Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 20.04.2023, Az. I ZR 108/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 2270

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EUGH VORLAGE BIOZIDPRODUKT BIOZIDVERORDNUNG

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Gegenstand

Vorlagefrage an EuGH zur Zulässigkeit der Bewerbung eines Desinfektionsmittels mit hautfreundlichen Eigenschaften - Hautfreundliches Desinfektionsmittel


Leitsatz

Hautfreundliches Desinfektionsmittel

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. L 167 vom 27. Juni 2012, S. 1) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind "ähnliche Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter "ähnliche Hinweise" alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] wird zur Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 528/2012 des [X.] und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten ([X.]. L 167 vom 27. Juni 2012, [X.]) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind "ähnliche Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter "ähnliche Hinweise" alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?

Gründe

1

I. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren [X.] e.V. Die Beklagte ist eine bundesweit operierende Drogeriemarktkette.

2

Die Beklagte bot ein Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung "BioLYTHE" in der nachstehend abgebildeten Aufmachung in ihren Filialen und - unter Abbildung des Produkts samt Etikett sowie mit weiteren textlichen Angaben einschließlich einer "Produktbeschreibung" - im [X.] zum Verkauf an. Das Produkt enthält Natriumhypochlorit (NaCIO) in einer Konzentration von 0,049 Gewichtsprozent. Dabei handelt es sich um ein Oxidationsmittel, das Sauerstoff abspaltet beziehungsweise freisetzt, welcher die Zellmembranen von Bakterien, [X.] und Pilzen dahin beeinträchtigt, dass sie dem osmotischen Druck nicht mehr standhalten können.

Abbildung

3

Das in den folgenden Abbildungen jeweils ausschnittsweise vergrößert gezeigte Etikett trägt unter der Produktbezeichnung die - auch in der Produktbeschreibung auf der [X.]seite der Beklagten enthaltene - Angabe "Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel" sowie unter dem Text "Haut-, Hände- und Oberflächendesinfektion" und "Wirksam gegen [X.]" die Angaben "Hautfreundlich Bio ohne Alkohol".

Abbildung

Abbildung

4

Die Klägerin meint, die Werbung sei unlauter, weil die Beklagte damit [X.] der Verordnung ([X.]) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von [X.]en ([X.]) zuwiderhandle. Nach erfolgloser Abmahnung hat sie beantragt,

die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Desinfektionsmittel, insbesondere "BioLYTHE", als "ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel" und/oder "Hautfreundlich" und/oder "Bio", in der Werbung (auch im [X.]) oder auf dem Produktetikett zu bezeichnen oder zu vertreiben (jeweils selbst oder durch Dritte).

5

Sie hat außerdem die Erstattung einer Abmahnkostenpauschale nebst Zinsen verlangt.

6

Das [X.] hat der Klage stattgegeben ([X.], Urteil vom 25. März 2021 - 14 O 61/20 KfH, juris). Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil insoweit teilweise abgeändert, als es den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage "Hautfreundlich" abgewiesen hat (O[X.], [X.], 1620). Mit ihrer vom Berufungsgericht im Umfang der Teilklageabweisung zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage "Hautfreundlich" weiter.

7

II. Der Erfolg der zulässigen Revision hängt davon ab, wie der Begriff der in einer Werbung für [X.]e verbotenen "ähnlichen Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von [X.]en ([X.]) auszulegen ist. Diese Frage ist entscheidungserheblich, war noch nicht Gegenstand einer Auslegung durch den [X.] und die richtige Auslegung des [X.]srechts ist nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 2021 - [X.]/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] - [X.] und [X.]). Vor einer Entscheidung über die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 A[X.]V eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen.

8

1. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren relevant - den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Bezeichnung des Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" für unbegründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

9

Die Klägerin sei anspruchsberechtigt nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die beanstandete geschäftliche Handlung sei nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 [X.] als unlautere Handlung unzulässig, weil die Beklagte nicht [X.] dieser Bestimmung sei. Die Beklagte habe mit der angegriffenen Verwendung der Bezeichnung "Hautfreundlich" für ein Desinfektionsmittel auch nicht gegen Art. 72 Abs. 3 [X.] verstoßen. Die Angabe "Hautfreundlich" sei kein "ähnlicher Hinweis" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.]. Sie sei auch nicht irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.].

