Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.10.2023, Az. III R 38/21

3. Senat | REWIS RS 2023, 8582

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Gegenstand

Per E-Mail gestellter Kindergeldantrag formwirksam


Leitsatz

1. Entgegen V 5.2 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz 2023 (DA-KG 2023) enthält § 67 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kein Unterschriftserfordernis.

2. An die Form eines Kindergeldantrags sind keine hohen Anforderungen zu stellen, da das Kindergeld der Wahrung des Grundsatzes der Steuerfreiheit des Existenzminimums und der Förderung der Familie dient.

Tenor

Auf die Revision der Familienkasse wird das Urteil des [X.] vom 06.07.2021 - 5 K 1714/20 aufgehoben.

Der Bescheid der Familienkasse vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 wird dahingehend geändert, dass der Klägerin am 29.06.2020 ein Anspruch auf Auszahlung des für ihre Kinder A und B für die Monate Mai 2018 bis einschließlich April 2019 festgesetzten Kindergelds in Höhe von 4.656 € zustand.

Im Übrigen wird die Revision der Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Familienkasse zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die [X.]eteiligten streiten darüber, ob das Finanzgericht ([X.]) die [X.]eklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) zu Recht zur Zahlung von Kindergeld an die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) für deren [X.], geboren 20XX, und [X.], geboren 20XX, für die Monate Mai 2018 bis einschließlich April 2019 verpflichtet hat. Dies hängt entscheidend davon ab, ob ein [X.] am 16.07.2019 auch mit einer E-Mail [X.] gestellt werden konnte, denn vor dem 18.07.2019 war der Anspruch auf Kindergeld und nach dem 18.07.2019 der Anspruch auf Auszahlung des Kindergelds auf die letzten sechs Kalendermonate vor [X.]eginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, begrenzt (§ 66 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- i.d.F. des Gesetzes zur [X.]ekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 23.06.2017, [X.]G[X.]l I 2017, 1682 --EStG a.[X.] für Anträge, die nach dem 31.12.2017 und vor dem 18.07.2019 eingegangen sind, und § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des Gesetzes gegen illegale [X.]eschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.07.2019, [X.]G[X.]l I 2019, 1066 --EStG n.[X.], für Anträge, die nach dem 18.07.2019 eingegangen sind).

2

Am 16.07.2019 schrieb die Klägerin an die Familienkasse unter dem [X.]etreff "Kindergeld ... - kein Zahlungseingang seit Mai 2018" und unter Nennung der bis April 2018 zutreffenden [X.] ... eine E-Mail, in der sie beanstandete, seit der letzten Zahlung im April 2018 in Höhe von 388 € und somit ab Mai 2018 keine Kindergeldzahlung mehr erhalten zu haben. In der E-Mail waren unter anderem der Name, die Adresse und die Telefonnummer der Klägerin angegeben.

3

Hierauf teilte ihr die Familienkasse mit, die [X.] und [X.] lebten nicht mehr im Haushalt des bisherigen [X.]; die Kindergeldfestsetzung sei ihm gegenüber aufgehoben worden. Da die Kinder im Haushalt der Klägerin lebten, sei von ihr ein Antrag zu stellen. Über ihren Anspruch auf Kindergeld könne noch nicht (endgültig) entschieden werden, weil unter anderem noch die Vorlage eines Antrags sowie der jeweiligen Anlage Kind erforderlich seien. Sofern bis zum 29.08.2019 keine Antwort erfolge, werde der Antrag auf Kindergeld ab Mai 2018 abgelehnt.

4

Die Klägerin übersandte mit Schreiben vom [X.] eine Vollmacht, aber keine weiteren Unterlagen.

5

Mit [X.]escheid vom 10.09.2019 lehnte die Familienkasse unter Nennung der Namen und Geburtsdaten der Kinder den "formlose(n) Antrag auf Kindergeld vom 16.07.2019" ab dem Monat Mai 2018 ab.

6

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, übermittelte mit E-Mail vom [X.] jeweils im "portable document format" ([X.]) (unter anderem) das von ihr ausgefüllte und unterschriebene Antragsformular; weitere Unterlagen reichte sie mit Schreiben vom 12.12.2019 nach.

