Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2023, Az. KVZ 73/20

Kartellsenat | REWIS RS 2023, 7438

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Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des [X.] vom 26. August 2020 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, die auch die notwendigen Auslagen des [X.] zu tragen hat.

Der Gegenstandswert für das [X.] wird auf 2,3 Mio. € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.]etroffenen zu 1 (im Folgenden: A) und zu 2 (im Folgenden: [X.]) beabsichtigen, im Rahmen eines [X.] beim [X.]au und [X.]etrieb eines Glasfasernetzes im Versorgungsgebiet der [X.] zusammenzuarbeiten.

2

Die [X.]eschwerdeführerin ist im Versorgungsgebiet der [X.] neben dieser der wesentliche Wettbewerber der A beim Angebot von [X.]reitbandanschlüssen für Endkunden.

3

Im Hinblick auf die Gründung des [X.] hat das [X.]undeskartellamt ein Kartellverwaltungsverfahren gemäß § 32 GW[X.] wegen einer möglichen Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot des § 1 GW[X.] und ein Fusionskontrollverfahren durchgeführt. Im Kartellverwaltungsverfahren haben A und [X.] [X.] abgegeben. Mit [X.]eschluss vom 4. Dezember 2019, berichtigt mit [X.]eschluss vom 6. Dezember 2019 (im Folgenden: Verfügung vom 4. Dezember 2019) erklärte das [X.]undeskartellamt die [X.] für bindend und stellte das Kartellverwaltungsverfahren ein. Nachfolgend gab es unter [X.]erücksichtigung der [X.] die Gründung des [X.] frei.

4

Das [X.]eschwerdegericht hat die gegen die Verfügung vom 4. Dezember 2019 gerichtete [X.]eschwerde der [X.]eschwerdeführerin als unzulässig verworfen. Mit der [X.]eschwerde begehrt die [X.]eschwerdeführerin die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Weder ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher [X.]edeutung zu entscheiden, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.]undesgerichtshofs (§ 77 Abs. 2 GW[X.], vormals § 74 Abs. 2 GW[X.]).

6

1. Das [X.]eschwerdegericht hat angenommen, die [X.]eschwerde sei unzulässig, da die [X.]eschwerdeführerin durch die Verfügung vom 4. Dezember 2019 nicht materiell beschwert sei. Eine materielle [X.]eschwer erfordere, dass die [X.]eschwerdeführerin darlege, durch die angefochtene Entscheidung der Kartellbehörde in ihren subjektiven Rechten verletzt oder zumindest in ihren wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell nachteilig berührt zu sein. Daran fehle es.

7

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde legt nicht dar, dass die Entscheidung des [X.]eschwerdegerichts eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher [X.]edeutung aufwirft. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen [X.]eigeladene eines Fusionskontrollverfahrens und eines parallel geführten Kartellverwaltungsverfahrens, deren Gegenstand jeweils dasselbe kooperative Gemeinschaftsunternehmen ist, im Wege der Anfechtungsbeschwerde gegen eine von der Kartellbehörde im Kartellverwaltungsverfahren erlassene Verfügung gemäß § 32b GW[X.] vorgehen können, wenn durch diese die Freigabevoraussetzungen für das Fusionskontrollverfahren geschaffen werden, hat keine grundsätzliche [X.]edeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig.

8

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]undesgerichtshofs hat eine Rechtssache grundsätzliche [X.]edeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ([X.]GH, [X.]eschlüsse vom 15. Mai 2012 - [X.] 34/11, juris Rn. 14; vom 12. Dezember 2017 - [X.], [X.], 337 Rn. 9 - Vertriebssystem 1.0; vom 15. Dezember 2020 - [X.], [X.], 127 Rn. 15 - [X.] II).

9

[X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und [X.]edeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten können sich daraus ergeben, dass die Rechtsfrage vom [X.]undesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder dass in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden ([X.]GH, [X.]eschlüsse vom 8. November 2011 - [X.], AG 2013, 31 Rn. 4; vom 21. September 2021 - [X.] 48/20, [X.], 72 Rn. 7, jeweils mwN).

b) Dies zugrunde gelegt, ist die von der [X.]eschwerde aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie geklärt ist.

aa) Wie auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen wird, ist geklärt, dass bei kartellrechtlichen Anfechtungsbeschwerden eine materielle [X.]eschwer als besondere Form des Rechtsschutzinteresses erforderlich ist, die vorliegt, wenn der [X.]eschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung in seinen wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell betroffen ist ([X.]GH, [X.]eschlüsse vom 30. März 2011 - KVZ 100/10, [X.]/[X.] 3284 Rn. 4 - Presse-Grossisten; vom 9. Juli 2019 - [X.] 5/18, [X.], 504 Rn. 13 - Lichtblick, jeweils mwN).

