Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2011, Az. 3 StR 223/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3337

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
223/11
vom
15. September
2011
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 15.
September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender
[X.] am [X.]
[X.],

die [X.] am [X.]
Pfister,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Menges

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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3
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 15. Februar 2011 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen [X.] in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem [X.] von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklag-ten in [X.] erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 :
1 auf die Strafe angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom [X.] nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der [X.] in einem Lokal in [X.] mit dem

L.

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4
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und dem

S.

in Streit, wobei er fälschlich bestritt, dass [X.] bereits viermal [X.] geworden war. Nach einer [X.] mit L.

begab sich der Angeklagte nach Hause, nahm eine mit sechs Patronen gela-dene Pistole [X.], Kaliber 9 mm, an sich und kehrte in das Lokal zurück. Dort trat er auf den hinter S.

am Tresen sitzenden L.

zu. Als dieser aufstehen wollte, nahm der Angeklagte die Waffe aus einer Plastiktüte, hielt sie mit den Worten "Da hast Du Deine vier Sterne"
dem völlig überraschten und unvorbereiteten L.

an die Stirn und erschoss ihn. Daraufhin wandte sich S.

dem Angeklagten zu und bat diesen sinngemäß mit den Worten "nein, nicht", ihn zu verschonen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den S.

ebenfalls zu töten, richtete die Waffe auf ihn und gab aus nächster Nähe zwei Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen S.

verstarb. Motiv für die Tötung beider Opfer war die Verärgerung des Angeklagten über den Streit betreffend die Anzahl der [X.]titel sowie darüber, nicht Recht gehabt zu haben und in der Auseinandersetzung unterlegen gewesen zu sein. Nach der Tat flüchtete der Angeklagte nach [X.], stellte sich dort aber der Polizei.
Das [X.] hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L.

hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S.

hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene [X.] hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des [X.] sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit beste-henden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene le-benslange Freiheitsstrafe nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; aus diesen 3
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hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten ge-bildet.
2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt -
auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision -
aus den Gründen der Antragsschrift des [X.]s keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
a) Das [X.] hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffe-nen Feststellungen bezüglich der Tötung des S.

zutreffend das Mordmerk-mal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuwei-chen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hin-sichtlich der Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. etwa [X.], Urteil vom 4. Juli 1984
-
3 [X.], [X.]St 32, 382, 384). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeit-spanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begeg-nen ([X.], Urteile vom
16. Juni 1999 -
2 StR 68/99, [X.], 506, 507; vom 6.
April 2005 -
5 StR 22/05, [X.], 201, 202; vom 13. Juli 2005 -
2 [X.], [X.], 309; vom 11. Oktober 2005 -
1 [X.], [X.], 10). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs "Angriff". Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran,
dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt ([X.], Urteil
vom 15. Dezember 1992 -
1 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
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Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S.

zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen [X.] erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden beson-deren Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindli-cher Willensrichtung die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung aus-nutzt, indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem An-schlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren ([X.], Beschluss vom 2. Dezember 1957 -
GSSt 3/57, [X.]St 11, 139, 143; Urteil vom 4.
Juni 1991 -
5 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorange-gangen heimtückischen Tötung des L.

genügt hierfür nicht.
b) Die weiteren Einwände der Revision gegen die [X.] des [X.]s dringen ebenfalls nicht durch. Das [X.] hat insbesondere sorgfältig begründet, warum es bei der Bestimmung der Ein-zelfreiheitsstrafen die Milderungsmöglichkeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genutzt hat. Es hat seine Entscheidung ohne Rechtsfehler an den Maßstäben ausgerichtet, welche die Rechtsprechung für die Strafmilderung bei mit lebens-langer Freiheitsstrafe bedrohten Kapitaldelikten entwickelt hat ([X.], Beschluss vom 19. Januar 1996 -
2 [X.], [X.], 161, 162; Urteil vom 17.
Dezember 1998 -
5 [X.], [X.], 295; Beschluss vom 25.
Oktober 1989 -
2 StR 350/89, [X.]R StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18), und die maßgebenden, sich aus den Feststellungen ergebenden Ge-sichtspunkte in seine Bewertung einbezogen. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Besorgnis, die [X.] habe konkrete schulderhöhende Tatum-stände aus dem Blick verloren.
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Soweit die Revision meint, die [X.] habe auch das Wissen des Angeklagten von seiner Gefährlichkeit unter Alkoholeinfluss berücksichtigen müssen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den allein maßgebenden Urteilsgründen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte in erhebli-chem Maße Alkohol zu sich nahm, obwohl er wusste, dass er in trunkenem Zu-stand dazu neigt, schwere, mit den abgeurteilten Straftaten vergleichbare Straf-taten zu begehen. Festgestellt ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H.

, denen die [X.] folgt, vielmehr lediglich, dass der 43 Jahre alte, bislang unbestrafte Angeklagte sich vor allem bei [X.], die mit Fußball im Zusammenhang stehen, und vorwiegend in alkoholi-siertem Zustand "rechthaberisch"
zeige. Die [X.] hat in diesem Zu-sammenhang im Übrigen zutreffend in die Bewertung eingestellt, dass der An-geklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie seiner Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen nicht in der Lage war, die erhebliche Beein-trächtigung der Steuerungsfähigkeit zu vermeiden.
[X.] [X.]Schäfer

Ri[X.] [X.] befindet sich

im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

[X.] Menges
8

Meta

3 StR 223/11

15.09.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2011, Az. 3 StR 223/11 (REWIS RS 2011, 3337)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3337

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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