Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.06.2014, Az. 2 StR 381/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5031

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Revision in Strafsachen: Präklusion der Verfahrensrüge wegen der Verletzung von Mitteilungs- und Dokumentationspflichten zu einem Verständigungsversuch in der Hauptverhandlung


Leitsatz

Die Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO setzt nicht voraus, dass der Verteidiger zuvor von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 12. April 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehende Revision des Angeklagten [X.] wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]        wegen Beihilfe zum unerlaubten [X.]ndeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten [X.]ndeltreiben mit Betäubungsmitteln in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren sowie den Angeklagten [X.] wegen unerlaubten [X.]ndeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und [X.] getroffen. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten [X.]    führt auf die Verfahrensrüge hin zur Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils. Das Rechtsmittel des Angeklagten [X.]hat hingegen mit der Sachrüge lediglich hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen verkaufte der weitgehend geständige Angeklagte [X.]      jeweils auf Weisung des gesondert verfolgten [X.]    gegen Provision im Zeitraum August 2010 bis Oktober 2011 an den gesondert verfolgten P.     in 30 Fällen Heroin in [X.] zwischen 10 bis 50 Gramm mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 5 %. Im Zeitraum Anfang März 2011 bis zum 16. Februar 2012 verkaufte er wiederum im Auftrag [X.]   's in 11 Fällen Heroin in [X.] zwischen 70 bis 200 Gramm an die gesondert verfolgte [X.]. Am 4. Oktober und am 4. Dezember 2012 verkaufte er - diesmal im Auftrag des Mitangeklagten [X.]- ihm von diesem ausgehändigtes Rauschgift, ca. 50 bzw. 45 g Heroin mit Wirkstoffanteilen von 6,2 bzw. 5,6 %, an die gesondert verfolgten [X.]        und [X.].    . Bei einer Wohnungsdurchsuchung des Angeklagten [X.]      im Januar 2013 wurden u.a. zwei Cannabisplatten mit einem Gesamtgewicht von ca. 185 Gramm mit einer Wirkstoffmenge von 15,9 Gramm sichergestellt, die teils zum Eigenkonsum, überwiegend aber zum Verkauf bestimmt waren.

[X.]

3

Während die übrigen Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] ohne Erfolg bleiben, führt die Rüge eines Verstoßes gegen §§ 257c, 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] zur Aufhebung des gegen den Angeklagten [X.]      ergangenen Urteils.

4

1. Dem liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

5

Für den ersten [X.]uptverhandlungstag, den 9. April 2013, weist das Protokoll nach Verlesung des Anklagesatzes folgendes Geschehen aus:

"Weiter wurde festgestellt, dass Erörterungen gem. §§ 202a und 212 [X.], deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c [X.] gewesen ist, nicht stattgefunden haben.

Die Angeklagten wurden darauf hingewiesen, dass es ihnen freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.

Der Angeklagte [X.] erklärte sich derzeit zur Äußerung nicht bereit.

[X.]. [X.].   regte ein [X.] an.

Die [X.] wurde um 09.47 Uhr unterbrochen und fortgesetzt um 10.17 Uhr.

Alle vorher erschienenen Prozessbeteiligten waren wieder anwesend.

Es wurde festgestellt, dass ein [X.] geführt, jedoch keine Verständigung getroffen wurde. Im Rahmen des Gesprächs hat der [X.] zum Ausdruck gebracht, dass eine geständige Einlassung des Angeklagten [X.]       werthaltiger sein könnte, sofern sie auch Angaben zur Tatbeteiligung des Angeklagten [X.]enthalte.

Es bestand Gelegenheit zur Stellungnahme. Erklärungen wurden nicht abgegeben."

