Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. 5 C 14/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 3952

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Gegenstand

Erstattung von Kosten für Unterbringung in Jugendhilfeeinrichtung; Hilfe für junge Volljährige; Wahrung der Ausschlussfrist


Leitsatz

1. Für jugendhilferechtliche Kostenerstattungsansprüche (hier: nach § 89d SGB VIII) ist die Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X (juris: SGB 10) nach dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts zu bestimmen.

2. Zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X für einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Maßnahmen und Hilfen, die jugendhilferechtlich als eine Leistung zu werten sind, genügt jede - innerhalb dieser Frist erfolgende - Geltendmachung des Anspruchs nach Beginn der (Gesamt-)Leistung (insoweit Änderung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 10. April 2003 - BVerwG 5 C 18.02 - Buchholz 435.12 § 111 SGB X Nr. 3).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung von Kosten, die er in der [X.] vom 23. November 1999 bis zum Ablauf des 21. Juni 2000 als Hilfe für junge Volljährige aufgewandt hat.

2

Die am 23. November 1981 in [X.] geborene [X.] reiste Anfang Februar 1997 als Minderjährige ohne Begleitung ihrer Eltern oder eines gesetzlichen Vertreters auf dem Luftweg in die [X.] ein. Wenige Tage nach ihrer Einreise sprach sie beim Jugendamt der [X.] vor, das sie in unmittelbarem [X.] daran in Obhut nahm. Nach einem kurzen Aufenthalt in einer Erstversorgungseinrichtung der [X.] wurde die [X.] ab Mitte April 1997 in der im Nachbarkreis des [X.] gelegenen Jugendhilfeeinrichtung [X.] untergebracht, in der sie bis zum 21. Juni 2000 blieb.

3

Bereits am 21. Februar 1997 wurde der Beklagte durch das [X.] zum erstattungspflichtigen überörtlichen Träger nach § 89d Abs. 3 [X.] bestimmt.

4

Mit Bescheid des Regierungspräsidiums vom 31. Oktober 1997 wurde die [X.] im Rahmen ihres Asylverfahrens dem Gebiet des [X.] zugewiesen, der seit diesem [X.]punkt als örtlich zuständiger Jugendhilfeträger für die Kosten ihrer Unterbringung in der Jugendhilfeeinrichtung [X.] aufkam. Er zahlte die Unterbringungskosten zunächst im Rahmen der Inobhutnahme nach § 42 [X.]. Ab dem 20. Januar 1998 bis zum Eintritt der Volljährigkeit am 23. November 1999 gewährte er insoweit Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 [X.], an die sich bis zum Ablauf des 21. Juni 2000 die Gewährung von Hilfe für junge Volljährige nach § 41 [X.] anschloss.

5

Der Kläger wandte sich mit mehreren Schreiben an den Beklagten und beantragte Erstattung der von ihm aufgewandten Kosten. Er ist der Auffassung, der Anspruch auf Erstattung der im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige gewährten Leistungen hätte nicht ausdrücklich bzw. gesondert innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des 21. Juni 2000 geltend gemacht werden müssen. Im Hinblick auf diesen Erstattungsanspruch werde die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X bereits durch den nach der Inobhutnahme der [X.] erstmals unter dem 22. Oktober 1997 gestellten Antrag auf Erstattung der Kosten gewahrt. Der spätere Wechsel der Leistungsart sowie der Rechtsgrundlage änderten daran nichts.

6

Der Beklagte lehnte die Erstattung ab, weil der Kläger seinen Anspruch auf Erstattung der im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige aufgewandten Kosten nicht innerhalb von zwölf Monaten nach [X.] geltend gemacht habe. Er sei erst Ende Juni 2002 über ein im November 1999 geführtes Gespräch in Kenntnis gesetzt worden, nachdem die Selbstständigkeit der [X.] im [X.]punkt der Volljährigkeit noch wenig ausgeprägt gewesen sei. Allein dieses Detail hätte die Schlussfolgerung zulassen können, dass (wahrscheinlich) über den [X.]punkt der Volljährigkeit hinaus Leistungen nach dem [X.] erforderlich gewesen seien.

