Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.08.2021, Az. III R 42/19

3. Senat | REWIS RS 2021, 2947

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 31.08.2021 III R 41/19 - Kindergeld; Berücksichtigung eines Kindes nach krankheitsbedingtem Ausbildungsabbruch)


Leitsatz

1. NV: Ist ein Kind krankheitsbedingt nicht in der Lage, sich ernsthaft um eine Ausbildungsstelle zu bemühen oder sie zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn anzutreten, kann es nur dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden, wenn es sich um eine vorübergehende Erkrankung handelt und die im Anspruchszeitraum bestehende Ausbildungswilligkeit nachgewiesen wird.

2. NV: Von einer vorübergehenden Erkrankung ist auszugehen, wenn sie im Hinblick auf die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate währt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15.11.2018 - 3 K 76/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist der Kindergeldanspruch für die Monate März bis Dezember 2017.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter einer im [X.]uli 1998 geborenen Tochter ([X.]).

3

Mit Bescheid vom 02.07.2016 setzte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) für [X.] gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest, weil [X.] sich für einen Fernlehrgang Realschulabschluss eingeschrieben hatte.

4

Am 27.11.2017 teilte die Klägerin der Familienkasse telefonisch mit, dass [X.] den Fernlehrgang wegen Krankheit abgebrochen habe. Im Rahmen der Anhörung zu einer möglichen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung legte die Klägerin u.a. einen von einer Klinik unterschriebenen Vordruck vor, wonach bei [X.] eine schwere komplexe psychische Erkrankung gegeben sei. Zudem bescheinigte die Klinik, dass sich [X.] seit dem 06.11.2017 in stationärer Krankenhausbehandlung in der Klinik befinde. Die weiteren Ermittlungen der Familienkasse ergaben, dass [X.] den Lehrgang zum 28.02.2017 gekündigt hatte.

5

Daraufhin hob die Familienkasse mit Bescheid vom 06.06.2018 die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum März bis Dezember 2017 auf und forderte das für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld in Höhe von 1.920 € von der Klägerin zurück.

6

Im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, [X.] sei psychisch krank und nicht in der Lage, eine Ausbildung anzutreten. Die Klägerin legte drei weitere ärztliche Atteste vom 08.09.2015, 31.01.2018 und 12.07.2018 vor. Danach befindet sich [X.] seit dem 24.05.2017 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung. Vom 06.11.2017 bis 31.01.2018 befand sie sich in stationärer Krankenhausbehandlung. Gemäß dem Attest vom 12.07.2018 ist [X.] aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen nicht in der Lage, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.

7

Mit Einspruchsentscheidung vom 19.07.2018 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Berücksichtigung von [X.] im Streitzeitraum als erkranktes Kind scheitere bereits daran, dass [X.] nicht unmittelbar nach Eintritt der Erkrankung, d.h. spätestens im März 2017, erklärt habe, dass sie sich nach der Genesung zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn bewerben oder die Ausbildung fortführen werde.

8

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage statt.

9

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Familienkasse beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der erkennende Senat nicht abschließend prüfen, ob das [X.] zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Klägerin im Streitzeitraum ein Kindergeldanspruch für [X.] zusteht.

1. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG wird für ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, Kindergeld u.a. dann gewährt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) oder wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG).

2. Zu Recht ist das [X.] davon ausgegangen, dass [X.] im Streitzeitraum nicht i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde.

a) In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeignet sind (z.B. Senatsurteil vom [X.], [X.], 765, Rz 9, m.w.[X.]).

