Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.11.2015, Az. VI R 42/14

6. Senat | REWIS RS 2015, 2078

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Gegenstand

Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen - Krankheitskosten - Kostenentscheidung bei Revision und Anschlussrevision


Leitsatz

1. NV: Aufwendungen für einen Zivilprozess sind ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen .

2. NV: Sind die Kosten für einen Zivilprozess nur zum Teil als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, ist der abziehbare Teil der Kosten mit Hilfe der Streitwerte der einzelnen (Klage-)Anträge zu ermitteln (Anschluss an BFH-Urteil vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553) .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. Januar 2014  7 K 3143/13 E aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Die [X.] des Klägers wird als unbegründet zurückgewiesen.

Dem [X.] wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der [X.] übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger, [X.]evisionsbeklagte und [X.]skläger (Kläger) erlitt im [X.] mit einem von der Firma [X.] hergestellten Fahrrad, das er am 8. Juli 2008 bei der Firma [X.] erworben hatte, einen Verkehrsunfall. Der Kläger hatte am 18. Juli 2008 bei der [X.] eine Inspektion des Fahrrads durchführen lassen. Am 14. April 2009 wies er die [X.] auf [X.]chleifspuren am hinteren [X.]chutzblech und am dort befestigten Kabelkanal sowie auf einen zu geringen Abstand des [X.] zum Hinterrad hin. Daraufhin setzte die [X.] die Halterungen des [X.] hoch.

2

Der Kläger stürzte am 6. Juni 2009 mit dem Fahrrad und wurde stationär im Krankenhaus behandelt. [X.]s folgten weitere Operationen im Bereich des Oberarms und der [X.]chulter. Der Unfall führte zu einer [X.]chwerbehinderung des [X.] mit einem Grad der Behinderung von 50.

3

Der Kläger beauftragte noch im [X.] einen Gutachter mit der [X.]rmittlung der Ursache des [X.]. [X.] beantragte der Kläger beim [X.] ([X.]) die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, in dem Beweis über verschiedene Fragen zur Ursache des [X.] und zur Verantwortlichkeit der [X.] und der [X.] erhoben werden sollte. Das [X.] erließ den Beweisbeschluss am 24. August 2010. Der Gutachter kam in dem selbständigen Beweisverfahren zu dem [X.]rgebnis, dass ein Produktfehler bei dem vom Kläger erworbenen Fahrrad vorgelegen habe. Der Abstand zwischen dem hinteren [X.]chutzblech und dem [X.]ahmen sowie dem [X.]eifen sei zu gering gewesen. Das [X.]chutzblech sei ferner mangelhaft befestigt gewesen. Die Verkehrssicherheit des Fahrrads sei hierdurch beeinträchtigt worden.

4

[X.] nahm der Kläger die [X.] und die [X.] auf [X.]chadensersatz wegen der bei dem Fahrradunfall erlittenen [X.]chäden in Anspruch.

5

In seiner [X.]inkommensteuererklärung für das [X.]treitjahr (2011) machte der Kläger in Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen wegen des [X.] folgende außergewöhnliche Belastungen geltend (alle Beträge in €):

6

Gerichtskasse G, [X.]echnung vom 17. Oktober 2011

  1.040,93

[X.]echtsanwälte A & B, [X.]echnung vom 11. Oktober 2011

1.035,26

[X.]echtsanwalt C, [X.]echnung vom 19. Dezember 2011

2.237,56

Gerichtskasse L, [X.]chreiben vom 23. November 2011

1.000,00

insgesamt

5.313,75

7

Darüber hinaus begehrte der Kläger den Abzug einer [X.]echnung der [X.] vom 14. Dezember 2011 über 940 € als außergewöhnliche Belastungen. Die [X.] stellte dem Kläger 110 € für eine "Biomechanische Funktionsanalyse ([X.]ingangsanalyse)", 720 € für "[X.]" sowie 110 € für eine weitere "Biomechanische Funktionsanalyse ([X.]rfolgsanalyse)" in [X.]echnung.

