Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2016, Az. 4 StR 359/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 210

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:221216U4STR359.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
359/16

vom
22.
Dezember 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Diebstahls
u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 22.
Dezem-ber
2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am [X.]
Sost-Scheible,

[X.]in
am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Cierniak,
[X.],
Dr. Feilcke

als beisitzende [X.],

Bundesanwalt
beim [X.]

in der Verhandlung ,
Staatsanwältin beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter des
Generalbundesanwalts,

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Auf
die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11.
April 2016
im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls in zehn Fällen und wegen versuchten Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt sowie
seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten
Revision. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des [X.].
I.
1.
Nach den Feststellungen leidet der im Jahr 2015 einmal wegen meh-rerer [X.] zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Angeklagte [X.] seit dem [X.] an einer paranoiden Schizophrenie
mit inzwischen 1
2
-
4
-
chronifiziertem Verlauf.
Es kommt zu formalen Denkstörungen, Gedankenabris-sen und sprunghaftem Denken. Außerdem leidet er unter Halluzinationen; er hört Stimmen, denen er mit [X.] zu begegnen versucht, und fühlt sich fremdbeeinflusst, verfolgt und beobachtet. Daneben leidet er auch an einer Po-lytoxikomanie, die aber nach Auffassung des Sachverständigen, der sich die [X.] angeschlossen hatHand

([X.] 20).
Im Januar 2014 traf der Angeklagte nach vielen Jahren seine beiden Cousinen A.

und J.

M.

wieder. Um den abgebrochenen Kontakt zwischen ihm und seiner pflegebedürftigen Mutter wiederherzustellen, boten die Schwestern dem Angeklagten ihre Unterstützung an und tauschten die Tele-fonnummern aus. Der Angeklagte deutete die Zuwendung von Seiten der J.

M.

als persönliches Interesse an ihm und versuchte deshalb,
zu ihr eine Liebesbeziehung aufzubauen. Dies wiesen J.

und A.

M.

unmissverständlich zurück. Der Angeklagte suchte gleichwohl ständig die Nähe von J.

M.

und den Kontakt
zu ihr. Er schrieb ihr zu jeder Tages-
und Nachtzeit unzählige Nachrichten mit seinem Mobiltelefon
und versuchte, sie anzurufen. Er war der Vorstellung verhaftet, mit ihr zusammen zu sein und sie heiraten zu wollen. Mit der von beiden Schwestern nachdrücklich geäußerten Bitte, Distanz zu halten und sie in Ruhe zu lassen, konnte der Angeklagte sich nicht abfinden. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, A.

M.

wolle die Beziehung zu ihrer Schwester
vereiteln, obwohl diese mit ihm zusammen sein wolle. Der Angeklagte begann schließlich gegen A.

M.

Drohungen aus-zusprechen, die bis zu der Vorstellung,
sie zu töten,
reichten und sie um ihr Le-ben fürchten ließen

([X.] 6).
Er meinte, sie zerstöre seine Liebe und töte seine Seele, das rechtfertige einen Ehrenmord. Er warf Briefe oder Postkarten in ihren Briefkasten, erschien auch wiederholt

teilweise nachts

plötzlich vor der 3
-
5
-
Haustür der beiden Schwestern und verlangte, J.

M.

zu sprechen. Die zunehmenden Nachstellungen versetzten beide Schwestern in Angst und Schrecken. Trotz eines gegen ihn schließlich erwirkten [X.] schrieb er aus in anderer Sache verhängter Untersuchungshaft drei Briefe an J.

M.

. Auch nach Entlassung aus dieser Haft kreisten seine Gedanken um seine unerfüllte Liebe zu ihr. Er litt unter der Situation und suchte nach Aus-gleich und Entlastung.
Auch nach seiner vorläufigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in dieser Sache wandte
er sich brieflich
an J.

M.

und fantasierte von
einer
Beziehung und sexuellem
Kontakt. A.

