Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2013, Az. IX ZR 94/10

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6778

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 94/10

Verkündet am:

11. April 2013

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 675; ZPO § 516
a)
Der Berufungsanwalt darf dem Anraten, das Rechtsmittel zurückzunehmen, nicht folgen, ohne dass sein Mandant über die Möglichkeiten der Prozessordnung, ge-gen die vorläufige Auffassung des Gerichts sprechende tatsächliche und rechtli-che Gesichtspunkte in der Instanz oder durch ein Rechtsmittel zur Geltung zu bringen, so aufgeklärt worden ist, dass er die wägbaren [X.] beur-teilen kann.
b)
Der Rechtsanwalt muss seinen Mandanten angesichts einer empfohlenen Beru-fungsrücknahme über die wägbaren [X.] auch dann uneinge-schränkt aufklären, wenn die Empfehlung auf dem mitgeteilten Beratungsergebnis eines Kollegialgerichts beruht.
[X.], Urteil vom 11. April 2013 -
IX ZR 94/10 -
OLG [X.]

LG [X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
11. April 2013
durch die Richter [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 3.
Zivilsenats des Hanseatischen [X.]s in [X.] vom 12.
April 2010 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei-dung -
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
-
an das
Be-rufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der beklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger in einem Berufungsverfah-ren vor dem [X.] [X.]. Die damalige Beklagte erwiderte mit Schriftsätzen vom 23. und 24.
März 2005, die dem Beklagten noch am selben Tag zugefaxt wurden. Verhandlungstermin in der [X.] war auf den 1.
April 2005 anberaumt worden. Am Tag davor rief die Berichterstatterin des [X.] den Beklagten an und teilte ihm mit, das Rechtsmittel des [X.] habe nach Vorberatung des Senats aufgrund des Vortrags der [X.] Beklagten in den genannten Schriftsätzen keine Aussicht auf Erfolg. Eine Terminsverlegung lehnte das [X.] ab. Der Beklagte nahm Rücksprache mit dem Kläger, den er auf das Kostenrisiko und die fehlende [X.] zur Überprüfung des von der beklagten Sparkasse vorgelegten [X.] 1
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3
-
sowie die Auffassung des [X.]s hinwies. Der Kläger erteilte [X.] sein Einverständnis mit der Rücknahme der Berufung. Der Beklagte kündigte noch am 31.
März 2005 die Berufungsrücknahme an, die am 1.
April 2005 bei Gericht einging.

Der Kläger wirft dem Beklagten vor, sein Einverständnis mit der Beru-fungsrücknahme infolge ungenügender Aufklärung über die Prozesslage erhal-ten zu haben. Er verlangt deshalb von ihm 57.320,93

e-resses an dem aufgegebenen Erstprozess nebst Zinsen. Die Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen bisherigen Sachantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil die zur Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität notwendigen Feststellungen bisher nicht getroffen worden sind.

I.

Den Mandatspflichten widerspricht die Annahme des Berufungsgerichts, der Rechtsanwalt dürfe der Anregung eines Kollegialgerichts zur Rechtsmittel-rücknahme dann nicht folgen, wenn diese unvertretbar erscheine und der Rechtsweg noch nicht erschöpft sei. Ein solcher Rechtssatz findet sich in der Rechtsprechung einzelner [X.]e im Zusammenhang mit der an-2
3
4
-
4
-
waltlichen Stellungnahme zu gerichtlichen Vergleichsvorschlägen (vgl. [X.], NJW 1988, 3269, 3270) oder -
wie hier
-
der gerichtlichen Empfeh-lung, die Berufung zurückzunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 1.
Juni 2001 -
6
U 6/01, bei juris Rn.
39, redaktioneller Leitsatz mit Anmerkung Borg-mann abgedruckt in [X.]. 2001, 290). Der [X.] hat einen solchen Grundsatz bisher weder aufgestellt noch gebilligt. Er widerspricht viel-mehr verschiedenen Aussagen seiner Rechtsprechung, an denen festzuhalten ist. Den Berufungsanwalt trifft die Pflicht, eine vom Gericht im Verlauf der In-stanz vertretene Rechtsansicht im Interesse seines Mandanten zu überprüfen, selbst wenn sie durch Nachweise von Rechtsprechung und Schrifttum belegt ist ([X.], Urteil vom 18. Dezember 2008 -
IX
ZR 179/07, [X.], 324 Rn.
13
f). Eine solche Rechtsansicht erscheint dann nicht unvertretbar, kann aber trotz-dem von Haus aus unrichtig oder überholt sein. Kommt ein solcher Fehler des Gerichts in Betracht, muss der Prozessanwalt die Möglichkeiten der Verfah-rensordnung nutzen, um die zu Gunsten seines Mandanten sprechenden tat-sächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend zur Geltung zu brin-gen, wie die Umstände es zulassen. Der Schutz des Mandanten gebietet es, dass diese Tatsachen und Argumente bei der gerichtlichen Entscheidung [X.] werden können (vgl. [X.], aaO Rn.
8).
Unterbleibt eine solche Ein-wirkung auf das Gericht, weil der Mandant einer Rücknahme des Rechtsmittels zustimmt, so handelt der Prozessanwalt nur dann pflichtmäßig, wenn er zuvor den Mandanten zutreffend
über die verbleibenden Möglichkeiten aufgeklärt hat, in der Instanz oder durch ein Rechtsmittel den Prozess zu einem günstigeren Ende zu bringen. Der Mandant muss gerade in einer solchen kritischen Lage die wägbaren [X.] beurteilen können.

