Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.01.2024, Az. III R 15/23

3. Senat | REWIS RS 2024, 2299

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Gegenstand

Zulässigkeit eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach an das besondere elektronische Behördenpostfach der Familienkasse übermittelten Kindergeldantrags


Leitsatz

1. § 67 Satz 1 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (i.d.F. des Gesetzes zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen) begründet keine Sperrwirkung dahingehend, dass ein elektronischer Kindergeldantrag nur noch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle zulässig ist.

2. Hat die Familienkasse einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente über das besondere elektronische Behördenpostfach eröffnet, kann darüber ein elektronischer Kindergeldantrag auch ohne Verwendung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes formwirksam gestellt werden.

Tenor

Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 20.04.2023 - 9 K 39/23 und der Ablehnungsbescheid der Familienkasse vom [X.] in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 aufgehoben.

Die Familienkasse wird verpflichtet, über den Kindergeldantrag des [X.] vom 27.12.2021/31.12.2021 erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Klageverfahrens hat die Familienkasse zu tragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein [X.] formwirksam gestellt worden ist.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Rechtsanwalt, teilte der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) am XX.12.2021 mit, dass seine Ehefrau am XX.09.2021 verstorben sei. Er beantragte, das Kindergeld für seine beiden Kinder P, geboren am [X.], und [X.], geboren am [X.], ab sofort an ihn zu zahlen. Er gab seine Kontonummer an und fügte dem Schreiben als Anlagen die Sterbeurkunde, die Heiratsurkunde sowie die [X.]eburtsurkunden und Ausbildungsnachweise der Kinder bei. Das Schreiben enthielt in der Betreffzeile die [X.] der Ehefrau des [X.], die bis zu ihrem Tod das Kindergeld für die gemeinsamen Kinder bezogen hatte. Das Schreiben vom 27.12.2021 übermittelte der Kläger an die Familienkasse elektronisch über das besondere elektronische Anwaltspostfach [X.]) an das besondere elektronische Behördenpostfach ([X.]). Es wurde von ihm qualifiziert elektronisch signiert.

3

Am 31.12.2021 übersandte der Kläger ebenfalls mit qualifizierter elektronischer Signatur über [X.] an das [X.] den Antrag auf Kindergeld und für jedes Kind eine Anlage Kind. Die auf diesem Wege eingereichten Vordrucke enthielten vom Kläger ergänzte inhaltliche Angaben, waren aber nicht handschriftlich unterschrieben. Sie kamen bei der Familienkasse als unausgefüllte Dokumente an.

4

Im Verlauf der sich anschließenden Korrespondenz zwischen den Beteiligten wurde deutlich, dass die Familienkasse das Ausfüllen der Vordrucke und die eigenhändige Unterschrift verlangte. Der Kläger verwies darauf, dass die qualifizierte elektronische Signatur die Unterschrift ersetze.

5

Mit Bescheid vom [X.] lehnte die Familienkasse den Antrag des [X.] auf Kindergeld für die Kinder P und [X.] ab. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 30.04.2022, das er qualifiziert elektronisch signierte, Einspruch ein.

6

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung verwies die Familienkasse insbesondere darauf, dass § 67 des Einkommensteuergesetzes (ESt[X.]) eine Antragstellung per beA beziehungsweise [X.] nicht zulasse.

7

Hiergegen erhob der Kläger beim Finanzgericht (F[X.]) Klage mit dem Begehren, die Familienkasse zu verpflichten, seinen Antrag auf Kindergeld für die Kinder P und [X.] unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom [X.] in [X.]estalt der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 inhaltlich unter Berücksichtigung der von ihm eingereichten, mit qualifizierter elektronischer Signatur unterschriebenen Antragsunterlagen zu bescheiden.

8

In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger vor, er habe den [X.] nicht "elektronisch", sondern "schriftlich" gestellt und seine Unterschrift durch die qualifizierte elektronische Signatur ersetzt.

