Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2013, Az. 4 StR 557/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 8228

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Gegenstand

Verminderte Schuldfähigkeit: Blutalkoholkonzentration über 3 Promille eines alkoholgewöhnten Täters; Rückschluss von der Blutalkoholkonzentration auf die Schuldfähigkeit


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. September 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der unter anderem wegen Trunkenheit im Verkehr mehrfach vorbestrafte Angeklagte, der nach eigenen Angaben in der [X.] vor der Tat täglich etwa zehn Flaschen Bier und gelegentlich Schnaps konsumierte, befand sich in der Nacht zum 8. April 2012 mit seinem Bekannten    F.    , dem späteren Tatopfer, allein in dessen Wohnung. Während beide Bier und Schnaps tranken, kam es im Verlauf des Abends zu einem auch unter dem Einsatz von Fäusten geführten Streit um "alte Geschichten", der jedoch mit einer Versöhnung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten endete. Zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr kam es sodann ohne erkennbaren Anlass zu einem lautstarken, allein von der Stimme des Angeklagten dominierten Geschehen, in dessen Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem 18 cm langen Gemüsemesser und einem 17 cm langen Schälmesser ohne rechtfertigenden Grund mit Tötungsvorsatz zwei Stiche in die Brust und drei Stiche in den Rücken beibrachte, die lebensgefährliche Verletzungen verursachten. Der Wohnungsnachbar des [X.], der Zeuge [X.], verständigte kurz nach 4.30 Uhr die Polizei, nachdem der Angeklagte zuvor mit nacktem Oberkörper an der Wohnungstür des Zeugen [X.]geklingelt und gegen die Tür geschlagen und getreten hatte. Den eintreffenden Polizeibeamten öffnete der vollkommen unbekleidete und an Armen und Beinen blutverschmierte Angeklagte die Wohnungstür und eilte daraufhin sofort ins Bad, wo er versuchte, sich mit angefeuchteten Handtüchern das Blut abzuwaschen. Danach lief er kreuz und quer durch die Wohnung und drängte sich mehrfach mit den Worten: "Meine Frau, meine Frau, ich will die jetzt ficken" zu dem Geschädigten hin, der blutüberströmt vor der Couch im Wohnzimmer auf dem Boden lag. Da der Angeklagte von [X.] nicht abließ und nach einem der eingesetzten Polizeibeamten schlug und trat, wurden ihm Handfesseln angelegt. Während des Einsatzes der Polizei bot der Angeklagte den Beamten immer größer werdende Geldbeträge bis hin zu 500.000 € an, damit sie ihn laufen ließen; ferner drohte er ihnen, anderenfalls würden andere kommen und ihre Familien auslöschen. Am 8. April 2012 um 5.58 Uhr wurde bei dem Angeklagten eine Blutalkoholkonzentration von 2,97 ‰ gemessen. Der Geschädigte verstarb im Krankenhaus am 18. April 2012 an einer trotz ordnungsgemäßer Thromboseprophylaxe eingetretenen Lungenembolie auf Grund der durch die Verletzungen erzwungenen Bettlägerigkeit.

4

2. Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte infolge seines Alkoholkonsums bei Begehung der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert, nicht jedoch schuldunfähig gewesen sei. Dem rechnerisch ermittelten Wert der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in Höhe von 3,77 ‰ komme angesichts der Alkoholgewöhnung des Angeklagten nur geringe Aussagekraft zu. Die Bewertung der psychodiagnostischen Kriterien ergebe kein einheitliches Bild. Eine mittelgradige [X.] des Angeklagten mit der Folge eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten sei nicht sicher belegbar, aber auch nicht auszuschließen. Für einen solchen Rauschzustand spreche seine Situationsverkennung dahin, dass er angenommen habe, in der Wohnung liege seine Frau. Seine Versuche, sich das Blut abzuwaschen, belegten demgegenüber das Vorhandensein guter kognitiver Fähigkeiten, ebenso die Tatsache, dass er den Polizeibeamten immer höhere Geldsummen angeboten habe, damit sie ihn laufen ließen.

II.

5

Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch die [X.] begegnet insbesondere im Hinblick auf die Bewertung der [X.] durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

6

1. Die [X.] hat zum Nachteil des Angeklagten eine zu niedrige Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt zu Grunde gelegt.

7

Ausgehend vom [X.] der nur vier Stunden nach Beginn des von der [X.] angenommenen Tatzeitraums beim Angeklagten entnommenen Blutprobe (zur Bedeutung des [X.]raums zwischen Tat und Blutentnahme vgl. [X.], Urteil vom 9. August 1988 - 1 [X.], [X.]St 35, 308, 315, 317; [X.]sbeschluss vom 24. Januar 2008 - 4 StR 542/07, [X.], 334, [X.]. 8) ergibt sich als [X.] nicht, wie der Sachverständige meint, der vom [X.] angenommene Wert von 3,77 ‰, sondern ein solcher von 3,97 ‰, da nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Schuldfähigkeit ein stündlicher Abbauwert von 0,2 ‰ und ein Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ zugrunde zu legen ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.]sbeschluss vom 24. Januar 2008 aaO, [X.]. 7 mwN).

