Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.04.2020, Az. III R 25/19

3. Senat | REWIS RS 2020, 3327

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Gegenstand

Keine Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden BEA-Freibetrages nach Volljährigkeit des Kindes; Änderungsmöglichkeit des FA bei falscher Rechtsauffassung im amtlich vorgesehenen Steuererklärungsformular


Leitsatz

1. Für ein über 18 Jahre altes Kind ist eine Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden einfachen BEA-Freibetrages nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen.

2. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nach § 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AO ist nur möglich, wenn der Steuerpflichtige selbst (allein oder überwiegend) die fehlerhafte Berücksichtigung verursacht hat. Ist hingegen die im amtlichen Steuererklärungsvordruck niedergelegte fehlerhafte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung die entscheidende Ursache für die unvereinbare mehrfache Berücksichtigung eines Sachverhalts, ist eine Änderung ausgeschlossen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12.09.2018 - 2 K 2164/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Frage, ob die [X.]inkommensteuerbescheide 2011 bis 2014 wegen Übertragung des Freibetrages für den [[X.].] ([[X.].]) geändert werden konnten.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) sowie seine geschiedene [X.]hefrau ([X.]), die in zweiter [X.]he verheiratet ist, sind die leiblichen [X.]ltern zweier Töchter, [X.] (geboren 1991) und [X.] (geboren 1992).

3

Mit der Behauptung, der andere [X.]lternteil sei seiner Unterhaltspflicht nicht zu mindestens 75 % nachgekommen bzw. mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig, beantragte der Kläger in den Steuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2011 bis 2014 in der Anlage Kind jeweils die Übertragung des der [X.] zustehenden [X.] für seine beiden damals studierenden volljährigen Töchter. Die entsprechenden amtlichen Vordrucke für die [X.]inkommensteuererklärungen sahen vor, dass damit zwangsläufig die Übertragung des [[X.].]es beantragt wurde.

4

In den [X.]inkommensteuerbescheiden für die streitigen Veranlagungszeiträume (2011 bis 2014) gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) dem Kläger für jede seiner beiden Töchter antragsgemäß die doppelten Kinderfreibeträge in Höhe von 4.368 € und die doppelten B[X.]A-Freibeträge in Höhe von 2.640 €.

5

Nachdem das [X.] ([X.]) dem [X.] mit Schreiben vom 30.07.2015 mitgeteilt hatte, dass [X.] ihrer Unterhaltspflicht nachgekommen sei, änderte das [X.] gemäß § 174 Abs. 2 und Abs. 1 der Abgabenordnung ([[X.].]) mit Bescheiden vom 21.12.2015 die [X.]inkommensteuerbescheide 2011 bis 2014 und setzte für beide Töchter jeweils nur noch den einfachen Kinderfreibetrag (2.184 €) und den einfachen [[X.].] (1.320 €) an. Den dagegen erhobenen [X.]inspruch wies das [X.] mit [X.]inspruchsentscheidung vom 31.08.2016 als unbegründet zurück. Zur Begründung berief es sich neben der Änderungsnorm des § 174 [[X.].] zusätzlich auf die Änderungsnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 1 [[X.].].

6

Das Finanzgericht ([X.]) gab der dagegen gerichteten Klage mit seinem in [X.]ntscheidungen der Finanzgerichte ([X.][X.]) 2019, 5 veröffentlichten Urteil insoweit statt, als es eine Änderung der B[X.]A-Freibeträge ausschloss. Im Übrigen wies es die Klage ab.

7

Mit der gegen die Versagung der Änderung der B[X.]A-Freibeträge gerichteten Revision rügt das [X.] die Verletzung von Verfahrensrecht sowie die Verletzung materiellen Rechts.

8

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das [X.] der Klage stattgegeben hat und die Klage insgesamt abzuweisen,
hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das [X.] Rheinland-Pfalz zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I[X.]

Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden [X.] zwar nicht möglich war (hierzu I[X.]1. und 2.), eine Änderung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide aber sowohl nach § 174 Abs. 2 i.V.m Abs. 1 [X.] als auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (hierzu I[X.]3. und I[X.]4.) ausgeschlossen war.

