Bundessozialgericht, Urteil vom 23.05.2012, Az. B 14 AS 190/11 R

14. Senat | REWIS RS 2012, 6176

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Kostenerstattung bei Aufenthalt im Frauenhaus - Prozessführungsbefugnis der Kommune - Erstattungspflicht des kommunalen Trägers am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses auch bei Flucht von einem Frauenhaus in ein anderes Frauenhaus - psychosoziale Betreuung - Verhältnis zur Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem SGB 12


Leitsatz

1. Der Aufenthalt in einem Frauenhaus steht der Erbringung von psychosozialer Betreuung als Leistung zur Eingliederung nach dem SGB 2 nicht grundsätzlich entgegen.

2. Die Erstattungspflicht des kommunalen Trägers am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses (Herkunftskommune) erfasst auch Kosten wegen eines Aufenthalts in einem Frauenhaus, die nach einer weiteren Flucht aus einem anderen Frauenhaus entstehen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des [X.] vom 21. Oktober 2011 und das Urteil des [X.] vom 31. Mai 2010 geändert, soweit die Beklagte zur Zahlung von Zinsen an den Kläger verurteilt worden ist.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die beklagte [X.]tadt M wendet sich mit ihrer Revision gegen die Verurteilung zur Erstattung von Kosten einer psycho[X.]n Betreuung, die während eines Aufenthaltes in einem im klagenden [X.] gelegenen Frauenhaus erfolgt ist.

2

Die im Jahre 1981 geborene, erwerbsfähige und hilfebedürftige [X.] und ihre beiden minderjährigen, nicht erwerbsfähigen Kinder lebten bis zum [X.] im [X.]tadtgebiet der Beklagten. Wegen Bedrohungen durch ihren Ehemann waren [X.] und ihre Kinder am [X.] aus der gemeinsamen Wohnung in ein dort gelegenes Frauenhaus geflohen. Nachdem der Ehemann ihren Aufenthaltsort herausgefunden hatte, flüchteten [X.] und ihre Kinder am [X.] in ein in [X.] gelegenes Frauenhaus. Weil [X.] erneut der Aufenthaltsort bekannt geworden war, hielten sie sich schließlich vom 17.4.2007 bis zum 6.7.2007 in einem im klagenden [X.] gelegenen Frauenhaus auf. Während des Aufenthalts dort wurden sie von Mitarbeiterinnen des Frauenhauses psychosozial betreut, wofür Kosten in [X.]öhe von 8283,87 Euro entstanden, die der Kläger getragen hat.

3

Kläger wie Beklagte haben die Gewährung von Leistungen der psycho[X.]n Betreuung auf Grundlage des [X.]ozialgesetzbuches Zweites Buch ([X.]GB II) nicht auf die in ihrem Gebiet gebildeten Arbeitsgemeinschaften nach § 44b [X.]GB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung übertragen. Mit [X.]chreiben vom [X.] forderte der Kläger die Beklagte zur Anerkennung der Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach ua hinsichtlich der Kosten der psycho[X.]n Betreuung auf Grundlage des § 36a [X.]GB II auf und wiederholte seine Forderungen mit [X.]chreiben vom [X.], 25.10.2007, 17.4.2008 und 19.8.2008. Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung wegen der angefallenen Kosten der psycho[X.]n Betreuung ab.

4

Auf die am 15.10.2008 zum [X.]ozialgericht ([X.]G) [X.]tuttgart erhobene Klage hat das [X.]G die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten der Betreuung in [X.]öhe von 8283,87 Euro nebst Zinsen in [X.]öhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2008 zu zahlen, im Übrigen hat es die Klage hinsichtlich weiterer Verzugszinsen abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 31.5.2010).

