Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2023, Az. X ARZ 588/22

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1976

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Tenor

Die Sache wird an das [X.] zurückgegeben.

Gründe

1

Das Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts für eine abgetrennte isolierte Drittwiderklage.

2

I. Der hiesige Kläger, der im Bezirk des [X.] wohnt, wird vor diesem aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen. Er hat gegen die hiesige Beklagte, die ihren Sitz in [X.] hat, isolierte Drittwiderklage erhoben, mit der er Freistellung von der Bürgenhaftung wegen Pflichtverletzungen bei der Veräußerung von Geschäftsanteilen der Darlehensschuldnerin begehrt.

3

Das [X.] hat die isolierte Drittwiderklage abgetrennt und den Rechtsstreit auf Antrag des hiesigen Klägers insoweit an das [X.] verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und an das [X.] zurückverwiesen. Dieses hat die Übernahme des Verfahrens ebenfalls abgelehnt und eine Bestimmung des Gerichtsstands durch das [X.] veranlasst.

4

Der Kläger hat die isolierte Drittwiderklage in der Folgezeit durch Schriftsatz an das [X.] zurückgenommen.

5

Das [X.] hat das Verfahren dem [X.] vorgelegt.

6

II. Die Vorlage ist zulässig.

7

Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein [X.], wenn es im Rahmen eines Gerichtsstandbestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 2 ZPO in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen [X.]s oder des [X.]s abweichen will, die Sache dem [X.] vorzulegen.

8

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.

9

1. Ein negativer Kompetenzkonflikt im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegt vor.

Das [X.] hat sich durch unanfechtbaren Beschluss (§ 281 Abs. 2 Satz 1 ZPO) für unzuständig erklärt. Das [X.] hat ebenfalls durch einen solchen Beschluss seine Zuständigkeit verneint.

2. Da die Landgerichte zu unterschiedlichen [X.]sbezirken gehören, ist der [X.] das nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht und das vorlegende Gericht nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen.

3. Eine Divergenz im Sinne von § 36 Abs. 3 ZPO liegt vor.

Das vorlegende Gericht sieht aufgrund der Klagerücknahme die Voraussetzungen einer Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als nicht mehr gegeben an. Mit dieser Auffassung würde es von einem Beschluss des [X.]s Brandenburg (Beschluss vom 9. August 2000 - 1 AR 46/00, BeckRS 2000, 7460) abweichen. Dieses hat entschieden, eine Klagerücknahme stehe einer Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Beschluss nach § 269 Abs. 3 ZPO noch ausstehe.

III. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind nicht mehr gegeben.

1. Wie das vorlegende Gericht zutreffend dargelegt hat, kommt eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht mehr in Betracht, wenn die Klage vollständig zurückgenommen wurde. Dies gilt auch dann, wenn noch eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO zu treffen ist.

a) Eine Gerichtsstandbestimmung ist grundsätzlich nur zulässig, solange noch gerichtliche Entscheidungen durch das in der Hauptsache zuständige Gericht zu treffen sind.

An dieser Voraussetzung fehlt es etwa, wenn lediglich noch ein bereits erlassener Vollstreckungsbescheid zuzustellen ist; die Zustellung hat unabhängig von der Zuständigkeit in der Hauptsache durch dasjenige Gericht zu erfolgen, das den Bescheid erlassen hat ([X.], Beschluss vom 2. August 1982 - 5 [X.], NJW 1983, 472). Anders liegt es im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung; über deren Zulässigkeit und Begründetheit hat das in der Hauptsache zuständige Gericht zu entscheiden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. Januar 1996 - 1Z AR 5/96, [X.] 1996, 14).

b) Die nach einer vollständigen Rücknahme der Klage zu treffende Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 ZPO ist grundsätzlich durch dasjenige Gericht zu treffen, bei dem die Hauptsache im Zeitpunkt der Klagerücknahme anhängig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gericht zur Entscheidung über die zurückgenommene Klage zuständig war.

aa) Die Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO richtet sich in der Regel allein nach formellen Kriterien. Die Zuständigkeit für solche Entscheidungen ist nicht an die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Hauptsache geknüpft. So ist auch die Entscheidung über die Kosten einer beim Berufungsgericht eingelegten und vor Abgabe zurückgenommenen Nichtzulassungsbeschwerde nicht von dem für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständigen [X.] zu treffen, sondern von dem Gericht, bei dem das Rechtsmittel eingelegt wurde und bei Rücknahme noch anhängig war ([X.], Beschluss vom 15. März 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 648).

bb) Für den Fall, dass der Kläger eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO anstrebt, gilt nichts anderes.

