Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. 5 C 9/15

5. Senat | REWIS RS 2015, 394

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Gegenstand

Beginn der Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB 10 im Jugendhilferecht


Leitsatz

1. Die Inobhutnahme im Sinne des § 42 SGB VIII (juris: SGB 8) ist eine (eigenständige) Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X (juris: SGB 10).

2. Die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X für die Geltendmachung eines jugendhilferechtlichen Kostenerstattungsanspruchs beginnt mit dem Ablauf des letzten Tages, an dem die jeweilige (Gesamt-)Leistung im Sinne dieser Vorschrift erbracht wurde (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 14.09 - BVerwGE 137, 368).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Rückerstattung eines Teilbetrages, den er als überörtlicher Träger der Jugendhilfe an die beklagte [X.] im Rahmen einer Kostenerstattung gezahlt hat.

2

Mit einem am 25. August 2011 eingegangenen Schreiben vom 23. August 2011 machte die Beklagte einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89d [X.] gegenüber dem vom [X.] mit Schreiben vom 18. März 2010 zum erstattungspflichtigen Kostenträger bestimmten Kläger geltend. Der Anspruch betraf die Aufwendungen für einen unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer. Die Beklagte hatte diesen nach ihren eigenen Angaben am 14. Januar 2010 in Obhut genommen und ihm im [X.] an die am 2. März 2010 beendete Inobhutnahme ab dem 3. März 2010 Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung gewährt.

3

Der Kläger erkannte seine Kostenerstattungspflicht zunächst nur für die [X.] vom 25. August 2010 bis 13. Juni 2011, dem Ende der Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung, an. Später gab er auch für den verbleibenden [X.]raum eine Kostenerstattungszusage ab und leistete den insoweit angeforderten Betrag. In der Folgezeit begehrte er die Rückerstattung des für die [X.] vom 14. Januar bis zum 24. August 2010 gezahlten Betrages in Höhe von 45 038,42 €. Zur Begründung stützte er sich auf die Entscheidung des [X.] vom 19. August 2010 - 5 C 14.09 -. Diese sei nicht - wie von ihm ursprünglich angenommen - dahin auszulegen, dass die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X erst mit dem Ende der Gesamtleistung zu laufen beginne. Bei der Berechnung der Ausschlussfrist sei vielmehr auf die einzelnen Teilleistungszeiträume abzustellen. Somit könne eine Erstattung erst ab dem 25. August 2010 erfolgen. Die Beklagte verweigerte die Rückzahlung des geforderten Betrages.

4

Das Verwaltungsgericht hat der am 6. November 2014 erhobenen Klage auf Rückerstattung stattgegeben. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs nach § 112 SGB X lägen vor. Der für die [X.] vom 14. Januar bis zum 24. August 2010 nach § 89d [X.] gegebene Kostenerstattungsanspruch sei mangels Geltendmachung innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X untergegangen. Nach dieser Vorschrift sei für den Ablauf des [X.] bei wiederkehrenden Leistungen der jeweilige Teilzeitraum erheblich, für den jeweils geleistet worden sei. Die Ausschlussfrist beginne deshalb für jeden Teilzeitraum neu zu laufen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass auch [X.], die nicht auf einen bestimmten Bewilligungszeitraum beschränkt seien, abschnittsweise gewährt würden und für die Konkretisierung des Leistungs(teil)zeitraums auf die Ausgestaltung des [X.] mit dem zur Leistungserbringung herangezogenen [X.] abzustellen sei. Die Entscheidung des [X.] vom 19. August 2010 - 5 C 14.09 - stehe dem nicht entgegen. Ihr ließen sich insbesondere keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Anknüpfung an Teilzeiträume völlig habe aufgegeben werden sollen. Eine solche, ausschließlich auf das Ende der (Gesamt-)Leistung abstellende Interpretation der Entscheidung wäre mit dem Normzweck des § 111 Satz 1 SGB X, Erstattungsansprüche zeitnah geltend zu machen, nicht vereinbar. Außerdem sei die der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze sei das Erstattungsbegehren für den streitgegenständlichen [X.]raum nicht fristgerecht geltend gemacht worden. Denn für diesen habe die [X.] bereits am 24. August 2011 geendet.

