Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.01.2010, Az. VI R 2/08

6. Senat | REWIS RS 2010, 10156

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Gegenstand

Übernahme von Steuerberatungskosten ist Arbeitslohn - Nettolohnvereinbarung - Ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Kostenübernahme


Leitsatz

Die Übernahme von Steuerberatungskosten für die Erstellung von Einkommensteuererklärungen der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber führt bei Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung zu Arbeitslohn .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Übernahme von Steuerberatungskosten im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung zu Arbeitslohn führt.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beschäftigt u.a. von ihrer Muttergesellschaft aus [X.] entsandte Arbeitnehmer. Mit diesen bestehen Nettolohnvereinbarungen. Danach trägt der Arbeitgeber Steuern und Sozialabgaben für die Arbeitnehmer; diese treten dem Arbeitgeber unwiderruflich alle Erstattungen von Steuern und Sozialabgaben ab. Nach den Feststellungen einer im Jahr 2004 bei der Klägerin durchgeführten [X.] hatte die Klägerin im Jahr 2003 für fünf [X.] Mitarbeiter die Kosten für die Erstellung der Einkommensteuererklärungen 2001 übernommen. Der Prüfer vertrat die Auffassung, insoweit liege steuerpflichtiger Arbeitslohn vor. Von der Nachversteuerung für zwei bereits vor dem Kalenderjahr 2003 ins Ausland verzogene Mitarbeiter wurde abgesehen. Bei den übrigen drei Arbeitnehmern berechnete der Prüfer die [X.] netto zu Lasten des Arbeitgebers (Nettobetrag 1.067,20 €, Lohnsteuer 3.196 €). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) nahm die Klägerin insoweit durch Haftungsbescheid vom 4. Juni 2004 über Lohnsteuer in Höhe von 3.196 € zuzüglich Solidaritätszuschlag in Höhe von 175,78 € sowie wegen weiterer hier nicht streitiger Punkte in Anspruch. Gegen den Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 10. April 2007 wurde die Haftungssumme aus anderen Gründen teilweise herabgesetzt; hinsichtlich der Übernahme der Steuerberatungskosten wies das [X.] den Einspruch als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 545 veröffentlichten Gründen ab.

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

4

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.] vom 5. Dezember 2007  7 K 1743/07 H(L) aufzuheben und den Haftungsbescheid vom 4. Juni 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2007 insoweit abzuändern, als die Klägerin wegen der Übernahme der Steuerberatungskosten für ihre Arbeitnehmer in Haftung genommen wird.

5

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Übernahme der Kosten für die Erstellung der persönlichen Steuererklärungen ihrer [X.] Arbeitnehmer durch die Klägerin zu Arbeitslohn führt und deshalb der angefochtene Haftungsbescheid auch hinsichtlich der auf diese Beiträge entfallenden Lohnsteuer (zuzüglich Annexsteuern) rechtmäßig ist.

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1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Hiervon ist im Streitfall --auch nach übereinstimmender Auffassung der [X.] auszugehen. Insbesondere steht die Ermessensentscheidung des [X.], die Klägerin in Haftung zu nehmen, zu Recht außer Streit.

8

2. Die Übernahme der Steuerberatungskosten für die Erstellung der Steuererklärungen ihrer [X.] Arbeitnehmer durch die Klägerin führt zu Arbeitslohn.

9

a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal "für" ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen.

Ein Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des "ganz überwiegend" eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit [X.] eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber --neben dem eigenbetrieblichen Interesse des [X.] ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (Urteile des [X.] --[X.]-- vom 11. April 2006 [X.], [X.], 574, [X.], 691, m.w.N.; vom 26. Juli 2007 [X.], [X.], 370, [X.], 892; vom 17. Januar 2008 [X.], [X.], 266, [X.] 2008, 378; vom 12. Februar 2009 [X.], [X.], 314, [X.] 2009, 462, m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Übernahme der Steuerberatungskosten für die Steuererklärungen der [X.] Arbeitnehmer durch die Klägerin auch im eigenen Interesse der ausländischen Arbeitnehmer erfolgte und deshalb Arbeitslohn anzunehmen sei. Diese Gesamtwürdigung, die revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar ist (vgl. z.B. [X.] vom 10. Februar 2005 [X.]/04, [X.], 211, [X.] 2005, 488; vom 10. November 2005 [X.], [X.], 530; [X.]-Urteil vom 12. April 2007 [X.], [X.], 1643; in [X.], 314, [X.] 2009, 462; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 30; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 [X.]O Rz 87, m.w.N.), ist möglich; sie lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

aa) Nach den von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] gründet die Übernahme der Steuerberatungskosten auf der zwischen der Klägerin und ihren ausländischen Arbeitnehmern getroffenen Nettolohnabrede. Deshalb --die Klägerin übernimmt nach eigenem Vorbringen die Steuerberatungskosten nur beim Vorliegen solcher [X.] ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das [X.] das ganz überwiegend eigenbetriebliche Interesse an der Kostenübernahme nach den Motiven für den Abschluss der Nettolohnvereinbarung insgesamt bestimmt und nicht nach dem wirtschaftlichen Verbleib der Steuererstattungen im Einzelnen beurteilt.