2. Die Klägerin ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum 30. November 2021 geltenden Fassung (vgl. § 15a Abs. 1 UWG) klagebefugt. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine Zuwiderhandlung der Beklagten gegen Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 [X.] nicht in Betracht kommt, weil die Beklagte nicht [X.] dieser Bestimmung ist, die sich an Zulassungsinhaber im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. p [X.] richtet. Die Klägerin behauptet nicht, dass die Beklagte darunterfällt.

3. Der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] stellt eine nach § 3a UWG unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige geschäftliche Handlung dar, die wegen der hier vorliegenden Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG begründen kann.

a) Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] darf die Werbung für ein [X.] auf keinen Fall die Angaben "[X.] mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.

b) Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. Sie ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Das Ziel der [X.] nach ihrem Art. 1 Abs. 1 ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von [X.]en bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen der Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] enthält Regelungen zur Werbung für [X.]e, mit denen Verharmlosungen der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt oder seiner Wirksamkeit unterbunden werden sollen (vgl. [X.]/[X.]/Kerl, 19. Edition [Stand 1. Januar 2023], § 3a Rn. 195 mwN). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] dient damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher.

c) Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des [X.] sind Verstöße gegen [X.], die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. [X.], Beschluss vom 24. März 2016 - I ZR 243/14, [X.], 833 [juris Rn. 11] = WRP 2016, 858 - [X.], mwN). Bei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] handelt es sich um eine solche (auch) dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelung.

d) Der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/[X.] über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/[X.]). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der [X.] oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist eine solche Rechtsvorschrift.

4. Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit den Parteien mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den vom Antrag erfassten Desinfektionsmitteln um [X.]e im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a [X.] handelt, also um einen Stoff oder ein Gemisch, der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu bekämpfen. Die beanstandeten Angaben sind auch Teil der von Art. 72 [X.] geregelten Werbung (vgl. die Legaldefinition des Ausdrucks "Werbung" in Art. 3 Abs. 1 Buchst. y [X.]).

5. Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend und von der Revision unbeanstandet angenommen, dass es für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] auch hinsichtlich der Variante "ähnliche Hinweise" nicht auf eine Irreführung ankommt.

a) Die Regelung in Art. 72 Abs. 3 [X.] überträgt die ebenfalls im Abschnitt "Informationen über [X.]e" enthaltene, an die Etikettierung durch den Zulassungsinhaber gestellten Anforderungen aus Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 [X.] sinngemäß auf die Werbung. Nach Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 [X.] stellen die Zulassungsinhaber sicher, dass das Etikett hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit nicht irreführend ist und keinesfalls Angaben wie "[X.] mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthält. Art. 72 Abs. 3 [X.] enthält eine vergleichbare Regelung für das Gebiet der Werbung und schreibt in Satz 1 vor, dass in der Werbung für [X.]e das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden darf, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Nach der - hier in Rede stehenden - Regelung in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] darf die Werbung für ein [X.] auf keinen Fall die Angaben "[X.] mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.

b) Damit untersagen beide Regelungen zunächst eine irreführende Darstellung auf dem Etikett (Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Fall 1 [X.]) beziehungsweise in der Werbung (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Daneben verbieten beide Regelungen im Einzelnen aufgeführte Angaben sowie "ähnliche Hinweise" (für die Etikettierung Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Fall 2 [X.]; für die Werbung Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.]). Dieses unbedingt angeordnete Verbot - "keinesfalls" bzw. "auf keinen Fall" - bestimmter Angaben besteht unabhängig davon, ob diese einen irreführenden Charakter im Sinne von Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Fall 1 beziehungsweise Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.] haben. Für die Variante "ähnliche Hinweise" in beiden Regelungen, die das unbedingte Verbot auf Angaben erstreckt, die im Vergleich zu den vorangestellten Beispielen als "ähnliche Hinweise" anzusehen sind, gilt insoweit nichts Besonderes.

6. Der Unterlassungsanspruch bezüglich der Bezeichnung des Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" ist nur begründet, wenn diese Angabe als "ähnlicher Hinweis" unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] fällt. Für den Erfolg der Revision kommt es deshalb darauf an, was unter "ähnlichen Hinweisen" zu verstehen ist.

