Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.04.2024, Az. 6 StR 329/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2024, 1964

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Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 15. März 2023 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

- Von Rechts wegen -

Entscheidungsgründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung (§§ 222, 13 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und se[X.]hs Monaten verurteilt und deren Vollstre[X.]kung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wendet si[X.]h die Staatsanwalts[X.]haft mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und auf die [X.] der Verletzung formellen sowie sa[X.]hli[X.]hen Re[X.]hts gestützten Revision. Das vom [X.] vertretene Re[X.]htsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

2

Na[X.]h den Feststellungen des [X.]s ist die Angeklagte seit dem Jahr 2019 mit      [X.]       , einem Soldaten der [X.], liiert und seit Februar 2021 mit ihm verheiratet. Im Juli 2021 zogen sie in eine gemeinsame Wohnung; am 5. Oktober 2021 wurde der gemeinsame [X.]    geboren. Wesentli[X.]he Bezugsperson für das Kind war die Angeklagte. Sie kümmerte si[X.]h „liebevoll, fürsorgli[X.]h und verantwortungsbewusst“ um den Säugling und nahm mit ihm sämtli[X.]he Vorsorgeuntersu[X.]hungen wahr. Au[X.]h bei sonstigen Erkrankungen des Kindes su[X.]hte sie mit diesem eine Kinderarztpraxis auf.

3

Hingegen vers[X.]hle[X.]hterte si[X.]h das Verhältnis zwis[X.]hen Vater und [X.] zunehmend. Jedenfalls ab dem 17. Januar 2022 war das Kind immer wieder dessen Gewalteinwirkungen ausgesetzt. An diesem Tag bemerkte die Angeklagte eine lei[X.]ht ges[X.]hwollene Stelle an der Stirn des Jungen; sie vertraute indes den Angaben ihres Ehemannes, der Junge habe ihm „mal wieder ne Kopfnuss“ gegeben. Am 23. Februar 2022 nahm sie einen Termin bei ihrem Frauenarzt wahr. Während ihrer Abwesenheit wirkte        [X.]        massiv auf den Säugling ein; dies führte zu Verletzungen am Kopf und zu Frakturen mehrerer Rippen sowie des linken S[X.]hienbeins. Na[X.]h ihrer Rü[X.]kkehr nahm die Angeklagte jedenfalls die Gesi[X.]htsverletzungen wahr. Da        [X.]        mit dem Kind während ihrer Abwesenheit allein war, wusste sie, dass ihr Ehemann diese Verletzungen verursa[X.]ht hatte. Glei[X.]hes gilt für ein Hämatom auf der Stirn des Kindes, auf das sie ihr Neffe während eines Besu[X.]hes am 3. März 2022 aufmerksam ma[X.]hte. Aufgrund des s[X.]hwierigen Verhältnisses des [X.] zu seinem [X.] war die Angeklagte bemüht, die emotionale Beziehung zwis[X.]hen beiden zu verbessern.

4

Am Abend des 4. März 2022 hatte die Angeklagte das Kind zu Bett gebra[X.]ht. Um Mitterna[X.]ht stand sie auf, bereitete eine Flas[X.]he vor und bat [X.], das Kind damit zu füttern.       [X.]        verließ mit [X.]das S[X.]hlafzimmer und begab si[X.]h in den Kü[X.]hen-/Wohnzimmertrakt der Wohnung. Dies ließ die Angeklagte zu, obwohl sie von den früheren erhebli[X.]hen Kopfverletzungen des Kindes und von ihrer Pfli[X.]ht, es vor Gewalteinwirkungen zu s[X.]hützen, wusste. Sie vertraute jedo[X.]h darauf, dass es während ihrer Anwesenheit in der Wohnung zu keinen s[X.]hwerwiegenden Verletzungshandlungen dur[X.]h        [X.]       an dem Kind kommen werde. Da [X.]bei seinem Vater s[X.]hrie und wenig trank, fügte dieser dem Säugling an Kopf, Rumpf und Beinen mindestens drei massive stumpfe Gewalteinwirkungen zu.      [X.]       kehrte in das S[X.]hlafzimmer zurü[X.]k und teilte der Angeklagten mit, dass mit dem Kind etwas ni[X.]ht stimme. Sie wählte sodann um 1.04 Uhr des 5. März 2022 den Notruf, und beide versu[X.]hten, das Kind zu reanimieren. Kurz darauf traf [X.] in der Wohnung ein und bra[X.]hte das Kind in ein Krankenhaus. Trotz intensivmedizinis[X.]her Versorgung starb es dort an einem zentralen Regulationsversagen infolge eines s[X.]hweren [X.].

II.