8

Der Beklagte, [X.]evisionskläger und [X.] (das Finanzamt --[X.]--) erkannte die vorgenannten Beträge auch im [X.]inspruchsverfahren nicht als außergewöhnliche Belastungen an. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage.

9

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens schloss der Kläger mit [X.]echtsanwalt [X.], dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.], vor dem [X.] einen Vergleich, nach dem sich [X.] zur Abgeltung aller Ansprüche des [X.] gegen [X.] sowie dessen Haftpflichtversicherung verpflichtete, an den Kläger 75.000 € zu zahlen. Mit Zahlung des [X.] sollten alle Ansprüche des [X.] wegen des [X.] vom 6. Juni 2009 gegen [X.] und/oder dessen Haftpflichtversicherung endgültig ausgeglichen und abgegolten sein. Die Kosten des [X.]echtsstreits vor dem [X.] einschließlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens hatte nach dem Vergleich [X.]echtsanwalt [X.] zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der [X.]. Die Kosten des Vergleichs wurden gegeneinander aufgehoben. Das [X.] setzte den [X.]treitwert für [X.]echtsstreit und Vergleich auf 185.000 € fest.

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Deutsches [X.]teuerrecht/[X.]ntscheidungsdienst 2015, 782 veröffentlichten Gründen teilweise statt. Die Prozesskosten seien als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Die Therapiekosten seien demgegenüber nicht abzugsfähig. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arzneimittel, Heilmittel und Hilfsmittel sei der Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 der [X.] ([X.][X.]tDV) durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen. Der Kläger habe aber keine ärztliche Verordnung für die [X.]ückentherapie vorgelegt.

Mit der [X.]evision rügt das [X.] die Verletzung materiellen [X.]echts. [X.]s wendet sich gegen die Anerkennung der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen. Der Kläger rügt mit seiner [X.] ebenfalls die Verletzung materiellen [X.]echts. Das [X.] habe die Zahlungen an die [X.] für das Wirbelsäulentraining zu Unrecht nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt.

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] vom 29. Januar 2014  7 K 3143/13 [X.] aufzuheben, die Klage insgesamt abzuweisen und die [X.] des [X.] zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die [X.]evision als unbegründet zurückzuweisen und im Wege der [X.] das Urteil des [X.] aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, sowie den [X.]inkommensteuerbescheid vom 29. April 2013 in der Gestalt der [X.]inspruchsentscheidung vom 31. Juli 2013 dahin abzuändern, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 940 € anerkannt werden.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der [X.] kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht beurteilen, ob die vom Kläger in Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen wegen des [X.] geltend gemachten Kosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

[X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Die geltend gemachten Aufwendungen, die der Kläger im Streitjahr an die [X.] aufgrund der Rechnung vom 14. Dezember 2011 geleistet haben will, sind keine außergewöhnlichen Belastungen, wie das [X.] zu Recht entschieden hat.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit ([X.]surteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

Demgegenüber nahm der [X.] in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

Der [X.] hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das [X.]surteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessualen Auseinandersetzungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen. Da das [X.] von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, kann sein Urteil keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben.

a) Das [X.] hat --von seinem Standpunkt aus zu [X.] keine Feststellungen dazu getroffen, ob und wenn ja in welchem Umfang das vom Kläger angestrengte selbständige Beweisverfahren und das nachfolgende Klageverfahren, soweit sich vom Kläger geltend gemachte und im Streitjahr gezahlte Aufwendungen auch auf jenes Verfahren beziehen sollten, existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührten.

Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des [X.] vermag der [X.] auch nicht selbst zu beurteilen, ob der Kläger ohne das selbständige Beweisverfahren und das nachfolgende Klageverfahren Gefahr gelaufen wäre, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553). Im Streitfall ist solches jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen. Die Sache ist deshalb an das [X.] zurückzuverweisen.