7

Mit Urteil vom 20. März 2006 hat das Verwaltungsgericht die am 29. April 2004 erhobene Klage auf Erstattung der im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige aufgewandten Kosten in Höhe von 21 749,75 € abgewiesen.

8

Mit Urteil vom 1. Juli 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die hiergegen gerichtete Berufung des [X.] zurückgewiesen. Der Kläger hätte den auf die Hilfe für junge Volljährige bezogenen Kostenerstattungsanspruch gesondert innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X geltend machen müssen. Mit dem Begriff der Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X sei nicht die Sozialleistungsart "Jugendhilfe" im abstrakten Sinne, sondern die erbrachte (oder vorgesehene) Jugendhilfe in ihrer konkreten Ausgestaltung gemeint, d.h. die Inobhutnahme gemäß § 42 [X.], die Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 [X.] oder die Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 [X.]. Der Jugendhilfe liege kein "ganzheitlicher" Leistungsbegriff zugrunde, vielmehr umfasse die Jugendhilfe gemäß § 2 Abs. 1 [X.] die einzelnen in § 2 Abs. 2 [X.] aufgeführten Leistungen und die in § 2 Abs. 3 [X.] aufgezählten anderen Aufgaben. Für ein gesondertes [X.] des die Hilfe für junge Volljährige betreffenden [X.] spreche zudem, dass sich andernfalls die Anmeldung des [X.] bezüglich der Inobhutnahme und der anschließend gewährten Hilfe zur Erziehung auf eine [X.]spanne von bis zu (weiteren) neun Jahren (18. bis 27. Lebensjahr) erstrecke. Das sei mit der durch die Ausschlussfrist bezweckten baldigen Abwicklung der Erstattungen schwerlich zu vereinbaren. Nach diesen rechtlichen Vorgaben sei ein fristgerechtes [X.] nicht gegeben. Die Erstattung der im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige aufgewandten Kosten sei erstmals mit Schreiben vom 6. November 2002 beantragt worden. Die vorangegangenen Schreiben des [X.] vom 22. Oktober 1997 sowie vom 26. März und 27. Juli 1998 bezögen sich nur auf die Inobhutnahme und die Hilfe zur Erziehung.

9

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 89d [X.] sowie des § 111 Satz 1 SGB X.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Die Auffassung des [X.]hofs, dass der Anspruch auf Erstattung nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] für die im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige aufgewandten Kosten ausgeschlossen ist, weil der Kläger ihn nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] geltend gemacht hat, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] erfüllt sind und dem Kläger damit gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der als Hilfe für junge Volljährige aufgewandten Unterbringungskosten dem Grunde nach zustehen kann. Auch die Höhe der danach zu erstattenden Kosten ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Zu entscheiden ist allein, ob der Anspruch gemäß § 111 Satz 1 [X.] ausgeschlossen ist. Dies ist nicht der Fall. Der Kostenerstattungsanspruch des § 89d [X.] unterfällt zwar der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] (1.), die hier gemäß § 111 Satz 2 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung frühestens mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs begann; im Übrigen gilt § 111 Satz 1 [X.] in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung (2.). Der Anspruch auf Erstattung der als Hilfe für junge Volljährige gewährten Leistungen wurde aber vom Kläger mit den Schreiben vom 26. März und 23. Juli 1998 fristwahrend geltend gemacht (3.)

1. Der Anwendung des § 111 [X.] auf den Erstattungsanspruch nach § 89d [X.] steht die Rechtsprechung des Senats nicht entgegen. Demnach ist die Ausschlussfrist des § 111 [X.] auf die spezielle jugendhilferechtliche Situation einander gegenüberstehender Erstattungsansprüche örtlicher Jugendhilfeträger nicht anwendbar, was in besonderer Weise für eine Kollision mit einem Erstattungsanspruch nach § 89a [X.] gilt, dessen Ziel es ist, die Pflegestellenorte von den mit einem Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 [X.] verbundenen Kosten zu befreien (Urteil vom 30. September 2009 - BVerwG 5 C 18.08 - BVerwGE 135, 58 = [X.] 436.511 § 86 [X.]/[X.] Nr. 9 jeweils Rn. 33). Diese Rechtsprechung ist mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragbar. Im vorliegenden Verfahren kollidieren weder zwei Erstattungsansprüche noch stehen sich zwei örtliche Träger der Jugendhilfe gegenüber, von denen einer nach § 89a [X.] Erstattung der von ihm aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] aufgewandten Kosten begehrt. Streitgegenstand ist vielmehr allein der dem örtlichen Träger der Jugendhilfe gegen den vom [X.] als erstattungspflichtig bestimmten überörtlichen Träger der Jugendhilfe nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] zustehende Anspruch auf Kostenerstattung.