5

Die Bes[X.]hwerdeführerin wendet si[X.]h im Wesentli[X.]hen gegen die tatgeri[X.]htli[X.]he Beweiswürdigung. Sie rügt die Annahme des [X.]s, die Angeklagte habe ledigli[X.]h fahrlässig den Tod des Kindes verursa[X.]ht, und erstrebt deren Verurteilung wegen Tots[X.]hlags (§ 212 StGB) in Tateinheit mit Misshandlung S[X.]hutzbefohlener (§ 225 StGB). Sie beanstandet zudem hilfsweise die Strafzumessung sowie die Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung.

6

1. Die Angeklagte unterliegt na[X.]h § 3 StGB wegen der in [X.] begangenen Tat uneinges[X.]hränkt der [X.] Geri[X.]htsbarkeit. Dem steht ni[X.]ht entgegen, dass sie die Ehefrau eines na[X.]h [X.] entsandten Soldaten der [X.] ist. Denn das Abkommen zwis[X.]hen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Re[X.]htsstellung ihrer Truppen ([X.], Bekanntma[X.]hung vom 16. Juni 1963, [X.] II 745) gestattet den Militärbehörden des [X.] ni[X.]ht, in [X.] die Strafgeri[X.]htsbarkeit über Ehegatten eines hierher entsandten Soldaten auszuüben. Das folgt aus Art. I Abs. 1 lit. [X.], f iVm Art. 7 Abs. 1 lit. a [X.] (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 16. Dezember 2020 – 6 [X.], NStZ 2021, 436 mit [X.]. [X.]/Diets[X.]h).

7

2. Der S[X.]huldspru[X.]h hält re[X.]htli[X.]her Überprüfung stand.

8

a) Die von der Staatsanwalts[X.]haft in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge genügt bereits ni[X.]ht den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Auf die Ausführungen des [X.]s in der Antragss[X.]hrift wird Bezug genommen.

9

b) Au[X.]h die Überprüfung des Urteils auf die Sa[X.]hrüge ergibt keinen revisionsre[X.]htli[X.]h relevanten Fehler. Insbesondere die Beweiswürdigung erweist si[X.]h als re[X.]htsfehlerfrei. Dies gilt namentli[X.]h für die Wertung, die Angeklagte habe den Tod des Kindes nur fahrlässig verursa[X.]ht, weil es insoweit jedenfalls an dem für ein vorsätzli[X.]hes Handeln erforderli[X.]hen voluntativen Element fehle.

aa) [X.] Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögli[X.]he, ni[X.]ht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und diesen billigt oder si[X.]h um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Mens[X.]hen abfindet, mag ihm der [X.] au[X.]h glei[X.]hgültig oder an si[X.]h unerwüns[X.]ht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als mögli[X.]h erkannten Tatbestandsverwirkli[X.]hung ni[X.]ht einverstanden ist und ernsthaft und ni[X.]ht nur vage darauf vertraut, der tatbestandli[X.]he Erfolg werde ni[X.]ht eintreten (vgl. [X.], Urteile vom 1. März 2018 − 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88, 93; vom 19. August 2020 – 1 StR 474/19, NJW 2021, 326, 327; vom 4. August 2021 – 2 [X.], [X.], 162).

Ob der Täter na[X.]h diesen re[X.]htli[X.]hen Maßstäben bedingt vorsätzli[X.]h gehandelt hat, ist im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und dur[X.]h tatsä[X.]hli[X.]he Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamts[X.]hau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderli[X.]h ist, dass si[X.]h das Tatgeri[X.]ht mit der Persönli[X.]hkeit des [X.] auseinandersetzt und die für das Tatges[X.]hehen bedeutsamen Umstände mit in Betra[X.]ht zieht (vgl. [X.] aaO).

bb) Die dieser Unters[X.]heidung zugrundeliegende Beweiswürdigung weist na[X.]h dem insoweit einges[X.]hränkten revisionsre[X.]htli[X.]hen Prüfungsmaßstab (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 12. Januar 2017 − 1 [X.], [X.], 714; Bes[X.]hluss vom 12. August 2021 – 3 [X.], NJW 2021, 2896, 2897; Urteil vom 6. Dezember 2023 – 2 StR 270/23, [X.], 113) keinen Re[X.]htsfehler auf (§ 301 StPO). Die Würdigung ist weder lü[X.]kenhaft no[X.]h widersprü[X.]hli[X.]h no[X.]h lässt sie besorgen, dass das [X.] überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat.

