Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.10.2011, Az. III B 92/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 2352

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Gegenstand

Dauer der Wiedereinsetzungsfrist nach Gewährung von Prozesskostenhilfe - Verhältnis von bewilligter Prozesskostenhilfe und Klageantrag - Darlegungslast und Frist für den PKH-Antrag


Leitsatz

1. NV: Einem mittellosen Kläger kann Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nur dann gewährt werden, wenn er nach Bekanntgabe der stattgebenden Entscheidung über seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO den Wiedereinsetzungsantrag stellt und die Klageerhebung nachholt .

2. NV: Im Fall der vollständigen Bewilligung von Prozesskostenhilfe verlängert sich die Zweiwochenfrist nicht um eine zusätzliche Überlegungsfrist von zwei bis vier Werktagen .

3. NV: Zur Frage, wann von einer lediglich teilweisen Bewilligung von Prozesskostenhilfe auszugehen ist .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein nach [X.] entsandter [X.] Arbeitnehmer, beantragte innerhalb der Klagefrist des § 47 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) Prozesskostenhilfe (PKH) für eine von ihm beabsichtigte Klage wegen Kindergeld. Aus dem beigefügten [X.] ergab sich, dass die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) verpflichtet werden sollte, Kindergeld in Höhe von 4.620 € zu gewähren. Mit Beschluss vom 18. Januar 2010, der dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 20. Januar 2010 zugestellt wurde, bewilligte das Finanzgericht ([X.]) PKH für den ersten Rechtszug unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Am 8. Februar 2010 wurde Klage erhoben, mit der Kindergeld in Höhe von 11.088 € begehrt wurde. Das [X.] erließ ein Prozessurteil mit der Begründung, dass Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nicht gewährt werden könne, weil die mit Bekanntgabe der [X.] beginnende zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nicht eingehalten worden sei.

Entscheidungsgründe

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II. [X.] ist unbegründet. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

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1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O dar, wenn über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 13. März 2003 [X.], [X.], 425, [X.] 2003, 609, m.w.[X.]; vom 26. November 2007 [X.]/07, juris). Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verpflichtungsklage gehört die Wahrung der Klagefrist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 [X.]O. An der [X.] Erhebung einer solchen Klage ist ein mittelloser Steuerpflichtiger bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf [X.] unverschuldet verhindert. Ihm kann nach der Entscheidung über das [X.]-Gesuch --neben weiteren [X.] dann Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt werden, wenn er binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses den Wiedereinsetzungsantrag stellt und innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachholt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 3 [X.]O; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 20 "Prozesskostenhilfe", m.w.[X.]). Wenn der [X.]-Antrag wegen nicht gegebener Mittellosigkeit der [X.] oder fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt wurde, dann beginnt die [X.] nach der zur entsprechenden Vorschrift des § 234 der Zivilprozessordnung (ZPO) ergangenen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) erst nach einer Überlegungsfrist von zwei bis vier Werktagen (Beschlüsse des [X.] vom 20. Januar 2009 [X.], [X.] --HFR-- 2009, 722; vom 26. Mai 1993 [X.], Zeitschrift für das gesamte Familienrecht -FamRZ- 1993, 1428, jeweils m.w.[X.]; gleicher Auffassung [X.] vom 27. November 1991 [X.], [X.] 1992, 686; ohne Zubilligung einer Überlegungsfrist dagegen [X.] vom 2. September 1986 [X.]/86, [X.] 1987, 307).

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2. Nach diesen Grundsätzen ist das angegriffene Prozessurteil des [X.] nicht zu beanstanden.

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a) Im Streitfall wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] die stattgebende Entscheidung über das [X.]-Gesuch am 20. Januar 2010 zugestellt. Die zweiwöchige [X.] lief damit bis zum 3. Februar 2010 (§ 54 Abs. 2 [X.]O, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Antrag auf Wiedereinsetzung und Klageerhebung erfolgten erst nach Ablauf dieser Frist, nämlich am 8. Februar 2010. Ob der Senat der Rechtsprechung des [X.] folgen könnte (kritisch z.B. [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 234 Rz 8; Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 56 Rz 20 "Prozesskostenhilfe"), kann dahinstehen. Jedenfalls war dem Kläger schon deshalb keine zusätzliche Überlegungsfrist von zwei bis vier Werktagen einzuräumen, weil sein [X.]-Gesuch nicht abgelehnt wurde. Wird [X.], wie im Streitfall geschehen, bewilligt, dann ist auch nach der Rechtsprechung des [X.] die versäumte Rechtshandlung innerhalb der [X.] des § 234 ZPO nachzuholen ([X.]-Beschlüsse vom 14. November 1990 [X.], [X.], 425; vom 11. November 1998 [X.] 119/98, [X.], 579, m.w.[X.]). Denn nur wenn einem Beteiligten [X.] versagt wird, benötigt er Zeit für weitere Überlegungen, ob er sich mit der Entscheidung des Finanzamts oder der Familienkasse abfindet oder ob er sie auf eigenes Kostenrisiko --etwa mit Hilfe von [X.] angreift (vgl. [X.]-Beschluss in [X.], 1428).