1. Gemäß § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt. Eine Übertragung des [X.] kommt nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG nur bei minderjährigen Kindern auf Antrag desjenigen Elternteils in Betracht, bei dem das Kind gemeldet ist. Für ein über 18 Jahre altes Kind ist eine Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden einfachen [X.] nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 32 EStG Rz 191; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 32 EStG Rz 850; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Kommentar, Fach A, [X.] Kommentierung, § 32 EStG Rz 133).

2. Eine Auslegung dahin, dass --entgegen dem Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG-- der [X.] auch bei volljährigen Kindern übertragen werden kann, ist nicht möglich.

a) Die vom [X.] angestrebte ergänzende Rechtsfortbildung oder teleologische Extension (BFH-Urteil vom 11.02.2010 - V R 38/08, [X.], 385, [X.], 873) setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus (Senatsurteil vom 24.05.1991 - III R 82/89, [X.] 1992, 270). Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH-Urteil vom 22.06.2017 - VI R 97/13, [X.], 372, [X.], 1181, Rz 36, m.w.[X.]). Davon zu unterscheiden ist ein sog. rechtspolitischer Fehler, der vorliegt, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar als rechtspolitisch verbesserungsbedürftig, aber --gemessen an dem mit ihr verfolgten [X.] nicht als planwidrig unvollständig und ergänzungsbedürftig erweist (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.1999 - VIII R 21/97, [X.], 343, [X.], 220, m.w.[X.]; Senatsurteil vom [X.], [X.], 379, [X.] 2003, 322).

Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (BFH-Urteil in [X.], 385, [X.], 873, m.w.[X.]). Eine Auslegung "gegen den Wortlaut" kommt daher nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, wenn nämlich die am Wortlaut haftende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. Senatsurteile vom 03.07.1987 - III R 7/86, [X.], 259, [X.] 1987, 728, unter 4.d der Gründe; vom 03.02.2000 - III R 30/98, [X.], 569, [X.], 438, unter I[X.]2. der Gründe) oder wenn sonst anerkannte Auslegungsmethoden dies verlangen (BFH-Urteil vom 20.11.2019 - XI R 46/17, [X.], 241, [X.] 2020, 195, Rz 25 zu den einzelnen Auslegungsmethoden).

b) Für eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG ergeben sich im Streitfall keine Anhaltspunkte. Insbesondere deuten weder die Gesetzesmaterialien oder die Entstehungsgeschichte noch die Gesetzessystematik darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG auch die Übertragung des einfachen [X.] bei volljährigen Kindern regeln wollte, soweit ein Elternteil seinen Unterhaltspflichten im Wesentlichen nicht nachkommt.

aa) Den Gesetzesmaterialien lässt sich vielmehr entnehmen, dass der einfache [X.] jedem Elternteil "unabhängig von den tatsächlichen Aufwendungen" (BTDrucks 14/6160, S. 12; BTDrucks 14/1513, S. 14) bzw. "ohne dass es auf eine Verletzung von Unterhaltspflichten des anderen Elternteils ankommt" (BTDrucks 17/6146, S. 15), gewährt werden soll. Mit dem zunächst mit Gesetz zur Familienförderung vom 22.12.1999 ([X.] 1999, 2552) eingeführten [X.] wollte der Gesetzgeber die Vorgaben des [X.] ([X.]) umsetzen, wonach die Leistungsfähigkeit der Eltern über den "existentiellen Sachbedarf" (Kinderfreibetrag) und den "erwerbsbedingten Betreuungsbedarf" hinaus auch durch den (nicht monetären) "Betreuungsbedarf" gemindert wird ([X.]-Beschluss vom 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, [X.]E 99, 216, [X.] 1999, 182). Damit umfasst der Leistungsfähigkeitsbegriff im Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes auch die mit der Eigenbetreuung einhergehende Nichtausschöpfung des [X.] ([X.]/[X.], § 32 EStG Rz 173). Im Gegensatz zum Kinderfreibetrag, der das sächliche Existenzminimum des Kindes freistellen soll und damit die geminderte Leistungsfähigkeit der Eltern durch den Unterhalt für das Kind berücksichtigt, wird der [X.] des Kindes unabhängig von der Art der Betreuung (Eigen- oder Fremdbetreuung), aber auch grundsätzlich unabhängig von tatsächlich entstandenen konkreten Aufwendungen gewährt.

