Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2024, Az. IV ZR 436/22

4. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 963

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Tenor

Der Streitwert für das Revisions- und Beschwerdeverfahren wird auf 205.000 € festgesetzt, wovon 187.500 € auf die Rechtsmittel des [X.] und 17.500 € auf die Rechtsmittel der Beklagten entfallen.

Gründe

1

I. Der Kläger ist ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 Abs. 1 [X.] eingetragener gemeinnütziger Verbraucherschutzverein. Er ist der Ansicht, die Beklagte, eine [X.] Versicherungsgesellschaft, die den Abschluss von Lebens- und Rentenversicherungen anbietet, verstoße durch die von ihr praktizierte Überschussbeteiligung gegen die Vorgaben von § 6 Abs. 1 Satz 1 Mindestzuführungsverordnung ([X.]), indem sie Versicherungsnehmern in dem von ihr angebotenen Tarif "P         P        " eine höhere Überschussbeteiligung zuteile als jenen, die zwischen Juli 1994 und Dezember 2016 in anderen Tarifen Versicherungsverträge mit einem höheren Rechnungszins abgeschlossen hätten. Des Weiteren wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit von insgesamt neunzehn [X.]n in den "Versicherungsbedingungen: Teil A - Baustein Altersvorsorge - Zukunftsrente P        E   " der [X.] sowie insgesamt sieben Angaben in den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen. Die geltend gemachten Ansprüche hat der Kläger hierbei auf die §§ 1 und 2 [X.] und auf § 8 UWG gestützt.

2

Der Kläger hatte den Streitwert in der Klage mit 300.000 € angegeben. Das [X.] hat den Streitwert für den Rechtsstreit insgesamt auf 110.000 € festgesetzt, wobei es bei dieser Bemessung von 35 vom Kläger angegriffenen (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen, den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen ausgegangen ist und die Anträge, mit denen der Kläger die von der [X.] praktizierte Verteilung des Überschusses auf die einzelnen Verträge als rechtswidrig beanstandet, insgesamt mit 22.500 € bewertet hat. Das Berufungsgericht hat den Streitwert für beide Instanzen auf 690.000 € festgesetzt. Hierbei hat es den Streitwert für die auf Unterlassung der Praxis der Überschussbeteiligung gerichteten Anträge mit insgesamt 140.000 € und die insgesamt 26 beanstandeten (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen, den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen mit Einzelwerten zwischen 10.000 € und 50.000 € bewertet.

3

II. 1. In Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz ([X.]) richtet sich der Streitwert regelmäßig allein nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der angegriffenen Bestimmungen, nicht hingegen nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Klauselverbots (Senatsbeschlüsse vom 22. Februar 2023 - [X.], juris Rn. 1; vom 29. Juli 2015 - [X.], [X.], 140 Rn. 3; vom 6. März 2013 - [X.], juris Rn. 3; [X.], Beschluss vom 6. Juli 2021 - [X.], juris Rn. 8; st. Rspr.). Danach ist ein Wert von 2.500 € je angegriffener [X.] als angemessen anzusehen (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2023 aaO; [X.], Beschlüsse vom 23. Februar 2017 - [X.], [X.] 2018, 553 Rn. 6; vom 19. Januar 2017 - [X.], [X.] 2018, 583 Rn. 5; jeweils m.w.N.). Diese Erwägungen gelten für eine Klage auf Unterlassung unwirksamer Allgemeiner Versicherungsbedingungen gemäß § 1 [X.] ebenso wie für eine Klage gegen eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Sie betreffen sowohl die Beschwer des klagenden [X.] als auch diejenige des im Unterlassungsprozess unterlegenen Gegners (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2023 aaO; [X.], Beschlüsse vom 6. Juli 2021 aaO; vom 17. November 2020 - [X.], [X.], 521 Rn. 8; vom 5. Februar 2019 - [X.], NJW 2019, 1531 Rn. 10; st. Rspr.).