9

Das F[X.] wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EF[X.]) 2023, 1189 veröffentlichten [X.]ründen ab. Nach Ansicht des F[X.] hat der Kläger keinen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld, da die nach § 67 ESt[X.] geforderten Formalien bei der Antragstellung nicht beachtet worden seien.

Mit der vom F[X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen F[X.] vom 20.04.2023 - 9 K 39/23 abzuändern und die Familienkasse zu verurteilen, an ihn Kindergeld für seine beiden Töchter P und [X.] in Höhe des gesetzlichen Kindergeldsatzes, also ab Januar 2022 je Kind 219 € pro Monat und ab Januar 2023 je Kind 250 € pro Monat, jeweils von der Einstellung der Zahlung des Kindergeldes an seine verstorbene Ehefrau bis zu dem Abschluss der Ausbildung oder dem Eintritt der gesetzlichen Altersgrenze der Kinder, je nachdem was zuerst eintritt, zu zahlen;
hilfsweise,
die Familienkasse zu verpflichten, seinen Antrag auf Kindergeld für seine Töchter P und [X.] unter Aufhebung der Ablehnung des Antrags auf Kindergeld vom [X.] in [X.]estalt der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 inhaltlich unter Berücksichtigung der von ihm eingereichten, mit qualifizierter elektronischer Signatur unterschriebenen Antragsunterlagen zu bescheiden.

Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf die zutreffenden Ausführungen des Urteils. Ergänzend weist sie darauf hin, dass zum einen die Übermittlung des (leeren) Antragsformulars vom 27.12.2021 beziehungsweise 31.12.2021 nicht an das [X.] der Familienkasse Hessen, sondern an das der [X.] erfolgt sei; damit sei der Antrag nicht bei der nach § 67 ESt[X.] zuständigen Stelle eingegangen. Zum anderen seien die Antragsunterlagen der Familienkasse erstmals im Klageverfahren (am 17.04.2023) ausgefüllt, wenn auch nicht unterschrieben, übermittelt worden.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist mit dem Hauptantrag unzulässig; sie ist aber hinsichtlich des [X.] begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Bescheids vom [X.] in [X.]estalt der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2022 und zur Verpflichtung der Familienkasse, über den [X.] des [X.] erneut zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --F[X.]O--).

1. Soweit der Kläger mit der Revision begehrt, die Familienkasse zu verurteilen, Kindergeld in gesetzlicher Höhe für seine beiden Töchter zu zahlen, ist die Revision unzulässig.

a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 F[X.]O sind Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig. Ein Revisionsantrag darf nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Eine Erweiterung des Klageantrags im Revisionsverfahren ist unzulässig (Urteile des [X.] --[X.]-- vom 22.05.2006 - VI R 61/05, [X.], 45; vom 28.03.2012 - II R 42/11, [X.], 1486, Rz 30 und vom 15.10.2014 - II R 14/14, [X.], 228, [X.], 405, Rz 13).