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, unter den Begriff "ähnliche Hinweise" fielen nicht nur solche Angaben, die mit den in der Vorschrift einzeln aufgezählten Angaben inhaltlich übereinstimmten. Der Begriff solle insbesondere solche, gegebenenfalls inhaltlich abweichenden Angaben erfassen, deren hinweisender Gehalt (nur) in der Weise ähnlich sei, dass sie ausgehend vom Schutzzweck des Verbots [X.], indem ihr Sinngehalt die charakteristischen Züge teile, die dem [X.] der Verordnung hinsichtlich der ausdrücklich genannten Begriffe zugrunde lägen. Den in der Verordnung aufgezählten Begriffen sei gemein, dass sie die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit mit einer pauschalen Angabe verharmlosten. Als "ähnlich" vom Verbot erfasst seien danach Hinweise auf die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit, die in ihrer pauschalen Verharmlosung den beispielhaft genannten Angaben gleichstünden. Zur Feststellung des generalisierenden Gehalts des Hinweises, der den [X.] kennzeichne, genüge es noch nicht, wenn der in Rede stehende Hinweis sich einer der beispielhaft genannten Angaben in der Weise zuordnen lasse, dass letztere den Oberbegriff bilde.

Danach falle die Angabe "Hautfreundlich" nicht als "ähnlicher Hinweis" unter Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] und zwar unabhängig davon, ob der Verkehr eine (unmittelbare) positive Wirkung, eine bloße Unschädlichkeit oder lediglich eine Begrenzung des Risikopotenzials für die Haut erwarte. Die Angabe "Hautfreundlich" relativiere das Risikopotenzial des Produkts oder seiner Wirkungen und deren Schädigungseignung weder allgemein (wie "[X.] mit niedrigem Risikopotenzial", "unschädlich", "ungiftig") noch wenigstens speziell hinsichtlich eines der Schutzgüter umfassend (Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt) in pauschaler Weise. Sie beschreibe vielmehr - wenn auch insoweit sehr allgemein - die Produktwirkung auf ein spezifisches Organ, nämlich die Haut des Menschen.

Der Senat hält diese Sichtweise für zutreffend.

b) Allein anhand des Wortlauts des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] lässt sich die Frage, was unter "ähnliche Hinweise" zu verstehen ist, nicht beantworten. Das Berufungsgericht ist nach Auffassung des Senats allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass es sich dabei nicht nur um zu den konkret genannten verbotenen Aussagen synonyme Angaben handelt. Dafür spricht der Begriff "ähnlich", der gerade nicht nur inhaltlich identische Angaben umfasst; vielmehr ist eine bloße "Ähnlichkeit" zu den konkret genannten Angaben ausreichend.

c) [X.]. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] sowie das Zusammenspiel mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.] sprechen für die Auffassung des Berufungsgerichts.

aa) Aus den Erwägungsgründen 1 und 3 [X.] geht hervor, dass der [X.]sgesetzgeber den freien Verkehr von [X.]en und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich bringen wollte. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 72 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 3 [X.] ergibt, dass der Bereich der Angaben über die mit der Verwendung von [X.]en verbundenen Risiken, die in der Werbung für diese Erzeugnisse verwendet werden dürfen, vom [X.]sgesetzgeber vollständig harmonisiert wurde ([X.], Urteil vom 19. Januar 2023 - [X.]/21, [X.], 354 [juris Rn. 64 f.] - [X.] u.a.).

bb) In Art. 72 Abs. 3 [X.] hat der [X.]sgesetzgeber neben dem [X.] in Satz 2 (nur) einzelne Angaben für in jedem Fall unzulässig erklärt. Das Berufungsgericht ist deshalb nach Auffassung des Senats zutreffend davon ausgegangen, dass die Verordnung nicht schlechthin Angaben - unabhängig von ihrem am [X.] zu messenden Wahrheitsgehalt - verhindern will, die sich mit dem Vorhandensein und gegebenenfalls Ausmaß oder Fehlen bestimmter Gefahren, Wirkungen des Produkts hinsichtlich Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder dessen Wirksamkeit befassen. Die Regelung in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] lässt auch nicht erkennen, dass sie von den erlaubten - insbesondere nicht irreführenden - Angaben sämtliche, also auch substantiierte spezifische Hinweise ausnehmen will, die sich auf fehlende oder geringe Risiken oder gar günstige Wirkungen des Produkts in bestimmter Hinsicht beziehen. Mit dem Berufungsgericht geht der Senat davon aus, dass dies für eine Auslegung des Merkmals "ähnliche Hinweise" dahin spricht, dass sämtliche den beispielhaften Begriffen der Aufzählung gemeinsamen Eigenschaften, also nicht nur deren verharmlosender Gehalt, sondern gerade auch deren Pauschalität, maßgeblich sind.