5

Im Berufungsverfahren hat das [X.] (L[X.]G) in der mündlichen Verhandlung am 21.10.2011 eine hauptamtliche Mitarbeiterin des Frauenhauses als Zeugin zur Arbeitsweise des Frauenhauses allgemein sowie zu Art und Umfang der erbrachten Betreuungsleistungen zugunsten von [X.] und ihren Kindern vernommen. Es hat sodann mit Urteil vom selben Tag die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klage sei als echte Leistungsklage nach § 54 Abs 5 [X.]ozialgerichtsgesetz ([X.]GG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. [X.]treitgegenstand sei vorliegend nur die Erstattung von Betreuungsleistungen. Rechtsgrundlage für die Erstattungspflicht der Beklagten sei § 36a [X.]GB II. Die Beteiligten seien kommunale Träger im [X.]inne dieser Vorschrift; die Beklagte als kommunaler Träger am bisherigen Wohnort der [X.]ilfebedürftigen, der Kläger durch die Aufnahme von [X.] und ihrer Kinder in einem in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich gelegenen Frauenhaus. Zwar sei auch im Zuständigkeitsbereich des [X.] eine Arbeitsgemeinschaft i[X.] des § 44b [X.]GB II gebildet gewesen, an der Eigenschaft des [X.] als kommunaler Leistungsträger gemäß § 6 Abs 1 [X.]atz 1 Nr 2 [X.]GB II und damit seiner Aktivlegitimation ändere dies jedoch nichts.

6

Der geltend gemachte Erstattungsanspruch bestehe dem Grunde und der [X.]öhe nach. Der Umstand, dass [X.] und ihre Kinder bereits in [X.] und zwischenzeitlich auch in [X.] in einem Frauenhaus gewohnt hätten, bevor sie in das im Zuständigkeitsbereich des [X.] gelegenen Frauenhaus gezogen seien, stehe der Erstattungspflicht dem Grunde nach nicht entgegen. Mit dem "bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort" i[X.] von § 36a [X.]GB II sei der letzte gewöhnliche Aufenthaltsort außerhalb eines Frauenhauses, vorliegend also die Wohnung der Familie [X.] in M gemeint. Die streitigen psycho[X.]n Betreuungskosten unterlägen der Erstattungspflicht nach § 36a [X.]GB II, denn dieser erfasse alle Pflichtleistungen nach § 6 Abs 1 [X.]atz 1 Nr 2 [X.]GB II und damit auch die Leistungen nach § 16 Abs 2 [X.]atz 2 [X.] bis 4 [X.]GB II in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung des [X.] - vom [X.] ([X.] 1706; alte Fassung ). Nach Lage der Akten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der [X.]enat der Überzeugung, dass die im Frauenhaus für [X.] und ihre Kinder erbrachten Leistungen auch der Eingliederung in das Erwerbsleben dienten und insoweit Betreuungsleistungen i[X.] des § 16 Abs 2 [X.]atz 2 Nr 3 [X.]GB II aF seien. Die lebensbedrohliche [X.]ituation, die bevorstehende Gerichtsverhandlung und die notwendigen Umzüge hätten [X.] und die Kinder retraumatisiert und sehr belastet. Wie sich aus den Angaben der Zeugin ergebe, sei bei dem ganzheitlichen Konzept des Frauenhauses neben dem [X.]chutz der Bewohnerinnen auch die Vorbereitung auf die [X.] nach dem Aufenthalt im Frauenhaus. Primäres Ziel sei es gewesen, durch eine intensive Betreuung [X.] und die Kinder zu schützen und zu stabilisieren. Ein wichtiger Bestandteil der Betreuung sei gewesen daran zu arbeiten, eine Beschäftigung zu finden. Wie bereits das [X.]G ausgeführt habe, sei die psychische, [X.] und rechtliche [X.]tabilisierung unabdingbare Voraussetzung dafür, dass an eine Eingliederung in das Erwerbsleben überhaupt gedacht werden könne. Auch die Kinderbetreuungskosten gehörten zu den Leistungen, die zur Eingliederung in das Erwerbsleben dienten. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bezifferung der Forderung bestünden nicht, auch die Beklagte habe Einwendungen hinsichtlich der [X.]öhe des geforderten Tagessatzes ausdrücklich nicht geltend gemacht.

