Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.11.2001, Az. 5 StR 363/01

5. Strafsenat | REWIS RS 2001, 764

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5 StR 363/01BUNDESGERICHTSHOFBESCHLUSSvom 6. November 2001in der [X.] Körperverletzung mit Todesfolge- 2 -Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 6. November 2001beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 19. März 2001 nach § 349 Abs. 4 [X.].Das Verfahren wird eingestellt.Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die not-wendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.[X.][X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und derenVollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die mit der allgemeinen Sachrügebegründete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochte-nen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen [X.]. Zu Unrecht hat das Schwurgericht ein Ruhen der Verjährung für dieTat des jetzt 65jährigen Angeklagten, die dieser vor mehr als 42 Jahren in[X.] ([X.]) begangen ha[X.], angenommen.1. Am 2. März 1959 ha[X.]n sich etwa 40 Jugendliche Œ wie damals re-gelmäßig an Montagen und Freitagen Œ am [X.] in [X.]([X.]) versammelt, um gemeinsam aus mitgebrachten [X.] laute Mu-sik, die vom [X.] RIAS [X.] ausgestrahlten [X.] der [X.], zu hören. Dabei zogen sie, teils untergehakt, durch die [X.] unddrängten so Passanten ab, die sich auch dadurch belästigt fühlten, daß sie- 3 -vrmtigen jungen Leuten ªin Halbstarkenmanierº angesprochenwurden. Mehrere [X.] rc[X.]n an zum ªZer-sprengenº der Gruppe und, um Festnahmen durchzufren. Zur Verstrkungwurde ein weiterer Funkwagen aus [X.] angefordert, in dem [X.] neben einem Fahrer und einem Einsatzleiter als Begleiter mit-fuhr. Als dieses Polizeifahrzeug eintraf, war die groûe Gruppe bereits auf-gelst; einige Jugendliche waren zur Aufnahme der Personalien festgehal-ten worden. Danach ha[X.] sich nochmals eine kleinere Gruppe zusammen-gefunden, die, als der [X.]er Funkwagen anhielt, erneut [X.]. Der 22jrige Angeklagte, der seit 10 Monaten Bediensteter [X.] war und sich im Dienstgrad eines Oberwachtmeisters bei sei-nem ersten groûen Einsatz anlûlich der gesellschaftlich und politisch uner-wschten Verhaltensweise der Jugendlichen einem besonderen Erwar-tungs- und Erfolgsdruck ausgesetzt sah, verfolgte den davonlaufenden18jrigen [X.], um ihn auftragsgemû festzunehmen. Als er [X.] [X.] ihn kurz an der Kleidung festhielt, [X.] dieser sich los; dabei traf er [X.] mlicherweise gezielt mit einer Hand oder einem Arm am Au-ge. Der Angeklagte verfolgte [X.] weiter und rief ihm nach, er mstehenbleiben; auch der Einsatzleiter rief [X.] erfolglos an.Dieser machte auch nach einem Warnschuû des Angeklagten aus seinerDienstpistole nicht halt. Daraufhin gab der Angeklagte, um den nun schonetwa 20 Meter vor ihm laufenden [X.] nicht entkommen zu lassenund ihn festnehmen zu k, einen gezielten [X.] auf dessen Beine ab.Der [X.] traf [X.] jedoch in den Rcken, er fiel schwerverletzt [X.] und wurde ins Krankenhaus der Volkspolizei gebracht.Dort wurde er [X.] erfolgreich operiert. Drei Wochen ster,nachdem er bereits kurzfristig in Untersuchungshaft genommen, kurze Zeitdanach jedoch in das Krankenhaus [X.] worden war, verstarb er an- 4 -massiven inneren Blutungen aus [X.], die sich als Folge [X.], der die Leber durchschlagen ha[X.], gebildet ha[X.]n.Gegen den Angeklagten, der vorrgehend im Innendienst einge-setzt worden war, wurde trotz Anzeige und Nachfragen der Mu[X.]r des [X.] kein Strafverfahren durchgefrt. Ein Totenschein, der die [X.]-verletzung als Todesursache auswies, war den Eltern [X.] ausn-digt, [X.] wieder eingezogen worden. Mehrere Jugend-liche, die der Gruppe in der [X.] ha[X.]n, wurden [X.] zu mehrmonatigen zu vollstreckenden Haftstrafen ver-urteilt.2. Die Tat [X.] die das Schwurgericht zutreffend als vorstzliche undrechtswidrige Erfllung des Verbrechenstatbestandes der Krperverletzungmit Todesfolge bewertet hat [X.] ist verjrt. [X.] war zurZeit der ersten mlichen [X.]sunterbrechung im Januar 2000, mithinmehr als 40 Jahre seit Begehung und Beendigung der Tat, nach [X.] Betracht kommenden Vorschriften lst eingetreten (vgl. § 67 Abs. 1i.