss darüber hinaus aus der Entscheidung des [X.] ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls tragenden abstrakten Rechtssatz der Divergenzentscheidung im Widerspruch stehen kann. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers voneinander abweichenden Rechtssätze sind dabei gegenüberzustellen (vgl. [X.] vom 29. März 1995 [X.]/94, [X.]/NV 1995, 909).

Eine Zulassung unter diesem Gesichtspunkt hätte vorausgesetzt, dass in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze im Urteil des [X.] und in der Divergenzentscheidung so genau bezeichnet worden wären, dass eine Abweichung erkennbar geworden wäre. Dies ist nicht der Fall.

bb) Eine Abweichung der Vorentscheidung von der Rechtsprechung des [X.] liegt auch nicht vor.

Das [X.] ist in seiner Entscheidung ersichtlich von den Rechtsgrundsätzen des [X.]-Urteils in [X.]E 193, 19, [X.] 2001, 662 ausgegangen. Es hat geurteilt, die Bescheide über die getrennte Veranlagung vom 22. Dezember 2005 seien zwar bereits zu einem Zeitpunkt bekannt gegeben worden (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 [X.]), als der denselben Veranlagungszeitraum regelnde Zusammenveranlagungsbescheid vom 5. Oktober 2001 noch nicht ausdrücklich aufgehoben gewesen sei; denn der Aufhebungsbescheid vom 21. Dezember 2005 sei erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam geworden. Gleichwohl seien die Bescheide vom 22. Dezember 2005 nicht nach § 125 Abs. 1 [X.] nichtig, da sie aus der maßgeblichen Sicht der Kläger hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 [X.]) gewesen seien. Denn die Kläger hätten den Regelungsgehalt der Bescheide vom 22. Dezember 2005 nur dahin verstehen können, dass nunmehr diese die verbindliche Steuerfestsetzung enthielten und an die Stelle des [X.] getreten sind.

Danach standen nach Auffassung des [X.] die angegriffenen Bescheide gerade nicht beziehungslos im Sinne des [X.]-Urteils in [X.]E 193, 19, [X.] 2001, 662 neben dem Zusammenveranlagungsbescheid, sondern stellten vielmehr ihr Verhältnis zu diesem klar. Wenn die Kläger der Auffassung sind, das [X.] habe die im [X.]-Urteil in [X.]E 193, 19, [X.] 2001, 662 enthaltenen Rechtsgrundsätze unzutreffend auf den Streitfall angewandt, vermag dies eine Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.]O nicht zu begründen.

cc) Auch ein schwerwiegender Rechtsfehler, der ausnahmsweise die Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.]O gebieten würde, liegt nicht vor.

Ein solcher Fehler ist nicht darin zu erkennen, dass das [X.] in seinem Urteil zunächst von einem rechtlichen "Nebeneinander" des Bescheides vom 5. Oktober 2001 und der Bescheide vom 22. Dezember 2005 ausging, jedoch im Wege der Auslegung der Bescheide vom 22. Dezember 2005 unter Angabe von Gründen zu dem Ergebnis gelangte, dass diese an die Stelle des [X.] getreten sind. Ein Rechtsfehler führt nur dann zur Zulassung der Revision, wenn die Entscheidung des [X.] objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist (vgl. z.B. [X.] vom 1. September 2008 [X.], [X.]/NV 2009, 35, m.w.N.).

Wenn die Kläger meinen, die Vorentscheidung sei im Hinblick auf die Auslegung der Bescheide vom 22. Dezember 2005 mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar, setzen sie sich nicht mit der Tatsache auseinander, dass der Bescheid vom 5. Oktober 2001 gemäß § 164 Abs. 1 [X.] unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen war, die Kläger während einer solchen Vorbehaltsveranlagung Wahlrechte, die an keine Frist gebunden sind, noch ausüben konnten (vgl. [X.]-Urteil vom 3. Februar 1987 [X.]/84, [X.]/NV 1987, 751), und der vorliegend gestellte Antrag auf Änderung der [X.] ein neues Veranlagungsverfahren auslöste (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, [X.]E 206, 201, [X.] 2004, 980). Demgemäß geht die Vorentscheidung ausweislich der Entscheidungsgründe auch ausdrücklich von "neuen" Bescheiden und nicht von [X.] aus.

Meta

III B 155/10

16.08.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 15. Juli 2010, Az: 7 K 14/07, Urteil

§ 119 Abs 1 AO, § 125 Abs 1 AO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.08.2011, Az. III B 155/10 (REWIS RS 2011, 4012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4012

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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13 K 3144/15

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