So hat si[X.]h die [X.] ausführli[X.]h mit dem gesamten Tatvorges[X.]hehen, der Persönli[X.]hkeit der Angeklagten, der Beziehung zu ihrem Kind, dem problematis[X.]hen Vater-[X.]-Verhältnis und den Vorstellungen der Angeklagten dazu auseinandergesetzt. Re[X.]htsfehlerfrei ist das [X.] zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagte erst am 23. Februar 2022 erkannte, dass [X.] die Gesi[X.]htsverletzungen des Kindes verursa[X.]ht hatte. Es stellt entgegen dem Vorbringen der Revision keinen Widerspru[X.]h dar, dass sie trotz dieser Erkenntnis und eines weiteren Hämatoms auf der Stirn des Kindes, das sie am 3. März 2022 bemerkte, darauf vertraute, dass es während ihrer Anwesenheit in der Wohnung zu keinen s[X.]hwerwiegenden Verletzungshandlungen dur[X.]h     [X.]       kommen werde. Dass die Angeklagte dessen Verhalten weder billigte no[X.]h glei[X.]hgültig gegenüberstand, stützt das [X.] re[X.]htsfehlerfrei darauf, dass sie si[X.]h stets fürsorgli[X.]h und verantwortungsbewusst um das Kind gekümmert habe. So habe sie mit dem Kind sämtli[X.]he „U-Untersu[X.]hungen“ wahrgenommen. Au[X.]h bei bestehenden Infekten und sonstigen Erkrankungen habe sie eine Kinderarztpraxis aufgesu[X.]ht. Zudem habe sie si[X.]h na[X.]h dem 23. Februar 2022 darum bemüht, die emotionale Bindung zwis[X.]hen Vater und [X.] zu verbessern. Grundlage für diese Feststellungen waren entspre[X.]hende Angaben der Angeklagten in der Bes[X.]huldigtenvernehmung sowie gegenüber den Zeuginnen [X.]       .

Ebensowenig ist es widersprü[X.]hli[X.]h, dass das [X.] festgestellt hat, der im Erdges[X.]hoss lebende Zeuge [X.].    habe um 0.15 Uhr S[X.]hreie des Kindes aus dem Oberges[X.]hoss gehört, die in der Wohnung befindli[X.]he Angeklagte hingegen ni[X.]ht. Letzteres stützt das [X.] na[X.]hvollziehbar darauf, dass die Angeklagte im S[X.]hlafzimmer verblieb, während si[X.]h      [X.]      mit dem Kind in einen anderen Teil der Wohnung begab, und ni[X.]ht festgestellt werden konnte, ob und wel[X.]he Türen zum Tatzeitpunkt in der Wohnung ges[X.]hlossen waren. Entgegen den Ausführungen der Bes[X.]hwerdeführerin besteht insoweit au[X.]h kein Widerspru[X.]h zu der Feststellung, die Angeklagte habe darauf vertraut, dass es während ihrer Anwesenheit in der Wohnung zu keinen s[X.]hwerwiegenden Verletzungshandlungen kommen werde. Denn unabhängig davon, ob sie von ihrem Standort die Wohnung vollständig akustis[X.]h überwa[X.]hen konnte, ist die Angeklagte den Urteilsgründen zufolge davon ausgegangen, dass es s[X.]hon aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit in der Wohnung ni[X.]ht zu erneuten Misshandlungen kommen werde.

3. Der Strafausspru[X.]h erweist si[X.]h ebenfalls als re[X.]htsfehlerfrei. Die Strafrahmenvers[X.]hiebung na[X.]h § 13 Abs. 2 iVm § 49 Abs. 1 StGB ist revisionsgeri[X.]htli[X.]h ni[X.]ht zu beanstanden. Das Tatgeri[X.]ht hat bei der re[X.]htli[X.]h gebotenen Gesamtwürdigung alle wesentli[X.]hen Umstände geprüft (vgl. [X.], Urteile vom 29 Juli 1998 – 1 [X.], NJW 1998, 3068; vom 17. Juni 2015 – 5 [X.]; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 921, 939). Eine ers[X.]höpfende Aufzählung sämtli[X.]her Zumessungstatsa[X.]hen ist dagegen weder bei der Abwägung na[X.]h § 13 Abs. 2 StGB no[X.]h na[X.]h § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bei der konkreten Strafzumessung notwendig (vgl. zu Letzterem: [X.], Urteil vom 20. Juli 2022 – 5 StR 29/22; [X.]/[X.], 2. Aufl., § 267 Rn. 319 ff.; [X.]/[X.]/[X.] aaO Rn. 1352 ff.). Glei[X.]hes gilt im Ergebnis für die na[X.]h § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB erforderli[X.]he Gesamtwürdigung (vgl. [X.], Urteile vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, [X.], 3011, 3012; vom 16. April 2015 – 3 [X.]). Au[X.]h diesen Anforderungen wird das Urteil gere[X.]ht.

[X.]     

      

[X.]     

      

Frits[X.]he

      

von S[X.]hmettau     

      

Arnoldi     

      

Meta

6 StR 329/23

03.04.2024

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Amberg, 15. März 2023, Az: 11 Ks 131 Js 2332/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.04.2024, Az. 6 StR 329/23 (REWIS RS 2024, 1964)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1964

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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