b) Im finanzgerichtlichen Verfahren hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausschließlich beantragt, die Familienkasse zu verpflichten, den Antrag des [X.] auf Kindergeld unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung inhaltlich unter Berücksichtigung der von ihm mit qualifizierter elektronischer Signatur unterschriebenen Antragsunterlagen zu bescheiden. [X.]egenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war dementsprechend nur die Frage, ob der vom Kläger gestellte Antrag den Voraussetzungen des § 67 ESt[X.] i.V.m. § 87a der Abgabenordnung ([X.]) entsprach, hingegen nicht, ob die übrigen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach §§ 62, 63, 32 ESt[X.] für die Töchter [X.] und [X.] vorlagen. Im Revisionsverfahren beantragt der Kläger dagegen den Erlass eines Vornahmeurteils (§ 101 Satz 1 F[X.]O), nämlich die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für [X.] und [X.] auf bestimmte Beträge ab einem bestimmten Zeitpunkt festzusetzen (als Voraussetzung für die Zahlung der Familienleistung). Da die Vorinstanz lediglich über das erstinstanzliche Bescheidungsbegehren zu entscheiden hatte (§ 96 Abs. 1 Satz 2 F[X.]O), kann der [X.] --obgleich er im [X.]runde den nämlichen Streitgegenstand betrifft-- im Revisionsverfahren nicht mehr gestellt werden. Eine unzulässige Erweiterung des Klagebegehrens hat der [X.] beispielsweise darin gesehen, dass der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nur die Verpflichtung des Finanzamts zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung, in der Revisionsinstanz hingegen die Festsetzung der Einkommensteuer auf einen bestimmten Betrag beantragt hatte ([X.]-Urteil vom 22.05.2006 - VI R 61/05, [X.], 45). Nichts anderes kann gelten, wenn im Rahmen einer Verpflichtungsklage der Kläger erstmals mit seinem Revisionsantrag einen [X.] begehrt (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 123 F[X.]O Rz 7; Rüsken in [X.]osch, F[X.]O § 123 Rz 3). Unberührt hiervon bleibt allerdings, dass das [X.] regelmäßig auch den [X.] umfasst ([X.]-Urteil vom 11.04.2012 - I R 63/11, [X.]E 237, 29, [X.], 539, Rz 10, m.w.N.).

2. Im Hilfsantrag ist die Revision jedoch begründet.

Der vom Kläger gestellte [X.] über [X.] beziehungsweise beB[X.]o ist zu Unrecht als formunwirksam im Sinne des § 67 Satz 1 ESt[X.] i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] abgelehnt worden.

a) Nach § 67 Satz 1 ESt[X.] (i.d.F. des [X.]esetzes zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der [X.]ewährung von Familienleistungen vom 03.12.2020, B[X.]Bl I 2020, 2668, 2671, BStBl I 2020, 1350) ist das Kindergeld bei der zuständigen Familienkasse schriftlich zu beantragen; eine elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle ist zulässig, soweit der Zugang eröffnet wurde.

b) Nach den Feststellungen des F[X.] übermittelte der Kläger sowohl das Schreiben vom 27.12.2021 als auch das Schreiben vom 31.12.2021 an die Familienkasse elektronisch über das [X.] an das beB[X.]o, über das die Familienkasse erreichbar war. Soweit die Familienkasse erstmals im Revisionsverfahren geltend macht, der Antrag des [X.] über das [X.] sei nicht an das beB[X.]o der Familienkasse, sondern an das beB[X.]o der [X.] gerichtet gewesen, geht ihr Revisionsangriff ins Leere, weil sie insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen gegen die Feststellungen des F[X.] erhoben hat. Der Vortrag der Familienkasse stellt sich demnach als im Revisionsverfahren nicht zu [X.] neues tatsächliches Vorbringen dar (§ 118 Abs. 2 F[X.]O).

Unabhängig hiervon hat die [X.] nach Aktenlage die bei ihr eingegangen Unterlagen, mit E-Mail vom 03.01.2022 an die zuständige Familienkasse weitergeleitet. Wird der [X.] bei der sachlich oder örtlich unzuständigen Familienkasse eingereicht, hat diese den Antrag unverzüglich an die zuständige Familienkasse weiterzuleiten. Der [X.] trägt insoweit nur das Risiko der rechtzeitigen Übermittlung, was vor allem im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 Satz 2 ESt[X.] und für die Hemmung der Festsetzungsverjährung von Bedeutung sein kann. [X.] wirkt aber ein Antrag, der bei der Außenstelle derjenigen [X.] eingeht, bei der die zuständige Familienkasse eingerichtet ist ([X.]surteil vom 25.09.2014 - III R 25/13, [X.]E 247, 233, [X.], 847; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 67 ESt[X.] Rz 6).

c) Entscheidend ist daher im Streitfall allein die Frage, ob die Einreichung des Antrags mit einer qualifizierten elektronischen Signatur über das [X.] an das beB[X.]o die Voraussetzungen des § 67 Satz 1 ESt[X.] erfüllen kann. Nach Auffassung des [X.]s kann auch nach der durch das [X.]esetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der [X.]ewährung von Familienleistungen erfolgten Änderung des § 67 Satz 1 ESt[X.] ein formwirksamer [X.] über ein [X.] an ein beB[X.]o der Familienkasse gestellt werden.