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b) Das Beschwerdevorbringen des [X.] rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Darin wird der [X.]-Beschluss des [X.] als eine Teilbewilligung, also zugleich als eine teilweise Ablehnung qualifiziert, so dass eine Überlegungsfrist einzuräumen sei. Diese rechtliche Bewertung ist unzutreffend. Das [X.] hat den [X.]-Antrag nicht teilweise abgelehnt, sondern ihm voll entsprochen. Ob [X.] voll oder nur teilweise bewilligt wurde, hängt nicht von einem Vergleich des [X.]-Beschlusses mit dem nach materiellem Recht höchstmöglichen Kindergeldanspruch ab, so die Sicht des [X.], sondern von der Prüfung, ob das von einem Prozessbeteiligten konkret verfolgte Rechtsbegehren ganz oder teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Wer sein objektiv bestehendes Recht etwa nur in quantitativ eingeschränktem Umfang verfolgen möchte, dem wird bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch nur für eine solche Klage [X.] bewilligt, wobei es sich hierbei nicht um eine Teil-Bewilligung handelt. Um dem Gericht die Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung zu ermöglichen, hat der Antragsteller das [X.]S. des § 142 [X.]O i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO darzulegen. Zu dieser Darlegung gehören die beabsichtigten Anträge, die tatsächlichen Behauptungen und die Beweismittel ([X.]/[X.], a.a.[X.], § 117 Rz 12). Von dem beabsichtigten Antrag --Kindergeld in Höhe von 4.620 €-- hat sich das [X.] bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage ersichtlich leiten lassen. Dies ist nicht zu beanstanden. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass ein bezifferter Antrag nicht zu den Minimalanforderungen eines jeden [X.]-Gesuchs gehört (vgl. [X.]/ [X.], a.a.[X.], § 114 Rz 23b). Macht ein fachkundig vertretener Beteiligter jedoch präzise Angaben über die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung, z.B. durch Beifügung eines vollständigen Klageentwurfs, dann sind diese Angaben nicht rechtlich unerheblich, wie der Kläger meint. Vielmehr hat sich das Gericht bei seiner Prüfung hieran zu orientieren. Im [X.] an die im Streitfall als Vollbewilligung der [X.] zu qualifizierende Entscheidung des [X.] hat sich der Kläger frei entschieden, über die ursprünglich angekündigten Anträge hinauszugehen und in erweitertem Umfang zu klagen. Zwar wird ein Beteiligter wohl auch in einem solchen Fall nachzudenken haben, ob er einen weiteren [X.]-Antrag stellen soll oder den von der [X.]-Bewilligung nicht erfassten Teil der Klage auf eigenes Kostenrisiko verfolgen möchte, doch ist ihm hierfür keine zusätzliche Überlegungsfrist im [X.] an die [X.]- Entscheidung einzuräumen. Auf diese Situation konnte er sich nämlich im Unterschied zu einer mittellosen [X.], deren [X.]- Antrag vollständig abgelehnt wurde, einstellen. Der [X.] hat mit seiner Rechtsprechung zur Einräumung einer Überlegungsfrist eine mittellose [X.] vor Augen, die Anlass hat, auf die Bewilligung von [X.] zu vertrauen. Von ihr kann es daher nicht erwartet werden, dass sie sich bereits während des noch laufenden [X.]-Verfahrens Gedanken über eine alternative Prozessfinanzierung oder dergleichen für den Fall der Antragsablehnung macht. Deshalb ist ihr bei unerwarteter [X.]-Versagung eine zusätzliche Überlegungsfrist zuzubilligen (vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.], 1428, und in [X.], 722). Demgegenüber konnte und musste sich der Kläger von vornherein darauf einrichten, dass selbst bei [X.] seines [X.]-Antrages ein Prozesskostenrisiko für eine etwaige Klageerweiterung bestehen bleibt. Er hatte damit Anlass und Gelegenheit, sich bereits vor und noch während des [X.]-Verfahrens mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang er seine Rechte überhaupt zu verfolgen gedenkt und welche Kostenlast damit verbunden ist. Das Ergebnis entsprechender Überlegungen konnte er ohne weiteres bereits bei der Stellung des [X.]-Antrages berücksichtigen. Ausreichende Überlegungszeit stand ihm zur Verfügung, weil die mittellose [X.] den ordnungsgemäßen [X.]-Antrag erst bis zum Ablauf der Rechtsmittel- oder der Klagefrist eingereicht haben muss (Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 56 Rz 20 "Prozesskostenhilfe"). Sie wird also nicht schlechter behandelt als die bemittelte [X.], weil auch diese sich grundsätzlich innerhalb der Klagefrist klar werden muss, ob und in welchem Umfang sie eine oder auch mehrere verwaltungsbehördliche Maßnahmen angreift.

Meta

III B 92/10

17.10.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 22. April 2010, Az: 16 K 3953/08 Kg, Urteil

§ 47 FGO, § 56 Abs 2 FGO, § 142 FGO, § 117 Abs 1 S 2 ZPO, § 234 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.10.2011, Az. III B 92/10 (REWIS RS 2011, 2352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2352

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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