Bundessozialgericht, Urteil vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 7/22 R

7. Senat | REWIS RS 2023, 2982

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Kostenerstattungsanspruch bei Aufenthalt im Frauenhaus - zuständiger kommunaler Träger - bisheriger gewöhnlicher Aufenthaltsort - Zwischenaufenthalt bei Freundin bis zum Freiwerden eines Platzes im Frauenhaus am neuen Aufenthaltsort - Fluchtkette - sozialgerichtliches Verfahren - Sprungrevision - Zulassung ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter - notwendige Beiladung


Leitsatz

Ein gewöhnlicher Aufenthalt in der aufnehmenden Kommune zunächst außerhalb eines Frauenhauses steht dann einer Erstattungspflicht der Herkunftskommune nicht entgegen, wenn er in der Absicht begründet worden ist, in das Frauenhaus vor Ort aufgenommen zu werden, und nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme zu überbrücken ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Januar 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2048,27 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die beteiligten Jobcenter streiten über eine Kostenerstattung bei Aufenthalt in einem Frauenhaus nach § 36a [X.] II.

2

Die nicht am Verfahren beteiligte Leistungsberechtigte und ihre Kinder lebten ursprünglich in [X.]. Sie suchten dort vom 30.4. bis 12.6.2020 Schutz im Frauenhaus. Nachdem sie das Frauenhaus [X.] verlassen hatten, kamen sie für ungefähr zehn Tage im Haushalt einer Freundin in [X.] unter, um auf einen freien Platz im [X.] Frauenhaus zu warten. Im [X.] hielten sie sich im streitgegenständlichen Zeitraum vom 22.6. bis 14.7.2020 im Frauenhaus [X.] auf, bevor sie den Aufenthaltsort noch einmal wechselten.

3

Das klagende Jobcenter [X.]snabrück machte gegenüber dem beklagten Jobcenter [X.]ünster einen Kostenerstattungsanspruch für die [X.] im [X.] Frauenhaus geltend. Dies lehnte der Beklagte ab.

4

Das [X.] hat den Beklagten zur Erstattung von 2048,27 Euro verurteilt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, die Leistungsberechtigte und ihre Kinder hätten ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt. Durch den Aufenthalt bei der Freundin sei kein gewöhnlicher Aufenthalt in [X.] begründet worden. Es habe lediglich ein für den Kostenerstattungsanspruch unschädlicher tatsächlicher Aufenthalt vorgelegen. Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 36a [X.] II bleibe die Erstattungsverpflichtung des kommunalen Trägers des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts bestehen, bis an einem anderen [X.]rt ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werde.

5

[X.]it der Sprungrevision macht der Beklagte eine Verletzung des § 36a [X.] II geltend. Zwar bestehe die Erstattungspflicht fort, wenn die in ein Frauenhaus geflüchtete Frau nahtlos in ein anderes Frauenhaus an einem anderen [X.]rt wechsle. Dies gelte aber nicht, wenn zwischendurch ein Aufenthalt außerhalb eines Frauenhauses begründet werde. [X.]b es sich insoweit um einen gewöhnlichen oder einen tatsächlichen Aufenthalt handele, sei unerheblich. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Frau im ursprünglichen Frauenhaus hätte verbleiben können, bis in dem anderen Frauenhaus ein Platz für sie frei werde, der Wegzug ohne nahtlosen Einzug in ein weiteres Frauenhaus mithin aufgrund einer freien Entscheidung der betreffenden Frau erfolgt sei.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts [X.]snabrück vom 10. Januar 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er ist der Ansicht, dass trotz des Zwischenaufenthalts bei der Freundin eine durchgehende Flucht ins Frauenhaus vorgelegen habe, weshalb der Beklagte weiterhin erstattungspflichtig sei.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an das L[X.] als Berufungsgericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2, Abs 4 Satz 1 [X.]G). Im Ergebnis zutreffend hat das [X.] entschieden, dass der Beklagte dem Grunde nach erstattungsverpflichtet ist. Die Feststellungen des [X.] lassen aber keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Erstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten in der geltend gemachten Höhe besteht.

1. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig, obwohl das [X.] sie nach Verkündung seines Urteils durch Beschluss ohne gebotene [X.]itwirkung [X.] zugelassen hat (vgl nur B[X.] vom 6.11.2008 - B 1 KR 37/07 R - [X.] 4-2500 § 44 [X.] Rd[X.]1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 161 RdNr 7c mwN). Der Kläger verfolgt den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch zutreffend mit Hilfe einer allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 [X.]G). Die Leistungsberechtigte und ihre Kinder waren nicht notwendig zum Verfahren beizuladen (§ 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G; vgl hierzu nur B[X.] vom 17.12.2014 - [X.] [X.] 19/13 R - Rd[X.]1).

2. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 36a [X.]B II als gegenüber §§ 102 ff [X.]B X spezialgesetzliche Kostenerstattungsregelung (eingefügt in das [X.]B II durch das Freibetragsneuregelungsgesetz vom 14.8.2005, [X.] 2407; zuletzt geändert durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.], [X.] 1706; hier idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.] 850). Danach gilt: Sucht eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht, ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am [X.]rt des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus zu erstatten.

Voraussetzung für einen Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach ist ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der kommunalen Träger durch eine Flucht der leistungsberechtigten Frau und ggf ihrer Kinder vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort in ein Frauenhaus. [X.] ist der kommunale Träger am [X.]rt des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses ("[X.]"). [X.] ist die [X.], in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich iS des § 36 [X.]B II das Frauenhaus gelegen ist ("aufnehmende [X.]"; B[X.] vom [X.] [X.]/11 R - B[X.]E 111, 72 = [X.] 4-4200 § 36a [X.], Rd[X.]7; B[X.] vom [X.] AS 156/11 R - [X.] 4-4200 § 36a [X.] Rd[X.]6).

Diese Voraussetzungen liegen dem Grunde nach vor. Der Kläger ist durch die Flucht der Leistungsberechtigten und ihrer Kinder in ein Frauenhaus örtlich zuständig geworden (§ 36 Abs 1 Satz 2 [X.]B II). [X.]rt des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses war [X.], weshalb der Beklagte erstattungsverpflichtet ist. [X.] ist der Kläger, weil vorliegend die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im [X.] sind. Dem Erstattungsanspruch steht nicht entgegen, dass die erstmalige Zufluchtssuche in [X.] und damit am [X.]rt der [X.] erfolgte (3.). In Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung steht dem Anspruch auch nicht entgegen, dass die Leistungsberechtigte und ihre Kinder einen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] bereits in dem Zeitpunkt begründet haben, als sie vorübergehend bei der Freundin und damit außerhalb eines Frauenhauses unterkamen (4.). Einer abschließenden Entscheidung über den Anspruch stehen aber fehlende Feststellungen zu dessen Umfang entgegen (5.).

3. Dem Kostenerstattungsanspruch steht nicht entgegen, dass die Leistungsberechtigte und ihre Kinder erstmals in [X.] im Frauenhaus Zuflucht suchten. Der Wortlaut der Vorschrift schließt eine gleichwohl bestehende Kostenerstattungsverpflichtung des kommunalen Trägers am [X.]rt des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts nach weiteren [X.] nicht aus. Zwar bezweckt die Regelung die Vermeidung der einseitigen Kostenbelastung derjenigen kommunalen Träger nach dem [X.]B II, die ein Frauenhaus unterhalten (BT-Drucks 15/5607 [X.]). Vorliegend befinden sich in beiden betroffenen [X.]n Frauenhäuser, die von der Leistungsberechtigten und ihren Kindern nacheinander aufgesucht wurden. Dies schließt einen Kostenerstattungsanspruch aber nicht aus, wovon das B[X.] bereits in der Vergangenheit ausging (vgl B[X.] vom [X.] [X.]/11 R - B[X.]E 111, 72 = [X.] 4-4200 § 36a [X.], Rd[X.], 19) und woran festzuhalten ist. Dass die erstmalige Zufluchtssuche in der [X.] erfolgt, soweit sich dort ein Frauenhaus befindet, ist Ausdruck der in der Regel bestehenden Akut- und Notsituation, die zunächst eine möglichst ortsnahe Unterbringung erforderlich machen kann, und der - wegen der Bedrohungssituation typischen - "Fluchtkette" von einem Frauenhaus in ein weiteres an einem anderen [X.]rt (vgl hierzu bereits B[X.] vom [X.] [X.]/11 R - B[X.]E 111, 72 = [X.] 4-4200 § 36a [X.], Rd[X.]2).

