Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.01.2016, Az. VI R 40/13

6. Senat | REWIS RS 2016, 17427

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Gegenstand

Zivilprozesskosten zur Abwehr von Wasserschäden am Wohnhaus als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

NV: Das Wohnen betrifft grundsätzlich einen existenziell wichtigen Bereich. Zivilprozesskosten zur Abwehr aufstaubedingter Hochwasserschäden können dementsprechend außergewöhnliche Belastungen sein, wenn der Steuerpflichtige ansonsten Gefahr liefe, sein Wohnhaus nicht weiter zu Wohnzwecken nutzen und dadurch seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. November 2012  3 K 333/12 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks in [X.] Es liegt unweit des [X.] Der Fluss wird zum Betrieb einer Turbine regelmäßig auf eine Höhe von 75,76 m.ü.NN angestaut. Dadurch tritt Wasser in die [X.] im Gebäude des Klägers ein. Der Turbinenbetreiber beruft sich darauf, dass er aufgrund eines alten Rechts zum Anstauen befugt sei.

3

Ein Sachverständigengutachten, das im Rahmen eines beim [X.] durchgeführten selbständigen Beweisverfahrens eingeholt worden war, kam zu dem Ergebnis, dass das Eindringen des Flusswassers vermieden werden könnte, wenn die [X.] geringer wäre. Ansonsten sei ein Wassereintritt "nur unter größten Schwierigkeiten" zu verhindern und dies auch nur "mit Kosten, welche mit Sicherheit außerhalb jeder Wirtschaftlichkeit stünden".

4

Auf Grundlage dieses Gutachtens erhob der Kläger gegen den Turbinenbetreiber vor dem [X.] Klage mit dem Ziel, es zu unterlassen, den Fluss über eine Höhe von 74,71 m.ü.[X.]. Der Kläger bestritt, dass dem Turbinenbetreiber ein entsprechendes Recht zustehe, es fehle insoweit an einer Eintragung im Wasserbuch.

5

Die dem Kläger für diesen Rechtsstreit entstandenen Kosten (Verfahrensgebühr, Gutachtenkosten, Rechtsanwaltsgebühren) in Höhe von insgesamt 7.195,42 € machte er im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) als außergewöhnliche Belastungen geltend.

6

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) lehnte die steuerliche Berücksichtigung der Kosten ab.

7

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in [X.]Entscheidungsdienst 2014, 1367 veröffentlichten Gründen unter Berufung auf das Senatsurteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 ([X.], 30, [X.], 1015) statt.

8

Das [X.] rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.

9

Es beantragt sinngemäß,
das Urteil des Niedersächsischen [X.] vom 12. November 2012  3 K 333/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der [X.] kann auf Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die vom Kläger geltend gemachten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 29. September 1989 III R 129/86, [X.], 380, [X.] 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.], 326, [X.] 2015, 9).

2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des [X.] eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit ([X.]surteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, [X.]E 67, 379, [X.]I 1958, 419; [X.]-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, [X.]E 147, 171, [X.] 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, [X.]E 198, 94, [X.] 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, [X.]/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war ([X.]-Urteil in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des [X.] im Allgemeinen bei einem Zivilprozess ([X.]-Urteile in [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726, und in [X.]/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553).

Dagegen nahm der [X.] in seiner Entscheidung in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das [X.] dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

Der [X.] hält an seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 ([X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in [X.]E 234, 30, [X.] 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des [X.] zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das [X.]surteil in [X.]E 250, 153, [X.] 2015, 800 Bezug genommen.

3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das [X.] ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil kann daher keinen Bestand haben. Das Urteil ist aufzuheben.

b) Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des [X.] kann der [X.] allerdings nicht in der Sache selbst entscheiden. Denn auf Grundlage der bisherigen Feststellungen kann insbesondere nicht entschieden werden, ob der Kläger ohne die mit dem Zivilprozess verfolgte Abwehr weiterer aufstaubedingter Hochwasserschäden an seinem Wohnhaus Gefahr gelaufen wäre, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können ([X.]-Urteile in [X.]E 181, 12, [X.] 1996, 596, und in [X.]/NV 2009, 553). Das wäre insbesondere der Fall, wenn der Kläger durch das [X.] des Flusses Gefahr liefe, sein Wohnhaus nicht mehr weiter zu Wohnzwecken nutzen zu können. Denn das Wohnen betrifft grundsätzlich einen existenziell wichtigen Bereich, es gehört zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum ([X.]-Urteil vom 6. Mai 1994 III R 27/92, [X.]E 175, 332, [X.] 1995, 104, mit Hinweis auf den Beschluss des [X.] vom 25. September 1992  2 BvL 5/91 u.a., [X.] 1993, 413, 418). Dementsprechend haben sowohl die Rechtsprechung des [X.] als auch die Finanzverwaltung immer schon bei Verlust von Hausrat und Kleidung aufgrund eines unabwendbaren Ereignisses die Voraussetzungen des § 33 EStG bejaht und insbesondere nicht grundsätzlich zwischen dem Verlust lebensnotwendiger Bedarfsgegenstände einerseits und einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des ebenfalls lebensnotwendigen privaten Wohnens andererseits unterschieden ([X.]-Urteil in [X.]E 175, 332, [X.] 1995, 104; R 33.2 des [X.] 2014). Eine solche schwerwiegende Beeinträchtigung des lebensnotwendigen privaten Wohnens und eine damit einhergehende existenzielle Betroffenheit ist allerdings nicht schon mit jedem beliebigen Schaden an dem zu eigenen Wohnzwecken genutzten Haus des Steuerpflichtigen gegeben. Eine solche existenzielle Betroffenheit liegt vielmehr nur dann vor, wenn die Nutzung des Wohnhauses zu eigenen Wohnzwecken ernsthaft in Frage gestellt ist.

Das [X.] hat bisher keine Feststellungen zum Umfang der durch das [X.] des Flusses bewirkten Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Hauses getroffen. Diese Feststellungen wird das [X.] nachzuholen haben. Sollte das [X.] danach zu der Würdigung gelangen, dass der Kläger in seiner Wohnsituation durch das [X.] des Flusses im vorgenannten Sinne gravierend beeinträchtigt ist, ist ein solcher existenziell wichtiger Bereich berührt. Dann kann der Steuerpflichtige, so die ständige Rechtsprechung, auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen. In solchen Fällen erwachsen die Prozesskosten zwangsläufig [X.] von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG.

Wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, sind allerdings nur solche Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, die den Steuerpflichtigen endgültig belasten ([X.]-Urteil vom 30. Juni 1999 III R 8/95, [X.]E 189, 371, [X.] 1999, 766). Sollte der vom Kläger geführte Rechtsstreit zwischenzeitlich zu seinen Gunsten entschieden und ihm die streitigen Aufwendungen ersetzt worden sein, kommt ein Abzug als außergewöhnliche Belastung nicht mehr in Betracht.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 40/13

20.01.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 12. November 2012, Az: 3 K 333/12, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 S 1 EStG 2009, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.01.2016, Az. VI R 40/13 (REWIS RS 2016, 17427)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17427

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