Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.11.2023, Az. NotZ (Brfg) 4/22, NotZ 1/23

Senat für Notarsachen | REWIS RS 2023, 9907

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Tenor

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen das Urteil vom 21. August 2023 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der [X.] beabsichtigt, die Nichtigkeitsklage des Klägers gegen das Urteil vom 21. August 2023 im [X.] auf seine Kosten als unzulässig zu verwerfen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Amt als Anwaltsnotar nicht mit dem Ablauf des Monats erlischt, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet (§§ 48a, 47 Nr. 1 [X.]). Er meint, dies verstoße gegen das sich aus Art. 21 [X.], Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ergebende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Der [X.] hat die Berufung des [X.] mit Urteil vom 21. August 2023 ([X.]([X.]) 4/22, [X.]) zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 31. August 2023 eingelegten Anhörungsrüge und der am 13. September 2023 erhobenen Nichtigkeitsklage.

2

II. Die gemäß § 111b Abs. 1 [X.], § 152a Abs. 2 VwGO zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet. Der [X.] hat den gesamten Vortrag des [X.] zur Kenntnis genommen, geprüft und erwogen. Er hat ihn nach einer Beweisaufnahme auf der Grundlage seiner Feststellungen aber anders bewertet als der Kläger. Das stellt keine Gehörsverletzung dar.

3

Dies gilt insbesondere auch für den Vortrag des [X.] zur Anzahl der Rechtsanwälte und zu der Zusammensetzung, insbesondere der Altersstruktur, der Anwaltschaft (Rn. 34 ff. des Urteils). [X.] ist die Rüge, der [X.] habe das Vorbringen des [X.] im Schriftsatz vom 1. August 2023 übergangen, in dem er vorgetragen habe, beachtliche Teile der zugelassenen Rechtsanwälte seien als reine Unternehmensanwälte, nur teilzeitmäßig oder gar nicht anwaltlich tätig, weshalb 2022 nur noch wenig mehr als 100.000 "in Kanzlei" niedergelassene Anwälte tätig gewesen seien. Der [X.] hat dieses Vorbringen berücksichtigt und bei seiner Beurteilung im Wesentlichen auf die Rechtsanwälte mit Einzelzulassung abgestellt.

