Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2022, Az. I R 30/18

1. Senat | REWIS RS 2022, 5196

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Gegenstand

Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen


Leitsatz

1. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen, so dass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm eines dieser Abkommen gewährt.

2. Die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA (hier: DBA-Schweiz 1971/2010) wird daher in einer Dreieckskonstellation nicht dadurch beeinträchtigt, dass nach dem mit einem weiteren Staat bestehenden DBA (hier: DBA-Frankreich 1959/2001) das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (als sog. Drittstaateneinkünfte) Deutschland zugewiesen wird.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13.07.2018 - 1 K 42/18 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt über das Besteuerungsrecht der [[X.].] (Deutschland).

2

Die Kläger und [[X.].] (Kläger) sind verheiratet und wurden in den Jahren 2012 und 2013 (Streitjahre) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befand sich in ihrer gemeinsamen Wohnung in Deutschland.

3

Der Kläger war seit dem 01.09.2012 in [X.] ([X.]) als Altenpfleger tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Anlässlich der Aufnahme dieser Tätigkeit bezog er eine Zweitwohnung in [X.], von der aus er arbeitstäglich zu seiner wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte in der [X.] pendelte. Den Arbeitslohn versteuerte der Kläger in [X.]. Die [X.] erhob hierauf keine Steuern.

4

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre setzten die Kläger den Arbeitslohn des [X.] auf Grundlage des Abkommens zwischen der [[X.].] und der [X.]erischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[X.] vom 27.10.2010 ([X.] 2011, 1092, [X.], 513) --DBA-[X.] 1971/2010-- als steuerfreie Einkünfte an.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) folgte dem nicht und unterwarf diese Einkünfte in den Einkommensteuerbescheiden für 2012 und 2013 der inländischen Besteuerung. Die Einsprüche der Kläger blieben erfolglos.

6

Das Finanzgericht (FG) Münster gab der hiergegen gerichteten Klage mit dem Urteil vom 13.07.2018 - 1 K 42/18 E (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1663) statt und änderte die gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Änderungsbescheide vom 02.07.2018 dahin, dass der Arbeitslohn des [X.] gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-[X.] 1971/2010 von der [X.] Besteuerung freigestellt und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterworfen wurde. Die Voraussetzungen der nationalen Rückfallklausel gemäß § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) seien nicht erfüllt. Des Weiteren könne sich das [X.] nicht auf Art. 18 des Abkommens zwischen der [[X.].] und der [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom [X.] ([X.] 1961, 398, BStBl I 1961, 343) i.d.F. des [X.] vom 20.12.2001 ([X.] 2002, 2372, [X.], 892) --DBA-[X.] 1959/2001-- berufen. Für sog. [X.] sehe diese Vorschrift zwar grundsätzlich ein Besteuerungsrecht des [X.] vor. Wegen der [X.] dürfe dieses Besteuerungsrecht aber nicht ohne Rücksicht auf das DBA-[X.] 1971/2010 ausgeübt werden.

7

Das [X.] macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und hat schriftlich sinngemäß beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

9

Das [X.] ([X.]) ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetreten, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, obwohl für das [X.] --wie angekündigt-- zur mündlichen Verhandlung aus Krankheitsgründen kein [X.] erschienen ist. In der Ladung ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 91 Abs. 2 [X.]O). Den Antrag auf Terminsverlegung vom [X.] hat das [X.] nach telefonischer Rücksprache mit dem Senatsvorsitzenden zurückgenommen.

III.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der in [X.] erzielte Arbeitslohn des [X.] gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d [X.] 1971/2010 von der [X.] Besteuerung freizustellen ist und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterliegt. Weder § 50d Abs. 8 und Abs. 9 Satz 1 EStG noch Art. 18 [X.] 1959/2001 führen zu einem anderen Ergebnis.

1. Die Kläger sind aufgrund ihrer inländischen Wohnung unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 der Abgabenordnung --AO--). Daraus folgt, dass der Kläger aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG erzielte. Da er seine Tätigkeit in [X.] ausübte, sind diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d [X.] 1971/2010 von der [X.] Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 [X.] 1971/2010).

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unilateralen Rückfallklausel sind nicht erfüllt. Dies gilt sowohl für § 50d Abs. 8 EStG als auch für § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG.

a) Ein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 EStG scheidet bereits deshalb aus, weil im Streitfall feststeht, dass die [X.] hinsichtlich der streitigen Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) auf ihr durch das [X.] 1971/2010 zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet hat und dadurch ein Ausnahmetatbestand i.S. des § 50d Abs. 8 EStG vorliegt.

Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) zum Einkommensteuerrecht [X.] ist der Arbeitslohn des [X.] aus seiner Tätigkeit als Altenpfleger grundsätzlich in [X.] zu besteuern. Diese Besteuerung entfällt nur deshalb, weil die Grenzpendlerregelung nach dem Abkommen zwischen [X.] und [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht ([X.]/[X.]) das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn des [X.] [X.] zuweist. In dieser abkommensrechtlichen Regelung liegt ein Besteuerungsverzicht [X.] i.S. des § 50d Abs. 8 EStG (vgl. auch [X.]/[X.]/[X.], Betriebs-Berater 2015, 2518, 2520; [X.], [X.] --[X.]-- 2019, 60, 62).

b) Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG sind ebenfalls nicht erfüllt. Die Nichtbesteuerung in [X.] ist keine Folge der Anwendung und Auslegung des [X.] 1971/2010 durch die [X.], sondern der Zuweisung des [X.] durch die Grenzpendlerregelung des [X.]/[X.].

c) Schließlich ist das [X.] auch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass ein Besteuerungsrückfall gemäß § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht in Betracht kommt.

aa) Diese Vorschrift setzt voraus, dass Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ([X.]) von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer auszunehmen sind und diese Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht aufgrund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist.

bb) Wie bereits ausgeführt, ist der Arbeitslohn des unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen [X.] nach dem [X.] 1971/2010 in [X.] unter Progressionsvorbehalt freizustellen. Dadurch sind diese Einkünfte i.S. des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer "auszunehmen". Dass die Verteilungsnorm des Art. 15 Abs. 1 [X.] 1971/2010 für den Streitfall ein Besteuerungsrecht beider [X.] vorsieht und die Freistellung in [X.] erst durch den [X.] erfolgt, kann daran nichts ändern (vgl. Senatsbeschluss vom 25.05.2016 - I B 139/11, [X.], 1453, zur Gleichstellung von Verteilungsnorm und [X.] im Rahmen des § 50d Abs. 8 EStG; zustimmend z.B. [X.], Internationales Steuerrecht --IStR-- 2016, 816, 817; im Ergebnis auch Senatsurteil vom 21.01.2016 - I R 49/14, [X.], 115, [X.], 107). In beiden Fällen besteht die Rechtsfolge im Ergebnis darin, dass die Einkünfte von der inländischen Besteuerung ausgenommen werden.

Allerdings entfällt die Besteuerung in [X.] nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) zum Einkommensteuerrecht [X.] nicht allein deshalb, weil der Kläger in [X.] nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Vielmehr unterliegt der Arbeitslohn des [X.] aus seiner in [X.] ausgeübten Tätigkeit als Altenpfleger sowohl im Fall der unbeschränkten als auch im Fall der beschränkten Steuerpflicht einer [X.]erischen Besteuerung. Diese Besteuerung wird lediglich durch die Grenzpendlerregelung des [X.]/[X.] ausgeschlossen. Abkommensrechtliche Vorschriften sind aber grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn ein Steuerpflichtiger in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz hat und dort unbeschränkt steuerpflichtig ist, d.h. im Streitfall auch dann, wenn der Kläger einen (weiteren) Nebenwohnsitz in [X.] gehabt hätte. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Grenzpendlerregelung des [X.]/[X.] auf § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG ausstrahlt. Nach dem Wortlaut des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG ("nur deshalb") reicht die Steuerbefreiung aufgrund des [X.]/[X.] nicht aus, um einen Rückfall zu begründen (vgl. auch [X.] in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 50d Rz 41d).

d) Ob und inwieweit § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG sowie die rückwirkende Regelung des Verhältnisses von § 50d Abs. 9 EStG zu § 50d Abs. 8 EStG (§ 50d Abs. 9 Satz 3 i.V.m. § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG i.d.[X.] zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften --Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz-- vom 26.06.2013, [X.], 1809, [X.], 802) mit dem Grundgesetz vereinbar sind, kann unter diesen Umständen dahinstehen (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats vom 20.08.2014 - I R 86/13, [X.], 486, [X.], 18, anhängig beim [X.] unter dem [X.]. 2 BvL 21/14).

