Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.12.2014, Az. 2 StR 239/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 586

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Gegenstand

Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung: Beweiswürdigung hinsichtlich der vorsätzlichen Abgabe eines Schusses aus einer Pistole


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstlade-kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s suchte der Angeklagte, der eine geladene Pistole mitführte, am 21. Juni 2012 kurz vor 02.00 Uhr die Gaststätte [X.].                in [X.]     auf und unterhielt sich mit dem Geschädigten. Aus unbekannten Gründen kam es zu einem Streit, bei dem der Geschädigte versuchte, dem Angeklagten „über den Tisch hinweg einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen". Der Angeklagte zog darauf die Pistole, entsicherte sie und lud sie durch; dann richtete er die Waffe drohend auf den Geschädigten. Anschließend schlug er diesem mit dem Pistolengriff - so die Einlassung - oder mit einem Aschenbecher - so die Aussage des Geschädigten bei der Polizei - auf den Kopf. Danach richtete er die Pistole wieder auf dessen Oberkörper. Der Geschädigte versuchte, dem Angeklagten die Waffe abzunehmen. Unmittelbar danach gab der Angeklagte einen Schuss ab, der den Geschädigten in den Brustkorb traf und Zwerchfell, Herzbeutel und Leber verletzte. Das Leben des Geschädigten wurde durch einen sogleich herbeigerufenen Notarzt gerettet.

3

Das [X.] hat angenommen, der Angeklagte habe den Schuss mit bedingtem Tötungsvorsatz abgegeben, sei aber vom [X.] zurückgetreten, so dass ein Vergehen nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB in Tateinheit mit § 52 Abs. 1 Nr. 2 lit. [X.] vorliege.

II.

4

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt. Die Beweiswürdigung des [X.]s ist rechtsfehlerhaft.

5

1. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass der Geschädigte versucht habe, die Waffe an sich zu ziehen, so dass sich der Schuss ungewollt gelöst habe. Der Geschädigte, der in der [X.]uptverhandlung als Zeuge unerreichbar war, hatte bei der Polizei bestätigt, dass es „ein Gerangel bzw. Geschubse gegeben" habe. „Er gehe davon aus, dass der Täter nicht mit Absicht auf ihn geschossen habe". Das [X.] war aber davon überzeugt, dass der Geschädigte die Pistole nicht zu sich herangezogen habe. Vielmehr sei „jede Person angesichts der Bedrohung mit einer Schusswaffe bestrebt, diese von sich wegzuschieben, um sich aus der Schussbahn zu bringen". Auch der Umstand, dass der Angeklagte die Waffe nach dem [X.] nicht gesichert habe, spreche gegen die von ihm behauptete „Absicht, nicht schießen zu wollen". Es seien „keine Umstände erkennbar, weshalb sich aus der von dem Angeklagten geführten, auf das Brustbein des Geschädigten gerichteten, geladenen und entsicherten Schusswaffe ein Schuss unabsichtlich gelöst haben sollte".

6

2. Gegen diese Beweiswürdigung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.

7

Entgegen der Ansicht des [X.]s gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein Mensch eine auf ihn gerichtete Pistole bei dem Versuch, diese wegzunehmen, nicht an sich heranzieht.

8

Für die Annahme der Strafkammer, ein „wechselseitiges Hin- und Her-Ziehen" der Waffe habe es nicht gegeben, fehlt ein Beweisanzeichen. Der Angeklagte hat das Gegenteil behauptet. Der Geschädigte hat von einem Versuch berichtet, dem Angeklagten die Waffe wegzunehmen. Die Zeugin [X.]hat die Szene zur Zeit der Schussabgabe nicht gesehen, weil sie die Polizei anrief. Die letzten Besucher der Gaststätte sind unbekannt geblieben.

9

Die Tatsache, dass der Angeklagte den Geschädigten mit der [X.] und entsicherten Pistole bedroht und diese dabei aus nächster Nähe auf seinen Oberkörper gerichtet hat, besagt noch nichts für die vom [X.] angenommene Absicht zur Schussabgabe. Vielmehr spricht die Tatsache, dass er den Geschädigten zuerst nur geschlagen hatte, eher gegen direkten Vorsatz zur Schussabgabe. Im Übrigen hat der Schuss den Geschädigten auch nicht in das Brustbein getroffen, sondern hat den Körper von schräg links oben nach links unten durchschlagen. Auch das kann für eine Schussabgabe während eines Kampfes um die Waffe sprechen.

Bei dem Versuch des Geschädigten, dem Angeklagten die Waffe abzunehmen, kann es demnach dazu gekommen sein, dass sich der Schuss vom Angeklagten ungewollt gelöst hat. Dann wäre hinsichtlich der Schussabgabe nur von fahrlässiger Körperverletzung (vgl. §§ 229, 230 Abs. 1 StGB), aber nicht von einer Vorsatztat nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB auszugehen. Das wird der neue Tatrichter genauer zu prüfen haben.

3. Die rechtliche Beanstandung führt zur [X.] und Zurückverweisung der Sache an das [X.]; eine Sachentscheidung des Senats ist nicht veranlasst. Es kommt ein Vergehen nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch den Schlag auf den Kopf des Geschädigten in Betracht. Dies hat das [X.] nicht gesondert geprüft. Das [X.] bleibt von dem genannten Rechtsfehler unberührt. Es steht aber in Tateinheit mit dem Vergehen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB, so dass der Senat das Urteil auch insoweit aufheben muss.

Fischer                        Appl                        Eschelbach

                  Ott                          Zeng

Meta

2 StR 239/14

09.12.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 19. Februar 2014, Az: 52 Ks 401 Js 364/12 K 25/13

§ 224 Abs 1 Nr 2 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 229 StGB, § 230 Abs 1 StGB, § 261 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.12.2014, Az. 2 StR 239/14 (REWIS RS 2014, 586)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 586

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