Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.04.2018, Az. VII R 18/16

7. Senat | REWIS RS 2018, 10138

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Gegenstand

(Zum Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO)


Leitsatz

1. NV: Die Aufrechnung des Finanzamts gegen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aufgrund von Rechnungsberichtigungen während des Insolvenzverfahrens mit Steuerforderungen aus der Zeit davor ist unzulässig .

2. NV: Im Fall der Berichtigung eines unrichtigen Steuerausweises gemäß § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG wird das Finanzamt erst dann "etwas schuldig", wenn die Berichtigung zugegangen ist .

Tenor

Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil des [X.] vom 1. Juni 2016  2 K 1184/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Finanzamt zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) wendet sich gegen die Änderung eines [X.]s durch das Finanzgericht ([X.]), das die Aufrechnung des [X.] gegen [X.] aufgrund von Rechnungsberichtigungen während des Insolvenzverfahrens mit Steuerforderungen aus der [X.] davor für unzulässig erklärt hat.

2

Bei einer Prüfung stellte sich heraus, dass die GmbH, deren Insolvenzverwalter der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist, im Jahr 2007 --also vor Insolvenzeröffnung am 1. April 2012-- gegenüber ausländischen Geschäftspartnern Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt und die Steuer an das [X.] abgeführt hatte. Der Kläger berichtigte die Rechnungen gemäß § 14c Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) [X.]. § 17 Abs. 1 UStG und reichte eine geänderte Umsatzsteuer-Voranmeldung für September 2012 ein. Das [X.] kam zu der Auffassung, dass aufgrund der Rechnungsberichtigung ein Erstattungsanspruch zugunsten der GmbH gegeben sei, und stimmte der Voranmeldung zu, erklärte jedoch die Aufrechnung mit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen [X.]. Es erließ den streitgegenständlichen [X.], wonach der [X.] durch Aufrechnung erloschen sei. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage.

3

Das [X.] änderte den [X.]. Es urteilte, der Erstattungsanspruch sei nicht durch Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO-- [X.]. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs, §§ 94 ff. der Insolvenzordnung --[X.]--) erloschen, da der [X.] erst im September 2012 entstanden, das [X.] somit erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei; eine Aufrechnung mit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen [X.] sei daher gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] unzulässig. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2017, 354 veröffentlicht.

4

Hiergegen wendet sich das [X.] mit der Revision. Es trägt vor, der [X.] sei rechtmäßig; der Erstattungsanspruch sei durch Aufrechnung erloschen. § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] stehe einer Aufrechnung nicht entgegen. Zwar sei der Erstattungsanspruch abgabenrechtlich erst im [X.]punkt der Rechnungsberichtigung entstanden, in insolvenzrechtlicher Hinsicht sei er jedoch "im Kern" --bedingt durch die [X.] bereits im [X.]punkt der Ausgabe der unzutreffenden Rechnungen begründet worden. Es sei nämlich von Anfang an falsch gewesen, Umsatzsteuer auszuweisen; der Umsatzsteuererstattungsanspruch beruhe darauf, dass der Sachverhalt später rechtlich anders beurteilt worden sei.

Entscheidungsgründe

II.

5

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

6

Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das Urteil entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Aufrechnung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] unzulässig.

7

1. Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.

8

Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich nach der [X.]srechtsprechung in den Fällen der Umsatzsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 UStG danach, wann der Tatbestand, der den Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren ([X.]surteil vom 8. November 2016 VII R 34/15, [X.], 6, [X.], 496, [X.][X.] in [X.], 203; de Weerth, [X.] bei unberechtigtem Umsatzsteuer-Ausweis, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2017, 343). Entsprechendes gilt für die Umsatzsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG.