Es entlastet den Rechtsanwalt in seiner Rechtsprüfung und Aufklärung des Mandanten auch nicht, dass ein mit drei Berufsrichtern besetztes [X.]
-
5
-
gericht die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsmittels nach einer Beratung verneint hat. Die aus der [X.] bekannten Grundsätze zur [X.], welches ein Kollegialgericht als objektiv rechtmäßig er-achtet hat, können auf die Anwaltshaftung schon im Ansatz nicht übertragen werden. Das ist gesicherte Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 31.
Oktober 1985 -
IX
ZR 175/84, [X.], 199, 202
f unter II.
4.; vom 27.
März 2003 -
IX
ZR 399/99, [X.], 1146, 1149 unter II.
2.
b), von der abzurücken kein Anlass besteht.

Danach musste der Beklagte hier zunächst alles tun, um das rechtliche Gehör seiner [X.] zu schützen. Die Schriftsätze der Gegenseite des [X.] vom 23.
und 24.
März 2005 waren nach §
282 Abs.
2 ZPO verspätet. Die Tage vom 25.
März ([X.]) bis zum 28.
März ([X.]) fielen für die Terminsvorbereitung des [X.] und Überprüfung des vorgelegten [X.] in seinen Grundlagen, auf die substantiiert eingegangen werden musste, aus. Der Beklagte hätte die [X.]not dem Kläger nicht nur bedauernd mitteilen dürfen, sondern er hätte ihn darüber aufklären müssen, dass das Be-rufungsgericht in der Sache nicht entscheiden durfte, ohne ihm Gelegenheit zu geben, die Verspätung des gegnerischen Schriftsatzes zu rügen und sich inhalt-lich mit ihm auseinanderzusetzen. Er hätte ihn belehren müssen, dass der [X.] wahrgenommen und eine Vertagung oder ein Schriftsatznachlass beantragt werden könne. Auch hätte er ihm die insoweit bestehenden Rechtsschutzmög-lichkeiten auseinandersetzen müssen. Diesem Pflichtengehalt ist der Beklagte unstreitig nicht gerecht geworden. Danach kann das Berufungsurteil nicht be-stehen bleiben.

6
-
6
-
II.

Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht hat -
von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig
-
nicht festgestellt, wie sich der Kläger bei pflichtmäßigem Verhalten des Beklagten wegen der [X.] des Ausgangsrechtsstreits verhalten hätte und wie dieser Rechtsstreit rich-tigerweise hätte entschieden werden müssen (haftungsausfüllende Kausalität). Diese Umstände, für die jeweils der Kläger darlegungs-
und beweisbelastet
ist, bedürfen weiterer Klärung nach Zurückverweisung der Sache.

1. Anspruchsgrundlage im Vorprozess war die Zinsherabsetzungspflicht des §
6 Abs.
2 Satz
2 [X.] (VerbrKrG). Den [X.] des §
4 Abs.
1 Satz
4 Nr.
1 Buchst.
b) VerbrKrG genügte der Vertrags-inhalt nicht (vgl. zum Policendarlehen [X.], Urteil vom 18.
Dezember 2001 -
XI
ZR 156/01, [X.]Z 149, 302, 305
ff). Diese Vorschrift war nach §
3 Abs.
2 Nr.
2 VerbrKrG freilich nicht anzuwenden, wenn ein [X.] mit übli-chen Bedingungen gewährt worden ist. Das nahm der Kläger in Abrede. Das Zahlenwerk der [X.], auf welches sich die beklagte Sparkasse in [X.] Zusammenhang bezog, betraf Kredite mit 1 vom Hundert jährlicher Til-gung. Hier handelte es sich demgegenüber um ein Policendarlehen ohne lau-fende Tilgung. Diese Darlehenssituation -
die sich als bloße Beleihung der [X.] darstellte (vgl. [X.]/[X.], 2012, BGB §
491 Rn.
61)
-
kann auch sonst zu veränderten Kreditkonditionen des Marktes ge-führt haben. Der Kläger hat dazu Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten, obwohl die Beklagte die Beweislast für die Voraussetzungen des §
3 Abs.
2 Nr.
2 VerbrKrG trug. Diese
Beweislast geht im [X.] auf den beklagten Rechtsanwalt über.

7
8
-
7
-

2. Die zweite Tat-
und Rechtsfrage, die sich für das Endergebnis stellt, bezieht sich auf die Verbrauchereigenschaft des [X.]. Nach bisherigem Sachvortrag ging es um eine Baufinanzierung für sein Besitzunternehmen in-nerhalb einer steuerlichen Betriebsaufspaltung. Die steuerrechtliche Betrach-tung ist aber für das [X.] nicht entscheidend. Der Kläger beruft sich dazu
mit Recht auf das Urteil des [X.] vom 23.
Oktober 2001 (XI
ZR 63/01, [X.]Z 149, 80, 86 unter II.
2.
a; siehe dazu auch [X.]/[X.], aaO Rn.
38). Bisher ist nicht festgestellt, dass der Kläger für sein Besitzunternehmen eine kaufmännische Organisation unterhielt.

[X.]
[X.]
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 23.10.2009 -
4 O 966/08 -

OLG [X.], Entscheidung vom 12.04.2010 -
3 U 78/09 -

9

Meta

IX ZR 94/10

11.04.2013

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2013, Az. IX ZR 94/10 (REWIS RS 2013, 6778)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6778

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZR 94/10

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