6

2. Die Revisionen rügen, es seien weder Erklärungen zur "personellen Beteiligung" an diesem [X.], an dem alle professionellen Verfahrensbeteiligten sowie die beiden Schöffen teilgenommen hatten, noch zu dessen vollständigem Inhalt erfolgt. So habe der Vertreter der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten [X.]        eine Straferwartung von über sechs Jahren geäußert, die sich bei einer geständigen, den Mitangeklagten [X.]belastenden Einlassung verringern könne. Der Vorsitzende [X.] habe eine Strafhöhe von fünf bis sechs Jahren in den Raum gestellt, was die Verteidigung des Angeklagten [X.]       als nicht akzeptabel bezeichnet habe. Hinsichtlich des Angeklagten [X.]seien von keiner Seite irgendwelche Straferwartungen geäußert worden, dies auch deshalb, weil dessen Verteidiger "schweigend verteidigt" und sich deshalb an den Gesprächen nicht aktiv beteiligt habe.

7

Durch die unvollständige Unterrichtung seitens des Vorsitzenden habe die [X.] ihre Verpflichtung zur Transparenz und Dokumentation verletzt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil - auch wenn keine Verständigung zustande gekommen sei - auf den nicht mitgeteilten Gesprächsinhalten beruhe.

8

3. Eine von den [X.] vorgelegte anwaltliche Versicherung des Instanzverteidigers des Angeklagten [X.], RA S.    , bestätigt das [X.]. Aus eingeholten dienstlichen Stellungnahmen des [X.] und der Berufsrichter ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft eine Straferwartung von "nicht unter 6-7 Jahren" gehabt habe. Seitens des Gerichts seien entgegen dem [X.] keine Strafvorstellungen geäußert worden.

9

4. Die Revision macht zu Recht geltend, es liege ein Verstoß gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 [X.] vor.

a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.] teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 [X.] stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c [X.]) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 47/13, [X.], 315, 316). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn aber außerhalb der [X.]uptverhandlung stattgefunden haben ([X.], Beschlüsse vom 8. Oktober 2013 - 4 StR 272/13, [X.], 67 und vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, [X.], 219; [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl., § 243 Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen [X.]uptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der [X.]uptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verhalten eröffnen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, [X.], 72, 73, vom 8. Oktober 2013 - 4 StR 272/13, [X.], 67, vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, [X.], 219 und vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14, [X.], 418). Die Pflicht zur Dokumentation der zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der [X.]uptverhandlung unter Umständen erfolglos geführten Gespräche ist zwar im Vergleich zur tatsächlichen Verständigung reduziert. Gleichwohl sollen alle Verfahrensbeteiligte und die Öffentlichkeit nicht nur darüber informiert werden, dass solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. [X.] 133, 168, 215 f.; [X.], Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, [X.], 72 f., vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, [X.], 219 und vom 9. April 2014 - 1 [X.], [X.], 416, 417). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber - sofern sie nach § 243 Abs. 4 [X.] vorgeschrieben ist - gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 [X.] in das Protokoll der [X.]uptverhandlung aufzunehmen.

Gemessen daran enthält die Mitteilung des Vorsitzenden nicht alle Informationen, die zur Transparenz und Dokumentation von Verfahrensabläufen im Zusammenhang mit möglichen Verständigungen nach § 257c [X.] mitgeteilt werden müssen. So hat es der Vorsitzende - was sich aus dem Protokoll, den eingeholten dienstlichen Erklärungen und der anwaltlichen Versicherung ergibt - rechtsfehlerhaft unterlassen, jedenfalls die von der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten [X.]      geäußerte Straferwartung mitzuteilen.

b) Der Angeklagte ist mit seiner darauf gerichteten Revisionsrüge nicht deshalb präkludiert, weil er es unterlassen hat, von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 [X.] Gebrauch zu machen. Kommt der Vorsitzende ungeachtet eines ihm zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraum seinen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten nur unzureichend nach, muss dies - entgegen der Ansicht des [X.] - von dem Verteidiger nicht entsprechend § 238 Abs. 2 [X.] beanstandet werden (so im Ergebnis auch [X.], [X.], 252; a.[X.], [X.] 2014, 221, 226; offengelassen von [X.], Beschluss vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14). Dies gilt selbst dann, wenn dem Verteidiger - wie hier - ausdrücklich Gelegenheit gegeben wird, sich zur Unterrichtung durch den Vorsitzenden zu erklären.