Die Anwendung des § 111 [X.] auf diesen Anspruch bestimmt sich nach § 37 Satz 1 SGB I. Danach gelten das Erste und Zehnte Buch für alle Sozialleistungsbereiche des [X.], soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt. Das [X.] enthält keine Vorschrift, welche die Ausschlussfrist des § 111 [X.] hinsichtlich des [X.] nach § 89d [X.] ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt oder anordnet, dass das [X.] dieses Anspruchs keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt. Dem Kinder- und Jugendhilferecht ist auch kein Strukturprinzip (vgl. insoweit Urteil vom 29. September 1994 - BVerwG 5 C 41.92 - [X.] 436.7 § 27a [X.] Nr. 16 S. 3 = [X.] 435.11 § 58 SGB I Nr. 3) zu entnehmen, das es rechtfertigt, den Erstattungsanspruch nach § 89d [X.] aus dem Anwendungsbereich des § 111 [X.] herauszunehmen.

2. Gemäß § 120 Abs. 2 [X.] findet auf ein - wie hier - am 1. Juni 2000 noch nicht abschließend entschiedenes Kostenerstattungsverfahren zwar grundsätzlich die Vorschrift des § 111 [X.] in der vom 1. Januar 2001 an geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 ([X.]) insgesamt Anwendung. Insbesondere war der Anspruch auf Erstattung bei Inkrafttreten der Neuregelung der Ausschlussfrist nicht bereits nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Regelung des § 111 [X.] in der Fassung des Gesetzes vom 4. November 1982 ([X.]) ausgeschlossen (vgl. insoweit Urteil vom 10. April 2003 - BVerwG 5 C 18.02 - [X.] 435.12 § 111 [X.] Nr. 3 S. 2). Der Kläger hätte nämlich unter der Geltung dieser alten Gesetzesfassung seinen Erstattungsanspruch noch bis zum Ablauf des 21. Juni 2001 anzeigen können.

Eine Ausnahme von der nach § 120 Abs. 2 [X.] angeordneten Anwendung des § 111 Satz 2 [X.] in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung ist hier jedoch deshalb zu machen, weil eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Beklagten gegenüber der Hilfeempfängerin nicht in Betracht kam und demzufolge die Regelung des § 111 Satz 2 [X.] ins Leere gehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 - [X.] KR 20/04 R - [X.] 4-1300 § 111 Nr. 3 Rn. 21 ff.). Denn zwischen dem Beklagten und der Hilfeempfängerin bestand keine unmittelbare Rechtsbeziehung. Die Hilfeempfängerin konnte den Beklagten nicht auf die Erbringung einer Sozialleistung in Anspruch nehmen. Ausschließlich der Kläger war als örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe gegenüber der Hilfeempfängerin zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 [X.] und Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 [X.] verpflichtet. Für die vorliegende Fallkonstellation ist daher § 111 Satz 2 [X.] in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Ausschlussfrist im konkreten Fall frühestens in dem Zeitpunkt, in dem - bezogen auf die Leistung, deren Erstattung begehrt wird - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] erfüllt sind.

3. Für den Kostenerstattungsanspruch nach § 89d [X.] ist die Leistung im Sinne von § 111 Satz 1 [X.] nach dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts zu bestimmen (3.1). In Anwendung dieses Begriffes sind die vom Kläger gewährte Hilfe zur Erziehung und die von ihm im unmittelbaren [X.] daran geleistete Hilfe für junge Volljährige als einheitliche jugendhilferechtliche Leistung zu werten (3.2). Für das fristgerechte [X.] dieser (Gesamt-)Leistung genügt es, dass der Kläger den Antrag auf Erstattung der Kosten nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] während der laufenden Hilfe zur Erziehung (und damit lange vor der [X.] nach Ende der Leistung) gestellt hat (3.3). Dem Zweck der Ausschlussfrist wird damit hinreichend Rechnung getragen (3.4).