Dabei werden Ausbildungsmaßnahmen zwar einerseits durch eine Einschreibung an einer Schule oder Hochschule oder einen Ausbildungsvertrag mit einem Ausbildungsbetrieb indiziert. Andererseits genügt aber das rein formale Bestehen eines Ausbildungsverhältnisses nicht, wenn es an ernsthaften und nachhaltigen Ausbildungsmaßnahmen fehlt (z.B. Senatsurteile in [X.], 765, Rz 10, und vom 18.01.2018 - III R 16/17, [X.], 481, [X.] 2018, 402, Rz 11, jeweils m.w.[X.]). Soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind seinem gewählten Ausbildungsgang nicht ernsthaft und hinreichend nachgeht, liegt keine Berufsausbildung vor (Senatsurteile vom 03.07.2014 - III R 52/13, [X.], 427, [X.], 152, Rz 32, und vom 08.09.2016 - III R 27/15, [X.], 202, [X.], 278, Rz 22).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der [X.] ([X.]) im Urteil vom 15.07.2003 - VIII R 47/02 ([X.]E 203, 106, [X.] 2003, 848, unter [X.]) für den Fall zugelassen, dass die Ausbildung infolge einer Erkrankung oder wegen der Schutzfristen vor und nach der Entbindung (§ 3 Abs. 1 und 2 des Mutterschutzgesetzes --[X.]--) unterbrochen wird. Gleiches hat der [X.] für den Fall angenommen, dass das Kind während eines Ausbildungsverhältnisses in Untersuchungshaft genommen oder wegen eines laufenden Strafverfahrens im Ausland mit einem Ausreiseverbot belegt wird ([X.]-Urteil vom 20.07.2006 - III R 69/04, [X.]/NV 2006, 2067, unter [X.]). Vorausgesetzt wurde insoweit jedoch, dass das Kind einen Ausbildungsplatz hat und ausbildungswillig ist ([X.]-Urteile in [X.]E 203, 106, [X.] 2003, 848, unter [X.], sowie in [X.]/NV 2006, 2067, unter [X.]). Wurde das Ausbildungsverhältnis beendet, indem das Kind z.B. von der Schule abgemeldet wurde oder der Ausbildungsvertrag einvernehmlich aufgehoben oder einseitig gekündigt wurde, fehlt es schon am formalen Fortbestehen eines Ausbildungsverhältnisses. Die tatsächliche Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen ist nicht mehr wegen der Erkrankung oder der [X.], sondern wegen des Wegfalls des Ausbildungsverhältnisses ausgeschlossen. Dementsprechend kommt eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht mehr in Betracht, soweit eine Ausbildung infolge einer Erkrankung nicht nur unterbrochen, sondern abgebrochen wurde.

b) Danach scheidet im Streitfall eine Berücksichtigung der [X.] als in Ausbildung befindliches Kind ab März 2017 aus, da [X.] nach den Feststellungen des [X.] den Fernlehrgang zum 28.02.2017 gekündigt hat; für andere Ausbildungsmaßnahmen ist nichts ersichtlich.

3. Die vom [X.] festgestellten Tatsachen reichen auch nicht aus, um beurteilen zu können, ob [X.] nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist.

a) Die Berücksichtigung als Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG), setzt voraus, dass der Beginn der Ausbildung nicht an anderen Umständen als dem Mangel eines Ausbildungsplatzes scheitert (Senatsurteile vom 07.04.2011 - III R 24/08, [X.]E 233, 44, [X.] 2012, 210, Rz 27; vom 13.06.2013 - III R 58/12, [X.]E 242, 118, [X.] 2014, 834, Rz 14, und vom 12.11.2020 - III R 49/18, [X.]E 271, 229, Rz 12). Dabei ist zwar grundsätzlich jeder [X.] des Kindes zu berücksichtigen; seine Verwirklichung darf jedoch nicht an den persönlichen Verhältnissen des Kindes scheitern ([X.]-Urteil vom 15.07.2003 - VIII R 71/99, [X.]/NV 2004, 473, unter [X.]). Das Kind muss die Ausbildungsstelle im Falle des Erfolgs seiner Bemühungen antreten können ([X.]-Urteil vom 15.07.2003 - VIII R 79/99, [X.]E 203, 94, [X.] 2003, 843, unter [X.]; Senatsurteile vom 27.09.2012 - III R 70/11, [X.]E 239, 116, [X.] 2013, 544, Rz 26, sowie in [X.], 481, [X.] 2018, 402, Rz 16).

b) In der Person des Kindes liegende Gründe, welche der Aufnahme einer Berufsausbildung entgegenstehen, liegen z.B. vor, wenn ein Kind nicht die Voraussetzungen für den angestrebten Studiengang erfüllt ([X.]-Urteil in [X.]/NV 2004, 473) oder wenn ausländerrechtliche Gründe einer Berufsausbildung entgegenstehen (Senatsurteil in [X.]E 233, 44, [X.] 2012, 210). Ein Kind ist auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn es eine Ausbildung wegen Übergewichts nicht antreten könnte ([X.]-Beschluss vom 08.11.1999 - VI B 322/98, [X.]/NV 2000, 432). Dagegen ist es für den Bezug von Kindergeld ausnahmsweise unschädlich, wenn das Kind die Suche nach einem Ausbildungsplatz während der Schutzfristen nach dem [X.] unterbricht (Senatsurteil in [X.]E 242, 118, [X.] 2014, 834).

c) Ist ein Kind aus Krankheitsgründen gehindert, sich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben oder diesen im Falle der erfolgreichen Bewerbung zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn anzutreten, kommt eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nur unter eingeschränkten Voraussetzungen in Betracht.