7

[X.]iergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. [X.]ie ist der Auffassung, psycho[X.] Betreuungsleistungen, die in Frauenhäusern erbracht würden, unterfielen grundsätzlich nicht den Leistungen nach § 16 Abs 2 [X.]atz 2 Nr 3 [X.]GB II aF bzw § 16a Nr 3 [X.]GB II in der seit dem 1.1.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (vom [X.], [X.] 2917; neue Fassung ). [X.]auptaufgabe der im Frauenhaus erbrachten Leistungen seien [X.]chutz und [X.]icherheit der betroffenen Frauen und ihrer Kinder vor Gewalt und die Aufarbeitung von Gewalterfahrungen, nicht die Eingliederung in Arbeit. Die Auslegung des L[X.]G, es sei ausreichend, dass es sich bei der erbrachten Betreuung um Leistungen handele, die auch der Eingliederung in das Erwerbsleben dienten, sei zu weitgehend. Es handele sich bei Betreuungsleistungen in einem Frauenhaus immer um [X.]ilfen zur Überwindung besonderer [X.]r [X.]chwierigkeiten nach §§ 67 bis 69 [X.]ozialgesetzbuch Zwölftes Buch ([X.]GB XII). Mit diesem Verständnis der Leistungen sei die umfassende Betreuung der Betroffenen gewährleistet. Dagegen sei ein Anspruch nach § 16 Abs 2 [X.]GB II aF von [X.]ilfebedürftigkeit und Erwerbsfähigkeit abhängig und könne nicht in sämtlichen Fällen die Betreuungsleistungen in einem Frauenhaus erfassen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 21. Oktober 2011 und des [X.]ozialgerichts [X.]tuttgart vom 31. Mai 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist nur zu einem geringen Teil begründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen einen [X.]ostenerstattungsanspruch des [X.]lägers nach § 36a [X.] für die erbrachten psycho[X.]n Betreuungsleistungen bejaht (dazu unter 2). Lediglich der vom [X.]läger geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von [X.] besteht nicht (dazu unter 3).

1. Die [X.]lage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 4 [X.]) statthaft, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere sind sowohl der [X.]läger als auch die [X.] im vorliegenden Rechtsstreit prozessführungsbefugt.

Die Prozessführungsbefugnis - zu unterscheiden von der [X.] nach § 70 [X.] - ist die Berechtigung, einen Prozess als richtige Partei im eigenen Namen zu führen, also als richtiger [X.]läger zu klagen (aktive Prozessführungsbefugnis) oder als richtiger [X.]r verklagt zu werden (passive Prozessführungsbefugnis; vgl [X.] Urteil vom [X.] EG 19/09 R - [X.], 18 = [X.]-7837 § 2 [X.], Rd[X.] 15 mwN). In der Regel fällt sie mit der Aktiv- bzw Passivlegitimation in der Sache zusammen, es sei denn, Rechte eines [X.] in zulässiger Prozessstandschaft verfolgt werden (im Einzelnen [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 54 Rd[X.] 11 ff und [X.], aaO, § 69 Rd[X.] 4).

Bei einem [X.]ostenerstattungsanspruch nach § 36a [X.] handelt es sich im Ausgangspunkt um ein Recht der [X.], das mit ihrer Trägerschaft für die Leistungen korrespondiert, für die Erstattung verlangt werden kann. Lediglich soweit der kommunale Träger die Wahrnehmungszuständigkeit für die Erbringung von Leistungen gemäß § 44b Abs 3 [X.] in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung übertragen hat, gehört zur Wahrnehmung dieser Aufgaben auch die Geltendmachung von [X.]ostenerstattungsansprüchen gegenüber anderen Trägern (vgl Urteil des Senats vom [X.] AS 156/11 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, Rd[X.] 13). Dies ist vorliegend hinsichtlich der Erbringung der Leistungen nach § 16 Abs 2 [X.] aF bzw § 16a [X.] nF nicht geschehen, sodass es bei der Prozessführungsbefugnis der kommunalen Träger verbleibt.