bb) Entgegen der Auffassung des [X.] lässt sich der Äußerung des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung zum [X.] vom 16.08.2001 ([X.] 2001, 2074), die bisher für den [X.] geltende Übertragungsmöglichkeit für den neuen [X.] "fortzuführen" (BTDrucks 14/6160, S. 12), nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber auch die Übertragung des [X.] für Volljährige regeln wollte. Denn den in der Gesetzesbegründung angesprochenen [X.] (bis zum [X.]) erhielten nur Eltern für Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres. Insoweit war es folgerichtig, wenn der Gesetzgeber die bisherige Übertragungsmöglichkeit des alten [X.]es für den neuen [X.], der keine altersmäßige Beschränkung enthielt, für minderjährige Kinder entsprechend der Vorgängerregelung (Übertragung des bisherigen [X.]es gemäß § 32 Abs. 6 Satz 7  2. Halbsatz EStG i.d.[X.]) fortführte.

cc) Ebenso wenig lässt sich aus dem Wort "auch" in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/6160, S. 12) die Schlussfolgerung ziehen, dass die Übertragung des [X.] bei volljährigen Kindern zwingend der Übertragung des [X.] folgen müsse und nur für Minderjährige eine zusätzliche Regelung getroffen werden sollte. Das Wort "auch" steht in der Gesetzesbegründung ausdrücklich mit dem "[X.] bei minderjährigen Kindern" in Zusammenhang, der "auch abweichend vom Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes von einem Elternteil auf den anderen übertragen werden" kann. Der Gesetzgeber hat damit nur zum Ausdruck gebracht, dass der [X.] für minderjährige Kinder abweichend von den Voraussetzungen für die Übertragung des [X.] und unabhängig von Unterhaltszahlungen übertragen werden kann.

dd) Nichts anderes ergibt sich aus der Neuregelung der Übertragung des einfachen [X.] für minderjährige Kinder nach § 32 Abs. 6 Satz 9 EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.2011 ([X.] 2011, 2131). Hieraus wird vielmehr deutlich, dass von der grundsätzlich vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung, den [X.] unabhängig von tatsächlichen Aufwendungen jedem Elternteil zu gewähren (BTDrucks 17/6146, S. 15), nur unter ganz bestimmten geregelten Voraussetzungen abgewichen werden sollte.

ee) Diese den Wortlaut der Norm, die Gesetzesmaterialien und den historischen Kontext berücksichtigende Auslegung des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG ist auch vor dem Hintergrund eines gesetzessystematischen Auslegungsansatzes folgerichtig. So wird in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG zwischen dem Kinderfreibetrag und dem [X.] unterschieden, in den Sätzen 2 bis 5 werden gemeinsame, identische Regelungen für die Freibeträge getroffen. Dagegen werden in den sich dann anschließenden Regelungen (Sätze 6 bis 11) die Übertragungsvoraussetzungen für die einzelnen in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG genannten Freibeträge unterschiedlich und voneinander unabhängig geregelt.

ff) Darüber hinaus erscheint es nicht sinnwidrig, den Freibetrag für die Erziehung und Betreuung zusammen mit dem Ausbildungsbedarf zu regeln und eigenständige Übertragungsregelungen für den Kinderfreibetrag und den [X.] vorzusehen. Der Einbeziehung des Ausbildungsbedarfs in den [X.] liegt die Überzeugung des Gesetzgebers zugrunde, "dass die einzelnen Bedarfe im Laufe des [X.] (bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres) jeweils unterschiedlichen Raum einnehmen" (BTDrucks 14/6160, S. 11). Die Betreuungs- und [X.]e eines Kindes sind auf praktikable Weise kaum zu trennen, weil der zunächst überwiegende Betreuungsbedarf im Laufe der [X.] durch den [X.] und für ältere Kinder durch den Ausbildungsbedarf überlagert bzw. abgelöst wird (BTDrucks 14/6160, S. 11; Senatsurteil vom 27.10.2011 - III R 42/07, [X.], 10, [X.] 2013, 194, Rz 13). Dem Gesetz kann daher nicht der Plan entnommen werden, den [X.] --soweit er volljährige Kinder betrifft-- auf den Elternteil unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG übergehen zu lassen, da auch bei volljährigen Kindern der [X.] (einschließlich des Ausbildungsbedarfs) grundsätzlich weiterhin unabhängig von den tatsächlichen Aufwendungen gewährt werden sollte.