4. Entgegen der Auffassung des [X.] begründeten die Leistungsberechtigte und ihre Kinder bereits ihren gewöhnlichen Aufenthalt in [X.], als sie bei einer Freundin unterkamen, um auf einen freien Platz im [X.] Frauenhaus zu warten (a). In Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung steht dies einer weiterhin bestehenden Kostenerstattungsverpflichtung des Beklagten nicht entgegen (b).

a) Die Leistungsberechtigte und ihre Kinder hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] bereits während des Aufenthalts bei der Freundin und damit zunächst außerhalb eines Frauenhauses.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem [X.]rt oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 [X.]B I). Dabei ist unter "[X.]rt" die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen und nicht ein bestimmtes Haus, eine bestimmte Wohnung oder eine konkrete Einrichtung (B[X.] vom 10.7.1997 - 14 REg 8/96 - B[X.]E 80, 288 = [X.] 3-7833 § 8 [X.], juris Rd[X.]2; B[X.] vom 20.12.2012 - [X.] [X.]/11 R - Rd[X.]6) wie hier das Frauenhaus. Für das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls tatrichterlich festzustellen und im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung zu würdigen (vgl ausführlich nur B[X.] vom 17.12.2014 - [X.] [X.] 19/13 R - juris Rd[X.] mwN). Aus dieser prognostischen Beurteilung folgt zugleich, dass der gewöhnliche Aufenthalt bereits begründet sein kann beim Eintreffen am [X.] und nicht erst nach einem längeren Aufenthalt vor [X.]rt.

Vorliegend lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass die Leistungsberechtigte und ihre Kinder einen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] bereits zu dem Zeitpunkt begründet haben, als sie sich bei einer Freundin aufhielten. Sie hatten nicht vor, in [X.] nur vorübergehend zu verweilen, sondern ihr Aufenthalt war im Hinblick auf den späteren Frauenhausaufenthalt hinreichend zukunftsoffen. Einem gewöhnlichen Aufenthalt am [X.]rt des Frauenhauses steht insbesondere nicht entgegen, dass der Aufenthalt einerseits durch äußere Umstände (insbesondere die Bedrohungssituation durch einen Partner) bestimmt wird und andererseits der Art nach stets zeitlich begrenzt ist (B[X.] vom [X.] [X.]/11 R - B[X.]E 111, 72 = [X.] 4-4200 § 36a [X.], Rd[X.]0). Dass das [X.] rechtsfehlerhaft für die Bestimmung des Aufenthaltsorts angeknüpft hat an die Wohnung der Freundin und nicht an den [X.]rt (Stadt [X.]), in dem die Wohnung lag und der sich durch den späteren Wechsel in das ortsansässige Frauenhaus nicht geändert hat, ist insoweit unerheblich.

b) Der Beklagte ist verpflichtet, die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im [X.] Frauenhaus zu erstatten, obwohl durch den Zwischenaufenthalt bei der Freundin ein gewöhnlicher Aufenthalt zunächst außerhalb eines Frauenhauses begründet worden ist. Die bisherige Rechtsprechung des B[X.] zu § 36a [X.]B II ist insoweit unter Anlehnung an sozialhilferechtliche Rechtsprechung zum Schutz des [X.]s fortzuentwickeln.

Nach der bisherigen Rechtsprechung besteht die Kostenerstattungsverpflichtung der [X.] so lange fort, bis ein Aufenthalt außerhalb eines Frauenhauses begründet wird. [X.]b dies schon bei einem tatsächlichen oder erst bei einem gewöhnlichen Aufenthalt eintritt, war bislang offengeblieben (B[X.] vom [X.] [X.]/11 R - B[X.]E 111, 72 = [X.] 4-4200 § 36a [X.], Rd[X.]9).