[X.]. § 226 [X.]; § 82 Abs. 1 Nr. 4 i.[X.]. § 117 [X.]; sogar § 78Abs. 3 Nr. 2 i.[X.]. § 227 Abs. 1 StGB).Die [X.] hat nicht erst mit Inkrafttreten des [X.] laufen begonnen. Entgegen der Auffassung des Schwurgerichts kannnicht angenommen werden, [X.] die [X.] in der [X.] we-gen eines quasigesetzlichen Verfolgungshindernisses im Sinne des § 83Nr. 2 [X.] (vgl. [X.] deklaratorisch [X.] Art. 1 des [1.] [X.] 26. Mrz 1993, [X.]) geruht hat. Dies setzte voraus, [X.], [X.] die Nichtverfolgung des Angeklagten in der [X.] auf derenrechtsstaatswidriger [X.] beruhte ([X.]St 40, 113, 118). Das istnicht der [X.] 5 -a) Nach der Rechtsprechung des [X.] wird das Ruhender [X.] angenommen fr die Strafverfolgung in Fllen von Scssenan der [X.] ([X.]St 40, 48; 40, 113), in Fllen [X.] und damit tateinheitlich zusammentreffenden Deli[X.]ndurch Arige der [X.]-Justiz in politischen Strafsachen ([X.]St 41,247, 248; 41, 317, 320), in Fllen vom [X.] veranlaûter [X.] in die [X.] ([X.]St 42, 332, 336 ff.), von Freiheitsbe-raubungen durch politische Denunziationen (vgl. [X.], 100,101) sowie in Fllen staatlich zentral gelen[X.]r Vergabe sclicher [X.] an uneingeweihte Sportler ([X.]R StGB § 78b Abs. 1 [X.] Ruhen 8und [X.], [X.] vom 5. September 2001 [X.] 5 [X.] [X.]). Bei diesenFallgruppen waren die Straftaten bereits generell auf Veranlassung oderwenigstens mit Billigung der politischen Frung der [X.] vert worden.Ferner wird ein Ruhen der [X.] auch angenommen fr die Strafverfol-gung in Fllen von Krperverletzungen an Gefangenen durch Strafvollzugs-bedienstete der [X.], die jedenfalls im Interesse des staatlichen Ansehensals geheimhaltungsrftig angesehen wurden ([X.]R StGB § 78b Abs. 1[X.] Ruhen 2 und 6). Entsprechendes gilt fr Flle von Aussageerpressungendurch Arige des [X.] ([X.]R StGB § 78b Abs. 1 [X.] Ruhen 9).Die vorliegend zu beurteilende Tat rt zu keiner dieser [X.]. Sie ist auch den letztgenannten Fllen nicht vergleichbar. Es sind [X.] oder [X.] liche Flle ersichtlich, aus denen sichableiten lieûe, [X.] hier eine Verfolgung um unbedingt gewschter Ge-heimhaltung willen von Staats wegen systematisch hintertrieben worden [X.]) [X.] die vorliegende, mithin individuell zu beurteilende Tat [X.] wegen aus rechtsfeindlichen Motivmlich aufgrund [X.] gewollter Geheimhaltung unter Hintanstellung im Interesse [X.] unverzichtbarer Strafverfolgungsverpflichtungen [X.] un-- 6 -verfolgt geblieben wre, [X.] sich durch Urteilsfeststellungen und a[X.]nkun-dige Indizien nicht mit ausreichender Sicherheit belegen.[X.] der Vorfall keinen erhaltenen Eintrag in Personala[X.]n des [X.] gefunden hat, ist nicht geeignet, seine systematisch betriebeneVertuschung zu belegen. Er ist in Polizeiberichten a[X.]nkundig gemachtworden. Es ist [X.] anders als in vielen bekannt gewordenen Fllen des[X.]waffengebrauchs an der [X.] [X.] kein Versuch un-ternommen worden, die [X.] schweren Verletzung des Opfers undseines Todes vor den Arigen geheimzuhalten. Die durchschosseneKleidung des Toten ist den Arigen ausigt worden. Der Tote istobduziert worden, die dabei zur Todesursache erhobenen Befunde sindnicht verflscht und auch nicht nachweislich vernichtet worden. Die erwiese-ne Urschlichkeit des [X.]waffengebrauchs ist vielmehr in dem ersten,den Arigen [X.] ausigten Totenschein dokumentiert [X.].