bb) Auch die Würdigung, dass der Abschluss der [X.] im Streitfall sogar im überwiegenden Interesse der ausländischen Arbeitnehmer liegt, ist frei von [X.]. Dieser Schluss liegt schon deshalb nahe, weil die Nettolohnvereinbarung für den Arbeitgeber unzweckmäßig ([X.], [X.], 13. Aufl. 2009, § 71 Rz 108) und risikobehaftet (Küttner/[X.], [X.] 2009, Stichwort Nettolohnvereinbarung, Rz 1) ist. Dies deshalb, weil der (ausländische) Arbeitnehmer die Lohnkostenbelastung durch Änderung von in seiner Sphäre liegenden individuellen Umständen beeinflussen kann. Außerdem wirken sich Beitragserhöhungen zu Lasten des Arbeitgebers aus. In diesem Fall muss er einen höheren Bruttolohn berechnen, um dem Arbeitnehmer den vereinbarten Nettolohn zu zahlen. Darüber hinaus ist für den Arbeitgeber kalkulatorisch ohne Belang, ob er eine Brutto- oder Nettolohnvereinbarung abschließt. Die Arbeitskosten sind auch bei der Nettolohnabrede ein --wenn auch aus dem Nettolohn hochgerechnetes-- Bruttoentgelt (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2009 [X.], [X.], 219, [X.] 2010, 148).

Den ausländischen Arbeitnehmern hingegen wird mit dem zugesagten Nettolohn eine handhabbare Entscheidungs- und Vergleichsgröße zur Verfügung gestellt, die ihnen erlaubt, den wirtschaftlichen Nutzen des Auslandsaufenthalts zu bewerten. Darüber hinaus muss sich der Arbeitnehmer bei einer Nettolohnabrede weder mit steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einer ausländischen Rechtsordnung noch mit den Fragen grenzüberschreitender Besteuerung befassen. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass sich die Attraktivität der Auslandsvergütung für den Arbeitnehmer nach dem zur Verfügung stehenden Nettolohn bemesse und deshalb üblicherweise bei der Entsendung ins Ausland ein Nettolohn vereinbart werde. Dabei verkennt der Senat nicht, dass vorliegend die [X.] auch im Interesse der Klägerin liegen. Derartige Vereinbarungen dienen im Streitfall der Minimierung von Lohnkosten. Eine Bruttolohnvereinbarung würde bei jeder Veränderung der für die Berechnung des Nettolohns maßgeblichen Größen eine Vertragsanpassung erfordern und wäre daher mit einem administrativen Mehraufwand für die Klägerin verbunden. Gleichwohl vermag dieser Umstand ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klägerin am Abschluss von [X.] nicht zu begründen. Er macht vielmehr deutlich, dass die Nettolohnvereinbarung einerseits auf dem Wunsch der Arbeitnehmer nach Vergleichbarkeit von Inlands- und Auslandsgehalt beruht und andererseits dem Interesse des Arbeitgebers, diesem Wunsch möglichst kostengünstig, leicht administrierbar und flexibel Rechnung zu tragen, dient.

Die vom [X.] auf dieser Grundlage vorgenommene Gewichtung, dass der Abschluss der Nettolohnvereinbarung und damit auch die Übernahme der Steuerberatungskosten durch die Klägerin nicht in ihrem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse, sondern zumindest auch im Eigeninteresse der Arbeitnehmer lag, ist jedenfalls möglich und lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die eigenbetrieblichen Interessen der Klägerin an der Übernahme der streitigen Kosten treten gegenüber dem offenkundigen eigenen Interesse der ausländischen Arbeitnehmer zumindest nicht evident hervor. Die vom [X.] angestellte Gesamtwürdigung ist daher aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

cc) Die [X.] vom 14. August 2001 [X.] ([X.], 500, [X.] 2002, 180 ) vermag das Begehren der Klägerin ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Dort hat der [X.] entschieden, dass eine Entlassungsentschädigung auch dann als steuerbegünstigter Arbeitslohn zu beurteilen ist, wenn in einem späteren Veranlagungszeitraum aus [X.] Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit ergänzende Entschädigungszusatzleistungen (beispielsweise eine Outplacement-Beratung) erbracht werden. Der Umstand, dass sozial motivierte Zusatzleistungen einer Zusammenballung von Einkünften [X.] von §§ 34, 24 Nr. 1 EStG nicht entgegenstehen, erlaubt keinen Schluss, ob vorliegend die Übernahme der Steuerberatungskosten zum Arbeitslohn zu zählen ist.

3. Dass das [X.] die streitbefangene Lohnsteuer nebst Annexsteuern --ungeachtet der Frage des eigenbetrieblichen Interesses-- durch einen Haftungsbescheid festsetzen durfte, ist zwischen den Beteiligten zu Recht ebenso wenig streitig wie die Bemessung der Haftungsschuld selbst.

Meta

VI R 2/08

21.01.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 5. Dezember 2007, Az: 7 K 1743/07 H(L), Urteil

§ 42d Abs 1 Nr 1 EStG 1997, § 41a Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 1997, § 38 Abs 3 S 1 EStG 1997, § 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1997, § 42d Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 41a Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002, § 38 Abs 3 S 1 EStG 2002, § 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.01.2010, Az. VI R 2/08 (REWIS RS 2010, 10156)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10156

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