5

Mit der Sprungrevision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Sie rügt eine Verletzung des § 111 Satz 1 SGB X.

6

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Sprungrevision der [X.] ist im tenorierten Umfang begründet. Die entscheidungstragende Annahme des [X.], es müsse zeitabschnittsweise geprüft werden, ob der Kostenerstattungsanspruch innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 Sozialgesetzbuch - [X.] - in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 ([X.]) - [X.] - geltend gemacht worden sei, so dass für den Fristbeginn der letzte Tag des jeweiligen Abrechnungszeitraums maßgebend sei, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da für den Beginn der Frist des § 111 Satz 1 [X.] auf den letzten Tag, an dem die Leistung erbracht wurde, abzustellen ist, besteht lediglich ein Anspruch auf Rückerstattung der vom Kläger für die Inobhutnahme erstatteten Kosten in Höhe von 13 884,50 €.

8

Grundlage für den geltend gemachten Rückerstattungsanspruch des [X.] ist § 112 [X.]. Danach sind die gezahlten Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 89d Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - [X.] - in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 ([X.]), vor dem hier maßgeblichen [X.]raum zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 6. Juli 2009 ([X.]) - [X.] - erfüllt waren und der [X.] damit gegen den Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Erstattung der Kosten zugestanden haben konnte, die sie für den unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer anlässlich seiner Inobhutnahme und der ihm gewährten Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung aufgewandt hatte. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Ebenso ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 89d [X.] grundsätzlich der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] unterliegt (vgl. bereits [X.], Urteil vom 19. August 2010 - 5 [X.] 14.09 - [X.]E 137, 368 Rn. 13 f. m.w.N.). Die in diesem Zusammenhang zwischen den Beteiligten allein streitige Frage, ob der Anspruch nach dieser Bestimmung im konkreten Fall ausgeschlossen war, ist - entgegen der Ansicht des [X.] - nur in Bezug auf die von ihm für die Inobhutnahme vom 14. Januar bis zum 2. März 2010 erstatteten Kosten zu bejahen (1.). Soweit der Kläger der [X.] die Kosten für die vom 3. März bis zum 24. August 2010 gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung erstattet hat, hat die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch mit Schreiben vom 23. August 2011 fristwahrend geltend gemacht (2.). Das ergibt den zuerkannten [X.], dessen Höhe zwischen den Beteiligten nicht streitig und der in entsprechender Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB antragsgemäß ab Eintritt der Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist (vgl. insoweit stRspr im [X.] Kostenerstattungsrecht, z.B. [X.], Urteil vom 14. November 2013 - 5 [X.] 34.12 - [X.]E 148, 242 Rn. 44 m.w.N.).

9

1. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Rückerstattung hat, soweit es um die von ihm für die Inobhutnahme vom 14. Januar bis zum 2. März 2010 erstatteten Kosten geht. Denn deren Erstattung ist zu Unrecht erfolgt. Der Erstattungsanspruch der [X.] nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] war, soweit er sich auf die Inobhutnahme bezieht, gemäß § 111 Satz 1 [X.] ausgeschlossen. Die Vorschrift bestimmt, dass der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen ist, wenn der [X.] ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Ob diese Frist gewahrt wird, ist für jede Leistung im Sinne der Vorschrift gesondert zu prüfen. Bezüglich der Geltendmachung des [X.] [X.] nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] stellt auch die Inobhutnahme ihrer Art nach eine Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 [X.] dar (a). Die fristgerechte Geltendmachung des Erstattungsanspruchs ist aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung zu beurteilen (b). Die Entscheidung des [X.] erweist sich auch nicht mit Blick auf § 111 Satz 2 [X.] als fehlerhaft (c).

a) Die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] ist auf den Kostenerstattungsanspruch nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] auch insoweit anwendbar, als dieser - wie hier - die Kosten der Inobhutnahme zum Gegenstand hat. Die Inobhutnahme nach 42 [X.] ist als (eigenständige) Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 [X.] anzusehen.