Hätte der Gesetzgeber die Regelung der Übertragung des [X.] mit der zur Übertragung des [X.] bei volljährigen Kindern koppeln wollen, hätte es hierfür einer klaren gesetzlichen Regelung bedurft. Auch wenn es rechtspolitisch wünschenswert erscheinen könnte, die Übertragung des [X.] bei volljährigen Kindern, bei denen der Ausbildungsbedarf und damit regelmäßig tatsächliche Aufwendungen im Vordergrund stehen, nach denselben Grundsätzen wie die Übertragung des [X.] zu regeln, darf der Anwendungsbereich einer Vorschrift von der Verwaltung und den Gerichten nicht über die bewusst vom Gesetzgeber gesetzten Grenzen ausgedehnt werden (vgl. BFH-Urteile vom 08.11.1989 - I R 187/84, [X.], 44, [X.] 1990, 210; vom 26.11.2014 - I R 37/13, [X.], 158, [X.] 2015, 813; vom 18.04.2012 - X R 7/10, [X.], 119, [X.] 2013, 791, Rz 64; [X.] vom 26.02.1975 - I B 96/74, [X.], 17, [X.] 1975, 449). Die Entscheidung, auch bei volljährigen Kindern eine Übertragung des [X.] von einem Elternteil auf den anderen zu ermöglichen, obliegt daher allein dem Gesetzgeber.

3. Das [X.] war aber nicht befugt, die zugunsten des [X.] rechtswidrige Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden [X.] in den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden nach § 174 Abs. 2 [X.] zu ändern.

a) Ein fehlerhafter Steuerbescheid kann gemäß § 174 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 [X.] geändert werden, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist. Eine solche mehrfache unvereinbare Berücksichtigung eines Sachverhalts liegt hier vor.

Gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen grundsätzlich ein (einfacher) Freibetrag von 1.320 € für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf abgezogen. Danach steht der [X.] grundsätzlich beiden Elternteilen jeweils in gleicher Höhe zu. Dieser Betrag verdoppelt sich nach § 32 Abs. 6 Satz 2 EStG nur, wenn die Ehegatten nach den §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.

Im Streitfall wurde der einfache [X.] für jedes Kind bei der Kindsmutter (1.320 € pro Kind) und darüber hinaus der doppelte [X.] beim Kläger (2.640 € pro Kind) berücksichtigt, obwohl die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung unstreitig nicht vorlagen.

b) Gleichwohl kann eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2014 hinsichtlich des Ansatzes der verdoppelten [X.] nicht auf diese Änderungsnorm gestützt werden.

