Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2021, Az. 4 StR 473/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8634

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Gegenstand

Körperverletzung: Strafbarkeit des heimlichen Nachschenkens und/oder Beimischens alkoholischer Getränke bei einem 15-jährigen Mädchen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. August 2020 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt wurde.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Strafrichter - [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Freispruch im Übrigen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hatte der damals 37-jährige Angeklagte im Jahr 2011 ein sexuelles Interesse an der damals 15-jährigen [X.]  entwickelt. An einem Abend im [X.] 2011 fand im [X.] und seiner damaligen Ehefrau ein Spieleabend statt, an dem auch die [X.]  teilnahm. Im späteren Verlauf des Abends waren nur noch der Angeklagte, die Zeugin sowie deren 18-jähriger Freund anwesend. Die Zeugin trank zunächst ein Glas oder eine Flasche Bier. Anschließend trank sie ein Glas Wein. Der Angeklagte schenkte ihr immer wieder nach, wobei er ausnutzte, dass sie aufgrund des Spiels abgelenkt war oder zur Toilette gegangen war. Sie bekam aber auch mit, dass der Angeklagte ihr nachschenkte. Schließlich entschied sich die Zeugin, auf weiteren Alkoholkonsum zu verzichten, und trank fortan nicht-alkoholische Getränke, weil sie bemerkt hatte, dass sie durch den genossenen Alkohol angetrunken war.

3

Der Angeklagte erkannte, dass die Zeugin nunmehr nur noch nichtalkoholische Getränke zu sich nahm. In der Hoffnung, alsbald mit ihr allein sein zu können, schenkte er ihr - von ihr unbemerkt - mindestens einmal Wodka in ihr nichtalkoholisches Getränk, worauf sie dieses Mischgetränk zu sich nahm. Nach einem Streit mit dem Freund der Zeugin, der den Angeklagten aufgefordert hatte, weiteres Einschenken zu unterlassen, verließen die Zeugin und ihr Freund das [X.]. Die Zeugin war nunmehr erheblich betrunken. Sie hatte Schwierigkeiten beim Gehen und bei der Artikulation. Als sie zu Hause ankam, musste sie sich übergeben.

4

Das [X.] hat das heimliche Verabreichen des Wodkas als gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB gewürdigt.

5

2. Das [X.] hat nicht tragfähig begründet, dass das heimliche Zuführen des Wodkas den bereits zuvor eingetretenen Rauschzustand der [X.]  maßgebend verstärkte und daher mitursächlich für ihre späteren rauschbedingten Beeinträchtigungen war. Das Urteil leidet insoweit an durchgreifenden Erörterungsmängeln.

6

a) Zwar ist das [X.] im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 StGB auch in der Herbeiführung eines Rauschzustandes liegen kann, wenn der Rausch etwa zur Bewusstlosigkeit führt oder der Betroffene sich übergeben muss (vgl. [X.], Urteil vom 4. März 1981 - 2 [X.], NJW 1983, 462). Das [X.] hat auch nicht verkannt, dass das [X.] in das Weinglas der Zeugin nicht den Tatbestand der Körperverletzung erfüllte. Denn der Zeugin war insoweit bewusst, dass sie Alkohol zu sich nahm, weshalb lediglich eine Förderung der eigenverantwortlichen Selbstschädigung durch einen [X.] vorliegt, die erst dann strafbar wird, wenn der Dritte aufgrund überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende (vgl. [X.], Urteil vom 7. August 1984 - 1 StR 200/84, [X.], 25). Dass die Zeugin einer Fehleinschätzung über die Menge des genossenen Weines oder dessen möglichen Wirkungen unterlag, hat das [X.] nicht festgestellt.

7

b) Indes beruht die Annahme des [X.]s, allein ([X.]) durch die heimliche Beibringung des Wodkas habe sich der bereits eigenverantwortlich herbeigeführte Rauschzustand der Zeugin in einer den Tatbestand der Körperverletzung erfüllenden Weise verschlechtert, auf durchgreifenden Erörterungs-lücken.

8

Das Urteil lässt bereits Feststellungen zu den Trinkzeiten und insbesondere der Trinkmenge der nicht alkoholgewöhnten Zeugin vermissen, die sie vor der heimlichen Beibringung des Wodkas zu sich nahm. Schon deshalb ist nicht nachzuvollziehen, ob die festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Zeugin nicht bereits auf den eigenverantwortlich herbeigeführten Rauschzustand zurückzuführen sind. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass sich das Urteil nicht dazu verhält, welche Menge Wodka der Angeklagte der Zeugin heimlich verabreichte. Dass es sich hierbei lediglich um eine geringe, für die körperlichen Beeinträchtigungen der Zeugin möglicherweise nicht (mehr) relevante Menge gehandelt haben kann, ist schon deshalb nicht fernliegend, weil das [X.] - insoweit ersichtlich der Aussage des Freundes der Zeugin folgend - zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe (nur) einmal Wodka in das Getränk der Zeugin geschüttet ([X.] 18).

9

3. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten gewürdigte sexuelle Motivation nicht belegt ist. Dass der Angeklagte jungen Mädchen und jungen Frauen zuneige, belegt schon vor dem Hintergrund der Anwesenheit des Freundes der [X.]  ohne weitere Beweiswürdigung nicht eine sexuelle Motivation am Tatabend.

4. Der Senat verweist die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht - Strafrichter - [X.].

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Bartel

        

Lutz     

        

Maatsch     

        

Meta

4 StR 473/20

18.02.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 4. August 2020, Az: 25 KLs 8/20

§ 223 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2021, Az. 4 StR 473/20 (REWIS RS 2021, 8634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8634

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

2 StR 404/23

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