Der Leistungsbegriff des § 111 Satz 1 [X.] ist kontextabhängig und bereichsspezifisch auszulegen (vgl. bereits [X.], Urteil vom 19. August 2010 - 5 [X.] 14.09 - [X.]E 137, 368 Rn. 18). Bei den im Kinder- und Jugendhilferecht angesiedelten Erstattungsverhältnissen erfasst die Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 [X.] alle Maßnahmen und Hilfen, deren Kosten von einem Jugendhilfeträger infolge der [X.] Verknüpfung der örtlichen Zuständigkeit mit der Kostentragungspflicht zu zahlen sind, mit denen dieser aber nach den Regelungen über die Kostenerstattung nach §§ 89 ff. [X.] nicht endgültig belastet werden soll. Denn nach der Systematik des Gesetzes ist es Aufgabe der Kostenerstattung, durch die Zuständigkeitsregelungen nicht gerechtfertigte Kostenbelastungen nach Möglichkeit auszugleichen und auf diesem Weg für eine gleichmäßige Kostenverteilung zwischen den einzelnen Trägern der Jugendhilfe zu sorgen. Dementsprechend folgt im Siebten Kapitel des [X.] [X.] unmittelbar auf die im Zweiten Abschnitt geregelte (vorrangige) örtliche Zuständigkeit der Dritte Abschnitt mit seinen Regelungen über die Kostenerstattung. Überdies knüpft auch der Wortlaut der einzelnen Erstattungsansprüche nach §§ 89 ff. [X.] zum Teil ausdrücklich an die örtliche Zuständigkeit nach §§ 86 ff. [X.] an (vgl. bereits [X.], Urteil vom 19. August 2010 - 5 [X.] 14.09 - [X.]E 137, 368 Rn. 19). Mithin unterfallen dem Anwendungsbereich des § 111 Satz 1 [X.] alle Maßnahmen und Aufgaben, für die im Zweiten Abschnitt des Siebten Kapitels des [X.] eine Zuständigkeitsbestimmung getroffen und eine Kostenerstattungsregelung (§§ 89 ff. [X.]) vorgesehen ist.

Gemessen daran ist die Inobhutnahme eine Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 [X.]II, weil insoweit in § 87 SGB die örtliche Zuständigkeit geregelt ist und sich in § 89b [X.] eine ausdrücklich und in § 89d [X.] eine der Sache nach an die Inobhutnahme anknüpfende Kostenerstattungsregelung findet. Ihr etwaiger Eingriffscharakter steht ihrer Bewertung als Leistung im Kontext des [X.] Kostenerstattungsrechts und damit ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich des § 111 Satz 1 [X.] nicht entgegen. Die Inobhutnahme enthält in Form der mit ihr notwendig verbundenen Gewährung von Unterkunft, Verpflegung und sozialpädagogischer Betreuung auch Leistungs- bzw. Zuwendungselemente (vgl. [X.], Urteil vom 21. Oktober 2015 - 5 [X.] 21.14 - juris Rn. 13 und 15 m.w.N.). Die dadurch verursachten Kosten sind nach den allgemeinen Grundsätzen des Jugendhilferechts zunächst von dem nach § 87 [X.] örtlich zuständigen Jugendhilfeträger zu tragen, der aber gegebenenfalls durch den nach §§ 89b, 89d [X.] erstattungspflichtigen Leistungsträger von der Kostenbelastung freizustellen ist. Letzterer ist im Hinblick auf die Erstattung der durch eine Inobhutnahme anfallenden Kosten nicht weniger schutzwürdig als ein erstattungspflichtiger Leistungsträger bezüglich der Ansprüche, die auf die Kosten einer Leistung im Sinne von § 2 Abs. 2 [X.] gerichtet sind. Auch im Fall der Inobhutnahme ist dem berechtigten Interesse des erstattungspflichtigen Leistungsträgers Rechnung zu tragen, möglichst kurze [X.] nach der Gewährung der mit der Inobhutnahme verbundenen Leistungen zu erfahren, welche finanziellen Ansprüche auf ihn zukommen, so dass er gegebenenfalls für die zu erwartende Belastung entsprechende Mittel im Haushalt einstellen bzw. Rücklagen bilden kann.