4

2. An diesen Grundsätzen ändert es - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - nichts, dass der Kläger seine Ansprüche nicht allein auf die §§ 1 und 2 [X.], sondern auch auf § 8 UWG gestützt hat. Allerdings trifft es zu, dass es bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen von Verbraucherverbänden im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG für den Streitwert auf das satzungsmäßig wahrgenommene Interesse der Verbraucher ankommt; maßgebend sind die gerade diesen drohenden Nachteile ([X.], Beschluss vom 24. November 2022 - [X.], [X.], 597 Rn. 7 m.w.N.). Die in Folge des beanstandeten [X.] berührten Interessen der Verbraucher unterscheiden sich aber nicht von den vom [X.] satzungsgemäß wahrgenommenen Interessen der Allgemeinheit an der Beseitigung der angegriffenen Klausel (vgl. [X.], Beschluss vom 17. März 2011 - [X.], [X.], 560 Rn. 6 - [X.]). Auf diese Weise sollen Verbraucherschutzverbände vor Kostenrisiken bei der Wahrnehmung der ihnen im Allgemeininteresse eingeräumten Befugnisse zur Befreiung des Rechtsverkehrs von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschützt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juli 2015 - [X.], [X.], 140 Rn. 3; [X.], Beschluss vom 17. März 2011 aaO). Die Möglichkeit, gemäß § 5 [X.] und § 12 Abs. 3 Satz 1 UWG anzuordnen, dass sich die Verpflichtung einer [X.] zur Zahlung von Gerichtskosten nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bestimmt, gebietet keine Festsetzung eines abweichenden Streitwerts. Diese Anpassungsmöglichkeit stellt keinen ausreichenden Schutz eines klagenden [X.] vor unangemessenen Kostenrisiken dar. Sie ist zudem ohne Einfluss auf das für die [X.] maßgebende Unterlassungsinteresse der Allgemeinheit (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2023 - [X.], juris Rn. 3 m.w.N.).

5

Jedenfalls in Fallgestaltungen, in denen - wie vorliegend - einheitliche [X.], soweit sich diese gegen beanstandete Regelungen in Versicherungsbedingungen und den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen richten, mit identischer Zielrichtung nur nebeneinander auf die §§ 1 und 2 [X.] sowie Bestimmungen des [X.] (zum Verhältnis der Ansprüche vgl. [X.], Urteil vom 14. Dezember 2017 - [X.], [X.], 422 Rn. 46 ff. - Klauselersetzung; vgl. auch Senatsurteil vom 31. März 2021 - [X.], [X.]Z 229, 266 Rn. 48 ff.) gestützt werden, ohne dass damit der Angriffsfaktor verändert wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. September 2018 - I ZR 122/17, ZUM 2019, 183 Rn. 13; vom 12. September 2013 - [X.], [X.], 192 Rn. 9 - Streitwertaddition), bestehen keine Gründe dafür, den Streitwert über dem Betrag anzusetzen, der sich bei alleiniger Geltendmachung der Ansprüche im Rahmen einer Verbandsklage ergibt.

6

Danach beträgt der Streitwert vorliegend 205.000 €. Auf die Revision, die [X.] und die hilfsweise erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] entfallen hierbei 187.500 €, auf die Rechtsmittel der [X.] 17.500 €. Der Kläger hat in der Revisionsinstanz seine Anträge auf Unterlassung der beanstandeten Praxis der Überschussbeteiligung, die für ihn nach seinen eigenen Angaben den Schwerpunkt des Rechtsstreits und [X.] des Verfahrens bilden, und die das Berufungsgericht mit insgesamt 140.000 € bewertet hat, sowie auf Unterlassung der Verwendung von neunzehn (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen, den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen insgesamt weiterverfolgt. Die Beklagte hat sich gegen die Untersagung der Verwendung von fünf (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen und von zwei Angaben in den zugehörigen Versicherungsinformationen gewandt.

7

Ein abweichender - höherer - Streitwert ist nicht mit Blick auf die herausragende wirtschaftliche Bedeutung der angegriffenen Bestimmungen festzusetzen. Zwar ist nicht ausgeschlossen, einer solchen Bedeutung ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung nicht nur für die beklagte [X.] und ihre Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird (Senatsbeschluss vom 22. Februar 2023 - [X.], juris Rn. 4 m.w.N.). Das ist aber hinsichtlich der vom Kläger beanstandeten einzelnen Klauseln und [X.]n in den Versicherungsbedingungen der [X.] und den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Umstand, dass es sich bei der [X.] um einen Marktführer im Bereich von Rentenversicherungen handelt und sich die Entscheidung damit auf eine erhebliche Zahl abgeschlossener oder zukünftig zu erwartender Verträge auswirkt, begründet - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - für sich genommen keine herausragende wirtschaftliche Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Februar 2023 aaO). Dass der Kläger mit seiner Klage zudem eine Minderung des Anteils der [X.] an der [X.] Kapitalanlagen um 10 % des Aufwandes für rechnungsmäßige Zinsen erreichen möchte und sich dies zugunsten aller Verbraucher auswirken würde, ist bereits bei der Bemessung des Streitwerts für seine Anträge auf Unterlassung der beanstandeten Praxis der Überschussbeteiligung angemessen berücksichtigt.

8

III. Die [X.]en erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen, auch im Hinblick auf die bisher gestellten Anträge.

Prof. Dr. Karczewski     

      

Dr. Brockmöller     

      

Dr. Bußmann

      

Dr. Götz     

      

[X.]     

      

Meta

IV ZR 436/22

06.02.2024

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 3. Februar 2022, Az: 2 U 117/20, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2024, Az. IV ZR 436/22 (REWIS RS 2024, 963)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 963

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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