Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2012, Az. V ZB 119/12

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1322

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Gegenstand

Abschiebungshaftverfahren: Anforderungen an die Zulässigkeit eines Haftantrags


Tenor

Dem Betroffenen wird für die Durchführung des [X.] Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte Dipl.-Phys. [X.] und Rinkler bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 23. Mai 2012 und der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 19. Juni 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste in Begleitung von Familienangehörigen Ende Oktober 2010 in die [X.] ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt; er wurde unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert. Der angekündigten Abschiebung entzog er sich. Am 22. Mai 2012 wurde er festgenommen.

2

Auf den Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 4. Juli 2012 angeordnet. Die Beschwerde ist erfolglos gewesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Betroffene nach Ablauf der Haftzeit die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung feststellen lassen.

II.

3

Das Beschwerdegericht sieht den Haftantrag als zulässig an. Insbesondere enthalte er ausreichende Angaben zu der erforderlichen Haftdauer. Die Ausländerbehörde habe eine deutlich unter der Höchstfrist liegende Haftzeit von sechs Wochen mit tragfähiger Begründung beantragt. Der Haftgrund ergebe sich aus § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 [X.] Die Erteilung des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft sei nicht erforderlich, weil die Polizei ausschließlich zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung tätig geworden sei.

III.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des [X.] haben den Betroffenen bereits deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach § 417 Abs. 1 FamFG unverzichtbaren Grundlage für die Freiheitsentziehung fehlte.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 – [X.], [X.] 2012, 328 ff. Rn. 10; vom 27. Oktober 2011 – [X.], [X.] 2012, 82 Rn. 12 f. mwN; vom 15. September 2011 – [X.], [X.] 2012, 25 Rn. 8 mwN).

7

b) Die Begründung des [X.] muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen. Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 – [X.], [X.] 2012, 328 ff. Rn. 9 f.; vom 27. Oktober 2011 – [X.], [X.] 2012, 82 Rn. 13 f. jeweils mwN).

8

c) Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 genügte diesen Anforderungen nicht. Ausgeführt wird lediglich, dass die Beantragung eines [X.] erfahrungsgemäß drei bis vier Wochen in Anspruch nehme; nach Vorlage des [X.] werde das Abschiebungsverfahren eingeleitet. Weder ist ersichtlich, auf welcher Tatsachengrundlage diese Angaben beruhen, noch ist erkennbar, welche Zeit die Abschiebung nach [X.] auch nach Erteilung des [X.] üblicherweise erfordert, welche Formalitäten dabei zu beachten sind und welche Zeit diese üblicherweise beanspruchen. Damit fehlen in dem Haftantrag hinreichende Tatsachen, anhand derer der Haftrichter die Prognose nach § 62 Abs. 3 Satz 4 [X.] treffen konnte; die Angaben werden nicht dadurch entbehrlich, dass die Behörde eine unter der gesetzlichen Höchstfrist liegende Haftdauer beantragt.

9

d) Der Mangel ist auch nicht – was mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre – geheilt worden. Im Rahmen der Anhörung vor dem Beschwerdegericht hat der Vertreter der Beteiligten zu 2 lediglich mitgeteilt, das [X.] liege jetzt vor.

2. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] erforderlich ist, wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und noch nicht abgeschlossen ist. Dazu bedarf es der Einleitung behördlicher Maßnahmen, die auf ein strafrechtliches Vorgehen abzielen ([X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 72 Rn. 12; [X.] in HK-AuslR, § 72 Rn. 31). Insoweit reicht es – anders als das Beschwerdegericht meint - aus, wenn die Polizei den Betroffenen selbst als Beschuldigten führt und, wie hier, einen Ermittlungsvorgang anlegt; ob der Beschuldigte auch als solcher vernommen wird, ist unerheblich. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog; die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128 c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.

Stresemann                             [X.]                               Schmidt-Räntsch

                       Brückner                         Weinland

Meta

V ZB 119/12

15.11.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Verden, 19. Juni 2012, Az: 3 T 49/12, Beschluss

§ 417 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2012, Az. V ZB 119/12 (REWIS RS 2012, 1322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1322

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