7

Mit Kindergeldbescheid vom [X.] änderte die Familienkasse den [X.]escheid vom 10.09.2019 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]uchst. a der Abgabenordnung ([X.]) und setzte für beide Kinder ab Mai 2018 Kindergeld fest. Ergänzend wies sie darauf hin, dass es nur für die Monate Mai 2019 bis Dezember 2019 ausgezahlt werde. Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. führe der am [X.] [X.] eingegangene Antrag zu einer Nachzahlung nur für die letzten sechs Kalendermonate vor [X.]eginn des Monats November 2019, also für die Monate ab Mai 2019.

8

Hiergegen legte die Klägerin am 20.01.2020 "Einspruch" ein.

9

Diesen behandelte die Familienkasse als Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs. 2 Satz 1 [X.]) und entschied mit [X.]escheid vom 31.03.2020, dass die Klägerin für die Monate Mai 2018 bis einschließlich April 2019 gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. keinen Auszahlungsanspruch habe.

Die Klägerin legte erfolglos Einspruch ein und erhob dann Klage.

Das [X.] hob den Abrechnungsbescheid vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 auf und verpflichtete die Familienkasse, der Klägerin das für den Zeitraum von Mai 2018 bis einschließlich April 2019 festgesetzte Kindergeld auszuzahlen. Die Klägerin habe bereits mit E-Mail vom 16.07.2019 und damit vor Inkrafttreten des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. [X.] einen Antrag auf Kindergeld für die beiden Kinder ab Mai 2018 gestellt. Dies habe die Familienkasse auch so verstanden.

Der Leitsatz und eine Kurzwiedergabe sind in Familie und Recht 2022, 339 abgedruckt, das vollständige Urteil findet sich in juris.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Familienkasse mit der Revision. Das [X.] habe zu Unrecht entschieden, dass ein schriftlich zu stellender [X.] (§ 67 Satz 1 EStG) keine Unterschrift erfordere und auch mit einer einfachen, nicht qualifiziert signierten E-Mail gestellt werden könne. Gemäß § 87a Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] könne eine durch Gesetz für Anträge an die Finanzbehörden angeordnete Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden; dieser genüge jedoch nur ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sei. Das treffe auf die E-Mail vom 16.07.2019 nicht zu. Da der Antrag somit wirksam erst am [X.] --also nach dem 18.07.2019-- gestellt worden sei, sei § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.F. anwendbar und eine Auszahlung erst ab Mai 2019 möglich. Selbst wenn man jedoch der Auffassung des [X.] folgen und annehmen wollte, dass der [X.] bereits mit der E-Mail vom 16.07.2019 gestellt worden sei, hätte das [X.] berücksichtigen müssen, dass eine Kindergeldfestsetzung dann gemäß § 66 Abs. 3 EStG a.F. erst ab Januar 2019 in [X.]etracht gekommen wäre.

Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 06.07.2021 - 5 K 1714/20 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Ihrer Auffassung nach ist die Vorentscheidung richtig.

Entscheidungsgründe

I[X.]

Die Revision der Familienkasse ist nur zum geringen Teil begründet. Der [X.] entscheidet nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) in der Sache selbst und ändert den angegriffenen [X.] der Familienkasse vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 ab.

Das [X.] hat den [X.] vom 31.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.06.2020 zu Unrecht aufgehoben, statt ihn zu korrigieren (§ 100 Abs. 2 Satz 1 [X.]O, vgl. [X.]surteil vom 02.06.2022 - III R 9/21, [X.], 294, [X.] 2022, 840, Rz 17). Außerdem hat es die Familienkasse zu Unrecht ohne Bezugnahme auf den Zeitpunkt des [X.] der Einspruchsentscheidung verpflichtet, der Klägerin Kindergeld auszuzahlen. Soweit das [X.] jedoch sinngemäß entschieden hat, dass die Klägerin jedenfalls auch im Zeitpunkt des [X.] der Einspruchsentscheidung einen Auszahlungsanspruch in Höhe des Kindergelds für die Monate Mai 2018 bis April 2019 gehabt habe, ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.

1. Ist streitig, ob der Auszahlung des festgesetzten Kindergelds § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.[X.] entgegensteht, ist gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 [X.] ein [X.] zu erlassen (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 21.09.2021 - VII R 9/18, [X.], 44, Rz 26, m.w.N.). Auch wenn die Familienkasse ihre Entscheidung nicht als "[X.]" bezeichnet und § 218 Abs. 2 [X.] nicht erwähnt hat, liegt ein solcher vor, wenn sich aus dem Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ergibt, dass die Familienkasse nicht über die Festsetzung von Kindergeld, sondern über den Anspruch des [X.] auf Auszahlung des festgesetzten Kindergelds entschieden hat ([X.]surteil vom 19.02.2020 - III R 66/18, [X.], 294, [X.] 2020, 704, Rz 14, m.w.N.).