aa) Der Senat lässt offen, ob der Rechtsansicht zu folgen wäre, wonach ein Verteidiger die Unvollständigkeit von Mitteilungen schon deswegen nicht nach § 238 Abs. 2 [X.] rügen müsse (und könne), weil solchen Mitteilungen nach dem Verständigungsgesetz die Funktion abgehe, auf das Verhalten des Verfahrensbeteiligten sachleitend Einfluss zu nehmen, es sich mithin nur um bloße, dem Anwendungsbereich des § 238 Abs. 2 [X.] thematisch entzogene bloße Wissensentscheidungen handele (so [X.] [X.], 252).

bb) Entscheidend ist, dass keine eine Rügeobliegenheit begründende Mitwirkungspflicht des Verteidigers im Verständigungsverfahren besteht, was die Mitteilung und Protokollierung von außerhalb der [X.]uptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführten Gespräche anbelangt.

Der mit dem Verständigungsgesetz eingeführte § 243 Abs. 4 [X.] überantwortet die Informationspflicht für außerhalb der [X.]uptverhandlung geführte [X.] ausschließlich dem Vorsitzenden des Gerichts. Wie der Senat bereits in seiner Grundsatzentscheidung vom 10. Juli 2013 (2 [X.], [X.], 310, 314) näher ausgeführt hat, will das Gesetz die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der [X.]uptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten herbeiführen. Durch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] und deren Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a [X.] werden außerhalb der [X.]uptverhandlung im Hinblick auf eine Verständigung erfolgte Geschehnisse festgeschrieben und einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht. Zudem soll dem Angeklagten eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglicht werden, wie er sein eigenes Verteidigungsverhalten einrichtet.

Die Zuweisung der Mitteilungs- und Informationspflicht ausschließlich an den Vorsitzenden folgt auch aus den Überlegungen des [X.] zur Schutzfunktion des § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.], wonach eine "vollumfängliche Rechtsmittelkontrolle" des Verständigungsgeschehens erfolgen soll ([X.] 133, 168, 204, 207). [X.] ist die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für den Angeklagten durch revisionsgerichtliche Verfahrenskontrolle. Unzulässige "deals", aber auch informelle Absprachen hinter dem Rücken des Angeklagten auszuschließen, entspricht der Intention des Gesetzgebers und des [X.]. Danach gilt es u.a. zu verhindern, "dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirkt" ([X.] 133, 168, 232). "Die Transparenzvorschriften des [X.] dienen somit dem Schutz der Grundrechte des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten vor einem im Geheimen sich vollziehenden 'Schulterschluss' zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung" ([X.], Beschluss vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14). Vor diesem Hintergrund kommt der Informationspflicht durch den Vorsitzenden auch die Funktion zu, den Angeklagten vor einer fehlerhaften Beratung durch seine Verteidiger zu schützen. Diese Schutzfunktion wäre jedoch eingeschränkt, würde man - z.[X.] nach einem Verteidigerwechsel zwischen den Instanzen - die Zulässigkeit einer auf die Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] gestützten Rüge davon abhängig machen, dass der Instanzverteidiger, der zuvor unter Umständen an einer informellen Absprache hinter dem Rücken des Revisionsführers mitgewirkt hat, eine dies verschweigende Mitteilung des Vorsitzenden gemäß § 238 Abs. 2 [X.] in der [X.]uptverhandlung beanstandet hat.

cc) Im Übrigen könnte § 238 Abs. 2 [X.], der darauf abzielt, die Verantwortung des gesamten Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit der Verhandlung zu aktivieren, von vornherein nur dann zum Tragen kommen, wenn die [X.] zuvor in Gegenwart sämtlicher zur Entscheidung berufener Mitglieder des Gerichts geführt worden wären. [X.] vor Beginn der [X.]uptverhandlung erfolgen jedoch regelmäßig ohne die Schöffen; vorbereitende Gespräche während, aber außerhalb laufender Verhandlung, z.[X.] an Nichtsitzungstagen, müssen nicht zwingend von dem gesamten Spruchkörper geführt werden (vgl. z.[X.] [X.], Beschluss vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, [X.], 221). In diesen Fällen müsste eine Befassung des gesamten Spruchkörpers mit der Frage der Vollständigkeit der Information leerlaufen. Letztlich würde damit eine Rügeverpflichtung von Zufälligkeiten des Einzelfalles abhängen.

c) Auf der Verletzung der Informationspflichten aus § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] beruht das Urteil zum Nachteil des Angeklagten [X.]      .

