Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2024, Az. 2 StR 443/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2024, 1409

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Juli 2023

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des [X.] von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch in 45 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und in einem weiteren Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, sowie der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen [X.], II. 14 bis 16, 18 und 20 der Urteilsgründe sowie im [X.] aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „unerlaubter“ Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige, „unerlaubter“ Verabreichung von Betäubungsmitteln an Minderjährige, „unerlaubter“ Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch sowie „unerlaubten“ Überlassens von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch in 38 Fällen unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der [X.] ersichtlichem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs in den Fällen II. 1 bis 17, 19 und 21 bis 41 der Urteilsgründe hat durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Hingegen erweisen sich die Schuldsprüche in den Fällen [X.] und 20 der Urteilsgründe als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

3

a) Im Fall II. 19 der Urteilsgründe ist hinsichtlich des Überlassens von Betäubungsmitteln um 8.00 Uhr und am selben Tag um 22.00 Uhr nicht lediglich eine Tat gegeben, vielmehr liegen zwei selbständig konkurrierende Taten vor. Bei [X.] aus einer [X.] ohne Gewinnerzielungsabsicht, hier einmal in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gelten die Grundsätze einer Bewertungseinheit nicht (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 1237). Auch liegen bei weit auseinanderliegenden Tathandlungen die Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit nicht vor. Die einzelnen Tathandlungen stehen vielmehr in Tatmehrheit zueinander. Durch die Verurteilung wegen nur einer Tat ist der Angeklagte aber nicht beschwert, weswegen der [X.] insoweit von einer Schuldspruchänderung absieht. Die Korrektur des Schuldspruchs ist auch nicht deshalb erforderlich, weil die Sache hinsichtlich des Strafausspruchs teilweise zurückverwiesen wird (vgl. [X.], Urteil vom 4. November 2007 – 5 [X.], [X.], 123, 124; [X.], 13, 15). Dies wäre nur dann angezeigt, wenn gerade die Strafe zu der Tat, hinsichtlich derer der Schuldspruch fehlerhaft ist, aus anderen Gründen ohnehin neu zu bemessen wäre und der Tatrichter an einen unzutreffenden Schuldspruch anknüpfen müsste. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Strafbemessung im Fall II. 19 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der Entscheidung des [X.] im Beschlussverfahren steht im Übrigen nicht entgegen, dass der [X.] insoweit die Berichtigung des Schuldspruchs beantragt hat. Es handelt sich insoweit um einen Antrag zum Nachteil des Angeklagten, von dem im Beschlussverfahren abgewichen werden kann.

4

b) Weil der Angeklagte insoweit nicht beschwert und der Strafausspruch insoweit nicht aus anderen Gründen unrichtig ist, sieht der [X.] weiter im Fall II. 1, in sieben der Fälle II. 2 bis 10, in den Fällen [X.], II. 19 und im Fall II. 40 der Urteilsgründe davon ab, wegen der Überlassung von Betäubungsmitteln jeweils an mehrere Minderjährige den Schuldspruch in das Überlassen von Betäubungsmitteln in zwei (oder mehr) tateinheitlichen Fällen abzuändern (vgl. zum Konkurrenzverhältnis [X.], Beschluss vom 5. Februar 2014 – 1 [X.], [X.], 717 f.).

5

c) Hinsichtlich Fall [X.] der Urteilsgründe belegen die Feststellungen nicht den Schuldspruch wegen Verabreichung von Betäubungsmitteln an Minderjährige. Stattdessen ist ein Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen gegeben, wenn der Angeklagte – wie hier – zwei Minderjährigen eine von diesen überlassene Menge an Amphetamin heimlich mit Methamphetamin versetzt und ihnen dieses hergestellte [X.] zur Verfügung stellt, damit diese es anschließend selbst zu sich nehmen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2022 – 3 StR 458/21, NStZ-RR 2022, 139). Der Schuldspruch ist entsprechend abzuändern (§ 354 Abs. 1 analog StPO), weil die der Tat [X.] der Urteilsgründe zugrundeliegende Strafe rechtsfehlerhaft ist (dazu unten unter 2.) und neu bemessen werden muss. § 265 StPO steht nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