4

Im Übrigen ist die Zahl jüngerer Rechtsanwälte ohne weiteres genügend, um demographisch ausreichenden Nachwuchs zu gewährleisten. Die vom Kläger insoweit ohnehin verfristet angestellten Berechnungen und das ihnen zugrundeliegende Zahlenwerk begründen hieran keine Zweifel. Das ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber 1991 die Einführung der Altersgrenze bereits bei einer Zahl von in diesem Jahr 59.455 bundesweit, das heißt einschließlich von in den Bereichen des hauptberuflichen Notariats (§ 3 Abs. 1 [X.]), zugelassenen Rechtsanwälten für erforderlich gehalten hat und dies verfassungs- sowie unionsrechtlich nicht zu beanstanden war. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Altersstruktur 1991 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt auf den Arbeitsmarkt drängenden geburtenstarken Jahrgänge sich von der heutigen Altersstruktur unterschieden haben wird. Am 1. Januar 2022 waren aber 61.582 Rechtsanwälte mit Einzelzulassung tätig, die unter 50 oder höchstens 50 Jahre alt ([X.], Urteil vom 21. August 2023, aaO Rn. 34 [X.]) und somit weit von der Zugangsaltersgrenze des § 5 Abs. 4 [X.] entfernt waren. Damit überstieg die Zahl der 2022 tätigen jüngeren Rechtsanwälte diejenige bei Einführung der Altersgrenze, wobei diese zudem alle Altersgruppen, also auch die der über [X.], umfasste. 1991 entfielen folglich auf die Bezirke mit [X.] (§ 3 Abs. 2 [X.]) weniger jüngere Rechtsanwälte als 2022. Abgesehen von dem Umstand, dass der Kläger zu Unrecht von der von ihm errechneten Zahl von 17.240 bis 50 Jahre alten im Bereich des [X.]s tätigen Rechtsanwälte sämtliche - auch über 50 Jahre alten Anwaltsnotare abzieht - verkennt er bei seiner Berechnung schon im Ausgangspunkt, dass es lediglich darauf ankommt, ob die [X.] sich derart (massiv) gewandelt haben, dass der Gesetzgeber seinen von den Gerichten schon aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektierenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 2014 - [X.]([X.]) 5/14, D[X.] 2015, 227 [juris Rn. 8]) beziehungsweise den ihm nach der Rechtsprechung des [X.] zustehenden weiten Ermessensspielraum ([X.], Urteile vom 16. Oktober 2007 - [X.]/05, [X.]. 2007, [X.] Rn. 68 f. - [X.]; vom 21. Juli 2011 - [X.]/10, [X.]-10, [X.]. 2011, [X.] Rn. [X.] und [X.] und vom 3. Juni 2021 - [X.]/19, NJW 2021, 2183 Rn. 30 - GN; [X.], Urteil vom 21. August 2023 aaO Rn. 14; [X.], [X.] 2022, 612, 632 [X.]) überschritten hat. Das ist aber demographisch angesichts der obigen Zahlen nicht erkennbar, auch nicht unter Zugrundelegung der vom Kläger beziehungsweise von der von ihm in Bezug genommenen Veröffentlichung ohne belastbare Daten oder sonstige Nachweise behaupteten Zahl von lediglich 100.000 "tatsächlich" in Vollzeit tätigen Rechtsanwälten. Die vom Kläger behauptete "Schrumpfung und Vergreisung" der Anwaltschaft stellt vor diesem Hintergrund lediglich ein Schlagwort dar, dass das Vorliegen eines demographisch ausreichenden Nachwuchspotentials jedenfalls zurzeit nicht in Zweifel zu ziehen vermag.

5

Entgegen der Ansicht des [X.] liegt auch keine Überraschungsentscheidung vor. Bereits das [X.] hat darauf abgestellt, dass es durch die Aufhebung der Altersgrenze für Interessenten noch schwieriger werde, ihre Aussichten auf Erlangung einer [X.] einigermaßen zuverlässig abzuschätzen; je geringer diese Erwartung sei, desto geringer sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass Bewerber die zeit- und kostenaufwändige Ausbildung auf sich nähmen. Im Berufungsverfahren haben sowohl der Beklagte als auch die [X.] zutreffend darauf hingewiesen, dass im [X.] nicht das Prinzip der [X.] gilt und jeder neue Notar sich erst einen Stamm von [X.] aufbauen muss, während ältere Notare auf ihren bestehenden Kundenstamm zurückgreifen können. Verbleiben die älteren Kollegen im Amt, wird den neuen Notaren die Chance genommen, Urkundsgeschäfte in auskömmlichem Umfang erst zu akquirieren. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert. Ohne dass es für die Anhörungsrüge darauf ankommt, ist anzumerken, dass der Kläger im Übrigen bei seinen Ausführungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer ausgeschriebenen Stelle verkennt, dass die von den Landesjustizverwaltungen angesetzten Bedürfniszahlen ein Ausscheiden der älteren Notare mit einem (über-)großen und wirtschaftlich besonders attraktiven Urkundenaufkommen - wie es auch beim Kläger nach seinem eigenen Vorbringen vorliegt - gerade voraussetzen.