9

Im Fall eines unrichtigen Steuerausweises gemäß § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG wird das [X.] frühestens im Besteuerungszeitraum der Berichtigung gemäß § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG etwas schuldig; die Berichtigung wirkt nicht auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnungen zurück (Urteil des [X.] --BFH-- vom 12. Oktober 2016 XI R 43/14, [X.], 474, [X.]NV 2017, 408, Rz 35 ff.; vgl. auch [X.]surteil in [X.], 6, [X.], 496 zu § 14c Abs. 2 UStG). Solange der Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger nicht gemäß § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG berichtigt ist, besteht die Umsatzsteuerschuld gemäß § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG materiell-rechtlich fort und hat das [X.] einen rechtlichen Grund i.S. des § 37 Abs. [X.], die Steuer zu behalten. Daran hat sich durch die Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union [X.]ex vom 15. September 2016 [X.] ([X.]:[X.], [X.], 1029) und [X.] 06 - [X.] [X.]/14 ([X.]:C:2016:690, [X.], 2216) sowie die BFH-Urteile vom 20. Oktober 2016 V R 26/15 ([X.], 348, [X.]NV 2017, 252), [X.] ([X.]NV 2017, 488) und [X.] ([X.]NV 2017, 490) nichts geändert. Diese Urteile betreffen die Frage, ob eine Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirkt; sie sind für die sich aus § 14c UStG ergebende Steuerschuld ohne Bedeutung ([X.]surteil in [X.], 6, [X.], 496; BFH-Urteil in [X.], 474, [X.]NV 2017, 408; [X.] vom 31. Mai 2017 V B 5/17, [X.]NV 2017, 1202, Rz 7).

Die Berichtigung des Steuerbetrags gegenüber dem Leistungsempfänger gemäß § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG ist auch nicht, wie das [X.] u.a. unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 23. Februar 2011 I R 20/10 ([X.], 114, [X.], 822) oder das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2010  4 K 80/07 ([X.], 394) vorträgt, eine reine Verfahrenshandlung, die --wie etwa das [X.] eines gesetzlichen Anspruchs im Fall des [X.]surteils vom 18. August 2015 VII R 29/14 ([X.]NV 2016, [X.] nur vom Entschluss des Anspruchstellers abhängt. Eine Berichtigung gegenüber dem Leistungsempfänger, wie sie § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG verlangt, setzt den Zugang der Berichtigung bei diesem voraus (vgl. etwa BFH-Urteil in [X.], 474, [X.]NV 2017, 408, Rz 26; Urteil des [X.] vom 19. Mai 2010  3 K 1180/08, [X.], 1934, Rz 19). Das Entstehen des Anspruchs ist nach den steuerrechtlichen Vorschriften deshalb nicht bereits mit Erteilung der unrichtigen Rechnung, sondern erst nach Zugang der Berichtigung des Steuerbetrags beim Leistungsempfänger verwirklicht. Der Zugang ist im Fall des § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG Teil der materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Erstattungsanspruch entsteht (für den abweichend formulierten § 14c Abs. 2 UStG im [X.]surteil in [X.], 6, [X.], 496, Rz 22, offengelassen).

2. Im Streitfall sind die Rechnungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 14c Abs. 1 UStG berichtigt worden; ob § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG weitere (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmale enthält, die gegebenenfalls auch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt worden sind (vgl. hierzu das anhängige Verfahren XI R 28/16; zum bisherigen Stand der Rechtsprechung vgl. BFH-Urteil in [X.], 474, [X.]NV 2017, 408, Rz 41), kann dahinstehen. Das [X.] ist nach den genannten Grundsätzen im Hinblick auf die Berichtigung der Steuerbeträge gegenüber den Leistungsempfängern im [X.] jedenfalls erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Meta

VII R 18/16

25.04.2018

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 1. Juni 2016, Az: 2 K 1184/14, Urteil

§ 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 14c Abs 1 S 2 UStG 2005, § 17 Abs 1 UStG 2005, § 226 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.04.2018, Az. VII R 18/16 (REWIS RS 2018, 10138)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10138

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