aa) Zunächst muss es sich regelmäßig um eine vorübergehende Krankheit handeln. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der Notwendigkeit, die von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfassten Fälle von den unter § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG fallenden Fällen abzugrenzen. Letztere Bestimmung erfordert zum einen eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung, die nach der maßgeblichen Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 des [X.] eine mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate dauernde Beeinträchtigung voraussetzt (Senatsurteil in [X.]E 271, 229, Rz 14). Zweck dieses Kriteriums ist es, vorübergehende Gesundheitsstörungen aus dem Behinderungsbegriff auszuschließen und damit nur Beeinträchtigungen eines bestimmten Schweregrades zu erfassen (Senatsurteil vom [X.], [X.]E 267, 337, [X.] 2020, 558, Rz 26). Zum anderen werden behinderte Kinder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nur dann berücksichtigt, wenn sie außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, was eine Prüfung des Bedarfs des Kindes und der diesem zur Verfügung stehenden Mittel erfordert. Insoweit lässt sich der gesetzgeberische Wille erkennen, dass bei einer nicht nur vorübergehenden Erkrankung des Kindes eine typische Unterhaltssituation, die zur steuerlichen Berücksichtigung des Kindes führt, nicht allein aufgrund der Erkrankung angenommen werden darf, sondern darüber hinaus die Feststellung eines konkreten Unterhaltsbedarfs erforderlich ist. Diese Wertung des Gesetzgebers würde aber umgangen, wenn längerfristig erkrankte Kinder auch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfasst werden könnten, ohne dass eine solche Bedarfsprüfung stattfindet. Gerade bei längerfristig erkrankten Kindern ist es nicht ausgeschlossen, dass Sozialleistungen in Anspruch genommen werden, die einen Unterhaltsbedarf ausschließen könnten.

Werden die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz oder die Aufnahme einer Ausbildung daher durch eine Krankheit verhindert, darf die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigungsfähige gesundheitliche Beeinträchtigung regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate andauern. Dabei ist --um den Gleichlauf mit der Feststellung einer Behinderung zu gewährleisten-- nicht die (rückblickend) seit Beginn der Erkrankung oder gar seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung tatsächlich abgelaufene Zeit, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung maßgebend ([X.]-Urteil vom 18.06.2015 - VI R 31/14, [X.]E 251, 147, [X.] 2016, 40, Rz 22; Senatsurteil in [X.]E 267, 337, [X.] 2020, 558, Rz 26). Zur Beurteilung dieser Frage ist (ggf.) eine Prognose zur (weiteren) Entwicklung der Funktionsbeeinträchtigung zu stellen (Senatsurteil vom 19.01.2017 - III R 44/14, [X.]/NV 2017, 735, Rz 18, m.w.[X.]).

bb) Des Weiteren ist erforderlich, dass die Ausbildungswilligkeit des Kindes für den entsprechenden [X.] nachgewiesen wird.

(1) Nach ständiger Rechtsprechung setzt der [X.] des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG bei einem gesunden Kind voraus, dass sich dieses ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht (Senatsurteil vom 22.09.2011 - III R 35/08, [X.]/NV 2012, 232, Rz 11, m.w.[X.]). Das Bemühen um einen Ausbildungsplatz ist glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen, es habe sich ständig um einen Ausbildungsplatz bemüht oder sei stets bei der [X.] als ausbildungssuchend gemeldet gewesen, reichen nicht aus. Um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegenzuwirken, muss sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben (Senatsurteil in [X.]/NV 2012, 232, Rz 12, m.w.[X.]). Die Nachweise für die Ausbildungswilligkeit des Kindes und für sein Bemühen, einen Ausbildungsplatz zu finden, hat der Kindergeldberechtigte beizubringen; über 18 [X.]ahre alte Kinder haben mitzuwirken (§ 68 Abs. 1 EStG). Es liegt auch im Einflussbereich des [X.], Vorsorge für die Nachweise der Ausbildungswilligkeit des Kindes zu treffen (Senatsurteil in [X.]/NV 2012, 232, Rz 13, m.w.[X.]).

Obwohl das Kindergeld monatlich entsteht und deshalb die Anspruchsvoraussetzungen --wie das Bemühen um einen [X.] in jedem Monat gegeben sein müssen, braucht nicht zwingend für jeden Monat ein erneuter Nachweis vorgelegt zu werden, der das Bemühen um einen Ausbildungsplatz dokumentiert. Es ist daher nicht erforderlich, dass sich das Kind jeden Monat erneut um eine Ausbildungsstelle bewirbt, solange über die bisherigen Bewerbungen noch nicht entschieden ist; allerdings ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten eine Parallelbewerbung erforderlich, wenn das Kind innerhalb dieses Zeitraums keine Absage erhalten hat (Senatsurteil in [X.]/NV 2012, 232, Rz 16, m.w.[X.]).