3.1 Das [X.] und [X.] als die für alle Sozialleistungsbereiche geltenden Bücher enthalten keine eigenständige Definition des Begriffs der Leistung, auf den im Rahmen der Ausschlussfrist zurückgegriffen werden könnte. § 111 Satz 1 [X.] nimmt vielmehr Bezug auf die Leistung und den Leistungsbegriff des jeweiligen Sozialleistungsbereichs, in dem der geltend zu machende Anspruch auf Kostenerstattung im Einzelfall seine Rechtsgrundlage findet. Der Wortlaut des § 111 [X.] steht einer bereichsspezifischen Auslegung ebenso wenig entgegen wie der Zweck der Ausschlussfrist. Denn eine mit Rücksicht auf die spezifische Zielsetzung des Rechts der jeweiligen Sozialleistung erfolgende Bestimmung der Leistung führt nicht dazu, dass der erstattungspflichtige Leistungsträger nicht möglichst zeitnah zur Leistungserbringung die zu erwartende finanzielle Belastung erkennen und gegebenenfalls entsprechende Rückstellungen bilden kann.

Für das fristgerechte [X.] des Anspruchs auf Erstattung der Kosten nach § 89d Abs. 1 Satz 1 [X.] ist demzufolge der Begriff der Leistung im Sinne der Zuständigkeitsregelungen der §§ 86 ff. [X.] maßgeblich. Der Rückgriff auf den zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff im Rahmen des [X.] findet seine sachliche Rechtfertigung in der jugendhilferechtlichen Verknüpfung der örtlichen Zuständigkeit mit der Kostentragungspflicht und der sie ergänzenden Kostenerstattung. In der Regel hat der für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben der Jugendhilfe nach §§ 86 ff. [X.] örtlich zuständige Träger der Jugendhilfe auch deren Kosten zu tragen. Insbesondere bei einer - wie hier in Rede stehenden - Leistungsgewährung in Einrichtungen kann dies aber zu einer unangemessenen finanziellen Belastung einzelner kommunaler Gebietskörperschaften führen. Entsprechendes gilt vor allem auch für die Fälle fortdauernder Vollzeitpflege sowie des vorläufigen Eintretens für den an sich (endgültig) örtlich zuständigen Träger der Jugendhilfe. Nach der Systematik des Gesetzes ist es Aufgabe der Kostenerstattung, durch die Zuständigkeitsregelungen nicht gerechtfertigte Kostenbelastungen nach Möglichkeit auszugleichen und auf diesem Weg für eine gleichmäßige Kostenverteilung zwischen den einzelnen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zu sorgen. Dementsprechend folgt im Siebten Kapitel des [X.] Achtes Buch unmittelbar auf die im Zweiten Abschnitt geregelte (vorrangige) örtliche Zuständigkeit der Dritte Abschnitt mit seinen Regelungen über die Kostenerstattung. Überdies knüpft auch der Wortlaut der einzelnen Erstattungsansprüche nach §§ 89 ff. [X.] zum Teil ausdrücklich an die örtliche Zuständigkeit nach §§ 86 ff. [X.] an (z.B. §§ 89, 89a Abs. 1 Satz 1, § 89a Abs. 2, § 89a Abs. 3, § 89b Abs. 1, § 89b Abs. 3, § 89c Abs. 1 Satz 1, § 89c Abs. 3, § 89e Abs. 1 Satz 1 und § 89e Abs. 2 [X.]).