cc) Unter Berücksichtigung des umfassenden, dem Gesundheitsschutz dienenden [X.]s in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.] wird eine solche Auslegung durch das von der [X.] verfolgte Ziel gestützt, den freien Verkehr von [X.]en - einschließlich der Werbung dafür - und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich zu bringen. Mit Blick auf dieses Ziel ist auch zu berücksichtigen, dass pauschale Angaben regelmäßig keinen oder allenfalls einen geringen Informationswert für Verbraucher haben; dagegen liefern substantiierte spezifische Hinweise dem Verbraucher unter Umständen wertvolle und nützliche Informationen. Ein solches Informationsinteresse der Verbraucher muss nach Auffassung des Senats in den von der [X.] angestrebten Ausgleich zwischen dem freien Verkehr von [X.]en und einem hohen Schutzniveau für Gesundheit und Umwelt einbezogen werden.

dd) Diese Auslegung führt nach Ansicht des Senats nicht zu einer Verharmlosung der Risikopotenziale von [X.]en, einem damit verbundenen weniger kritischen Einsatz des Produkts und einer damit wiederum einhergehenden Gesundheits-, Tier- oder Umweltgefährdung.

(1) Gerade weil die Angaben, die nach Auffassung des Senats nicht unter "ähnliche Hinweise" fallen, das [X.] nicht pauschal verharmlosen, sondern sich (nur) auf spezifische Aspekte des Produkts beziehen und damit denkbare schädliche Nebenwirkungen nicht negieren, besteht keine Gefahr, dass der Verkehr bei Hinweisen dieser Art die grundsätzliche Gefährlichkeit des [X.]s aus den Augen verliert.

(2) Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Verkehrsverständnis unterscheidet der Verkehr zwischen der Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels im Allgemeinen und dessen einzelnen [X.]. Er entnimmt dem Attribut "Hautfreundlich" im Zusammenhang mit einem Desinfektionsmittel, dessen Wirkung bestimmungsgemäß gegen die Integrität bestimmter Organismen gerichtet ist und das herkömmlicherweise nicht wegen einer unmittelbar gesundheitsförderlichen Wirkung seiner Inhaltsstoffe angewendet wird, nur eine Relativierung schädlicher Nebenwirkungen. Damit besteht auch nicht die Gefahr, dass Verbraucher ein Biozid weniger kritisch einsetzen, weil sie einen (nicht irreführenden) spezifischen, auf das Produkt bezogenen Hinweis erhalten.

Dieses Verkehrsverständnis wird gestützt durch die Kennzeichnungspflicht gemäß Art. 72 Abs. 1 Satz 1 [X.], wonach jeder Werbung für [X.]e der Hinweis hinzuzufügen ist

[X.]e vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen.

Diese Sätze müssen sich nach Art. 72 Abs. 1 Satz 2 [X.] von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein. Die Gefährlichkeit des [X.]s wird dem Verkehr damit in jedem Fall deutlich vor Augen geführt.

(3) Für die hier befürwortete Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] spricht ferner, dass die dort genannten Angaben einem von einer Irreführungsgefahr unabhängigen Totalverbot unterliegen. Dieses partielle Totalverbot wird von dem in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.] verankerten [X.] flankiert, nach dem ein [X.] in der Werbung nicht in einer Art und Weise dargestellt werden darf, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. In einer Gesamtschau wirkt die Regulierung der Werbung für [X.]e in Art. 72 Abs. 3 [X.] deshalb auch bei der vom Senat befürworteten Auslegung der Variante "ähnliche Hinweise" in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] der Gefahr entgegen, dass der Absatz von [X.]en mit Werbetexten gefördert wird, welche die den Produkten inhärente Schädigungseignung in den Hintergrund rücken und nur auf einzelne Merkmale des Produkts abstellen.