8

2. Die Erwägungen, mit denen das [X.] die Indizwirkung der [X.] vor dem Hintergrund der Alkoholgewöhnung des Angeklagten und seines Verhaltens während und nach der Tat bewertet hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] gibt es zwar keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist; Entsprechendes gilt für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit ([X.], Urteil vom 29. April 1997 - 1 [X.], [X.]St 43, 66, 72 ff.; Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 [X.], [X.]R StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 37). So ist es dem Tatrichter auch nicht verwehrt, die Alkoholgewöhnung des [X.] bei der Bewertung der festgestellten [X.] zu berücksichtigen ([X.]sbeschluss vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, [X.], 136). Gleichwohl hat diese insofern Bedeutung, als sie - unter Beachtung des Zweifelssatzes - Aufschluss über die Stärke der alkoholischen Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist ([X.]sbeschluss vom 9. November 1999 aaO). Zwar kann die Schuldfähigkeit auch bei Werten, die deutlich über 3 ‰ liegen, insbesondere bei Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit noch (möglicherweise eingeschränkt) erhalten geblieben sein (vgl. SSW-StGB/[X.], § 20 Rn. 36 mN zur Rspr.). In einem solchen Fall ist jedoch regelmäßig die Prüfung einer Aufhebung der Schuldfähigkeit veranlasst ([X.], Beschluss vom 13. Januar 2010 - 2 [X.], [X.]R StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 20). Die Bewertung und Gewichtung der dafür entscheidungserheblichen Indizien im Rahmen der Gesamtwürdigung des [X.] ist im Wesentlichen Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann in diese Würdigung nur eingreifen, wenn sie auf fehlerhaften Erwägungen oder Vorstellungen beruht ([X.], Urteil vom 31. Oktober 1989 - 1 [X.], [X.]St 36, 286, 293). So verhält es sich hier.

b) Die vom [X.] in diesem Zusammenhang angestellte Gesamtwürdigung ist bereits lückenhaft.

Nach den Urteilsfeststellungen stieß der Angeklagte im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat im Treppenhaus mit unbekleidetem Oberkörper ohne erkennbaren Anlass unter lautem Schreien eine Drohung aus und zerschlug eine Flasche, die er dann dort liegen ließ. Ferner öffnete er beim Eintreffen der Polizei vollständig unbekleidet die Wohnungstür. Diese Umstände können nach Lage des Falles jeder für sich oder im Zusammenwirken für die Frage der Schuldfähigkeit von Bedeutung sein; sie hätten daher nicht unerörtert bleiben dürfen.

c) [X.] erweckt auch die Erwägung, der Versuch des Angeklagten, sich nach Erscheinen der Polizeibeamten das Blut abzuwaschen, lasse auf erhalten gebliebene gute kognitive Fähigkeiten schließen. Schon dies lässt für sich genommen besorgen, dass das [X.] einem Verhalten, das eher dem Kreis einfacher Handlungsmuster zuzuordnen ist, für die Entkräftung der Indizwirkung der erheblichen [X.] eine zu große Bedeutung beigemessen hat (vgl. [X.]sbeschluss vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, [X.], 136). Dass den Geldangeboten des Angeklagten den einschreitenden Beamten gegenüber eine solche Indizwirkung ebenfalls zukommt, liegt angesichts des fernliegenden Erfolges der [X.] und des Umstandes, dass der Angeklagte die Angebote mit haltlosen Drohungen verband, eher fern.

III.

Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf daher neuer Prüfung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen medizinischen Sachverständigen. Da der [X.] nicht ausschließen kann, dass der neue Tatrichter zur Annahme der Voraussetzungen des § 20 StGB gelangt, hat das angefochtene Urteil insgesamt keinen Bestand.

Für den Fall, dass auch die neue Verhandlung eine lediglich erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) ergeben sollte, wird Folgendes zu bedenken sein:

1. Im Hinblick darauf, dass die [X.] die Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags im Sinne von § 213 StGB auf Grund der "massiven Einwirkung" des Angeklagten auf den Geschädigten abgelehnt hat, merkt der [X.] an, dass auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich ist, sodass für eine derartige strafschärfende Erwägung zwar grundsätzlich Raum bleibt, indes nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dass dem Tatrichter diese Problematik bewusst war, muss das Urteil erkennen lassen ([X.], Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 5 [X.], [X.], 104).

2. Die vom [X.] angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB begegnet mit der bisherigen Begründung ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zwar liegt der für die Unterbringungsanordnung erforderliche Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, beim Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen auf der Hand. Auch kann die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr weiterer erheblicher Straftaten schon allein durch die [X.] begründet werden ([X.]sbeschluss vom 20. Januar 2004 - 4 [X.], [X.], 204). Die Urteilsgründe beschränken sich indes zur Gefährlichkeitsprognose auf die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes, was dem [X.] die Prüfung, ob die [X.] insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist, unmöglich macht. Eine Darlegung der "detaillierten und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen" zu den Anordnungsvoraussetzungen wäre im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewesen, als die Einzelheiten des zur Tat führenden Geschehens ebenso wenig eindeutig festgestellt werden konnten wie das Motiv des Angeklagten für die Tat. Die für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der - vom [X.] nicht erörterte - Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten zum Urteilszeitpunkt gehört (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 [X.], [X.], 141), hätten hier ebenfalls einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.

[X.][X.]

                        [X.]

Meta

4 StR 557/12

13.02.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 21. September 2012, Az: 2 Ks 111 Js 7726/12

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2013, Az. 4 StR 557/12 (REWIS RS 2013, 8228)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8228

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