aa) Der fehlerhafte Steuerbescheid darf nur dann geändert werden, wenn die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (§ 174 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Die fehlerhafte Beurteilung des Sachverhalts muss demnach ihre Ursache in einer Äußerung des Steuerpflichtigen haben. Daher ist eine Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 2 [X.] nur möglich, wenn der Steuerpflichtige selbst, allein oder überwiegend die fehlerhafte Berücksichtigung verursacht hat und aus diesem Grund nicht auf die Bestandskraft des ihn im Ergebnis begünstigenden Steuerbescheides vertrauen kann (Senatsurteile vom 03.03.2011 - III R 45/08, [X.], 6, [X.] 2011, 673, Rz 16; vom 11.11.2013 - XI R 42/11, [X.], 302, [X.] 2014, 840, Rz 19, jeweils m.w.[X.]). Im Rahmen dieser Prüfung muss daher auch der Beitrag des [X.], der zur doppelten Berücksichtigung dieses Betrags geführt hat, gewürdigt werden (vgl. [X.] vom 24.06.2004 - XI B 63/02, [X.] 2005, 1; vgl. BFH-Urteil vom 03.12.1998 - V R 29/98, [X.], 396, [X.] 1999, 158). Hat das [X.] den Erlass des unrichtigen Bescheids mitverursacht, verbleibt die Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 2 [X.] dennoch, wenn der Mitverursachung des [X.] nur ein geringes Gewicht beizumessen ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.09.1983 - IV R 227/80, [X.], 347, [X.] 1984, 510; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 [X.] Rz 26). Hätte die Finanzbehörde hingegen auch bei zutreffender Erklärung des Steuerpflichtigen den falschen rechtlichen Schluss gezogen, hätte die falsche Rechtsfolge ihre überwiegende Ursache nicht in der Erklärung des Sachverhalts, sondern in einer fehlerhaften Rechtsanwendung (von [X.] in [X.], [X.] § 174 Rz 55; vgl. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 174 [X.] Rz 26; vgl. BFH-Urteil vom [X.] - VIII R 186/78, [X.], 182, [X.] 1981, 388).

bb) Nach diesen Grundsätzen konnte das [X.] die Änderung der Bescheide nicht auf § 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 [X.] stützen.

Zwar ergibt sich aus den Steuererklärungen 2011 bis 2014 (jeweils Anlage Kind) des [X.], dass dieser neben der Übertragung des vollen [X.] auch den vollen [X.] beantragt hat. Hierbei ist aber zu beachten, dass das [X.] den Antrag auf Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden einfachen [X.] nur gemeinsam mit dem Antrag auf Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden [X.] vorsieht, wenn der andere Elternteil seine Unterhaltsverpflichtung nicht zu mindestens 75 % erfüllt hat. Mit der Beantragung der Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden [X.] wird der Steuerpflichtige gezwungen, zugleich die Übertragung des [X.] zu beantragen. Lediglich bei minderjährigen Kindern erlaubt die Anlage Kind der Einkommensteuererklärung eine gesonderte Übertragung des [X.]. Mit diesem [X.] hat das [X.] --worauf das [X.] zu Recht hinweist-- die Übertragung des [X.] in unzulässiger Weise mit der Übertragung des [X.] verknüpft und damit die fehlerhafte Übertragung des [X.] ganz überwiegend verursacht. Da die Übertragung des [X.] bei volljährigen Kindern schon rechtlich nicht zulässig ist (s. unter I[X.]1. und 2.), ist auch die insoweit im Vordruck vorgesehene Begründung "… weil der andere Teil seiner Unterhaltspflicht nicht zu mindestens 75 % nachkommt oder mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist …" für die Übertragung des [X.] entscheidungsunerheblich.

Ob der Kläger mit der Eintragung "1" (1 = Ja) in der vorgegebenen Zeile des [X.]s Anlage Kind die Übertragung des [X.] überhaupt i.S. des § 174 Abs. 2 Satz 2 [X.] beantragt hat --das [X.] verneint schon die [X.] kann somit mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Denn selbst wenn man in der Beantragung des [X.] zugleich einen Antrag auf Übertragung des [X.] sehen wollte, hätte die fehlerhafte Beurteilung des Sachverhalts letztlich ihre entscheidende Ursache nicht in der Antragstellung, sondern in der vorgegebenen Verwendung des amtlichen Vordrucks, der auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung beruht.

4. Das [X.] hat auch zutreffend entschieden, dass § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide ausscheidet.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 25/19

22.04.2020

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 12. September 2018, Az: 2 K 2164/16, Urteil

§ 32 Abs 6 S 6 EStG 2009, § 32 Abs 6 S 8 EStG 2009, § 174 Abs 2 AO, § 174 Abs 1 AO, § 173 Abs 1 Nr 1 AO, Art 6 Abs 1 GG, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.04.2020, Az. III R 25/19 (REWIS RS 2020, 3327)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3327

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