M.

steht er unverändert feindselig gegenüber.
Er ist davon überzeugt, sich an seinen Cousinen rächen zu dürfen
([X.] 27).
2.
Der Verurteilung des Angeklagten liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:
Der Angeklagte hatte aufgrund seiner schwierigen finanziellen Lage und seiner durch die schizophrene Erkrankung hervorgerufenen psychischen Beein-trächtigung das dringende Bedürfnis, ein Gegengewicht schaffen zu müssen. Obwohl er sich krank fühlte, zog er nicht in Erwägung, ärztliche oder andere Hilfe zu suchen. Aufgrund seiner
krankheitsbedingt erheblich eingeschränkten Kritikfähigkeit sah er einen Ausweg hierfür nur darin, erneut Diebstähle zu be-gehen und so seinen Lebensunterhalt und seinen täglichen Drogenkonsum zu finanzieren.
In der [X.] vom 16.
November 2015 bis zum 24.
November 2015
beging er im Zustand einer manifesten paranoiden Schizophrenie ([X.] 22) die abgeur-teilten [X.]. Er war zu den jeweiligen [X.] mit dem Fahrrad unterwegs und suchte gezielt nach geparkten Kraftfahrzeugen, in denen er vom 4
5
6
-
6
-
Besitzer zurückgelassene verwertbare Gegenstände, insbesondere Briefta-schen, Navigationsgeräte oder Mobiltelefone, vermutete. Bevor er die Seiten-scheiben der Fahrzeuge einschlug, schaute er deshalb in das Wageninnere. Wenn er meinte, dort etwas Verwertbares entdeckt zu haben, schlug er die Scheibe mit [X.] oder einem Notfallhammer ein. Ihm war dabei [X.], dass er rechtswidrig handelte und sich strafbar machte. Durch seine ihm als ausweglos erscheinende Lage und seine psychische Verfassung, durch die er sich zu den Taten gedrängt fühlte, war er in seiner Steuerungsfähigkeit je-weils erheblich vermindert.
Vor diesem Hintergrund beging er in zehn Fällen jeweils einen Diebstahl im besonders schweren Fall aus geparkten Kraftfahrzeugen gemäß §
242 Abs.
1, §
243 Abs.
1 Satz
2
Nr.
1 und
3 StGB; in einem weiteren Fall verblieb es beim Versuch, weil der Angeklagte im Wageninneren nichts für ihn [X.] finden konnte. Die Schäden blieben

soweit festgestellt

jeweils im zu-meist unteren dreistelligen Bereich.
II.
Die Revision ist begründet, soweit das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat.
1.
Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher gemäß §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO unzulässig.
7
8
9
-
7
-

2.
Zum Schuld-
und Strafausspruch erweist sich die Revision als unbe-gründet, da die Nachprüfung des Urteils auf
die
Sachrüge
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
3.
Der Maßregelausspruch hält jedoch materiell-rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
Der Senat hat
§
63 StGB in der seit 1.
August 2016 geltenden Neufas-sung anzuwenden (§
2 Abs.
6 StGB, §
354a StPO). Die Neufassung der Anord-nungsvoraussetzungen von §
63 StGB greift im Wesentlichen die Konkretisie-rungen auf, die vom [X.] und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in den vergangenen Jahren vorgenommen worden sind. Es handelt sich damit vorrangig um bestätigende Kodifizierungen (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S.
42; [X.], Beschluss vom 3.
August 2016

4
StR
305/16, [X.], 35).
Zwar hat das [X.] rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der [X.] aufgrund eines überdauernden psychischen De-fekts vermindert schuldfähig war und die [X.] auf diesem Zustand beruhen ([X.] 26).
Die Gefährlichkeitsprognose begegnet indes durchgreifenden Bedenken.
Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten

wie hier
(vgl. [X.], Urteil vom 11. August 2011

4 StR 267/11 mwN)

nicht aus den [X.] selbst, ordnet das Gericht nach §
63 Satz
2 StGB nF die Unterbringung in einem psy-10
11
12
13
14
-
8
-
chiatrischen Krankenhaus nur an, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zu-kunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer
seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
August 2016

4
StR
230/16).
Hierbei kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vor-genommen hat (vgl. [X.], Urteil vom 29. November 1994

1 [X.], [X.], 228; [X.], Beschluss vom 3.
April 2008

1
StR
153/08, [X.] 2008, 300 f.). Das bedeutet, dass auch Bedrohungen im Sinne des §
241 StGB
nicht von vornherein als unerheblich im Sinne des §
63 StGB angesehen werden können. Todesdrohungen, die geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen, stellen eine schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens dar und sind nicht bloße [X.]
([X.], Beschluss vom 26. Juli 2006

2 [X.], [X.], 358 f.). Schon im Hinblick auf das Gewicht eines Eingriffs gemäß §
63 StGB ist jedoch erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestal-tung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirkli-chung in sich trägt (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juni 2008

4 [X.], [X.], 563 f., Beschlüsse
vom 3.
April 2008

1
StR
153/08, aaO und vom 22.
Februar 2011

4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 f.).
Dies wird in den bisher getroffenen Feststellungen und der ihnen zu-grunde liegenden Beweiswürdigung nicht hinreichend belegt. Freilich hat der Angeklagte aufgrund seines psychischen Defekts immer wieder den Kontakt mit J.

und A.