Bei der Inobhutnahme handelt es sich um eine selbständige Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 [X.] und nicht etwa zusammen mit der nachfolgend gewährten Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung um einen Teil einer Gesamtleistung. Nach der Rechtsprechung des [X.]s kann die Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 [X.] auch aus verschiedenen Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 2 [X.] bestehen, wenn und soweit die betreffenden Einzelleistungen unter [X.] Bedarfsgesichtspunkten als eine Einheit zu werten sind. Dies gilt auch dann, wenn sich die Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfes bei dem vielfach auf einen längeren [X.]raum angelegten Hilfeprozess verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen bis hin zu einem Wechsel der [X.] erforderlich werden, die gewährte Jugendhilfe im Verlauf des ununterbrochenen [X.] also einer anderen Nummer des § 2 Abs. 2 [X.] zuzuordnen und dementsprechend innerhalb des [X.] [X.] nach einer anderen Rechtsgrundlage zu bewilligen ist (vgl. bereits [X.], Urteil vom 19. August 2010 - 5 [X.] 14.09 - [X.]E 137, 368 Rn. 20 m.w.N.). Keine im Sinne des Jugendhilferechts einheitliche Leistung können - auch bei einem wie vorliegend an sich nicht qualitativ veränderten Bedarf - die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 [X.] den sonstigen Aufgaben der Jugendhilfe zugeordnete Inobhutnahme und die in § 2 Abs. 2 [X.] genannten Leistungen bilden (vgl. so für die Inobhutnahme und die Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bereits [X.], Urteil vom 25. März 2010 - 5 [X.] 12.09 - [X.]E 136, 185 Rn. 22 f.).

b) Bei der Bestimmung der fristgerechten Geltendmachung des [X.] ist von einer ganzheitlichen Betrachtung auszugehen. Damit korrespondierend beginnt die zwölfmonatige Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] mit Ablauf des letzten Tages, an dem die jeweilige Leistung im Sinne dieser Vorschrift erbracht wurde. Der [X.] hält an dieser im Urteil vom 19. August 2010 - 5 [X.] 14.09 - ([X.]E 137, 368 Rn. 22) vertretenen Auffassung fest (so auch: [X.]/[X.], in: [X.], [X.], 5. Aufl. 2014, § 89f Rn. 30; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Jugendhilferecht, 3. Aufl., § 111 [X.] Rn. 2b; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.] Kommentar zum [X.], 7. Aufl. 2013, § 89f Rn. 5; [X.] vom 9. April 2014, [X.] 2014, S. 199).

Für sie sprechen insbesondere systematische Gesichtspunkte. Dem in § 111 Satz 1 [X.] verwendeten Begriff der Leistung kommt eine doppelte Funktion zu. Er dient zum einen dazu, den gegenständlichen Anwendungsbereich der Norm näher zu umschreiben, da sich der geltend gemachte Erstattungsanspruch auf die Kosten einer "Leistung" beziehen muss. Zum anderen wird durch ihn der Beginn der Ausschlussfrist ("nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde") markiert. Den Grundsätzen der systematischen Gesetzesauslegung entsprechend wird der Begriff der Leistung in § 111 Satz 1 [X.] bezüglich beider Wirkungsrichtungen einheitlich verwendet. Denn ein Begriff ist innerhalb derselben Norm grundsätzlich nicht inhaltlich unterschiedlich zu deuten. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber einem Begriff innerhalb derselben Norm keine sich einander widersprechenden oder gegenseitig ausschließenden Bedeutungsinhalte beimisst. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise beim Vorliegen entsprechender gegenteiliger Anhaltspunkte gelten (vgl. Bleckmann, [X.], 942 <944> m.w.N.), an denen es in Bezug auf § 111 Satz 1 [X.] fehlt.