Für die Ausübung des billigen Ermessens kann zwar von Bedeutung sein, ob die Klage zu einem früheren Zeitpunkt zulässig und begründet war. Dennoch geht es nicht um eine verbindliche Entscheidung dieser Frage, sondern um eine an Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit orientierte Entscheidung über die Kosten, wie sie nach § 91a ZPO auch nach einer beiderseitigen Erledigungserklärung zu treffen ist.

Eine Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO ist durch dasjenige Gericht zu treffen, bei dem die Sache im Zeitpunkt der Erledigungserklärung anhängig ist ([X.], Beschluss vom 18. März 2010 - [X.], [X.], 1037 Rn. 9 - Unzuständigkeitsrüge; BVerwG, Beschluss vom 8. April 2016 - 1 [X.] 11.15, juris Rn. 16; [X.], Beschluss vom 16. August 2016 - 9 AS 4/16, [X.], 3469 Rn. 12). Für eine Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO kann nichts anderes gelten.

cc) Dass für eine Kostenentscheidung nach Rücknahme eines [X.] etwas anderes gilt, spricht nicht gegen, sondern für das oben aufgezeigte Ergebnis.

Wenn nach Rücknahme eines [X.] eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO in Betracht kommt, ist das Verfahren an das für das streitige Verfahren zuständige Gericht abzugeben. Grund hierfür ist, dass das Mahnverfahren für eine solche Entscheidung weder bestimmt noch geeignet ist ([X.], Beschluss vom 28. Oktober 2004 - [X.], [X.], 512).

Nach einer Klagerücknahme liegt eine andere Ausgangslage vor. In dieser Konstellation war schon vor der Rücknahme ein streitiges Verfahren anhängig, in dem eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergehen kann.

2. Im Streitfall kommt damit die Bestimmung eines zuständigen Gerichts nicht mehr in Betracht.

a) Der Kläger hat die isolierte Widerklage wirksam zurückgenommen.

aa) Nach § 269 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Klagerücknahme dem Gericht gegenüber zu erklären. Dies ist das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist ([X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 269 Rn. 51; BeckOKZPO/[X.], 47. Edition, Stand 1. Dezember 2022, § 269 Rn. 3).

Das [X.] war danach im Streitfall der richtige Adressat. Die Hauptsache war nach der Verweisung durch das [X.] dort anhängig. Dass das [X.] die Übernahme der Sache abgelehnt und das [X.] um Gerichtsstandbestimmung ersucht hat, führte nicht zu einer anderweitigen Anhängigkeit in der Hauptsache.

bb) Eine Zustimmung der hiesigen Beklagten war nicht erforderlich, weil noch keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.

b) Nach den oben aufgezeigten Grundsätzen ist für eine Gerichtsstandbestimmung damit kein Raum mehr.

c) Eine Gerichtsstandbestimmung ist auch nicht in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO veranlasst.

Im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit ist regelmäßig eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geboten, wenn die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass eine baldige Beilegung des [X.] nicht erwartet werden kann ([X.], Beschluss vom 2. Dezember 1982 - [X.] 586/82, NJW 1983, 1062; [X.], Beschluss vom 16. August 2016 - 9 AS 4/16, [X.], 3469).

Im Streitfall bestehen keine diesbezüglichen Anhaltspunkte.

Die Klage ist erst nach Einleitung des Verfahrens zur Gerichtsstandbestimmung zurückgenommen worden. Dass das [X.] trotz der neu eingetretenen Prozesssituation eine Übernahme weiterhin ablehnen wird, ist nicht anzunehmen.

[X.]     

  

Hoffmann     

  

Deichfuß

  

Marx     

  

Rombach     

  

Meta

X ARZ 588/22

14.03.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2023, Az. X ARZ 588/22 (REWIS RS 2023, 1976)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1976

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9 AS 4/16

I ZB 37/09

X ZR 16/22

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