Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.05.2016, Az. 5 StR 85/16

5. Strafsenat | REWIS RS 2016, 10965

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:250516U5STR85.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
5 StR
85/16

vom
25. Mai
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.
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2
-
Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
25. Mai 2016, an der teilgenommen haben:
[X.] Prof. Dr. Sander

als Vorsitzender,

[X.]in Dr. [X.],
[X.] Dr. [X.],
[X.],
[X.] Dr. Feilcke

als beisitzende [X.],

Bundesanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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3
-
für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 6. November 2015 mit den [X.] aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-richtskammer
des [X.]s zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Tot-schlags
in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung
freigesprochen und [X.] Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsan-waltschaft. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat im Er-gebnis Erfolg.
1
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1. Das [X.] hat festgestellt:
Der Angeklagte leidet an einem Alkoholabhängigkeitssyndrom ([X.] F
10.2). Sein jahrelanger Alkoholmissbrauch hat bereits sein Gehirn geschädigt
und zu einer
Lebererkrankung
geführt.
Der Angeklagte und der später geschädigte

L.

kannten sich aus einem gemeinsamen Entgiftungsaufenthalt. Am Tattag besuchte L.

den Angeklagten. Nach einem Stadtrundgang begaben sich der bereits ange-trunkene L.

und der Angeklagte in dessen
Wohnung.
Der
Angeklagte
hat-te zur Bewirtung zwei Flaschen Rotwein und eine 0,7-l-Flasche Schnaps ge-kauft. Zwischen 13:38 Uhr und 16:55 Uhr stach er im Wohnzimmer aus nicht mehr aufklärbaren Gründen mit einem Küchenmesser wenigstens
neunmal mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Geschädigten ein. Dieser erlitt
unter
ande-rem
eine Stichverletzung unter der linken Achsel, die zur Eröffnung der Brust-höhle mit
Pneumothorax
führte, sowie drei Stichverletzungen im Bereich des Bauches mit Verletzungen von Leber, Dünn-
und [X.]. Der Pneumothorax hätte unbehandelt in kürzester Zeit zum Tod geführt;
auch die Stichverletzun-gen im Bauchbereich waren lebensgefährlich.
Nach Beendigung seiner Angriffe ging der Angeklagte davon aus, dass sein Opf

(UA S.
7), einigen im Hof des Hauses mit dem Aufbau eines Festes beschäftigten [X.] aus seinem Fenster hinaus mindestens zweimal zuzurufen, sie mögen den Rettungsdienst holen, der Geschädigte
verblute. Der in akuter Lebensgefahr schwebende L.

konnte in der Folge durch eine Notoperation und inten-sivmedizinische Behandlung gerettet werden. Er verstarb wenige Wochen [X.] aus nicht mit der Tat in Verbindung stehenden Gründen. Die beim Angeklag-ten um 20:30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration 2
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von 2,32

t-.

2. [X.] hat die Tat des Angeklagten als gefährliche Körper-verletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) gewertet. Vom [X.] des Totschlags (§ 212 Abs. 1, §§ 22,
23 Abs. 1 StGB) sei er mit strafbe-freiender Wirkung zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung scheitere an der [X.] Schuldunfähigkeit
(§ 20 StGB). Eine Verurteilung wegen Vollrau-sches (§ 323a StGB) komme nicht in Betracht;
denn der Angeklagte sei bislang genommen noch vorwerfbar nicht bedacht, da er es weder wissen musste noch wissen konnte, dass er im Rauschzustand irgendwelche Ausschreitungen straf-barer Art bEin für die Strafbarkeit wegen Vollrau-
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die [X.] damit be-
und seines Hanges weitere und gegebenenfalls
sogar erheblichere
Straftaten bege-

Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass das [X.] die Voraus-setzungen für die Annahme des [X.] verkannt und den Angeklagten deshalb rechtsfehlerhaft freigesprochen habe.

