Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.07.2015, Az. 1 StR 149/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 7676

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 149/15

vom
23. Juli
2015
in der Strafsache
gegen

wegen
unerlaubten Besitzes
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 23. Juli
2015
gemäß §
349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts [X.] ([X.]) vom 19. Dezember 2014 mit den Fest-stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung for-mellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit [X.] Verfahrensrüge Erfolg (§
349 Abs.
4 StPO).
1. Der Beanstandung des Angeklagten liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Nach Eintritt in die Beweisaufnahme am ersten Tag der Hauptverhand-lung, dem 18.
Dezember 2014, wurde diese um 11.37
Uhr zur Durchführung eines [X.]s unterbrochen. Der Angeklagte hatte den überwiegen-den Teil des Anklagevorwurfs

unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen

bestritten. Gegenstand dieses Ge-1
2
3
-
3
-
sprächs, an dem die Mitglieder der [X.], die Vertreterin der Staatsan-waltschaft und der Verteidiger des Angeklagten teilnahmen, waren u.a. die [X.] zur Strafhöhe für den Fall der anklagegemäßen [X.] des Angeklagten. Unter Bezugnahme auf die demselben [X.] entstammende Verurteilung des
Zeugen

A.

erklärte der Vorsitzende ausweislich der abgegebenen dienstlichen Stellungnahmen, ein Strafmaß, welches sich im bewährungsfähigen Bereich bewege, komme nach derzeitiger Einschätzung auch im Falle einer geständigen Einlassung des Angeklagten nicht in Betracht; das Gericht denke vielmehr an ein Strafmaß, das

denkbar. Auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft äußerte sich zu ihrer

demgegenüber höheren

Straferwartung und führte zur Begründung der aus ihrer Sicht angemessenen Relation zu dem Verfahrensergebnis gegen A.

aus. Das Gespräch endete ohne Einvernehmen der Beteiligten.
Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nahm der Vorsitzende folgende Mitteilung in das Protokoll derselben auf:

r-handlung auf Anregung des Herrn Verteidigers und Einbeziehung der Frau Staatsanwältin K.

ein [X.] mit der [X.] hat, welches letztlich ergebnislos verlief.
Die Kammer verwies darauf, dass derzeit noch nicht einmal beurteilt werden kann, ob innerhalb der Vorwürfe und der dann geltenden Straf-rahmen von einem Besitz oder einem Handeltreiben auszugehen wäre. Die Kammer hat darauf verwiesen, dass bei einem, von den [X.] her allerdings weniger vergleichbaren Fall, des vorangegangenen Zeugen 4
-
4
-
A.

eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit [X.] verhängt worden ist, nachdem dort auch eine Strafrahmenverschie-bung nach §
31 BtMG, soweit erinnerlich, angewendet werden konnte.
Im Falle des Angeklagten M.

würden natürlich ganz andere [X.], im Falle
deren Feststellungen und auch eine größere Fallan-zahl berücksichtigt werden müssen. Es könnte aber durchaus bei einem umfangreichen Geständnis dieses bei der Bildung der Einzelstrafen und insbesondere bei der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt werden, da die Tatabwicklung nahezu gleiche Verhältnisse aufweise, ebenso die Regelmäßigkeit der Taten zueinander. Jedoch müssen auch der Tatzeit-raum und die etwaigen BtM-[X.] berücksichtigt werden.
Der Verteidiger erklärte, dass er das mit seinem Mandanten besprochen

[X.] durch die [X.] erfolgte nicht. Die Beweisaufnahme wurde fortgesetzt; der Angeklagte, der von seinem [X.] über den Inhalt der Erörterung nicht umfassend informiert worden war, hielt an seiner bestreitenden Einlassung fest.
Die Revision rügt einen Verstoß gegen §
243 Abs.
4 Satz
2 in Verbin-dung mit §
273 Abs.
1a Satz
2 StPO und macht hierzu unter anderem geltend, im Rahmen der öffentlichen Hauptverhandlung hätte der Inhalt des geführten [X.]s im Einzelnen dargelegt und protokolliert werden müssen. Insbesondere
habe der Vorsitzende mitzuteilen gehabt, dass die [X.]
s-anwaltschaft sowie die geleisteten Diskussionsbeiträge und Standpunkte der 5
6
-
5
-
jeweils anderen Gesprächsteilnehmer von der Mitteilungspflicht des [X.] erfasst. Das Versäumnis der insoweit gebotenen Mitteilung habe neben fehlender Transparenz für die Öffentlichkeit bei dem Angeklagten zu einem In-formationsdefizit geführt, welches ihm verwehrt habe, sein Prozessverhalten selbstbestimmt auszurichten. Es liege nahe, dass der Angeklagte seine bestrei-tende Haltung in Kenntnis der Vorstellungen des Gerichts aufgegeben hätte.
2. Die im Sinne von
§
344 Abs.
2 Satz
2 StPO zulässig erhobene Verfah-rensrüge ist begründet. Das [X.] hat seine aus §
243 Abs.
4 Satz
2 StPO begründete Mitteilungspflicht verletzt.
a) Der Beschwerdeführer trägt neben unzureichender Information der Öf-fentlichkeit relevante Informationsdefizite des Angeklagten vor.
b) Nach §
243 Abs.
4 Satz
1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§
202a, 212 StPO stattge-funden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung im Sinne von §
257c StPO gewesen ist und wenn ja,
deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 15.
Januar 2015