7. Die Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist entscheidungserheblich. Die Klägerin kann ihren Unterlassungsanspruch wegen der Werbung mit der Bezeichnung "Hautfreundlich" für das Desinfektionsmittel nicht auf einen Verstoß gegen das [X.] in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 [X.] stützen.

a) Das Berufungsgericht hat angenommen, der durchschnittlich informierte und verständige Durchschnittsverbraucher verstehe die Bezeichnung des Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" dahin, dass dessen Anwendung auf der Haut diese in irgendeiner Weise in nicht näher bestimmtem Ausmaß schone, ohne notwendig jede Hautschädigung zu vermeiden. Insbesondere eine die Hautgesundheit unmittelbar (fördernde) Wirkung der Inhaltsstoffe des Produkts schließe er daraus nicht. Ohne weitere Anhaltspunkte verstehe der Verbraucher die "Freundlichkeit" lediglich dahin, dass das Produkt auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden seiner Haut Rücksicht nehme, beispielsweise - relativ - mehr, als dies bei funktional entsprechenden Produkten der Fall sein möge. Gerade mit Blick auf die Angabe für ein Desinfektionsmittel entnehme der Verkehr dem Attribut "Hautfreundlich" nur eine Relativierung schädlicher Nebenwirkungen. Dass die tatsächlichen Verhältnisse von diesem Verkehrsverständnis abwichen, zeige die insoweit darlegungsbelastete Klägerin nicht auf. Diese Beurteilung weist keine Rechtsfehler auf.

b) Die Ermittlung der Verkehrsauffassung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob das Berufungsgericht den Tatsachenstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft hat und die Beurteilung mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen in Einklang steht. Da es sich nicht um eine Tatsachenfeststellung im eigentlichen Sinn, sondern um die Anwendung spezifischen Erfahrungswissens handelt, kann ein Rechtsfehler auch darin bestehen, dass die festgestellte Verkehrsauffassung [X.] ist ([X.], Urteil vom 11. Februar 2021 - [X.], [X.], 746 [juris Rn. 43] = WRP 2021, 604 - Dr. Z.).

c) Solche Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Insbesondere ist es zutreffend davon ausgegangen, dass für die Bestimmung des Inhalts der Werbeaussage das Verständnis des durchschnittlich informierten, [X.] aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten maßgeblich ist (vgl. [X.], Urteil vom 5. November 2020 - [X.], [X.], 513 [juris Rn. 11] = WRP 2021, 327 - Sinupret). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Berufungsgericht die besonders strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage bei gesundheitsbezogener Werbung (vgl. dazu [X.], Urteil vom 6. Februar 2013 - [X.], [X.], 649 [juris Rn. 15] = WRP 2013, 772 - [X.] mit Gewichtsvorteil, mwN) nicht hinreichend berücksichtigt hätte. Insbesondere hat es eine Gesamtwürdigung vorgenommen, in die es Art und Bedeutung der angebotenen Ware einbezogen hat.

Soweit die Revision unter Hinweis auf die landgerichtliche Entscheidung die Auffassung vertritt, der Verbraucher schließe aus der Bezeichnung "Hautfreundlich" auf eine hautpflegende Wirkung, zumindest aber gehe er davon aus, es handle sich um ein harmloses Produkt, so dass eine Irreführung vorliege, die zu einer Gesundheitsgefährdung führen könne, versucht sie lediglich, die Würdigung des Tatgerichts durch ihre eigene zu ersetzen, ohne einen Rechtsfehler darzulegen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, dass eine Irreführung selbst dann nicht vorläge, wenn die Angabe "Hautfreundlich" dahin verstanden würde, dass die Anwendung des Desinfektionsmittels ohne die Gefahr eines Nachteils für die Hautgesundheit sei. Die Klägerin habe keine Umstände dargelegt, wonach dies beim beworbenen Produkt der Wirklichkeit widerspräche.

Koch     

  

Schwonke     

  

Feddersen

  

Schmaltz     

  

Wille     

  

Meta

I ZR 108/22

20.04.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 8. Juni 2022, Az: 6 U 95/21, Urteil

Art 72 Abs 3 S 1 EUV 528/2012, Art 72 Abs 3 S 2 EUV 528/2012

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 20.04.2023, Az. I ZR 108/22 (REWIS RS 2023, 2270)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2270

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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