aa) Wie der [X.] in seinem Urteil vom 12.10.2023 - III R 38/21 ([X.]/NV 2024, 199) ausgeführt hat, ist nach § 67 Satz 1 ESt[X.] i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] in der bis einschließlich 09.12.2020 geltenden Fassung ein [X.] auch mit einer einfachen E-Mail ohne Beifügung des amtlichen Vordrucks im [X.]DF-Format möglich, sofern die Familienkasse für die Übermittlung elektronischer Dokumente einen Zugang eröffnet hat. Bei einem [X.], der die Bearbeitung lediglich anstößt, aber noch nicht unmittelbar zum Abschluss des Verfahrens führt, muss lediglich die Identität des Antragstellers feststellbar sein und erkennbar sein, dass und für welche Kinder er Kindergeld begehrt (Rz 35). "Schriftlich" bedeutet hiernach im Fall des § 67 Satz 1 Halbsatz 1 ESt[X.] i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.], dass der [X.] verschriftlicht sein muss, damit sein Inhalt im Verwaltungsverfahren, aber auch im [X.] und Klageverfahren dokumentiert und überprüfbar ist; eine Unterschrift ist nicht erforderlich (Rz 35). In seiner Entscheidung vom 12.10.2023 - III R 38/21 ([X.]/NV 2024, 199, Rz 27) hat der [X.] aber ausdrücklich offen gelassen, ob sich durch Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 67 Satz 1 ESt[X.] ([X.]eltung ab 10.12.2020) für § 67 Satz 1 Halbsatz 1 ESt[X.] i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] eine Änderung ergeben hat.

bb) Durch das [X.]esetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der [X.]ewährung von Familienleistungen wurde § 67 Satz 1 ESt[X.] dahingehend ergänzt, dass eine elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle zulässig ist, soweit der Zugang eröffnet wurde. Diese Schnittstelle hat der Kläger unstreitig nicht genutzt und insoweit die Anforderungen nach § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] nicht erfüllt.

cc) Die Einreichung des Antrags über das [X.] an das beB[X.]o genügt aber den Anforderungen an die geforderte "schriftliche Antragstellung" im Sinne des § 67 Satz 1 Halbsatz 1 ESt[X.] i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.]. Darüber hinaus begründet § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] keine Sperrwirkung dahingehend, dass eine elektronische Kommunikation nur noch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle zulässig ist.

(1) Dem [X.] nach § 67 Satz 1 Halbsatz 1 ESt[X.] wird genügt, wenn sich die [X.]eltendmachung eines Anspruchs auf Kindergeld aus einem vom Antragsteller herrührenden Schriftstück ergibt; die Verwendung eines amtlichen Vordrucks ist nicht vorgesehen ([X.]/[X.], § 67 ESt[X.] Rz 6, m.w.N.). § 67 Satz 1 Halbsatz 1 ESt[X.] i.V.m. § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] gestattet die Übermittlung des [X.]s auch als elektronisches Dokument, zum Beispiel als E-Mail ([X.]surteil vom 12.10.2023 - III R 38/21, [X.]/NV 2024, 199, Rz 27). Voraussetzung für die rechtswirksame Übermittlung eines elektronischen Dokuments ist allerdings, dass der Empfänger für die betreffende Art der elektronischen Übermittlung einen Zugang eröffnet hat (§ 87a Abs. 1 Satz 1 [X.]). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor.

(a) Der Kläger hat die Schreiben vom 27.12.2021 und 31.12.2021 mit qualifizierter elektronischer Signatur über das ihm als Anwalt zur Verfügung stehende [X.] an das beB[X.]o übermittelt. In diesen Schreiben hat er unter anderem den Wechsel des [X.]n und die [X.] mitgeteilt. Außerdem hat er Ausbildungsnachweise für seine Töchter beigefügt. Der Kläger war daher als Antragsteller identifizierbar; sein Begehren war erkennbar. Dies ergibt sich auch aus dem Schreiben der Familienkasse vom 14.01.2022, in dem ihn die Familienkasse unter der angegebenen [X.] aufforderte, die Vordrucke "Antrag" und "Anlage Kind" einzureichen, um über den Kindergeldanspruch abschließend entscheiden zu können.