Zwar hat das Verständigungsgesetz davon abgesehen, den Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] den absoluten [X.] zuzuordnen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. September 2013 - 1 StR 237/13, [X.], 740 [für § 243 Abs. 4 Satz 1 [X.]]; vom 12. Dezember 2013 - 3 [X.], NJW 2014, 1254, 1256); indes ist, sofern die Mitteilung über das Gespräch unterbleibt oder sich auf eine unzureichende Darstellung beschränkt, grundsätzlich die Verteidigungsposition des Angeklagten tangiert (vgl. [X.] 133, 168, 223 f.; [X.], Beschluss vom 25. November 2013 - 5 StR 502/13, NStZ-RR 2014, 52). Nur in besonderen Ausnahmefällen ist ein Beruhen auszuschließen ([X.], Urteil vom 13. Februar 2014 - 1 [X.], [X.], 217, 218). Dies gilt selbst dann, wenn - wie hier - im Ergebnis eine Verständigung nicht zustande kommt, weil auch in einem solchen Fall nicht auszuschließen ist, dass das Prozessverhalten des Angeklagten durch die vorangegangenen [X.] beeinflusst wurde ([X.], Beschlüsse vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, [X.], 219, 220 und vom 9. April 2014 - 1 [X.], [X.], 416, 417 f.). Ein solcher das Beruhen ausschließender Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.

Es kommt auch nicht darauf an, ob der Instanzverteidiger den Angeklagten über den Ablauf und den Inhalt außerhalb der [X.]uptverhandlung geführter Gespräche unterrichtet und so ein etwaiges Informationsdefizit seines Mandanten ausgeglichen hat oder ob dies möglich gewesen wäre. Für die Entscheidung des Angeklagten, die meist mit der Frage nach einem Geständnis in der [X.]uptverhandlung verbunden wird, ist es von besonderer Bedeutung, ob er über die Einzelheiten der in seiner Abwesenheit geführten Gespräche nur zusammenfassend und in nicht dokumentierter Weise von seinem Verteidiger nach dessen Wahrnehmung und Verständnis informiert wird, oder ob ihn das Gericht unter Dokumentation seiner Mitteilungen im Protokoll der [X.]uptverhandlung unterrichtet ([X.], Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 [X.], [X.], 310, 314; anders wohl [X.], Beschluss vom 15. April 2014 - 3 StR 89/14, [X.], 418, 419 und [X.], [X.], 252, 253).

I[X.]

1. Die auch von dem Angeklagten [X.] erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen §§ 257c, 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] führt hinsichtlich dieses Angeklagten nicht zur [X.], weil der Senat insoweit ein Beruhen des Urteils auf dem unter [X.] festgestellten [X.] ausschließt. Der Verteidiger des "sich schweigend verteidigenden" Angeklagten [X.]hat sich an den [X.]n nicht aktiv beteiligt. Welche Straferwartung die Staatsanwaltschaft für den wegen der Beteiligung an insgesamt 44 Fällen des [X.] angeklagten [X.]      hatte, war für den nur in zwei Fällen als Täter Angeklagten [X.]ohne Aussagekraft und für seine Entscheidung, sich nicht einzulassen, erkennbar ohne Belang (vgl. auch [X.], Beschluss vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 sowie [X.], Beschluss vom 29. November 2013 - 1 StR 200/13, [X.], 221, 222 f.). Soweit die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Verständigungsgesprächs den Angeklagten [X.]       darauf hingewiesen hat, belastende Angaben zu seinem Mitangeklagten könnten sein Geständnis werthaltiger machen, ist dieser für [X.]bedeutende Umstand - nach anwaltlicher Versicherung seines Verteidigers auf dessen Initiative - vom Vorsitzenden entsprechend mitgeteilt und protokolliert worden.