Nach Maßgabe des kontextabhängig und bereichsspezifisch auszulegenden Leistungsbegriffs des § 111 Satz 1 [X.] kann - wie aufgezeigt - unter [X.] Bedarfsgesichtspunkten eine einzige Leistung auch aus verschiedenen (Einzel-)Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 [X.] bestehen. Liegen die Voraussetzungen einer solchen bedarfsorientierten Gesamtbetrachtung vor und ist deshalb mit Blick auf den Anwendungsbereich des § 111 Satz 1 [X.] von einer einzigen Leistung auszugehen, streitet aus systematischen Gründen im Interesse der Einheitlichkeit des Leistungsbegriffs ganz [X.] dafür, auch für den Beginn der Frist des § 111 Satz 1 [X.] von diesem Verständnis auszugehen. Dies spricht deutlich dagegen, für den Fristlauf von einem zeitabschnittsweisen Leistungsbegriff auszugehen, also die (Gesamt-)Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 [X.] in Teilleistungen zu stückeln, die mit einer im Einzelfall erfolgten abschnittsweisen Abrechnung korrespondieren, und für den Fristbeginn infolgedessen den Ablauf des letzten Tages der jeweiligen Teilleistung als maßgeblich anzusehen. Geboten ist vielmehr, auch für den Beginn der Ausschlussfrist die erstattungspflichtige Leistung in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen und dementsprechend auf den letzten Tag ihrer Gewährung abzustellen.

Dies gilt auch für den hier vorliegenden Fall, in dem es nicht um eine aus mehreren Einzelleistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 [X.] bestehende Gesamtleistung geht, sondern um eine Inobhutnahme. Da die Frage, wie der Leistungsbegriff des § 111 Satz 1 [X.] im Zusammenhang mit dem Beginn der Ausschlussfrist auszulegen ist, ebenfalls aus systematischen Gründen nur einheitlich beantwortet werden kann, ist auch bei dieser Fallgestaltung auf das Ende dieser Maßnahme abzustellen.

Dem systematischen Argument kommt ein so hohes Gewicht zu, dass teleologische Erwägungen zurücktreten müssen, zumal der mit der zeitnahen Anmeldung des Erstattungsanspruchs verfolgte Schutz des erstattungspflichtigen Leistungsträgers durch das Abstellen auf das Ende der (Gesamt-)Leistung nicht ausgehöhlt wird. Die Ausschlussfrist soll - wie dargelegt - gewährleisten, dass mit der Geltendmachung von [X.] nicht unbegrenzte [X.] gewartet wird. Vielmehr soll der erstattungspflichtige Leistungsträger möglichst bald nach der Leistungserbringung über die auf ihn zukommenden Erstattungsansprüche in Kenntnis gesetzt werden, so dass er sich darauf einstellen und gegebenenfalls Vorsorge treffen kann (vgl. [X.]. 9/95 S. 26). Wird Hilfe nur über einen kurzen [X.]raum gewährt, ist die rechtzeitige Information des erstattungspflichtigen Leistungsträgers auch bei einer Geltendmachung des Erstattungsanspruchs innerhalb eines Jahres nach dem Ende der (Gesamt-)Leistung in der Regel gewährleistet. Erstreckt sich die Hilfegewährung über einen längeren, möglicherweise mehrere Jahre umfassenden [X.]raum, liegt es mit Blick auf die regelmäßig nicht unerheblichen Kosten schon im Eigeninteresse des erstattungsberechtigten Leistungsträgers, seinen Anspruch frühzeitig, gegebenenfalls schon während der laufenden Hilfegewährung anzumelden, so dass der erstattungspflichtige Leistungsträger regelmäßig auch in diesen Fällen hinreichend geschützt ist. Zudem führen etwa erhebliche Leistungsunterbrechungen (vgl. § 86a Abs. 4 Satz 2 und 3 [X.]) oder die (weitere) Gewährung von Hilfen im Falle eines sich qualitativ ändernden [X.] Bedarfs dazu, dass eine neue Leistung im zuständigkeitsrechtlichen Sinne vorliegt und mit der Beendigung der vorherigen Leistungsgewährung die Frist des § 111 Satz 1 [X.] in Lauf gesetzt wird.