3.2 Nach Maßgabe des zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriffs ist die (jugendhilferechtliche) Leistung anhand einer bedarfsorientierten Gesamtbetrachtung der verschiedenen Maßnahmen und Hilfen zu bestimmen. Demzufolge bilden alle zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen eine einheitliche Leistung, zumal wenn sie im Einzelfall nahtlos aneinander anschließen, also ohne beachtliche (vgl. § 86a Abs. 4 Satz 2 und 3 [X.]) zeitliche Unterbrechung gewährt werden. Dies gilt auch dann, wenn bei dem vielfach auf einen längeren Zeitraum angelegten Hilfeprozess sich die Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfes verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen bis hin zu einem Wechsel der [X.] erforderlich werden, die Hilfegewährung im Verlauf des ununterbrochenen [X.] also einer anderen Nummer des § 2 Abs. 2 [X.] zuzuordnen oder innerhalb des [X.] Achtes Buch nach einer anderen Rechtsgrundlage zu gewähren ist (stRspr, grundlegend Urteil vom 29. Januar 2004 - BVerwG 5 C 9.03 - BVerwGE 120, 116 <119> = [X.] 436.511 § 86 [X.]/[X.] Nr. 2 ; vgl. zuletzt Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 5 C 12.09 - juris Rn. 22; s.a. Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 5 C 56.01 - BVerwGE 117, 194 S. 197 ff. = [X.] 436.511 § 89a [X.]/[X.] Nr. 1 = [X.] 436.511 § 86a [X.]/[X.] Nr. 2).

Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatrichterlichen Feststellungen stellen die vom Kläger ab dem 20. Januar 1998 gewährte Hilfe zur Erziehung und die ab dem 23. November 1999 bis zum Ablauf des 21. Juni 2000 gewährte Hilfe für junge Volljährige eine (einheitliche) Leistung im vorgenannten Sinne dar. In beiden Fällen wurde die Jugendhilfe durch die Unterbringung der Hilfeempfängerin in ein und derselben Jugendhilfeeinrichtung erbracht. Der Kläger ging bei seiner Entscheidung, diese konkrete Maßnahme über den Eintritt der Volljährigkeit bis zum Ende des Schuljahres 1999/2000 hinaus in Form der Hilfe für junge Volljährige weiterhin auf seine Kosten durchzuführen, erkennbar von einem qualitativ unveränderten jugendhilferechtlichen Bedarf aus und brachte dies in seinem Bewilligungsbescheid vom 15. November 1999 auch unmissverständlich zum Ausdruck. Denn er hielt es danach aufgrund der Persönlichkeit, insbesondere des verzögerten Entwicklungsstandes, und der individuellen Situation der Hilfeempfängerin für erforderlich, die der Hilfeempfängerin "gewährte Erziehungshilfe über das vollendete achtzehnte Lebensjahr hinaus gemäß § 41 [X.] fortzusetzen". Der Beklagte ist dem nicht entgegengetreten.

3.3 An das [X.] im Sinne des § 111 Satz 1 [X.] dürfen keine überzogenen formalen oder inhaltlichen Anforderungen gestellt werden, zumal es sich bei den am Erstattungsverfahren Beteiligten um Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Behörden handelt, deren Vertreter Kenntnis von den jeweils in Betracht kommenden Leistungen besitzen. Bei dem [X.] handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang beim Empfänger wirksam wird. Ein konkludentes [X.] ist zulässig und ausreichend. Die inhaltlichen Anforderungen bestimmen sich nach dem Zweck des § 111 [X.], möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht. Aus diesem Grund erfordert das [X.] ein unbedingtes Einfordern der Leistung. Ein bloß vorsorgliches Anmelden genügt nicht. Der Wille des Erstattungsberechtigten, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Erklärung deutlich erkennbar zugrunde liegen. Der in Anspruch genommene Leistungsträger muss bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die gegen ihn erhobene Forderung ausgeschlossen ist oder er mit einer Erstattungspflicht zu rechnen hat. Hierfür ist in der Regel ein Darlegen in allen Einzelheiten nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind und insbesondere der Zeitraum, für den die Leistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden. Geringere inhaltliche Anforderungen gelten, wenn der Erstattungsanspruch, was grundsätzlich zulässig ist, vor seiner Entstehung geltend gemacht wird. In einem derartigen Fall ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn die Angaben über Art und Umfang der künftigen Leistungen allgemein unter Verwendung der Kenntnisse gemacht werden, die im Zeitpunkt des [X.]s vorhanden sind (vgl. zu Vorstehendem insgesamt BSG, Urteil vom 22. August 2000 - [X.] U 24/99 R - [X.] 3-1300 § 111 Nr. 9 Rn. 17 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen sowie Urteil vom 4. März 1993 - BVerwG 5 C 6.91 - BVerwGE 92, 167 168 = [X.] 435.12 § 111 [X.] Nr. 2 ). Für das fristgerechte [X.] eines [X.] für eine unter Bedarfsgesichtspunkten als eine Einheit zu wertende Jugendhilfemaßnahme ist eine bedarfsorientierte Gesamtbetrachtung zugrunde zu legen. Danach kommt es nicht darauf an, ob die Kosten für die Maßnahme von einem [X.] gegebenenfalls zeitabschnittsweise in Rechnung gestellt und beglichen werden. Vielmehr genügt zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] für einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Maßnahmen und Hilfen, die jugendhilferechtlich als eine Leistung zu werten sind, jede innerhalb dieser Frist erfolgende Geltendmachung des Anspruchs nach Beginn der (Gesamt-)Leistung. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 10. April 2003 - BVerwG 5 C 18.02 - (a.a.[X.]) eine andere Auffassung vertreten und für die Bestimmung der fristgerechten Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs auf die im Einzelfall erfolgte monatsweise Abrechnung abgestellt hat, hält er daran nicht mehr fest.