bb) Dementsprechend kommt nach einhelliger Meinung in der Literatur eine Anfechtung einer kartellbehördlichen Entscheidung nach § 32b GW[X.] durch Dritte im Grundsatz nur in [X.]etracht, wenn und soweit der Dritte geltend macht, durch die Entscheidung der Kartellbehörde in seinen Rechten verletzt oder in seinen wettbewerblichen Interessen unmittelbar und individuell nachteilig betroffen zu sein ([X.]ach in [X.]/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 32b GW[X.] Rn. 37 f.; [X.]echtold/[X.], GW[X.], 10. Aufl., § 32b Rn. 8; [X.]ornkamm/Tolkmitt in [X.]unte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 32b GW[X.] Rn. 40 bis 42; [X.] in [X.] Kommentar zum Kartellrecht, 105. Lieferung, § 32b GW[X.] Rn. 38; [X.] in [X.]/[X.], Kartellrecht, 4. Aufl., § 32b GW[X.] Rn. 30; [X.] in [X.], Kartellrecht, 4. Aufl., § 32b GW[X.] Rn. 21; [X.] in [X.] Kommentar zum Kartellrecht, 1. Aufl., § 32b GW[X.] Rn. 67; [X.] in [X.] Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 32b GW[X.] Rn. 29 f.; kritisch mit der Forderung nach Reformen de lege ferenda: [X.], [X.] 2012, 48, 67). Entsprechend hat das [X.] ([X.] 2014, 514 mwN) entschieden (vgl. zu Art. 263 Abs. 4 AEUV EuG, Urteil vom 11. Juli 2007 - [X.]/06, [X.]/E EU-R 1283 Rn. 38 - [X.]; zur Drittanfechtung im [X.]eihilferecht EuG, [X.]eschluss vom 26. September 2016 - [X.]/15, ZUR 2017, 223 Rn. 33 bis 40 - [X.]; [X.], [X.]eschluss vom 10. Oktober 2017 - [X.]/16 P, juris Rn. 36 bis 40 - [X.]).

cc) Für die Entwicklung besonderer Grundsätze zur Zulässigkeit der Anfechtungsbeschwerde eines Dritten gegen eine gemäß § 32b GW[X.] erlassene Verfügung besteht jedenfalls in dem Fall, dass ein kooperatives Gemeinschaftsunternehmen sowohl Gegenstand des Kartellverwaltungsverfahrens als auch eines parallel geführten Fusionskontrollverfahrens ist, und durch die Verfügung gemäß § 32b GW[X.] die Freigabevoraussetzungen für das Fusionskontrollverfahren geschaffen werden sollen, kein Anlass. Eine Rechtsschutzlücke besteht nicht.

Ist der Dritte durch die Freigabe eines Zusammenschlusses in seiner unternehmerischen und wettbewerblichen [X.]etätigung auf dem relevanten Markt nachteilig betroffen, liegt die erforderliche materielle [X.]eschwer für die Anfechtung der Freigabeentscheidung vor ([X.]GH, [X.]/[X.] 3284 Rn. 4 mwN - Presse-Grossisten). Mit der Anfechtungsbeschwerde kann dann überprüft werden, ob [X.] überhaupt im Fusionskontrollverfahren zu berücksichtigen sind und ob sie gegebenenfalls im Einzelfall ausreichen, um die wettbewerbsschädlichen Wirkungen des Zusammenschlussvorhabens auf ein kartellrechtlich unbedenkliches Maß zu reduzieren.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet, das [X.]eschwerdegericht habe seine Aufklärungspflicht gemäß §§ 75, 70 Abs. 2 Satz 4 GW[X.] (§§ 70, 72 Abs. 2 Satz 4 GW[X.] in der am 19. August 2020 geltenden Fassung) verletzt, indem es in [X.]ezug auf die Verfahrensakte des [X.]undeskartellamts, insbesondere den mit der [X.]undesnetzagentur geführten Schriftverkehr, den maßgeblichen Sachverhalt nicht (weiter) aufgeklärt habe (vgl. [X.]GH, [X.]eschluss vom 2. Februar 2020 - KVZ 16/09, [X.], 658 [juris Rn. 17 bis 19] - Kosmetikartikel), greift das nicht durch. Das [X.]eschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass es für die Frage, ob die [X.]eschwerdeführerin durch die hier angegriffene Entscheidung materiell beschwert ist, auf diesen Inhalt der Akten nicht ankommt. Die von der [X.]eschwerdeführerin geltend gemachten Gründe für die gewünschte Akteneinsicht - wie etwa eine Aufklärung der politischen Dimension des Verfahrens, der Wechselbeziehungen zwischen [X.] und [X.] sowie die behauptete Widersprüchlichkeit der Prognose des [X.]undeskartellamts - sind sämtlich von vornherein nicht geeignet, eine materielle [X.]eschwer der [X.]eschwerdeführerin zu begründen. Dass das [X.]eschwerdegericht im Parallelverfahren weitere Aufklärungen durchgeführt hat, war aus seiner Sicht im Hinblick auf die dort inmitten stehenden Rechtsfragen erforderlich. Rückschlüsse auf das hiesige Verfahren lassen sich wegen der hier maßgeblichen Rechtsfragen daraus entgegen der Ansicht der [X.]eschwerdeführerin nicht ziehen.

4. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 GW[X.]) liegt nicht vor, da die [X.]eschwerde, ohne dass insoweit Zulassungsgründe durchgreifen, als unzulässig zu verwerfen war.

III. [X.] beruht auf § 71 Satz 2 GW[X.], die Festsetzung des [X.] auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GKG und § 3 ZPO.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Holzinger     

      

Kochendörfer     

      

Meta

KVZ 73/20

12.09.2023

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 26. August 2020, Az: VI-Kart 2/20 (V)

§ 32b GWB, § 77 Abs 2 GWB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2023, Az. KVZ 73/20 (REWIS RS 2023, 7438)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7438

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