Der [X.] weist für den zweiten Rechtsgang darauf hin, dass der Kläger ausweislich der sich bei den Akten befindlichen Klageschrift im Zivilprozess zahlreiche (prozessuale) Ansprüche verfolgte. Das [X.] wird daher für jeden vom Kläger geltend gemachten Anspruch zu untersuchen haben, ob der Anspruch einen existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Sollte das [X.] dabei zu der Erkenntnis gelangen, dass dies für bestimmte (prozessuale) Ansprüche der Fall ist, für andere Ansprüche hingegen nicht, wird es die Prozesskosten aufzuteilen haben. Der [X.] weist insoweit auf das [X.]-Urteil in [X.]/NV 2009, 553 hin. Der abziehbare Teil der Kosten ist hiernach mit Hilfe der Streitwerte der einzelnen ([X.] zu ermitteln.

b) Soweit ein Abzug der Zivilprozesskosten nach den vorgenannten Grundsätzen in Betracht kommt, wird das [X.] im zweiten Rechtsgang auch nochmals zu prüfen haben, ob die vom Kläger geltend gemachten Prozesskosten notwendig waren.

Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind außergewöhnliche Belastungen nur insoweit abzugsfähig, als sie notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht überschreiten ([X.]surteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015). Das [X.] hat in seinem Urteil die Notwendigkeit der geltend gemachten Kosten zwar bejaht. Es hat seine diesbezügliche Auffassung aber nicht weiter begründet und auch insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

aa) So hat das [X.] nicht festgestellt, auf welche anwaltliche Tätigkeit sich die Rechnung des [X.] vom 19. Dezember 2011 überhaupt bezog. Rechtsanwalt C hat in der vorgenannten Rechnung für eine "Leistungszeit: 15.11.2011 bis 19.12.2011" in der Sache des [X.] gegen die [X.] u.a. eine Geschäftsgebühr abgerechnet. Der Rechnung vom 19. Dezember 2011 und den sonstigen Feststellungen des [X.] ist aber nicht zu entnehmen, für welche anwaltliche Tätigkeit die in Rechnung gestellte Geschäftsgebühr angefallen sein soll.

Im selbständigen Beweisverfahren vor dem [X.] wurde der Kläger nach den Feststellungen des [X.] nicht durch Rechtsanwalt C, sondern durch die Rechtsanwälte [X.] vertreten, die über ihre anwaltliche Tätigkeit in jenem Verfahren mit der ebenfalls vom Kläger geltend gemachten Rechnung vom 11. Oktober 2011 abgerechnet hatten.

Soweit der Kläger sich nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens und insbesondere in dem nachfolgenden Klageverfahren nicht mehr von den Rechtsanwälten [X.], sondern von Rechtsanwalt C vertreten ließ, ist die Notwendigkeit der Anwaltskosten für Rechtsanwalt C ebenfalls nochmals zu prüfen. Denn zu den Kosten eines Zivilrechtsstreits gehören auch die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens (z.B. [X.]/ [X.], ZPO, 31. Aufl., § 91 Rz 9). Die Mehrkosten, die für einen zweiten Rechtsanwalt infolge eines [X.]s entstanden sind, sind nach § 91 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung aber nur zu erstatten, "als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste". Die Notwendigkeit für einen [X.] wird in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum nur unter engen Voraussetzungen anerkannt (dazu z.B. [X.]/[X.], a.a.[X.], § 91 Rz 13 Stichwort "[X.]", m.w.N.). Ist die Einschaltung von zwei Rechtsanwälten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nach den hierzu entwickelten zivilrechtlichen Grundsätzen nicht notwendig, kommt auch ein Abzug der Mehrkosten, die durch den zweiten Rechtsanwalt entstehen, nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht in Betracht.

bb) Soweit das [X.] den Abzug von 1.000 € Gerichtskosten nach einem vom Kläger vorgelegten Schreiben der Gerichtskasse vom 23. März 2011 an die [X.] als außergewöhnliche Belastungen anerkannt hat, fehlt es auch insoweit an tragfähigen tatsächlichen Feststellungen. Das [X.] hat schon nicht festgestellt, welche Forderung der Kläger mit der am 18. März 2011 an die Gerichtskasse geleisteten Zahlung erfüllen wollte. Die Gerichtskasse führte in dem Schreiben an die [X.] selbst aus, dass die Zahlung nicht gebucht werden könne, da notwendige Angaben zum Verwendungszweck fehlen.