3. Darüber hinaus ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass auch die abkommensrechtliche Dreieckskonstellation eine Besteuerung in [X.] nicht rechtfertigt.

a) Die Dreieckskonstellation ergibt sich im Streitfall daraus, dass der Kläger sowohl in [X.] als auch in [X.] einen Wohnsitz hat, seine Einkünfte aber aus dem Quellenstaat [X.] bezieht. Bei isolierter Betrachtung der jeweiligen [X.] steht das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nach dem [X.] 1971/2010 dem Quellenstaat [X.], nach dem [X.]/[X.] [X.] (Grenzpendlerregelung) und nach dem [X.] 1959/2001 [X.] zu.

Letzteres folgt daraus, dass der Kläger aufgrund seiner beiden Wohnsitze sowohl in [X.] als auch in [X.] ansässig ist (Doppelansässigkeit), der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nach den Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) aber in [X.] liegt. Nach der [X.] des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa [X.] 1959/2001 ist somit [X.] als Ansässigkeitsstaat anzusehen, dem nach Art. 18 [X.] 1959/2001 das Besteuerungsrecht für sog. [X.] (hier: Arbeitslohn aus [X.]) zusteht. Dagegen findet Art. 13 [X.] 1959/2001 auf [X.] keine Anwendung (Senatsurteil vom 16.01.2019 - I R 66/17, [X.], 1067, m.w.[X.]; [X.]/Schade, [X.], 345, 347; a.A. [X.], [X.], 60, 61).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] kann die Zuweisung des [X.] an [X.] durch das [X.] 1959/2001 die Steuerfreistellung für den Arbeitslohn des [X.] nach dem [X.] 1971/2010 nicht aufheben.

aa) Wie der Senat in seinem Beschluss vom 04.11.2014 - I R 19/13 ([X.], 333) --vgl. auch Senatsurteil vom 10.10.2018 - I R 67/16 ([X.], 394)-- entschieden hat, betreffen die Regelungen zur Abkommensberechtigung doppelt ansässiger Personen stets nur die Vertragsstaaten des jeweiligen bilateralen [X.]. Eine sich auf andere [X.] erstreckende "abkommensübergreifende" Wirkung kommt diesen Normen nicht zu. Dies wird durch das [X.] über das Recht der Verträge vom [X.] --[X.]-- ([X.] 1985, 927), das seit Inkrafttreten des [X.] vom 03.08.1985 ([X.] 1985, 926) am [X.] ([X.] 1987, 757) in innerstaatliches Recht transformiert ist (Senatsbeschluss vom 13.07.2021 - I R 63/17, [X.]NV 2022, 55, m.w.[X.]), bestätigt ([X.], [X.] --[X.]-- 2015, 112, 113). Denn nach Art. 34 [X.] begründet ein Abkommen für einen [X.] ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte.

Entsprechendes muss auch für die Verteilungsnormen der jeweiligen [X.] gelten. Daraus folgt, dass die Verteilungsnormen der von [X.] abgeschlossenen Abkommen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinanderstehen und jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen sind.

bb) Aus der Sicht eines Steuerpflichtigen reicht es somit aus, wenn er nach einem der von [X.] abgeschlossenen Abkommen --wie im Streitfall nach dem [X.] 1971/2010-- die Voraussetzungen einer Freistellung der Einkünfte von der inländischen Besteuerung erfüllt. Soweit es sich um ein- und dieselben Einkünfte handelt, kann diese Freistellung nicht durch die abweichende Zuweisung des [X.] in einem anderen Abkommen aufgehoben werden.

Hierzu bedarf es weder der Auflösung einer Konkurrenz im Sinne der Bestimmung des Vorrangs eines Abkommens noch --wie vom [X.] angenommen-- der Beschränkung des durch ein Abkommen zugewiesenen [X.] mit Rücksicht auf die Regelungen eines anderen Abkommens (zu den unterschiedlichen Herangehensweisen vgl. auch [X.]/[X.], [X.], 500, 503 ff.). Vielmehr reicht die Erkenntnis, dass die abkommensrechtlichen Regelungen der von [X.] abgeschlossenen Abkommen gleichberechtigt und unabhängig nebeneinander gelten und für den Steuerpflichtigen als potentielle Grundlage für die Befreiung oder Beschränkung der inländischen Besteuerung zur Verfügung stehen. Dadurch kann sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen, die ihm eines dieser Abkommen gewährt. Soweit es im Einzelfall zu einer Nichtbesteuerung kommt, kann dies nur durch besondere abkommensrechtliche oder unilaterale Vorkehrungen verhindert werden (s.a. [X.]/[X.], [X.] 2019, 185). Für den Streitfall sieht das [X.] 1971/2010 aber keine entsprechende [X.] vor. Auch die Voraussetzungen der unilateralen [X.] sind --wie bereits unter Ziffer 2. ausgeführt-- nicht erfüllt.