1
StR 315/14,
NJW 2015, 645;
Urteil vom 10.
Juli 2013

2
StR
47/13, [X.], 610). Diese Mittei-lungspflicht ist gemäß §
243 Abs.
4 Satz
2 StPO weiter zu beachten, wenn [X.] erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben. Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in öffentlicher Haupt-verhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und un-kontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
Januar 2015

1
StR 315/14, NJW 2015, 645 Rn.
14 mwN;
Urteil vom 5.
Juni 2014

2
StR 381/13, NJW 2014, 2514, 2515 mwN; Beschluss vom 8.
Oktober 2013

4
StR
272/13, [X.], 67).
7
8
9
-
6
-
Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich deshalb auch auf die Darlegung, welche Standpunkte zu den erörterten Aspekten vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten [X.] gestoßen ist (vgl. [X.]
133, 168, 215f.; [X.], Beschluss vom 25.
Februar 2015

4
StR 470/14, [X.], 353, 354;
Urteil vom 5.
Juni 2014

2
StR 381/13, [X.], 601, 602; Beschluss vom 9.
April 2014

1
StR 612/13, [X.], 416, 417).
Das Gebot strikter Transparenz, welches der Gesetzgeber an das [X.] angeknüpft hat, erfährt hierdurch praktische Umsetzung. Sowohl der Angeklagte, dessen berechtigtes Interesse dahin geht, nach ver-ständigungsbasierten Erörterungen auf demselben Informationsstand wie alle übrigen Verfahrensbeteiligten zu sein, um sein weiteres Prozessverhalten hie-ran ausrichten zu können, als auch die Öffentlichkeit werden bei gesetzmäßiger Mitteilung des Vorsitzenden in die Lage versetzt, den Verfahrensablauf zu durchschauen. Dementsprechend hat der Vorsitzende Verlauf und Inhalt der Gespräche mitzuteilen (§
243 Abs.
4 StPO) und
in das Protokoll der [X.] aufzunehmen (§
273 Abs.
1a Satz
2 StPO). Dies dient auch dem Zweck, eine effektive Kontrolle in der Revisionsinstanz zu ermöglichen.
c) Diesen Anforderungen wird die Mitteilung des Vorsitzenden nicht ge-recht. Denn aus ihr
geht nicht hervor, welchen wesentlichen Inhalt das [X.] in dem vorstehend dargestellten Sinn gehabt hat; die revisionsge-richtliche Überprüfung ist dem Senat hierdurch verwehrt. Insbesondere [X.] über Strafmaßvorstellungen verleihen einem
[X.] im Sinne der §§
202a, 212 StPO ganz besonderes Gewicht. Sie weisen nicht nur einen Konnex zum Verfahrensergebnis auf, sondern betreffen dieses unmittelbar. 10
11
12
-
7
-
Eine Mitteilung über Erörterungen im Sinne des §
243 Abs.
4 StPO, welche auf thematisierte Erwartungen zur Strafhöhe nicht im Einzelnen hinweist, ist alleine aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft.
So liegt es hier. Bereits der unterlassene Hinweis auf die von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft geäußerten Straferwartungen führt zu [X.] Verletzung des §
243 Abs.
4 Satz
2 StPO, ohne dass es auf den weiteren Gesprächsinhalt noch ankäme.
d) Verstöße gegen die Mitteilungspflichten des §
243 Abs.
4 StPO führen regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann; lediglich in Ausnahmefällen kann Abweichendes gelten (vgl. [X.] 133, 168, 223 Rn.
97; [X.], Beschluss vom 26.
August 2014

2
BvR 2172/13, [X.], 592, 594; [X.], Beschluss
vom 15.
Januar 2015

1
StR 315/14, NJW 2015, 645, 646). Die Annahme eines derartigen Ausnahmefalls liegt hier schon wegen der Schwere des Rechtsverstoßes fern (vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung [X.], Beschluss vom 15.
Januar 2015

2
BvR 2055/14, [X.], 172, 174; [X.], Beschluss
13
14
-
8
-
vom 11.
Juni 2015

1
StR 590/14; Urteil vom 14.
April 2015

5
StR 20/15; Beschluss vom 15.
Januar 2015

1
StR 315/14, NJW 2015, 645, 646). Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Raum

Graf Jäger

Cirener Mosbacher

Meta

1 StR 149/15

23.07.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.07.2015, Az. 1 StR 149/15 (REWIS RS 2015, 7676)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7676

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