2. Zutreffend haben die Vorinstanzen als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch § 36a [X.] herangezogen und dessen Voraussetzungen bejaht.

a) § 36a [X.] (eingefügt in das [X.] durch Art 1 [X.] des Gesetzes vom 14.8.2005 mWv [X.], hier anwendbar in der mit Art 1 [X.] 32 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grund-sicherung für Arbeitsuchende - Fortentwicklungsgesetz - vom [X.] geänderten Fassung) ist eine gegenüber §§ 102 ff [X.] ([X.]) spezial-gesetzliche [X.]ostenerstattungsregelung im [X.]. Sucht danach eine Person in einem Frauen-haus Zuflucht, ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die [X.]osten für die [X.] im Frauenhaus zu erstatten. Auch materiell-rechtlich folgt die Aktivlegitimation bzw die Passivlegitimation der [X.] dabei aus ihrer kommunalen Trägerschaft.

Voraussetzung für einen [X.]ostenerstattungsanspruch dem Grunde nach ist ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der kommunalen Träger durch eine Flucht der leistungsberechtigten Frau (und ggf ihrer [X.]inder, vgl "Person") vom bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort in ein Frauenhaus. [X.] ist der kommunale Träger am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses ([X.]). [X.] ist die [X.], in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich iS des § 36 [X.] das Frauenhaus gelegen ist (aufnehmende [X.]).

Zweifellos bestand (jedenfalls) bis zum Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit dem Partner gewöhnlicher Aufenthalt der [X.] und ihrer [X.]inder im Stadtgebiet der [X.]n. [X.]it der nach den Feststellungen des [X.] zukunftsoffenen Flucht aus der gemeinsamen Wohnung mit dem Partner ist dieser gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben worden. [X.] hatte mit ihren [X.]indern im streitigen Zeitraum auch Aufnahme in einem Frauenhaus gefunden. Dort ist zumindest tatsächlicher Aufenthalt iS des § 36 Satz 3 [X.] (in der Fassung des Fortentwicklungsgesetzes) begründet worden, sodass der [X.]läger mit der Aufnahme von [X.] und den [X.]indern in dem Frauenhaus örtlich zuständig für die Leistungserbringung geworden ist (vgl im Einzelnen Urteil des Senats vom [X.] AS 156/11 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, Rd[X.] 17).

Unerheblich ist für das Entstehen von [X.]ostenerstattungsansprüchen des [X.]lägers gegenüber der [X.]n, ob [X.] und ihre [X.]inder zwischenzeitlich (gewöhnlichen) Aufenthalt im Frauenhaus in [X.] und/oder im Frauenhaus S begründet hatten und also die Flucht in das im klagenden [X.] gelegene Frauenhaus nicht unmittelbar von einem Ort des (gewöhnlichen) Aufenthalts außerhalb dieses Frauenhauses erfolgt ist (vgl [X.] Urteil vom 16.7.2008 - [X.] AS 4000/07 - EuG 2009, 20; [X.] in JurisP[X.]-[X.], 3. Aufl 2012, § 36a Rd[X.] 9; [X.] in [X.]ergler/Zink, [X.], Stand April 2009, § 36a Rd[X.]a). Nur ein gewöhnlicher Aufenthalt außerhalb eines Frauenhauses lässt eine [X.] entstehen. [X.] dazu lässt erst die Begründung eines Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses die Erstattungspflicht der [X.] wieder entfallen. Ob dies schon bei einem tatsächlichen oder erst bei einem gewöhnlichen Aufenthalt eintritt, kann offen bleiben.