cc) Nach diesen Maßgaben ist das [X.] rechtsfehlerfrei der in der Literatur vertretenen Auffassung gefolgt, dass bei abkommensrechtlichen Dreieckskonstellationen, in denen [X.] --wie im [X.] auch mit dem [X.] (hier: [X.]) ein [X.] abgeschlossen hat und das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte danach dem [X.] zugewiesen wird, die Ausübung des aus einem anderen Abkommen folgenden [X.] für [X.] ausgeschlossen ist ([X.] in [X.], [X.]/[X.], 3. Aufl., Art. 21 [X.] Rz 40; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. 21 Rz 65; Rust in [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., Art. 21 Rz 35; [X.]/[X.] in [X.] [X.] Art. 21 Rz 54). Dass eine Besteuerung durch den Staat des Hauptwohnsitzes (hier: [X.]) als sachnäher angesehen werden könnte als eine Besteuerung durch den Staat des [X.] (hier: [X.]), wenn der [X.] (hier: [X.]) sein als Quellenstaat zustehendes Besteuerungsrecht nicht ausübt, trägt kein abweichendes Ergebnis.

Des Weiteren kann sich das [X.] auch insoweit nicht darauf berufen, dass die Besteuerung des Arbeitslohns des [X.] erst nach dem [X.] des [X.] 1971/2010 von [X.] freizustellen ist, während die Verteilungsnorm des Art. 15 Abs. 1 [X.] 1971/2010 ein Besteuerungsrecht beider [X.] vorsieht. Allein maßgebend ist, dass das [X.] 1971/2010 im Ergebnis eine Freistellung des Arbeitslohns in [X.] unter Progressionsvorbehalt vorsieht.

Die Regelungen zu Rück- und Weiterverweisungen ([X.]) im [X.] lassen --entgegen der Auffassung des BMF-- keine abweichenden Schlüsse zu. Dies folgt bereits daraus, dass Art. 4 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) die Verweisung auf das Recht eines anderen Staates betrifft. Dagegen gehören die von [X.] abgeschlossenen [X.] aufgrund der entsprechenden Zustimmungsgesetze (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) zum unmittelbar anwendbaren innerstaatlichen Recht (§ 2 Abs. 1 AO). Außerdem besteht nicht das einzelne Besteuerungsrecht, das durch andere [X.] --gegebenenfalls sogar "im Kreis"-- weiterverwiesen werden kann, sondern die Besteuerungsrechte werden in den Abkommen jeweils nur bilateral zugewiesen. Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen können daher nur durch besondere abkommensrechtliche oder unilaterale Regelungen, nicht aber durch Art. 4 EGBGB --auch nicht durch eine entsprechende Anwendung der dort geregelten [X.] gelöst werden.

dd) Auf die Erwägungen zu Art. 4 Abs. 1 Satz 2 des Musterabkommens der [X.] ([X.] --[X.]--) in Nr. 8.2 des [X.] zu Art. 4 [X.] (vgl. hierzu Ismer/[X.] in [X.]/[X.], a.a.O., Art. 4 Rz 121a; [X.] in [X.]/[X.], a.a.O., Art. 4 Rz 60; [X.], [X.] 2015, 112, 113 f.; jeweils m.w.[X.]) muss im Streitfall schon deshalb nicht eingegangen werden, weil der Kläger (auch) nach der [X.] des [X.] 1959/2001 in [X.] ansässig ist.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 30/18

01.06.2022

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 13. Juli 2018, Az: 1 K 42/18 E, Urteil

§ 50d Abs 8 EStG 2009, § 50d Abs 9 EStG 2009, Art 2 Abs 1 Nr 4 Buchst b DBA FRA, Art 13 DBA FRA, Art 18 DBA FRA, Art 15 Abs 1 DBA CHE, Art 24 Abs 1 Nr 1 Buchst d DBA CHE, Art 4 BGBEG, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2022, Az. I R 30/18 (REWIS RS 2022, 5196)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5196

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