In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben hat die Beklagte den Anspruch nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.], soweit er auf die Erstattung der im Zusammenhang mit der Inobhutnahme angefallenen Kosten gerichtet war, nicht fristgerecht geltend gemacht. Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.], endete die Inobhutnahme am 2. März 2010. Der diesbezügliche Erstattungsanspruch hätte also bis zum Ablauf des 2. März 2011 geltend gemacht werden müssen. Der entsprechende Antrag der [X.] ging beim Kläger aber erst am 25. August 2011 ein.

c) Ein anderes Ergebnis ist hier auch nicht mit Blick auf § 111 Satz 2 [X.] gerechtfertigt.

Nach dieser Vorschrift wird der Beginn der Ausschlussfrist auf einen späteren [X.]punkt hinausgeschoben. Der Lauf der Frist beginnt danach frühestens mit dem [X.]punkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Es kann hier dahinstehen, ob § 111 Satz 2 [X.] auf den Kostenerstattungsanspruch nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] jedenfalls entsprechend anwendbar ist (vgl. zur verneinten unmittelbaren Anwendung BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 - [X.] KR 20/04 R - [X.] 4-1300 § 111 Nr. 3). Auch bei Erfüllung der Voraussetzungen für einen Analogieschluss ist eine Geltendmachung innerhalb der zwölfmonatigen Ausschlussfrist nicht feststellbar.

Im Fall der in Rede stehenden Gewährung von Jugendhilfe an einen im Ausland geborenen, unbegleitet eingereisten jungen Menschen wäre der Beginn der Ausschlussfrist bei einer entsprechenden Anwendung des § 111 Satz 2 [X.] auf den [X.]punkt hinauszuschieben, in dem der örtliche Träger von den Tatsachen Kenntnis erlangt, die zur Bestimmung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers erforderlich sind. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] datiert die von der [X.] beim [X.] beantragte Bestimmung des zur Kostenerstattung verpflichteten Leistungsträgers im Sinne von § 89d Abs. 3 Satz 1 [X.] vom 18. März 2010. Ausweislich des Stempelaufdrucks auf dem sich in den Verwaltungsvorgängen befindenden Schreiben des [X.]es ist dieses am 25. März 2010 bei der [X.] eingegangen. Der [X.] kann diesen Umstand seiner Entscheidung zugrunde legen, weil das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich auch die Verwaltungsakten in Bezug genommen und damit die darin enthaltenen tatsächlichen Umstände im Sinne des § 137 Abs. 2 VwGO festgestellt hat. Mithin war die [X.] bei Eingang des Antrags auf Kostenerstattung abgelaufen.

2. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des [X.] auf Rückerstattung im Ergebnis zu Unrecht bejaht, soweit er die für die Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung vom 3. März bis 24. August 2010 erstatteten Kosten zum Gegenstand hat. Diese Kosten wurden der [X.] zu Recht erstattet. Die Beklagte hat den diesbezüglichen Anspruch nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] geltend gemacht.

Die zur Deckung eines qualitativ unveränderten Bedarfs von der [X.] im vorgenannten [X.]raum gewährte Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung nach §§ 27, 34 [X.] ist - nach Maßgabe der dargelegten Rechtsgrundsätze - eine Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 [X.].

Der sich auch auf diese Kosten beziehende Anspruch der [X.] auf Erstattung gemäß § 89d [X.] wurde innerhalb der zwölfmonatigen Ausschlussfrist beim Kläger eingereicht. Denn diese begann - in Anwendung des dargelegten rechtlichen Maßstabes - erst mit Ablauf des 13. Juni 2011 zu laufen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. [X.] besteht nach § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO nicht.

Meta

5 C 9/15

17.12.2015

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Augsburg, 27. Januar 2015, Az: Au 3 K 14.1617, Urteil

§ 89d Abs 1 S 1 SGB 8 vom 06.07.2009, § 111 S 1 SGB 10, § 111 S 2 SGB 10, § 112 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. 5 C 9/15 (REWIS RS 2015, 394)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 394

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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