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3. [X.] kann keinen Bestand haben. Das [X.] hat bereits die Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholkonsums nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
a) Dies betrifft schon
die Feststellung der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit. Zum einen legen die vom Urteil wiedergegebenen Zeugenaussagen und die darin enthaltenen Zeitangaben ([X.]) nahe, dass eine engere als
die
vom [X.] vorgenommene Eingrenzung der Tatzeit möglich gewesen wäre. Zum anderen sind auch die vom [X.] vorge-nommenen Rückrechnungen der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten ([X.]) nicht nachvollziehbar; sie entsprechen ersichtlich nicht den in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Grundsätzen, wonach bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ein maximaler stündlicher Abbauwert von 0,2

zuzüglich eines
einmaligen
Sicherheitszuschlages von 0,2

1 StR 231/88, [X.], 308, 314; Beschluss vom 18. Dezember 1986

4 [X.], [X.]R StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 4).
b) Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung des [X.]s zur alko-holbedingten Schuldunfähigkeit des Angeklagten lückenhaft.
[X.] beraten stellt das [X.] darauf ab, beim
Angeklag-ten sei von einer neurologisch bedeutend reduzierten Alkoholtoleranz

auszu-gehen. Anhaltspunkte für einen Ausschluss seiner Steuerungsfähigkeit seien die völlige Wesensfremdheit der Tat, der vom Angeklagten durchaus glaubhaft

Das [X.]

wie auch der [X.]e

hat damit das Nachtatverhalten des Ange-klagten nicht
umfassend
in den Blick
genommen. Es hat nicht gewürdigt, dass
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der Angeklagte nicht nur den kritischen Zustand des Geschädigten
erkannte, sondern auch sachgerechte Maßnahmen
ergriff, um diesen zu retten, indem er [X.] Hilfe) rufen, der Geschädigte verblute. Nachdem auf den ersten An-ruf niemand reagierte, wiederholte der Angeklagte seinen Ruf. Aus den im Urteil wiedergegebenen Schilderungen der sodann am Tatort eingetroffenen Zeugen ergibt sich
darüber hinaus, dass der Angeklagte zwar stark alkoholisiert wirkte, jedoch ansprechbar und zu sinnvollen Reaktionen fähig war. Es erscheint nicht nachvollziehbar, inwiefern
gerade der Umstand, dass der Angeklagte vor Ort blieb und für medizinische Hilfe sorgte, als s
nachtatliches
Rückzugs-

seiner Steuerungsfähigkeit sprechen soll. Die Tat
war

e-schah; denn die Zeugenaussagen weisen darauf hin, dass ihr
ein
Streit zwi-schen dem Angeklagten
und dem Geschädigten vorausging.

4. Davon unabhängig ist auch die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet. Angesichts der
hervorgehobenen, im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung berücksichtigten Wesensfremdheit der Tat ist die Gefährlichkeitsprognose nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Es werden keine Anknüpfungstatsachen
dargelegt, auf die der [X.]e seine Prognose gestützt hat. Außerdem werden im Rah-men der Begründung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht einer [X.] in einer Entziehungsanstalt keine Feststellungen zur voraussichtlichen Therapiedauer getroffen. Im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung der Unter-bringung in einer Entziehungsanstalt auf zwei Jahre (§ 67d Abs. 1 StGB), die im Falle
ihrer isolierten Anordnung keiner Verlängerung unterliegt (vgl. § 67d Abs.
1 Satz 2 StGB), ist eine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg der [X.]
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regel nur dann anzunehmen, wenn die Behandlung voraussichtlich innerhalb der [X.] erfolgreich abgeschlossen werden kann.
5. Die Sache bedarf daher einer umfassenden neuen Verhandlung und Entscheidung.
Sollte das neue Tatgericht wiederum zum Ausschluss der Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangen, so wird es bei der Prüfung des §
323a StGB von der ständigen Rechtsprechung des [X.]
aus-zugehen haben,
wonach die Begehung der Rauschtat objektive Bedingung der Strafbarkeit ist (vgl. [X.], Urteile vom 22. August 1996

4 [X.], [X.]St
42, 235, 242; vom 1. Juni 1962

4 StR 88/62,
[X.]St 17, 333, 334, und vom 2.
Mai 1961

1 [X.], [X.]St 16, 124, 127; vgl. auch [X.], Blutalkohol 51, 118 f.).

Sander
[X.]
[X.]

Bellay
Feilcke

13

Meta

5 StR 85/16

25.05.2016

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.05.2016, Az. 5 StR 85/16 (REWIS RS 2016, 10965)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10965

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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