(2) Die Ausbildungswilligkeit eines wegen vorübergehender Erkrankung an Bemühungen um einen Ausbildungsplatz oder an der Aufnahme einer Ausbildung gehinderten Kindes ist ebenfalls für die Monate, für die der Kindergeldanspruch geltend gemacht wird, zu belegen. Als Nachweis kommt etwa die von der Verwaltung geforderte schriftliche Erklärung, sich unmittelbar nach Wegfall der gesundheitlichen Hinderungsgründe um eine Berufsausbildung zu bemühen, sie zu beginnen oder fortzusetzen, in Betracht (A 17.2 Abs. 1 Satz 4 der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz 2020 vom 27.08.2020, [X.], 703). Allerdings lässt der Untersuchungsgrundsatz (§ 88 Abs. 1 und 2 der Abgabenordnung, § 76 Abs. 1 und 4 [X.]O) keine Beschränkung auf dieses Beweismittel zu. Denkbar sind daher auch andere Nachweise, etwa dergestalt, dass das Kind während der Erkrankung mit der früheren Ausbildungseinrichtung in Kontakt getreten ist und sich konkret über die ([X.] nach dem voraussichtlichen Ende der Krankheit informiert hat. Ebenso ist denkbar, dass das Kind sich an eine neue Ausbildungseinrichtung oder die Ausbildungsvermittlung der [X.] mit dem Ziel gewandt hat, eine Ausbildung zwar noch nicht zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn --dann wäre es schon unabhängig von der Erkrankung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, wenn es die angebotene Stelle dann antreten könnte--, aber doch jedenfalls nach dem Ende der Erkrankung aufzunehmen.

Regelmäßig nicht ausreichen wird es dagegen, wenn der Kindergeldberechtigte die Familienkasse zunächst unter Verstoß gegen seine Mitwirkungspflicht nicht über den krankheitsbedingten Abbruch einer Ausbildung oder der Bemühungen um eine Ausbildungsstelle informiert, der Familienkasse damit die Möglichkeit der zeitnahen Anforderung eines Nachweises der Ausbildungswilligkeit nimmt und die Ausbildungswilligkeit des volljährigen Kindes erst im Nachhinein rückwirkend pauschal behauptet. Denn in einem solchen Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Kind während der Erkrankung seinen Ausbildungswillen aufgegeben und sich z.B. für die Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit oder eines Freiwilligendienstes entschieden hat. In den letztgenannten Fällen wäre die Wartezeit bis zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit oder des Freiwilligendienstes im Gegensatz zur Wartezeit bis zur Aufnahme der Ausbildung nicht von den in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG aufgezählten Berücksichtigungstatbeständen erfasst.

d) Im Streitfall hat das [X.] zwar genauere Feststellungen zur Art der verschiedenen Erkrankungen der [X.] getroffen. Es fehlen aber nähere Feststellungen dazu, wann die jeweilige Erkrankung eingetreten ist und ob die nach der Art der jeweiligen Krankheit zu erwartende Dauer der von ihnen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht länger als sechs Monate andauern würde. Zudem hat das [X.] zur Frage der Ausbildungswilligkeit nur eine erst im Klageverfahren und damit erst nach dem Streitzeitraum abgegebene Absichtserklärung, nach Wegfall der Hinderungsgründe/Krankheit eine Ausbildung zu beginnen, festgestellt. Eine solche Erklärung lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass sich die Ausbildungswilligkeit im Streitzeitraum manifestiert hat.

4. Da das [X.] weder eine Behinderung noch eine behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt festgestellt hat, vermag der Senat auch nicht zu entscheiden, ob [X.] nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt werden kann.

5. [X.] ist nicht spruchreif und geht an das [X.] zurück, das zu prüfen haben wird, ob [X.] nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c oder Nr. 3 EStG zu berücksichtigen ist.

6. Da die Revision der Familienkasse bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, kommt es auf die von ihr gerügten Verfahrensmängel nicht mehr an.

7. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 42/19

31.08.2021

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 15. November 2018, Az: 3 K 76/18, Urteil

§ 62 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG 2009, § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2009, § 32 Abs 4 S 1 Nr 3 EStG 2009, EStG VZ 2017, § 88 AO, § 76 FGO, Abschn 17.2 Abs 1 S 4 DA-KG 2020

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.08.2021, Az. III R 42/19 (REWIS RS 2021, 2947)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2947

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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