[X.] dieser Totenschein ster gegen einen solchen ausgetauschtwurde, der lediglich die unmi[X.]lbare Todesursache ohne Verbindung zu dervorangegangenen [X.]verletzung bezeichnete, deutet freilich ebenso wieHinweise auf eine staatliche Beobachtung der Beerdigung des Opfers daraufhin, [X.] die [X.] Aufsehen wegen des Falles befrchteten. [X.] dieser staatliche Argwohn vor dem Hintergrund des bereits politisch miû-liebigen Geschehens der Gruppenaktivi[X.]n in [X.], die letztlichAnlaû fr den polizeilichen [X.]waffengebrauch gewesen waren. Eine ge-zielte rechtsfeindliche Nichtverfolgung der Tat wird damit noch nicht bewie-sen.Freilich bleibt der Umstand, [X.] trotz der Bekanntheit des Falles, so-gar ungeachtet einer Strafanzeige der Mu[X.]r ein Ermittlungsverfahren ge-gen den Angeklagten offenbar nicht einmal eingeleitet worden ist, auf den- 7 -ersten Blick angesichts der zutreffenden strafrechtlichen Bewertung der [X.] das Schwurgericht auffllig. Indes darf die Betrachtungsweise derstrafrechtlichen [X.] in [X.] ([X.]) vor mehr als 40 Jahren,insbesondere zum Hintergrund der Tat nicht rsehen werden. [X.] auf der Hand, [X.] die [X.] den gezielten [X.]waf-fengebrauch durch den Angeklagten eindeutig nicht als strafbar ansahen.Gleichwohl erscheint es nicht gerechtfertigt, dies als eine von einem Un-rechtssystem geprte Sichtweise zu bewerten. Es wrmlich nicht ein-mal besonders wahrscheinlich, [X.] ein Polizeibeamter, der zur Tatzeit in [X.] in vergleichbarer Situation zur [X.] als berechtigt angesehenen Festnahme mit [X.] aufden Festzunehmenden geschossen und dadurch [X.] dessen Tod [X.], [X.] bestraft worden wre (vgl. [X.]St 39, 1, 21 f.). Vor die-sem Hintergrund kann in der [X.] eines Ermittlungsverfahrens inder [X.] im vorliegenden Einzelfall gegen den Angeklagten die erforderlichegesicherte Grundlage fr die Annahme des Ruhens der [X.] in der[X.] nicht gefunden werden.Der [X.] aus, [X.] ein neuer Tatrichter hierzu [X.] hinreichende Erkenntnisse gewinnen [X.]. Anhaltspun[X.] dafr sindjenseits der Urteilsfeststellungen und des A[X.]nkundigen nicht ersichtlich.Der [X.] entscheidet mithin von sich aus auf Einstellung des Verfahrenswegen [X.].3. Er ist hieran auch nicht etwa gehindert, weil er vorrangig gehaltenwre, den Angeklagten freizusprechen.Allerdings hielte das angefochtene Urteil auch sonst [X.] Prfung nicht stand. Es wre vielmehr auch jenseits der [X.]s-frage umfassend aufzuheben gewesen. Das Schwurgericht hat mlich [X.] nach einem Verbotsirrtum des [X.] -lich unerrtert gelassen. Von solcher Errterung war das Gericht auch [X.] freigestellt, weil sich der Angeklagte nicht auf einen solchen Irrtum be-rufen ha[X.]. [X.] er [X.] der das Geschehen ersichtlich jahrzehntelang zu ver-drsucht ha[X.] [X.] sich mit der [X.] rechtsfehlerfrei widerlegten [X.] Be-hauptung zu verteidigen suchte, er habe den letztlich tlichen [X.] unbe-absichtigt ausgelst, gab keinen berechtigten Anlaû, eine bei anders festge-stelltem Tatablauf naheliegende Entschuldigungsmlichkeit zu [X.], auf die sich der Angeklagte bei seiner Verteidigungsstrategie schwer-lich berufen konnte.[X.] liegt [X.] was ohne weiteres aus den Errterungen zur [X.] der [X.]-[X.] folgt [X.] die Annahme nahe, [X.] [X.] sich fr berechtigt hielt, zur Durchsetzung der ihm aufgetrage-nen Festnahme mit [X.] auf sein Opfer zu [X.]. [X.] solcher Verbotsirrtum festzustellen gewesen und wre er fr den Ange-klagten sogar unvermeidbar gewesen [X.] was im Blick auf eine entsprechendeBeurteilung fr [X.]waffengebrauch gegen [X.] an der [X.] mit bloûem [X.] (vgl. [X.]St 39, 168, 194 f.;41, 10, 15; 42, 356, 364; [X.]R [X.] § 5 Abs. 1 - Schuld 7) nicht [X.] [X.], [X.] sich der Angeklagte lediglich aufgrund des konkreten [X.]-waffeneinsatzes wegen [X.]er Ttung strafbar machen k. Diesergeringere Tatvorwurf wre aber [X.] selbst nach der Sichtweise des Tatrichtersabsolut [X.] verjrt gewesen. Danach wre der Angeklagte von dem weiterge-henden angeklagten [X.] freizusprechen gewesen (vgl.[X.]St 36, 340; [X.]R StPO § 260 Abs. 3 [X.] Freispruch 3; jeweils m.w.N.).Hierzu erlauben die bisherigen Feststellungen, schon weil es an jederErrterung der Irrtumsproblematik in dem angefochtenen Urteil fehlt, [X.] Entscheidung des [X.]s. Mithin hat es bei der fr [X.] im Vergleich zu einer [X.] und [X.] auf Verfahrensein-stellung zu bleiben.[X.] Hr [X.] Raum

Meta

5 StR 363/01

06.11.2001

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.11.2001, Az. 5 StR 363/01 (REWIS RS 2001, 764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2001, 764

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