Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.09.2016, Az. B 9 V 13/16 B

9. Senat | REWIS RS 2016, 5772

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopfer - Anspruch auf Empfängnisverhütungsmittel nach dem OEG - Grundrechtsverstoß - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 21. Januar 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

In der Hauptsache begehrt die Klägerin Versorgung mit Medikamenten zur Empfängnisverhütung bzw Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen für die [X.] vom [X.] bis [X.]. Bei der Klägerin ist nach Misshandlungen im Kindesalter eine Funktionsschädigung des Gehirns mit Entwicklung von geistiger und seelischer Behinderung als Schädigungsfolge mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 70 anerkannt.

2

Die Versorgung mit Empfängnisverhütungsmitteln lehnte zunächst die Beigeladene und sodann der Beklagte ab (Bescheid vom 16.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 8.8.2012). Das [X.] hat die Klage abgewiesen ua unter Hinweis darauf, die streitigen Mittel gehörten nicht zum Leistungskatalog des § 10 Abs 6 [X.] ([X.]) (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, ein Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln bestehe nicht. Der Leistungskatalog des Beklagten werde jedenfalls begrenzt durch die Leistungen, die die Krankenkasse ihren Mitgliedern zu erbringen verpflichtet sei. Nach Vollendung des 20. Lebensjahres - wie hier - bestehe kein Anspruch, auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung. Eine Ausnahme bestehe auch nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Insoweit kämen Grundsicherungsleistungen in Betracht. Auch unter [X.] sei eine Leistungspflicht nicht zu begründen. Denn die geltend gemachten möglichen psychischen Belastungen einer ungewollten Schwangerschaft entsprächen einem abstrakten Erkrankungsrisiko und stellten kein ernsthaftes konkretes Risiko des alsbaldigen Eintritts eines psychischen Schadens dar, welches einen Anspruch auf vorsorgende Krankenbehandlung auslösen könnte. Anhaltspunkte für Härteleistungen bestünden ebenfalls nicht (Urteil vom [X.]).

3

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] und macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

5

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB B[X.] [X.] 3-1500 § 160a [X.]; B[X.] [X.] 3-4100 § 111 [X.] f; s auch B[X.] [X.] 3-2500 § 240 [X.] f mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160 [X.] 17; B[X.]E 40, 158 = [X.] 1500 § 160a [X.] 11; B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

6

Die Klägerin wirft als Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob ihr, geboren 1992, nach den [X.] ([X.]) iVm [X.] die Versorgung mit Empfängnisverhütungsmitteln zustehe. Es ist schon zweifelhaft, ob damit eine Rechtsfrage mit Breitenwirkung aufgeworfen oder lediglich das einzelfallbezogene Anliegen der Klägerin umschrieben ist. Aber auch wenn der Beschwerdebegründung insoweit eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage zur Altersgrenze oder zur Höhe des Einkommens als Voraussetzung für eine Versorgung mit Empfängnisverhütungsmitteln entnommen wird, zeigt die Klägerin den Klärungsbedarf nicht auf. Sie beschäftigt sich schon im Ansatz nicht mit dem nach dem [X.] (§ 1 Abs 1 S 1 [X.]) entsprechend anwendbaren einfachgesetzlichen Konzept der §§ 10, 11 [X.], das für Art und Umfang der Heilbehandlung grundsätzlich auf den Leistungskatalog des [X.]B V verweist (§ 11 Abs 1 S 2 [X.]) und damit die versorgungsrechtliche Grundentscheidung konkretisiert, Gewaltopfern ebenso wenig wie [X.] vollen Schadensersatz zuzubilligen (B[X.]E 86, 253 - [X.] 3-3100 § 18 [X.] 5). Sie beschäftigt sich ebenso wenig damit, ob und inwieweit für die Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten sowie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, zur Gesundheitsförderung, Prävention und Selbsthilfe (§ 10 Abs 6 S 1 und 2 [X.]) hiervon ausgehend etwas anderes gelten könnte (vgl § 10 Abs 6 S 3 [X.]). Soweit die Beschwerdebegründung in diesem Kontext auf Petitionen verweist, die den [X.] auffordern, dauerhaft und bundesweit eine einheitliche Regelung mit Rechtsanspruch zu schaffen für die genannten Personengruppen auch ab dem vollendeten 20. Lebensjahr, stellt sie sich im Gegenteil sogar auf den Standpunkt, dass eine einfachgesetzliche Regelung zu ihren Gunsten gar nicht vorhanden ist.

7

Auch mit dem Hinweis auf einen möglichen Grundrechtsverstoß zeigt die Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend auf. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht oder sich auf die Verfassungswidrigkeit der höchstrichterlichen Auslegung einer Vorschrift beruft, darf sich dabei aber nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken. Vielmehr muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] und des B[X.] zu den gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfach gesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes im Einzelnen dargelegt werden. Dabei ist aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und in willkürlicher Weise verletzt hat ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160a Rd[X.] 58 mwN). Eine solche gründliche Erörterung der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt die Beschwerde vermissen. Insbesondere beschäftigt sie sich nicht mit der Rechtsprechung, die die für Gewaltopfer entsprechend geltende Begrenzung der Krankenbehandlung [X.] auf das Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung für verfassungsrechtlich unbedenklich hält (B[X.] Urteil vom 10.12.2003 - [X.] V 12/02 R).

8

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

9

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 V 13/16 B

08.09.2016

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Braunschweig, 4. September 2013, Az: S 12 VE 21/12, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 1 Abs 1 S 1 OEG, § 24a SGB 5, § 10 Abs 6 S 1 BVG, § 10 Abs 6 S 2 BVG, § 10 Abs 6 S 3 BVG, § 11 Abs 1 S 2 BVG, GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.09.2016, Az. B 9 V 13/16 B (REWIS RS 2016, 5772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5772

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