Der vorliegende Fall gibt Anlass, die bisherige Rechtsprechung für bestimmte Zwischenaufenthalte zu konkretisieren. In Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass im Hinblick auf den Gesetzeszweck ein kurzfristiger tatsächlicher Aufenthalt außerhalb eines Frauenhauses die Erstattungsverpflichtung der [X.] nicht entfallen lässt (Bayerisches L[X.] vom 6.4.2016 - L 11 AS 355/15 - juris Rd[X.]7; [X.] Darmstadt vom [X.] AS 1233/10 - juris Rd[X.]4; [X.] in jurisPK-[X.]B II, 5. Aufl 2020, § 36a Rd[X.]3; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, § 36a Rd[X.]0 f, Stand November 2013). Dem ist zuzustimmen, ohne dass es allerdings darauf ankommen kann, ob der Zwischenaufenthalt zB in einem Hotel oder - wie hier - bei einer Freundin am [X.] erfolgt und deswegen bereits während des [X.] ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird und nicht nur ein tatsächlicher Aufenthalt besteht. Dies folgt aus der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung zur finanziellen Entlastung der [X.]e, die insoweit auf § 36a [X.]B II zu übertragen ist.

Nach der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung zum Schutz der [X.]e vor einer Kostentragung (vgl § 98 Abs 2 iVm § 109 [X.]B XII) bedarf dieser Schutz einer Vorverlagerung im Hinblick auf einen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des [X.]rtes, an dem der Hilfebedürftige in die Einrichtung aufgenommen worden ist. Würde eine solche, auch nur kurzfristige Aufenthaltsbegründung außerhalb der Einrichtung Anknüpfungspunkt für die Kostentragung sein, liefe der Schutz des [X.]s weitgehend leer. Dieser Schutz gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine Person in der Absicht, später in eine Einrichtung aufgenommen zu werden, den [X.]rt der Einrichtung aufsucht, und nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme überbrücken muss und will (vgl B[X.] vom 17.12.2014 - [X.] [X.] 19/13 R - Rd[X.]8; B[X.] vom 24.3.2015 - [X.] [X.] 20/13 R - [X.] 4-3500 § 109 [X.] Rd[X.] f in Fortführung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, vgl insoweit nur [X.] vom 17.5.1973 - [X.] 107.72 - [X.]E 42, 196, juris Rd[X.]4).

Diese Grundsätze sind trotz unterschiedlicher Regelungsstruktur auf § 36a [X.]B II zu übertragen. Der Gesetzeszweck - Schutz des [X.]s - ist identisch. Identisch ist auch die gesetzgeberische Grundaussage sowohl im [X.]B XII als auch im [X.]B II, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt durch eine Aufnahme in eine Einrichtung außer Betracht bleiben soll. Dies wird erreicht, indem ein gewöhnlicher Aufenthalt insoweit ausgeschlossen wird (§ 109 [X.]B XII) oder die Kostenerstattungspflicht an den "bisherigen" gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft (§ 36a [X.]B II). Aus dieser strukturellen Ähnlichkeit beider Leistungssysteme folgt, dass die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in der aufnehmenden [X.] (zunächst) außerhalb eines Frauenhauses dann einer Erstattungspflicht der [X.] nicht entgegensteht, wenn der gewöhnliche Aufenthalt in der Absicht begründet worden ist, in das Frauenhaus vor [X.]rt aufgenommen zu werden und nur eine vorübergehende Zeit außerhalb der Einrichtung bis zur Aufnahme zu überbrücken ist.