Zwar kann auch in einem Frauenhaus "gewöhnlicher Aufenthalt" iS des § 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch [X.] ([X.]) begründet werden. Nach § 30 Abs 3 Satz 2 [X.] hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend sind für den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts die objektiv gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Einzelfalles im entscheidungserheblichen Zeitraum; auf "Prognosen" über spätere Entwicklungen, auf Veränderungswünsche oder -absichten oder auf den Willen des Betroffenen, sich an einem Ort aufzuhalten oder einen Wohnsitz zu begründen, kommt es nicht an (vgl nur [X.], 243; [X.] 3-1200 § 30 [X.] 5; [X.], 138 = [X.] 3-6180 Art 13 [X.] 2; [X.] 3-6710 Art 1 [X.] 1). Einem gewöhnlichen Aufenthalt im Frauenhaus steht damit nicht entgegen, dass der Aufenthalt einerseits durch äußere Umstände (insbesondere die Bedrohungssituation durch einen Partner) bestimmt wird und andererseits der Art nach stets zeitlich begrenzt ist.

Schon der Wortlaut des § 36a [X.] lässt aber die Auslegung zu, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Frauenhaus keine Erstattungspflicht für den kommunalen Träger wegen Folgeaufenthalten in anderen Frauenhäusern entstehen lässt. Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Anders als noch nach § 107 [X.] (BS[X.]G), der (auch für den Fall einer Aufnahme in einem Frauenhaus) eine [X.] an einen "Umzug" und damit nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) an die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts knüpfte (dazu [X.] Urteil vom 18.3.1999 - 5 C 11.98 - [X.] 436.0 § 107 BS[X.]G [X.] 1; [X.] Urteil vom 7.10.1999 - 5 C 21.98 - FEVS 51, 385/387), soll nach § 36a [X.] nicht entscheidend sein, ob durch die Aufnahme im Frauenhaus gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird oder nicht (vgl BT-Drucks 16/1410 [X.]). Erst die Begründung eines Aufenthalts außerhalb eines Frauenhauses lässt Verhältnisse entstehen, wie sie bei jedem anderen Umzug über örtliche Zuständigkeitsgrenzen hinweg auftreten. Für diese [X.]onstellation sieht das [X.] - wie auch das [X.]II - abweichend von der Rechtslage unter Geltung des BS[X.]G keine Erstattungsregelung mehr vor.

Das so gewonnene Ergebnis entspricht schließlich auch Sinn und Zweck der Norm. § 36a [X.] soll der einseitigen [X.]ostenbelastung derjenigen [X.]n entgegenwirken, die Frauenhäuser unterhalten und unterstützen (vgl BT-Drucks 15/5607 [X.]). Verbleibt es auch bei Folgeaufenthalten in anderen Frauenhäusern bei der Zuständigkeit der ursprünglichen [X.] wird gewährleistet, dass eine [X.], die ein Frauenhaus unterhält, auch von solchen [X.]osten freigestellt wird, die durch eine - wegen der [X.] typischen - weitergehenden Flucht in ein anderes Frauenhaus entstehen können.

b) Ist die [X.] damit als [X.] dem Grunde nach erstattungspflichtige [X.] und der [X.]läger als aufnehmende [X.] [X.]er, werden von der Erstattungspflicht alle Leistungen erfasst, die vom kommunalen Träger nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 [X.] an die leistungsberechtigte Frau und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden [X.]inder für die [X.] im Frauenhaus rechtmäßig erbracht werden. Soweit das [X.] die von der [X.] erfassten Leistungen als "Pflichtleistungen" bezeichnet hat, ist dies missverständlich, weil nach dem Wortlaut des § 36a [X.] auch für Ermessensleistungen, die der kommunale Träger nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] 2 [X.] erbringt, Erstattungsansprüche in Betracht kommen.

Auf Grundlage seiner Feststellungen, die die [X.] nicht mit zulässigen [X.] angegriffen hat, ist das [X.] zutreffend zu dem Schluss gelangt, dass der Anspruch der [X.] und ihrer [X.]inder auf psycho[X.] Betreuung sich vorliegend auf § 16 Abs 2 [X.] aF stützt und der [X.]läger die Leistungen auf dieser Rechtsgrundlage in Ausübung seines Ermessens rechtmäßig erbracht hat.