2. Die Abrechnung ist auf der Basis der formellen Bescheidlage vorzunehmen ([X.]surteil vom 19.02.2020 - III R 66/18, [X.], 294, [X.] 2020, 704, Rz 31). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung; das ist regelmäßig --wenn der [X.] später nicht noch einmal (zum Beispiel auf Anregung des [X.]) geändert wird-- der Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung im Abrechnungsverfahren (vgl. z.B. [X.] vom 21.09.2021 - VII R 9/18, [X.], 44, Rz 26, m.w.N.).

a) Für den [X.] betreffend die Auszahlung von Kindergeld ist auf die im maßgeblichen Zeitpunkt wirksame (§ 124 [X.]) Kindergeldfestsetzung abzustellen; ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ob sie bestandskräftig ist oder noch geändert werden könnte, ist ohne Belang, solange sie nicht nichtig (§ 124 Abs. 3 [X.]) oder erledigt ist (§ 124 Abs. 2 [X.]).

Wurde das Kindergeld entgegen § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] ohne Einschränkung auf die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, rückwirkend festgesetzt, ist diese Festsetzung im Abrechnungsverfahren maßgeblich. Das [X.] kann die Kindergeldfestsetzung im Abrechnungsverfahren nicht ändern oder korrigieren; es ist an die Bescheidlage gebunden. Das gilt auch dann, wenn der Bescheid, mit dem die Familienkasse das Kindergeld festgesetzt hat, zum Beispiel wegen Verletzung von § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] rechtswidrig sein sollte.

b) Die im [X.] erfolgende Entscheidung über das Bestehen des Anspruchs auf Auszahlung des festgesetzten Kindergelds hängt davon ab, dass die betreffende [X.] im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht gemäß § 47 [X.] erloschen ist (zum Beispiel durch Erfüllung oder Aufrechnung).

c) Dem festgesetzten Kindergeldanspruch darf außerdem keine dem Erhebungsverfahren zuzuordnende Auszahlungsbeschränkung entgegenstehen. Im Streitfall kommt insoweit allein § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.[X.] in Betracht, wonach die Auszahlung des festgesetzten Kindergelds auf die letzten sechs Kalendermonate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, beschränkt ist.

aa) Die in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.[X.] geregelte, verfassungsgemäße Auszahlungsbeschränkung (vgl. [X.]sbeschluss vom 22.09.2022 - III R 21/21, [X.], 201, [X.] 2023, 249; [X.]/[X.]/[X.], § 70 EStG Rz 19) betrifft nur Anträge, welche nach dem 18.07.2019 eingegangen sind (§ 52 Abs. 50 Satz 1 EStG). Für Anträge, die nach dem 31.12.2017 und vor dem 18.07.2019 eingegangen sind und für die somit § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] gilt (§ 52 Abs. 49a Satz 8 i.d.[X.] bis 29.02.2020 bzw. Satz 10 i.d.[X.] ab 01.03.2020), gibt es keine derartige, dem Erhebungsverfahren zuzuordnende Auszahlungsbeschränkung. § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] betrifft vielmehr das Festsetzungsverfahren ([X.]surteil vom 19.02.2020 - III R 66/18, [X.], 294, [X.] 2020, 704). Im Erhebungsverfahren und damit auch im [X.] ist § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] nicht zu berücksichtigen.

bb) Für die Frage, ob ein wirksamer [X.] vorliegt und wann er eingegangen ist, ist bei Antragseingang bis einschließlich 09.12.2020 § 67 Satz 1 EStG i.d.[X.] vor Inkrafttreten des [X.] von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen vom 03.12.2020 ([X.], 2668) maßgeblich. Hiernach war der Antrag auf Kindergeld "schriftlich" zu stellen. Der zweite Halbsatz ("eine elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle ist zulässig, soweit der Zugang eröffnet wurde") wurde erst mit Wirkung ab dem 10.12.2020 eingefügt und ist für vorher gestellte Anträge ohne Belang.

cc) Jedenfalls bis einschließlich 09.12.2020 --und damit auch im Juli 2019-- konnte ein [X.] auch mit einer einfachen E-Mail ohne Beifügung des amtlichen Vordrucks im [X.] gestellt werden, selbst wenn sie nur einfach und nicht qualifiziert elektronisch signiert war, also keine Unterschrift und kein elektronisch erstelltes Unterschriftssurrogat enthielt. Ob sich dies ab dem 10.12.2020 durch das Einfügen des zweiten Halbsatzes in § 67 Satz 1 EStG geändert hat, muss der [X.] im Streitfall nicht entscheiden.