c) Das [X.] hat ferner nicht festgestellt, ob der Kläger die als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Kosten im Streitjahr tatsächlich gezahlt hat. Auch dies wird das [X.] --soweit es darauf ankommen sollte-- im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Die Vorlage der Rechnungen vom 11. und 17. Oktober 2011 sowie vom 19. Dezember 2011 ersetzt den Zahlungsnachweis im Streitjahr nicht.

4. [X.] ist unbegründet. Die Aufwendungen des [X.] für die beiden "[X.] Funktionsanalysen" und das "[X.]" stellen keine außergewöhnlichen Belastungen dar, wie das [X.] im Ergebnis zutreffend erkannt hat.

a) In ständiger Rechtsprechung geht der [X.] davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der [X.] dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, [X.]) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl ([X.]-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, [X.] 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, [X.]E 149, 222, [X.] 1987, 427; vom 20. März 1987 III R 150/86, [X.]E 149, 539, [X.] 1987, 596; aus neuerer Zeit z.B. [X.]surteil vom 18. Juni 2015 VI R 68/14, [X.]E 250, 166, [X.] 2015, 803).

Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf ([X.]-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, [X.]E 195, 144, [X.] 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, [X.]E 187, 503, [X.] 1999, 227). Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten ([X.]-Urteil in [X.]E 195, 144, [X.] 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. [X.]-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, [X.]E 183, 476, [X.] 1997, 805), also medizinisch indiziert sind ([X.]surteil vom 19. April 2012 VI R 74/10, [X.]E 237, 156, [X.] 2012, 577).

Der Steuerpflichtige hat die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des [X.]) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.[X.] ([X.]) 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen.

Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitfall Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des [X.] 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 in allen Fällen, in denen --wie vorliegend-- die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden. Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des [X.] 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des [X.] 2011 begegnen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ([X.]surteil in [X.]E 237, 156, [X.] 2012, 577).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des [X.], die Aufwendungen des [X.] für die biomechanischen Funktionsanalysen und das [X.] nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zuzulassen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Bei den Aufwendungen für die biomechanischen Funktionsanalysen und das Wirbelsäulentraining kann es sich, sofern man zugunsten des [X.] überhaupt das Vorliegen von Krankheitskosten annimmt, allenfalls um Aufwendungen für Heilmittel im Sinne einer physikalischen Therapie (Bewegungstherapie, Krankengymnastik gemäß § 19 der Heilmittel-Richtlinie) handeln (zur Krankengymnastik als Heilmittel, s. auch Urteil des [X.] vom 13. September 2011 B [X.] 23/10 R, [X.], 116). Der Kläger hat --nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und den [X.] daher gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.]-- die Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen insoweit aber nicht in der nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV gebotenen Form nachgewiesen. Denn er hat keine entsprechende Verordnung eines Arztes oder eines Heilpraktikers vorgelegt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf 143 Abs. 2 [X.][X.] Diese beinhaltet auch Kosten der [X.], bei der es sich kostenrechtlich zwar um ein eigenständiges Rechtsmittel handelt ([X.]-Urteil vom 21. November 2000 IX R 69/96, [X.]/NV 2001, 754, m.w.N.; Gräber/Ratschow, [X.]O, 8. Aufl., § 120 Rz 89). Die Kostenentscheidung ist aber dennoch einheitlich zu treffen ([X.]-Urteil vom 5. Mai 2015 [X.], [X.]/NV 2015, 1358).

Meta

VI R 42/14

19.11.2015

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 29. Januar 2014, Az: 7 K 3143/13 E, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 64 Abs 1 Nr 1 EStDV 2000 vom 01.11.2011, § 33 Abs 2 S 1 EStG 2009, EStG VZ 2011, § 91 ZPO, § 143 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.11.2015, Az. VI R 42/14 (REWIS RS 2015, 2078)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2078

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