M.

gesucht. Er hat hierbei und auch bei den Explorati-15
16
-
9
-
onen gegenüber dem Sachverständigen Todesdrohungen gegen beide Schwestern ausgestoßen. Auch hat er bei den Explorationen J.

M.

für sein Beeinträchtigungserleben und die ihn sehr belastenden Stimmen ver-antwortlich gemacht. Er ist sich sicher, dass J.

M.

ihn auch körper-lich über die Distanz manipulieren könne ([X.] 21
f.).
Nach der von der [X.] geteilten Einschätzung des Sachverständigen
ist die Gefahr, dass der Angeklagte in krankheitsbedingter Verkennung von Situationen [X.] begehen werde, sehr hoch ([X.] 28).
Allerdings kann der Senat dem [X.] Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit den Drohungen gegenüber den Schwestern etwa gefährliche Gegenstände bei sich geführt und damit ein [X.] aufgebaut (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Juni 2008

4
StR
140/08, aaO; Beschluss vom 18. November 2013

1 [X.], [X.], 75, 77) oder sich auch nur gedanklich mit näher spezifizierten Tötungsarten beschäftigt hätte (vgl. [X.], Beschluss vom 18.
November 2013

1
StR
594/13, aaO).
Deswegen ist nach den bisherigen Feststellungen nicht belegt, dass die Drohungen zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens ge-führt haben (vgl. hierzu etwa [X.], Urteil vom 29. September 2015

1 [X.], NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013

4 [X.], NJW 2013, 3383, 3385).
Erst recht ist die Annahme des [X.]s nicht belegt, dass von dem bislang wegen Gewaltdelikten nicht in Erscheinung getretenen
Angeklagten die Gefahr einer Umsetzung
der Gewaltfantasien gegen die beiden Schwestern
ausging. Denn er hat bislang
trotz der wiederholten
Nähe zu ihnen

nichts un-ternommen, um seine Drohungen in die Tat umzusetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juli 2006

2 [X.], aaO). Die [X.] hat auch nicht fest-gestellt, dass bei ihm eine latente
Neigung
zu Gewalttätigkeiten
zu erkennen
17
-
10
-
gewesen
wäre. Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefahrenprognose nicht begründet werden ([X.], Urteil vom 11. August 2011

4 StR 267/11; Beschluss vom 7. Juni 2016

4 StR 79/16, [X.], 306 f.; vgl. dazu auch [X.], Beschluss vom 17.
Februar 2016

2 StR 545/15, [X.], 720 ff.).
4. Der Senat schließt nicht aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weiter gehende Feststellungen getroffen werden können, welche die erforderli-che Gefährlichkeitsprognose belegen. Die Sache bedarf daher zum Maßregel-ausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat schließt aus, dass sich die Maßregelanordnung
auf die Höhe der Einzelstrafen und
der Gesamt-strafe sowie auf die Bewährungsentscheidung ausgewirkt hat.
[X.]Roggenbuck Cierniak

Quentin Feilcke
18

Meta

4 StR 359/16

22.12.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2016, Az. 4 StR 359/16 (REWIS RS 2016, 210)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 210

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 359/16 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Erheblichkeit von Bedrohungen in Form von Todesdrohungen; Gefahr der Umsetzung …


1 StR 305/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen Körperverletzung u.a. sowie Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Rückfallgeschwindigkeit als Strafzumessungsgrund und Maßregelanordnung …


5 StR 555/08 (Bundesgerichtshof)


4 StR 619/16 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Gefahr erheblicher Straftaten; Wahrscheinlichkeit zu erwartender Nachstellungen


5 StR 432/17 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 267/11

4 StR 635/10

1 StR 594/13

1 StR 287/15

4 StR 168/13

4 StR 79/16

2 StR 545/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.