(1) Die Verwendung des amtlichen Vordrucks war für die Antragstellung nicht erforderlich ([X.]sbeschluss vom 25.08.2009 - III B 136/08, juris; [X.]/[X.]/[X.], § 67 EStG Rz 11; [X.]/[X.], [X.], Kommentar, Fach A Steuerlicher [X.], [X.] Kommentierung, § 67 Rz 3; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 67 EStG Rz 6). Es war auch nicht notwendig, dass der Berechtigte ausdrücklich einen "Antrag" stellte. Es genügte, dass sich dies dem Text durch Auslegung entnehmen ließ. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Bürger diejenige Verfahrenserklärung abgeben will, die erforderlich ist, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg --hier die Zahlung von Kindergeld durch die [X.] zu kommen ([X.] Hamburg, Urteil vom 06.07.1999 - I 1174/97, juris; [X.] in [X.][X.], EStG, § 67 Rz B 15).

(2) Gemäß § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] (in die Abgabenordnung eingefügt durch Art. 4 Nr. 4 des [X.] vom 21.08.2002, [X.], 3322) war die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet hatte. Gemäß § 87a Abs. 3 Satz 1 [X.] konnte die durch Gesetz für Anträge an die Finanzbehörden --zu denen auch die Familienkassen gehören (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 [X.])-- angeordnete Schriftform durch eine elektronische Form ersetzt werden. Gemäß § 87a Abs. 3 Satz 2 [X.] genügte der elektronischen Form ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Da eine qualifizierte Signatur eine Unterschrift ersetzt, war sie jedoch nur in den Fällen erforderlich, in denen ein [X.] besteht (vgl. BFH-Urteile vom 18.10.2006 - XI R 22/06, [X.], 47, [X.] 2007, 276, unter I[X.]1., zur Klageerhebung; vom 26.10.2006 - V R 40/05, [X.], 53, [X.] 2007, 271, zur Klagerücknahme ohne qualifizierte Signatur; Anwendungserlass zur Abgabenordnung Nr. 3.2.4. Satz 1 und 2 zu § 87a [X.]; [X.], Abgabenordnung, 4. Aufl., § 87a Rz 43; [X.] in [X.], [X.] § 87a Rz 71; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 87a [X.] Rz 111 f.; a.A. [X.] in Tipke/[X.], § 87a [X.] Rz 13). Ansonsten genügte in den Fällen des § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.], in denen der Empfänger einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente geschaffen hat, eine E-Mail mit einem die Person des Antragstellers erkennbar machenden Zusatz, wie etwa einer Namensangabe als Abschluss der E-Mail.

(3) Entgegen der von der Familienkasse vertretenen Auffassung (vgl. V 5.2 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern zum Kindergeld nach dem EStG 2023) enthielt (und enthält) § 67 Satz 1 EStG kein [X.].

(a) Im Steuerrecht kann aus dem Begriff "schriftlich", wie er in § 67 Satz 1 EStG verwendet wird, nicht ohne Weiteres ein [X.] im Sinne des § 126 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) abgeleitet werden (vgl. [X.]surteil vom 13.05.2015 - III R 26/14, [X.], 12, [X.] 2015, 790, Rz 15, m.w.N.). § 67 Satz 1 EStG, § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] und § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.[X.] enthalten keine Regelung, wonach der Antrag unterschrieben worden sein muss, um die [X.] in Gang zu setzen (vgl. das [X.] in § 46 Abs. 3 Satz 2 [X.], § 95 Abs. 5 Satz 3 [X.], § 7 Abs. 2 Satz 1 des [X.] 2010 oder § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG i.V.m. § 150 Abs. 3 [X.]). Die Vorschriften enthalten umgekehrt aber auch keine eindeutige Regelung, dass ein [X.] nicht unterschrieben werden muss, um die Bearbeitung des [X.]s anzustoßen und die [X.] in Gang zu setzen.