2. Während der Schuldspruch betreffend des Angeklagten [X.]aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] auch auf die Sachrüge hin nicht zu beanstanden ist, unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung, weil das [X.] die durch § 46 Abs. 2 StGB gezogene Grenze zulässiger strafschärfender Berücksichtigung nicht angeklagter Taten überschritten hat.

Gemäß § 46 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter bei der Strafzumessung die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen und dabei namentlich auch sein Vorleben zu berücksichtigen. Insoweit ist er bei der Feststellung und Bewertung von Strafzumessungstatsachen durch den Anklagegrundsatz (§§ 155, 264 [X.]) nicht beschränkt und kann daher auch strafbare [X.]ndlungen ermitteln und würdigen, die nicht Gegenstand der Anklage sind, bzw. die nach § 154 [X.] eingestellt worden sind, soweit diese für die [X.]rsönlichkeit eines Angeklagten bedeutsam sein können und Rückschlüsse auf dessen Tatschuld gestatten. Allerdings müssen solche Taten - wie jeder für die Strafzumessung erhebliche Umstand - prozessordnungsgemäß und damit hinreichend bestimmt festgestellt werden und zur Überzeugung des Tatrichters feststehen ([X.], Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 4 [X.], [X.], 359 [[X.]]; Beschluss vom 19. November 2013 - 4 StR 448/13, NJW 2014, 645, 646 mwN; [X.], StGB, 61. Aufl., § 46 Rn. 41 f.).

Diesen Anforderungen genügen die insoweit rudimentären Urteilsgründe nicht. Das [X.] hat hinsichtlich des Angeklagten [X.]strafschärfend gewertet, dass die "hier abgeurteilten Taten nur die Spitze des Eisberges" darstellen, was sich nicht zuletzt etwa aus den Angaben des Zeugen [X.].    ergebe, mehrfach in gleicher Weise von den Angeklagten Heroin erworben zu haben ([X.]). Im Rahmen der Beweiswürdigung heißt es dazu, es hätten "auch weitere vermutliche Rauschgiftübergaben, die jedoch nicht konkret aufgeklärt werden konnten", stattgefunden ([X.]), und der Zeuge [X.].   habe glaubhaft ausgesagt, insgesamt dreimal zum Rauschgiftkauf nach [X.]    gefahren zu sein. In den ersten beiden Fällen vom 13. November 2012 und am 4. Dezember 2012 habe er das Rauschgift von dem Angeklagten [X.]     im dritten Fall, wohl am 19. Januar 2013, von dem Angeklagten [X.]erhalten.

Solche Ausführungen belegen, dass die nur vermeintlich begangenen [X.] nicht konkretisiert werden konnten; es bleibt demnach offen, ob, welche und wie viele Straftaten die Angeklagten über die hier abgeurteilten Taten hinaus noch begangen haben sollen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 1991 - 4 StR 138/91, [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14). Dies lässt eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten besorgen.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch insgesamt auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben.

[X.]                      Appl                     [X.]

                [X.]

Meta

2 StR 381/13

05.06.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 12. April 2013, Az: 5/27 KLs 12/13 - 5120 Js 238019/11

§ 238 Abs 2 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257c StPO, § 273 Abs 1a S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.06.2014, Az. 2 StR 381/13 (REWIS RS 2014, 5031)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5031

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 381/13 (Bundesgerichtshof)


1 StR 315/14 (Bundesgerichtshof)

Verständigung im Strafverfahren: Beruhensprüfung bei Verstößen gegen die Mitteilungspflicht


3 StR 310/15 (Bundesgerichtshof)

Verständigung im Strafverfahren: Beruhensprüfung bei Verstößen gegen die Hinweis- und Dokumentationspflichten


1 StR 315/15 (Bundesgerichtshof)

Verständigung im Strafverfahren: Umfang und Protokollierung der Mitteilung über Verständigungsgespräche


3 StR 310/15 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.