Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2016, Az. XII ZB 246/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4111

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:121016BXIIZB246.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]
vom
12.
Oktober
2016
in der [X.]
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

FamFG §§ 34 Abs. 2 und 3, 278
a)
Bei der Frage, ob vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der An-ordnung eines Einwilligungsvorbehalts die Vorführung des Betroffenen und deren zwangsweise Vollziehung ausnahmsweise unverhältnismäßig ist, ist [X.] die Bedeutung des Verfahrensgegenstands in den Blick zu nehmen (im [X.] an Senatsbeschlüsse vom 26.
November 2014

XII
ZB
405/14

FamRZ 2015, 485 und vom 2.
Juli 2014

XII
ZB
120/14

FamRZ 2014, 1543).
b)
Geht es um eine Betreuung, die weite Lebensbereiche des Betroffenen abdeckt, kommt die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit allenfalls dann in Betracht, wenn von der Vorführung und deren Durchsetzung negative Folgen erheblichen Ausmaßes für den Betroffenen zu erwarten wären, also insbesondere die [X.] festgestellte Gefahr besteht, dass es durch die Vorführung zu erhebli-chen Nachteilen für die Gesundheit des Betroffenen käme.
[X.], Beschluss vom 12. Oktober 2016 -
XII [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
12.
Oktober
2016
durch [X.]
Klinkhammer, Schilling, Dr.
Nedden-Boeger
und Guhling
und die Richterin Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der
8.
Zivilkammer des [X.] vom 10.
Mai
2016
auf-gehoben.
Die Sache
wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Der im Jahre 1962 geborene Betroffene war bereits in den Jahren 2000 bis 2005 mehrfach wegen einer paranoiden Schizophrenie in stationärer [X.]. Im November 2015 wurde das Amtsgericht über einen Polizeieinsatz in der Wohnung des Betroffenen informiert, bei dem festgestellt wurde, dass er dort eine offene Feuerstelle zum Kochen betrieb.
Das Amtsgericht hat das Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie ein-geholt, in dem eine chronische paranoide Schizophrenie diagnostiziert und die Einrichtung einer Betreuung empfohlen wird. Nachdem der Betroffene zu einem vom Amtsgericht bestimmten Anhörungstermin nicht erschienen war, hat das 1
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-
3
-
Amtsgericht einen Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vertretung gegenüber Behörden/Versicherungen/Renten-
und Sozialleistungsträgern sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen des übertragenen [X.] bestellt und eine Überprüfungsfrist von zwei Jahren festgelegt.
Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] zunächst
einen Anhörungstermin im Gericht bestimmt, zu dem der Betroffene

entsprechend seiner schriftlichen
Ankündigung

nicht erschienen ist. Daraufhin hat die Be-schwerdekammer den Berichterstatter mit der Anhörung beauftragt, der einen Anhörungstermin in der Wohnung des Betroffenen bestimmt hat. Bei diesem ist der Betroffene

wiederum schriftlicher Ankündigung entsprechend

nicht ange-troffen worden. Das [X.] hat die Beschwerde des Betroffenen anschlie-ßend zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Sie macht zu Recht
geltend, dass das [X.] die Beschwerde nicht ohne Anhörung des Betroffenen zurückwei-sen durfte.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei dem Betroffenen lägen ausweislich der Ausführungen des Sachverständi-gen, welche sich das Gericht vollumfänglich zu Eigen mache, die medizinischen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung vor. Von einer "Unbetreu-barkeit"
sei nicht auszugehen. Über die Beschwerde habe auch ohne Anhörung des Betroffenen entschieden werden können. Dieser sei trotz des Hinweises in 3
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6
-
4
-
den Terminsladungen, dass bei unentschuldigtem Ausbleiben ohne seine per-sönliche Anhörung entschieden werden könne, unentschuldigt nicht erschienen. Eine Vorführung sei unverhältnismäßig. Der Betroffene habe schriftlich deutlich gemacht, dass er eine Betreuung nur deshalb nicht wünsche, weil er aus seiner Sicht nicht unter einer psychischen Krankheit leide. Zu einer Änderung dieser Einschätzung sei er krankheitsbedingt nicht in der Lage. In Anbetracht dessen sei der von einer Anhörung zu erwartende
Erkenntnisgewinn derart gering, dass eine Vorführung des Betroffenen und der damit verbundene Eingriff in seine Freiheitsrechte hierzu in keinem angemessenen Verhältnis stünden.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Gemäß §
278 Abs.
1 Satz
1 und
2 FamFG hat das Gericht den Be-troffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönli-chen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht nach §
68 Abs.
3 Satz
1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdever-fahren. Allerdings darf das Beschwerdegericht nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten [X.] vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, was das [X.] auch erkannt hat.
Zwar kann das Betreuungsgericht in bestimmten Fallkonstellationen das Verfahren nach §
34 Abs.
3 FamFG
ohne persönliche Anhörung des [X.] beenden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Anwendung dieser Vorschrift auch im Anwendungsbereich von §
278 FamFG nicht ausgeschlos-sen (Senatsbeschlüsse vom 26.
November 2014