6

Unbegründet ist ferner die Rüge, es sei überraschend gewesen, dass der [X.] die Aussage der Vertreter der [X.] in der mündlichen Verhandlung zu den oftmals sechsstelligen Kosten für den Betrieb einer [X.] (vgl. Rn. 32 des Urteils) berücksichtigen werde. Die vom Kläger erstmals mit der Anhörungsrüge bestrittenen Ausführungen waren Bestandteil der intensiven Erörterungen in der mündlichen Verhandlung unter anderem zu den gestiegenen Investitionen in eine [X.], deren Amortisation für Interessenten am [X.] fraglich bleibt, wenn das Urkundenaufkommen etablierter Notare nicht durch deren altersbedingtes Ausscheiden in planbarer Weise "frei" wird. Im Übrigen ist anzumerken, ohne dass es für die Entscheidung über die Anhörungsrüge darauf ankommt, dass der Kläger in seinem beim [X.] eingereichten, auch dem [X.] vorgelegten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die monatlichen Vorhaltekosten für seine [X.] mit 20.000,00 € beziffert hat.

7

Daraus, dass die entsprechenden Ausführungen der Vertreter der [X.] nicht in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurden, konnte der Kläger nicht den Schluss ziehen, dass diese für den [X.] unbedeutend seien. Das Protokoll wurde - für alle Beteiligten der mündlichen Verhandlung ersichtlich - gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 105 VwGO, § 111b Abs.1 Satz 1 [X.] ohne die Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO geführt. Dementsprechend wurden auch alle anderen Ausführungen der Vertreter der [X.] nicht in das Protokoll aufgenommen.

8

III. [X.] dürfte nicht statthaft sein (§ 153 VwGO, § 579 ZPO). Sie ist auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt und dient nicht dazu, eine - wie hier - vom Gericht des Ausgangsverfahrens in Kenntnis der Problematik bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen oder der [X.] außerhalb der für die Anhörungsrüge geltenden Fristen weitere Gehörsrügen zu ermöglichen (vgl. [X.], Urteil vom 28. Juli 2022 - 6 [X.], NJW 2022, 3459 Rn. 20 ff. [X.]; [X.], Urteil vom 15. Juni 2023 - [X.], juris Rn. 14 [X.]). So dürfte es hier liegen. Der [X.] hat sich mit der Frage befasst, ob ein Vorabentscheidungsersuchen nach den dafür geltenden Maßgaben erforderlich ist. Er hat das verneint, weil den nationalen Gerichten nach der Rechtsprechung des [X.] die Überprüfung zugewiesen ist, ob die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten im jeweiligen Fall einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen widerstreitenden Interessen gefunden haben oder der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters ausgehöhlt wird. Soweit der Kläger meint, der [X.] habe eine Vorlagepflicht durch bewusstes Nichtberücksichtigen entscheidungserheblichen Sachvortrags verletzt, dürfte ein [X.] schon nicht dargelegt sein, weil die Nichtigkeitsklage, wie ausgeführt, nicht dazu dienen darf, die für die Anhörungsrüge geltenden Fristen (§ 111b Abs. 1 Satz 1 [X.], § 152a Abs. 2 VwGO) zu umgehen. Gleiches dürfte für die wegen der Einholung des Gutachtens erhobene Rüge gelten, weil in Bezug auf die Endentscheidung ein Fall von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO insoweit schon nicht vorliegt. Dass die Ergebnisse des Gutachtens nicht zutreffen, macht der Kläger im Übrigen nicht geltend. Er hat sie sich zu eigen gemacht und zudem nach Vorlage des Gutachtens das gegen die Mitglieder des [X.]s eingelegte Ablehnungsgesuch zurückgenommen.

9

Über die unstatthafte Nichtigkeitsklage kann der [X.] gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Beschluss entscheiden (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2022 - [X.], juris Rn. 12 f.). Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

[X.]     

      

[X.]     

      

Böttcher

      

Brose-Preuß     

      

[X.]     

      

Meta

NotZ (Brfg) 4/22, NotZ 1/23

13.11.2023

Bundesgerichtshof Senat für Notarsachen

Beschluss

Sachgebiet: NotZ

vorgehend BGH, 21. August 2023, Az: NotZ (Brfg) 4/22, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.11.2023, Az. NotZ (Brfg) 4/22, NotZ 1/23 (REWIS RS 2023, 9907)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9907

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VI K 1/21

6 AZR 24/22

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