(b) Folgt aus dem Wortlaut einer gesetzlichen Vorschrift kein eindeutiges [X.], kann ein solches allein anhand ihres Wortlauts aber auch nicht ausgeschlossen werden, ist in Fällen, in denen das Gesetz den Begriff "schriftlich" verwendet, im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob eine der Funktionen erfüllt werden muss, die der Unterschrift zugeordnet werden (z.B. die Abschluss-, Perpetuierungs-, Identitäts-, Echtheits-, Verifikations-, Beweis- und Warnfunktion; vgl. etwa [X.]surteil vom 13.05.2015 - III R 26/14, [X.], 12, [X.] 2015, 790, Rz 15, m.w.N.; [X.] in [X.], [X.] § 87a Rz 73).

Im Fall des § 67 Satz 1 EStG sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift dafür, keine Unterschrift des [X.] oder seines Vertreters zu verlangen. § 126 Abs. 1 BGB ist nicht anzuwenden.

Das Kindergeld dient dazu, einen Einkommensbetrag in Höhe des [X.] von der Besteuerung freizustellen. Soweit es dazu nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 1 und 2 EStG). Was die Freistellung des [X.] anbelangt, ist zu berücksichtigen, dass das Kindergeld schon während des laufenden Jahres einen (vorläufigen) Ausgleich für den über die Lohnsteuer oder die Einkommensteuervorauszahlungen erfolgenden Zugriff des Staates auf den für den Kindesunterhalt erforderlichen Einkommensanteil schaffen soll. Schon dies spricht dafür, den Zugang zum Kindergeld niederschwellig zu halten und vom [X.] nicht mehr zu fordern, als für die Einleitung und die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens erforderlich ist. Aber auch soweit das Kindergeld eine einkommensteuerrechtliche Förderung der Familie durch eine Sozialzwecknorm (s. hierzu [X.]surteil vom 09.02.2012 - III R 68/10, [X.], 421, [X.] 2012, 686, Rz 14, m.w.N.) beinhaltet, entspricht es dem vom Gesetzgeber verfolgten [X.], den Zugang zum Kindergeld nicht durch strenge Formanforderungen zu erschweren.

Bei einem Antrag, der die Bearbeitung lediglich anstößt, aber noch nicht unmittelbar zum Abschluss des Verfahrens führt, muss zwar die Identität des Antragstellers feststellbar sein und erkennbar sein, dass und für welche Kinder er Kindergeld begehrt. "Schriftlich" bedeutet hiernach im Fall des § 67 Satz 1 EStG, dass der [X.] verschriftlicht sein muss, damit sein Inhalt im Verwaltungsverfahren, aber auch im [X.] und Klageverfahren dokumentiert und überprüfbar ist. Ein rein mündlicher (nicht förmlich zu Protokoll erklärter) und insbesondere ein telefonisch gestellter Antrag genügt diesen Anforderungen nicht ([X.]/[X.], [X.], Kommentar, Fach A Steuerlicher [X.], [X.] Kommentierung, § 67 Rz 5; [X.]/[X.], § 67 EStG Rz 6), denn es ließe sich im Nachhinein nicht stets verlässlich überprüfen, ob und gegebenenfalls für welche Kinder und für welche Monate ein [X.] gestellt wurde. Eine Unterschrift des Antragstellers oder seines Vertreters ist zu Dokumentationszwecken hingegen nicht erforderlich, sondern kann gegebenenfalls dann gefordert werden, wenn Zweifel an der Urheberschaft der Erklärung bestehen.

Zum Schutz oder zur besonderen Warnung des Antragstellers vor den Folgen seines Antrags ist beim Antrag auf Kindergeld ebenfalls keine Unterschrift erforderlich; der [X.] hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3 [X.] und bewirkt, dass das Kindergeld --gegebenenfalls nach weiteren [X.] festgesetzt werden kann.

(4) Da eine qualifizierte Signatur --wie ausgeführt-- eine Unterschrift ersetzt und für einen [X.] kein [X.] besteht, genügte im Streitfall eine E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur, um einen formwirksamen [X.] zu stellen.

3. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zutreffend entschieden, dass der angefochtene [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig ist, weil die Klägerin jedenfalls am 29.06.2020 einen noch zu erfüllenden Kindergeldanspruch für zwei Kinder für die Monate Mai 2018 bis einschließlich April 2019 hatte.