Nach § 16 Abs 2 [X.] aF, der im [X.]ern § 16a [X.] nF entspricht, können über die in § 16 Abs 1 [X.] aF genannten Eingliederungsleistungen hinaus weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen [X.]ilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Während § 16 Abs 1 [X.] aF den Leistungskatalog der Eingliederungsleistungen nach dem [X.] ([X.]I) in Bezug nimmt und die Erbringung dieser Leistungen der [X.] zuweist, ermöglicht § 16 Abs 2 [X.] aF eine über diesen Leistungskatalog hinausgehende Förderung. In der Aufzählung im 2. [X.]albsatz ist dabei die psycho[X.] Beratung ([X.] 3) als Leistung ausdrücklich genannt. Diese durch den kommunalen Träger zu erbringende Leistung der psycho[X.]n Betreuung unter Geltung des [X.] geht - wie die übrigen in § 16 Abs 2 Satz 2 [X.] 1 bis 4 [X.] aF aufgezählten Betreuungs- und Beratungsleistungen - auf § 8 Abs 2, § 17 BS[X.]G zurück.

aa) Voraussetzung der Erbringung von Ermessensleistungen auf dieser Grundlage ist neben der [X.] der [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] die Erforderlichkeit der Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben. Die Erforderlichkeit einer Eingliederungsleistung nach § 16 Abs 2 Satz 1 [X.] aF beurteilt sich nach den Zielvorgaben der §§ 1, 3 [X.] idF des [X.] (vgl [X.] vom 23.11.2006 - B 11b [X.] - [X.]-4200 § 16 [X.] 1 Rd[X.] 27; [X.] vom [X.] [X.] 14/09 R - [X.], 268 = [X.]-4200 § 16 [X.] 5 Rd[X.] 15). Nach § 3 Abs 1 Satz 1 [X.] können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der [X.]ilfebedürftigkeit erforderlich sind. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt eine Prognose über die möglichen [X.]onsequenzen und Erfolge der Eingliederungsleistung, wobei eine Leistungsgewährung nicht nur dann in Betracht kommt, wenn die Leistungsgewährung die einzige [X.]öglichkeit zur Eingliederung des Leistungsberechtigten ist (vgl Voelzke in [X.]auck/[X.], [X.], [X.] § 16a Rd[X.] 12).

Die Erforderlichkeit der in Streit stehenden psycho[X.]n Beratung auf dieser Grundlage hat das [X.] für den vorliegenden Einzelfall geprüft. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu dem Schluss gelangt, dass die durchgeführten psycho[X.]n [X.]aßnahmen der Eingliederung in das Erwerbsleben gedient haben. Die erbrachten [X.]ilfen haben danach die psychische, [X.] und rechtliche Stabilisierung zum Ziel gehabt, die bei [X.] unabdingbare Voraussetzung für die Eingliederung in das Erwerbsleben gewesen sei. Die dieser Würdigung zugrunde liegenden Feststellungen hat die [X.] nicht mit zulässigen [X.] angegriffen. Ein vorrangiger Leistungsanspruch auf Grundlage des § 27 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ([X.]) scheidet ersichtlich aus.

bb) Voraussetzung für die rechtmäßige Erbringung von Beratungs- und Betreuungsleistungen nach § 16 Abs 2 Satz 2 [X.] 1 bis 4 [X.] aF ist nicht (zusätzlich) der vorangegangene Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 [X.]. [X.]it den kommunalen Leistungen nach § 16 Abs 2 Satz 2 [X.] 1 bis 4 [X.] aF/§ 16a [X.] nF verfolgt der Gesetzgeber einen sozial-integrativen Ansatz. [X.]it der Gewährung solcher Leistungen soll verhindert werden, dass die Eingliederung ins Erwerbsleben an Schwierigkeiten scheitert, die in der allgemeinen Lebensführung ihren Grund haben ([X.] in LP[X.]-[X.], 4. Aufl 2011, § 16a Rd[X.] 8). Diese gesetzgeberische Zielsetzung kann auch außerhalb von [X.] verwirklicht werden. Für das Erfordernis einer Eingliederungsvereinbarung als Voraussetzung für die rechtmäßige Leistungsgewährung besteht kein Bedürfnis.