Den dargelegten Anforderungen an das [X.] hat der Kläger in Bezug auf die - sich aus der Hilfe zur Erziehung und der Hilfe für junge Volljährige zusammensetzende - (Gesamt-)Leistung innerhalb der mit Ablauf des 21. Juni 2001 endenden Ausschlussfrist erfüllt. Nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des [X.]hofs (§ 37 Abs. 2 VwGO), der sich insoweit die Feststellungen des [X.] zu Eigen gemacht hat, hat der Kläger den Anspruch auf Erstattung der Kosten nach § 89d [X.] bezüglich der ab dem 20. Januar 1998 gewährten Hilfe zur Erziehung mit Schreiben vom 26. März und 23. Juli 1998 geltend gemacht. Diese Anmeldung wirkt infolge der Annahme einer einheitlichen (Gesamt-)Leistung auch für die vom Kläger in Form der Hilfe für junge Volljährige aufgewandten Kosten fristwahrend.

3.4 Der Zweck der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 [X.] wird dadurch weder beeinträchtigt noch in Frage gestellt. Bereits das [X.] des Erstattungsanspruchs in Bezug auf die Hilfe zur Erziehung erfüllt im konkreten Fall die mit der zeitnahen Anmeldung verfolgte Informations- und Warnfunktion. Vor und nach Eintritt der Volljährigkeit wurde aufgrund eines qualitativ unveränderten Hilfebedarfs der Sache nach immer dieselbe Leistung erbracht, die lediglich infolge des Eintritts der Volljährigkeit im Verhältnis der Hilfeempfängerin zum erstattungsberechtigten Kläger einer anderen Rechtsgrundlage zuzuordnen war, ohne dass dies jedoch zu einem Austausch des erstattungsverpflichteten Leistungsträgers oder Wechsel der Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs führte. Mit Rücksicht auf diesen konkreten Verfahrensablauf war für den Beklagten außerdem stets hinreichend erkennbar, welche finanzielle Belastung auf ihn zukommen konnte, zumal auch für ihn an seiner Erstattungspflicht infolge der Bestimmung des [X.]s vom 21. Februar 1997 von Anfang an kein Zweifel bestand.

4. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend (stRspr für den Bereich der Jugendhilfe z.B. Urteil vom 22. November 2001 - BVerwG 5 C 42.01 - BVerwGE 115, 251 256 = [X.] 436.511 § 89e [X.]/[X.] Nr. 1 S. 5 m.w.N. = [X.] 436.511 § 86a [X.]/[X.] Nr. 1).

Meta

5 C 14/09

19.08.2010

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 1. Juli 2008, Az: 12 S 2508/06, Urteil

§ 111 SGB 10, § 89d Abs 1 S 1 SGB 8, § 41 SGB 8, § 37 S 1 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. 5 C 14/09 (REWIS RS 2010, 3952)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3952

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