XII
ZB
405/14

FamRZ 2015, 485 Rn.
5 und vom 2.
Juli 2014

XII
ZB
120/14

FamRZ 2014, 1543 7
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-
5
-
Rn.
11
ff.). Da die Anhörung in [X.]n aber nicht nur der Gewäh-rung rechtlichen Gehörs, sondern auch der Sachverhaltsaufklärung dient, darf das Betreuungsgericht grundsätzlich nur nach §
34 Abs.
3 FamFG verfahren, wenn und soweit die gemäß §
278 Abs.
5 bis
7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig ist und zudem alle zwanglosen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, den Betroffenen anzuhören bzw. sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Senatsbeschlüsse vom 26.
No-vember 2014

XII
ZB
405/14

FamRZ 2015, 485 Rn.
5 und vom 2.
Juli 2014

XII
ZB
120/14

FamRZ 2014, 1543 Rn.
16
ff.).
b) Diesen Anforderungen genügt das Verfahren des [X.] nicht. Zwar hat das [X.] nach dem Nichterscheinen des Betroffenen zu der im Gerichtsgebäude vorgesehenen Anhörung einen Termin zur Anhörung in der Wohnung des Betroffenen bestimmt und damit auch einen Versuch unter-nommen, ihn nach §
278 Abs.
1 Satz
3 FamFG in seiner üblichen Umgebung anzuhören. Trotz des unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen bei
die-sem Termin durfte das [X.] aber noch nicht in der Sache entscheiden. Die Annahme des [X.]s, eine Vorführung des Betroffenen zur Anhörung nach §
278 Abs.
5 bis
7 FamFG sei unverhältnismäßig, ist rechtsfehlerhaft.
Das [X.] hat die Unverhältnismäßigkeit allein daraus abgeleitet, dass der von der Anhörung zu erwartende Erkenntnisgewinn gering sei. Damit hat es aus dem Sachverständigengutachten, dessen kritischer Prüfung der in der persönlichen Anhörung gewonnene Eindruck des Richters im Rahmen des §
26 FamFG
unter anderem
dient, darauf geschlossen, dass die zwangsweise Durchsetzung dieser Prüfung vorliegend nicht verhältnismäßig sei. Mit dieser Begründung wäre eine Anhörung zu
der nach §
278 Abs.
1 Satz
1 FamFG ver-bindlich angeordneten Vorführung in den wenigsten Fällen eines unentschuldig-ten Ausbleibens des Betroffenen angezeigt. Das ist jedoch unvereinbar damit, 10
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-
6
-
dass der Verzicht auf die persönliche Anhörung nach §
34 Abs.
3 Satz
1 FamFG
im Rahmen des §
278 Abs.
1 Satz
1 FamFG auf eng begrenzte Aus-nahmefälle beschränkt bleibt.
Das [X.] hätte vielmehr die Vorführung des Betroffenen und de-ren zwangsweise Vollziehung
ins Verhältnis zum Verfahrensgegenstand setzen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 2.
Juli 2014

XII
ZB
120/14

FamRZ 2014, 2788 Rn.
16). Nachdem es um eine Betreuung ging, die weite Lebensbereiche des Betroffenen abdeckt, wäre die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit [X.] dann in Betracht gekommen, wenn von der Vorführung und deren Durch-setzung gemäß §
278 Abs.
6 und
7 FamFG sonstige negative Folgen erhebli-chen Ausmaßes für den Betroffenen zu erwarten gewesen wären. Zu denken ist hier insbesondere an die sachverständig festgestellte Gefahr, dass es durch die Vorführung zu erheblichen Nachteilen für die Gesundheit des Betroffenen käme
(vgl. [X.]/[X.] FamFG 18.
Aufl. §
278 Rn.
26). Derartiges ist aber weder festgestellt noch anderweitig ersichtlich.
Damit hat das [X.] nicht alle zu Gebote stehenden Mittel genutzt, um die zur Sachverhaltsaufklärung erforderliche Anhörung zu ermöglichen.
3. Da sich nicht ausschließen lässt, dass das [X.] nach Anhörung des
Betroffenen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, ist der [X.] Beschluss aufzuheben
und die Sache an das [X.] zurückzuverwei-sen. Dieses wird nun die Anhörung des Betroffenen durchzuführen und darüber hinaus zu überprüfen haben, ob dem Betroffenen nach §
276 FamFG zur Wahrnehmung seiner Interessen ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 16.
März 2016

XII
ZB
203/14

NJW 2016, 1828 Rn.
8
f.
mwN). Die vom Amtsgericht angestellte Erwägung, von der Be-12
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-
7
-
stellung werde abgesehen, weil für den Betroffenen ein Rechtsanwalt zum Be-treuer bestellt werde,
ist rechtlich jedenfalls nicht tragfähig.
Die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen verfahrens-
und ma-teriell-rechtlichen [X.] sind hingegen unbegründet. Von einer Begründung wird insoweit nach §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wä-re, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling

Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 26.01.2016 -
41 [X.] 533/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.05.2016 -
8 [X.] -

15

Meta

XII ZB 246/16

12.10.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2016, Az. XII ZB 246/16 (REWIS RS 2016, 4111)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4111

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