cc) Entgegen der Auffassung der [X.]n steht der Erbringung von psycho[X.]n Betreuungsleistungen auf dieser Grundlage der Aufenthalt im Frauenhaus nicht grundsätzlich entgegen. Das [X.]onkurrenzverhältnis zwischen den Leistungen nach § 16 Abs 2 Satz 2 [X.] 3 [X.] aF und §§ 67 bis 69 [X.]II, die die [X.] als allein denkbare Anspruchsgrundlage für eine psycho[X.] Betreuung bei Aufenthalt im Frauenhaus ansieht, mag im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein (ausführlich [X.], aaO, Rd[X.] 10 ff; dazu auch Gutachten des [X.] vom 26.6.2009, [X.] 2010, 93). Dies erlaubt aber auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen in [X.] und [X.]II nicht den Schluss, während des Aufenthalts im Frauenhaus komme aufgrund typisierend unterstellten besonderen Lebensverhältnissen der betroffenen Frauen der in § 3 Abs 1 [X.] normierte [X.] nicht zum Tragen. Ein genereller Ausschluss für Leistungen nach § 16 Abs 2 Satz 2 [X.] 3 [X.] aF an erwerbsfähige und hilfebedürftige Frauen, die gerade wegen besonderer [X.]r Schwierigkeiten auch einer Erwerbstätigkeit nur mit schwer zu überwindenden Schwierigkeiten nachgehen können, ist dem [X.] nicht zu entnehmen (Eicher in Eicher/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 16 Rd[X.] 165; Voelzke, aaO, Rd[X.] 32). Der Einwand der [X.]n, die Eingliederung in das Erwerbsleben könne nur ein Aspekt einer umfassenden Betreuung im Frauenhaus sein (so auch [X.] in [X.]ergler/Zink, [X.], Stand April 2009, § 36a Rd[X.] 11), zwingt nicht zu einer anderen Auslegung. Die Leistungen der Eingliederung nach § 16 Abs 2 [X.] aF sind gegenüber den [X.]ilfen zur Überwindung besonderer [X.]r Schwierigkeiten nach dem [X.]II zwar vorrangig (vgl § 2 Abs 1 [X.]II), dies schließt es nicht aus - insbesondere wenn [X.]ilfebedürftigkeit nicht besteht oder ein Bezug zu einer (künftigen) Erwerbstätigkeit im Einzelfall nicht erkennbar ist - Leistungen nach §§ 67 bis 69 [X.]II zu erbringen. Eine Lücke in der Leistungserbringung aus Sicht der Betroffenen ergibt sich deshalb nicht.

dd) Eine Abgrenzung der Tatbestandsvoraussetzungen der psycho[X.]n Betreuungsleistungen, die sich an der Erwerbsfähigkeit der betroffenen [X.]ilfebedürftigen und der Erforderlichkeit von Leistungen zur Eingliederung im Einzelfall orientiert, widerspricht schließlich nicht der Zielsetzung von § 36a [X.]. Die [X.]ostenerstattungsregelung in § 36a [X.] hat zwar das Ziel, in gewissem Umfang einen [X.]ostenausgleich im [X.]inblick auf den Unterhalt bzw die Unterstützung von Frauenhäusern durch [X.]n zu schaffen. Eine umfassende Finanzierungsregelung ist damit aber nicht verbunden. Die Anknüpfung allein an den Personenkreis der erwerbsfähigen [X.]ilfebedürftigen ist vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt, was auch das Diskussionspapier des [X.] vom [X.] ([X.]), auf das sich die [X.] bezieht, deutlich macht. Eine [X.]ostenerstattungsregelung für nichterwerbsfähige [X.]ilfebedürftige fehlt bewusst. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich nennenswerte [X.]osten durch den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit im Anwendungsbereich des [X.]II nicht ergeben, gerade weil der von § 107 BS[X.]G betroffen gewesene Personenkreis im Wesentlichen zu den erwerbsfähigen [X.]ilfebedürftigen gehört (BT-Drucks 15/1514 [X.]8). Auch eine Auslegung der [X.]ostenerstattungsregelung nach § 36a [X.] ausschließlich an den Zielsetzungen des [X.] (und nicht an dem weitergehenden Interesse der betroffenen [X.]n an der umfassenden Finanzierung von Frauenhäusern) ist deshalb vorgegeben.