Das [X.] hätte den [X.] allerdings nicht aufheben dürfen, sondern es hätte ihn --wie aus dem Tenor ersichtlich-- korrigieren und dabei auf den Zeitpunkt des [X.] der letzten Verwaltungsentscheidung im Abrechnungsverfahren abstellen müssen. Zuvor hätte es gemäß § 76 Abs. 2 [X.]O auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin hinwirken müssen.

a) Wie ausgeführt, ist im Abrechnungsverfahren die formelle Bescheidlage im Zeitpunkt des [X.] der letzten Verwaltungsentscheidung im Abrechnungsverfahren --hier der [X.] maßgeblich. Bei Ergehen der Einspruchsentscheidung am 29.06.2020 war der Bescheid vom [X.], mit dem die Familienkasse das Kindergeld ohne Einschränkung für die Monate ab Mai 2018 festgesetzt hatte, wirksam. Ein Verstoß gegen § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] führt für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der Kindergeldfestsetzung. Ob das Kindergeld gemäß § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] erst ab Januar 2019 festgesetzt hätte werden dürfen und ob der Bescheid rechtswidrig war, ist im Abrechnungsverfahren ohne Belang.

b) Anhaltspunkte dafür, dass der Zahlungsanspruch der Klägerin bei Ergehen der Einspruchsentscheidung im Abrechnungsverfahren zum Beispiel durch Erfüllung erloschen war, bestehen nicht.

c) Dem Kindergeldanspruch der Klägerin stand keine dem Erhebungsverfahren zuzuordnende Auszahlungsbeschränkung entgegen.

§ 66 Abs. 3 EStG a.[X.] betrifft --wie ausgeführt-- das Festsetzungsverfahren. Im Erhebungsverfahren und damit auch im [X.] ist § 66 Abs. 3 EStG a.[X.] nicht zu berücksichtigen. § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG n.[X.] ist im Streitfall nicht anwendbar. Die Vorschrift gilt erst für nach dem 18.07.2019 gestellte Anträge. Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des [X.] hat die Klägerin jedoch bereits am [X.] mit einer E-Mail einen wirksamen [X.] gestellt.

aa) Die E-Mail vom [X.] war nach den oben dargestellten Grundsätzen unter Berücksichtigung von § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] ein formwirksamer [X.] im Sinne des § 67 Satz 1 EStG in der bis einschließlich 09.12.2020 geltenden Fassung. Die Übermittlung elektronischer Dokumente war nach § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] zulässig, weil die Familienkasse hierfür einen Zugang eröffnet hatte. Dass die E-Mail nicht qualifiziert signiert und dass ihr auch sonst keine Unterschrift (zum Beispiel im [X.]) beigefügt war, ist --wie ausgeführt-- ohne Belang, da auch ein schriftlich gestellter [X.] nicht unterschrieben werden musste.

bb) Das Fehlen einer Unterschrift und einer qualifizierten elektronischen Signatur führte im Streitfall auch nicht zu Zweifeln der Familienkasse an der Ernsthaftigkeit und der Urheberschaft des Antrags der kindergeldberechtigten Klägerin. Nach den Feststellungen des [X.] konnte die Familienkasse bereits aus der E-Mail vom [X.] den vollständigen Namen und die Adresse der Klägerin, die frühere [X.] und die Höhe des begehrten Kindergelds sowie den Zeitraum, für den das Kindergeld festgesetzt werden sollte, erkennen und ohne Weiteres ableiten, für welche Kinder sie Kindergeld begehrte.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O. Die Klägerin ist an den Verfahrenskosten nicht zu beteiligen. Der [X.] legt ihren Antrag vor dem [X.] rechtsschutzgewährend dahin aus, dass sie mit der Klage eine Korrektur des [X.]s zum 29.06.2020 anstrebte; im Übrigen wäre § 136 Abs. 1 Satz 3 [X.]O anzuwenden gewesen.

Meta

III R 38/21

12.10.2023

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 6. Juli 2021, Az: 5 K 1714/20, Urteil

§ 87a Abs 3 S 1 AO, § 87a Abs 3 S 2 AO, § 218 Abs 1 S 2 AO, § 66 Abs 3 EStG 2009 vom 23.06.2017, § 67 S 1 EStG 2009, § 70 Abs 1 S 2 EStG 2009 vom 11.07.2019, Abschn V5.2 Abs 1 S 1 DA-KG 2023, Abschn V5.2 Abs 1 S 2 DA-KG 2023, EStG VZ 2018, EStG VZ 2019

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.10.2023, Az. III R 38/21 (REWIS RS 2023, 8582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8582

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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