Dass dieses Ergebnis zutreffend ist, zeigt eine Kontrollüberlegung: Ginge man davon aus, dass der bereits im Zeitpunkt des Aufenthalts bei der Freundin und damit außerhalb eines Frauenhauses in [X.] begründete gewöhnliche Aufenthalt die erstattungsrechtliche "Fluchtkette" unterbricht, würde dies nicht nur die Erstattungsverpflichtung des Beklagten entfallen lassen. Folge wäre zugleich, dass der Kläger im Hinblick auf weitere Folgeaufenthalte zu einer [X.] und damit seinerseits erstattungsverpflichtet würde. Dies entspricht erkennbar nicht dem Gesetzeszweck im Hinblick auf den Schutz der [X.]e.

Soweit der Beklagte gegen die Unbeachtlichkeit bestimmter Zwischenaufenthalte außerhalb eines Frauenhauses einwendet, insbesondere die Frage, wann ein solcher Aufenthalt noch "vorübergehend" sei, mache die Kostenerstattungsverpflichtung von einzelfallabhängigen Wertungen abhängig, folgt hieraus nichts anderes. Solche vom konkreten Geschehensablauf abhängigen Wertungsfragen lassen sich bei der Anwendung des § 36a [X.]B II nicht vermeiden. Sie würden sich insbesondere auch dann stellen, wenn man - wie der Beklagte - annähme, jeder zwischenzeitliche tatsächliche Aufenthalt außerhalb eines Frauenhauses lasse die Kostenerstattungsverpflichtung der [X.] im Grundsatz entfallen. Eine solche Herangehensweise bedürfte weiterer Einschränkungen, um § 36a [X.]B II nicht seine praktische Wirksamkeit zu nehmen. Soweit der Beklagte darauf abstellen will, ob der Wegzug aus einem Frauenhaus ohne nahtlosen Einzug in ein weiteres Frauenhaus aufgrund einer "freien Entscheidung" der betreffenden Frau erfolgt sei, wirft dies im Hinblick auf die jeder Aufnahme in einem Frauenhaus zugrundeliegenden [X.] Notlage nur weitere Fragen auf, ohne die Beantwortung der Frage nach der Reichweite der Kostenerstattungsverpflichtung zu erleichtern.

Die Voraussetzungen für einen kostenerstattungsrechtlich unschädlichen Zwischenaufenthalt liegen hier vor: Die Leistungsberechtigte und ihre Kinder haben den gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] in der Absicht begründet, in das Frauenhaus vor [X.]rt aufgenommen zu werden. Nach den Feststellungen des [X.] hielten sie sich nur deswegen übergangsweise bei einer Freundin auf, um auf einen freien Platz im [X.] Frauenhaus zu warten. Es war auch nur eine vorübergehende Zeit zu überbrücken, was hier mit dem 10-tägigen Zwischenaufenthalt der Fall war.

5. Einer abschließenden Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch stehen fehlende Feststellungen zu dessen Umfang entgegen. Die Kostenerstattungspflicht nach § 36a [X.]B II gilt nicht für Bundesleistungen, sondern nur für solche Leistungen, die in die Leistungs- und Finanzierungsverantwortung der kommunalen Träger fallen (§ 6 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B II, vgl hierzu BT-Drucks 16/1410 [X.]). Der Kostenerstattungsanspruch setzt zudem voraus, dass Leistungen rechtmäßig erbracht wurden (B[X.] vom [X.] [X.]/11 R - B[X.]E 111, 72 = [X.] 4-4200 § 36a [X.], Rd[X.]3). [X.]b dies der Fall war und wie sich der geltend gemachte Erstattungsanspruch zusammensetzt, kann der Senat nicht überprüfen, weil das [X.] hierzu keine Feststellungen getroffen, sondern nur ausgeführt hat, der Umfang der Erstattungsforderung sei zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Das L[X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 40, § 47 Abs 1 und 2 und § 52 Abs 3 Satz 1 GKG.

S. [X.]

Meta

B 7 AS 7/22 R

08.03.2023

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Osnabrück, 10. Januar 2022, Az: S 24 AS 22/21, Urteil

§ 36a SGB 2, § 36 Abs 1 S 2 SGB 2, § 30 Abs 3 S 2 SGB 1, § 98 Abs 2 SGB 12, § 109 SGB 12, § 161 SGG, § 75 Abs 2 Alt 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 7/22 R (REWIS RS 2023, 2982)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2982

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