Auch hinsichtlich der [X.]inder hat das [X.] die Erforderlichkeit der Betreuungsleistungen im [X.]inblick auf die Eingliederung der [X.] in das Erwerbsleben geprüft und bejaht.

Ergänzend zu § 36a [X.] sind die Vorschriften des [X.] anzuwenden, insbesondere also die Ausschlussfrist des § 111 [X.] und die Verjährungsvorschrift des § 113 [X.]. Vorliegend sind diese Verfahrensvorschriften eingehalten.

3. Die Verurteilung der [X.]n zu [X.] durch die Vorinstanzen war dagegen aufzuheben und die [X.]lage insoweit abzuweisen. Eine Anspruchsgrundlage für solche Zinsen besteht nicht. § 108 Abs 2 [X.] scheidet als Anspruchsgrundlage im Verhältnis gleich geordneter Träger und damit auch im Verhältnis der kommunalen Träger untereinander aus ([X.] vom [X.] - [X.] [X.] 22/08 R - juris Rd[X.] 8 mwN). Für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander sind [X.] auch nicht nach § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog zu entrichten, weil es dafür an einer ausdrücklichen sozialrechtlichen Anspruchsgrundlage und - vor dem [X.]intergrund des § 108 [X.] - mangels planwidriger Regelungslücke auch an den Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 291 BGB fehlt (im Einzelnen [X.] vom 28.10.2008 - [X.] [X.] 23/07 R - [X.], 10 = [X.]-2500 § 264 [X.] 2, jeweils Rd[X.] 16 mwN). Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des 8. Senats an, der die anders lautende Rechtsprechung des [X.] aufgegeben hat. Die vom [X.] zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Entscheidung des BSG (Urteil vom [X.] [X.]R 6/05 R - [X.], 133 = [X.]-7610 § 291 [X.] 3) betrifft vertragliche Beziehungen mit Leistungserbringern und ist auf gesetzliche Erstattungsansprüche nicht übertragbar.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 197a [X.] iVm § 155 Abs 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Meta

B 14 AS 190/11 R

23.05.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Stuttgart, 31. Mai 2010, Az: S 25 AS 6915/08, Urteil

§ 36a SGB 2 vom 20.07.2006, § 44b Abs 3 SGB 2 vom 20.07.2006, § 36 S 3 SGB 2 vom 20.07.2006, § 30 Abs 3 S 2 SGB 1, § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 2 vom 30.07.2004, § 16 Abs 2 S 2 Nr 3 SGB 2 vom 20.07.2006, § 3 Abs 1 S 1 SGB 2, § 67 SGB 12, § 68 SGB 12, § 2 Abs 1 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.05.2012, Az. B 14 AS 190/11 R (REWIS RS 2012, 6176)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6176

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 7 AS 7/22 R (Bundessozialgericht)

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Kostenerstattungsanspruch bei Aufenthalt im Frauenhaus - zuständiger kommunaler Träger - bisheriger …


S 52 AS 538/13 (SG München)

Umfang des Kostenerstattungsanspruchs nach § 36a SGB II und Frage der Überprüfbarkeit der Kalkulation und …


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