6

d) Im Fall II. 20 der Urteilsgründe ist das [X.] rechtsfehlerhaft vom Vorliegen nur einer Tat ausgegangen; die Übergabe von Betäubungsmitteln zur [X.] an eine Minderjährige an sechs verschiedenen Tagen stellt nicht deshalb eine Bewertungseinheit dar, weil die Betäubungsmittel aus einer einzigen zuvor besorgten [X.] stammen (s. dazu schon oben unter 1.a.). Es liegen sechs realkonkurrierende Taten vor. Der [X.] ändert auch hier den Schuldspruch, weil die der Tat II. 20 der Urteilsgründe zugrundeliegende Strafe rechtsfehlerhaft ist (dazu unten unter 2.) und ebenfalls neu bemessen werden muss. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte dagegen nicht hätte anders verteidigen können. Die vorgenommene rechtliche Bewertung der Konkurrenzen entspricht derjenigen der Anklageschrift.

7

2. Die Überprüfung des Strafausspruchs ergibt Rechtsfehler hinsichtlich der Taten II. 12, 14 bis 16, 18 und 20 der Urteilsgründe. Im Übrigen erweist er sich als rechtlich unbedenklich.

8

a) In den genannten Fällen hat das [X.] ohne weitere Ausführungen bei der [X.] zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich nicht um Cannabisprodukte, sondern um „weitaus gefährlichere Drogen“ gehandelt habe. Zudem hat es hinsichtlich der Taten [X.] und 20 der Urteilsgründe bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten angeführt, dass der Angeklagte die „besonders gefährliche Droge Methamphetamin“ Minderjährigen überlassen habe. Damit hat die [X.] erkennbar die Betäubungsmittel Amphetamin und [X.] auf der Schwereskala der Gefährlichkeit von Betäubungsmitteln unzutreffend zum Nachteil des Angeklagten eingeordnet, diese nehmen insoweit lediglich einen mittleren Platz ein (vgl. [X.], Beschluss vom 15. November 2022 – 3 [X.], NStZ-RR 2023, 51; Urteil vom 1. März 2023 – 2 StR 366/22, NStZ 2023, 757). Die Formulierungen lassen zudem auch hinsichtlich von Methamphetamin besorgen, dass das [X.] eine unzutreffende Einordnung vorgenommen hat. Es ist in der Rechtsprechung zwar umstritten, wie Methamphetamin einzuordnen ist (vgl. zum Streitstand im Einzelnen [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 6. Aufl., [X.]. zu §§ 29 ff., Rn. 947). Allerdings wird in der Literatur nachvollziehbar davon ausgegangen, dass es verschiedene Formen gibt, die nicht sämtlich als besonders gefährlich oder hart einzustufen sind (s. [X.], aaO, [X.]. zu §§ 29 ff., Rn. 207a; [X.] aaO, Rn. 947). Der [X.] kann offen lassen, ob die grundsätzliche Einstufung als „besonders gefährliche Droge“ in keinem Fall trägt und schon deshalb hier zu beanstanden wäre. Denn es ist mangels Feststellungen zur Art des überlassenen [X.] nicht auszuschließen, dass der Angeklagte den Minderjährigen die weniger gefährliche Form überlassen hat und die auch vom [X.] beanstandete Erwägung deshalb rechtsfehlerhaft ist. Da der [X.] nicht auszuschließen vermag, dass die [X.] ohne diese Erwägungen zur Annahme minder schwerer Fälle gelangt wäre bzw. geringere Einzelstrafen verhängt hätte, hebt er die betroffenen Einzelstrafen auf. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich lediglich um [X.] handelt. Der Tatrichter ist freilich nicht gehindert, neue Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

9

b) Die Änderung des Schuldspruchs im Fall II. 20 der Urteilsgründe sowie die Aufhebung der weiteren Einzelstrafen entziehen dem [X.] seine Grundlage.

[X.]  

      

  Krehl  

      

  Eschelbach

        

Ri[X.] Meyberg ist
wegen Urlaubs gehindert
zu unterschreiben.

        

Ri[X.] [X.] ist
wegen Urlaubs gehindert
zu unterschreiben.

        

      

[X.]

      

[X.]

      

Meta

2 StR 443/23

09.01.2024

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Meiningen, 25. Juli 2023, Az: 2 KLs 494 Js 1325/23 jug

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2024, Az. 2 StR 443/23 (REWIS RS 2024, 1409)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1409

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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