(b) Für diese Art der elektronischen Übermittlung hat die Familienkasse auch den Zugang nach § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] eröffnet. Nach § 87a Abs. 1 Satz 1 [X.] kann die Zugangseröffnung ausdrücklich, konkludent, generell oder nur für bestimmte Fälle erfolgen.

(aa) [X.]emäß § 1 Abs. 1 i.V.m § 2 Abs. 1 des [X.]esetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung vom 25.07.2013 sind Behörden des [X.] einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts, zum Beispiel das [X.]zentralamt für Steuern, die Hauptzollämter und die Familienkassen, seit dem 01.07.2014 (Art. 31 Abs. 2 des [X.]esetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften) verpflichtet, auch einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente zu eröffnen. Dies gilt auch für elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind.

Im Streitfall hat die Familienkasse für vom [X.] übersandte Dokumente den Zugang zum beB[X.]o konkludent eröffnet. Das F[X.] hat festgestellt, dass die Familienkasse über das beB[X.]o objektiv erreichbar ist. Entgegen der Ansicht des F[X.] und der Familienkasse ist nicht erforderlich, dass die Behörde auch ausdrücklich subjektiv den Zugang über das beB[X.]o eröffnet. Die [X.] sind gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach ([X.] --[X.]--) für andere Inhaber besonderer elektronischer [X.]ostfächer adressierbar. Der Zugang ist daher bereits eröffnet, wenn er für den Bürger faktisch verfügbar ist (Müller in [X.]/[X.], juris[X.]K-ERV Band 3, 2. Aufl. § 3a VwVf[X.], Rz 25). Insoweit ist die subjektive Eröffnung eines Zugangs seitens der Behörde nicht mehr erforderlich, da die erforderliche Bereitschaft der Familienkasse, elektronische Mitteilungen entgegenzunehmen, durch § 6 Abs. 2 Nr. 2 [X.] gesetzlich vorgegeben ist (Langhein, [X.]-Steuerberater 2020, 25; vgl. F[X.] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom [X.] - 7 V 7130/19, EF[X.] 2019, 1877, Rz 31; a.[X.]/[X.] in [X.] - eKommentar, § 87a [X.], Rz 12).

Das hier in Anspruch genommene [X.] (§ 19 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen [X.] --RAV[X.]V-- vom 23.09.2016, B[X.]Bl I 2016, 2167) dient nicht nur der Kommunikation mit den [X.]erichten, sondern kann gemäß § 19 Abs. 2 RAV[X.]V auch der elektronischen Kommunikation mit anderen [X.]ersonen oder Stellen dienen. Eine Einschränkung enthält § 19 Abs. 2 RAV[X.]V --anders als beispielsweise die Regelungen über das besondere elektronische [X.] nicht. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 der Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung vom 25.11.2022 (B[X.]Bl I 2022, 2105) gilt die Kommunikation mit anderen Behörden über dieses besondere elektronische [X.]ostfach nicht für die Kommunikation mit der Finanzverwaltung, soweit diese ein anderes sicheres elektronisches Verfahren für die Übermittlung von Nachrichten und Dokumenten zur Verfügung stellt. Eine solche Einschränkung hat § 19 Abs. 2 RAV[X.]V nicht erfahren.

(bb) Selbst wenn man noch eine (subjektive) Widmung für erforderlich hielte, liegt eine solche im Streitfall jedenfalls vor. Das F[X.] hat für den [X.] bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 F[X.]O), dass die Familienkasse über beB[X.]o objektiv erreichbar war. Damit war sie mit der Einrichtung des elektronischen Behördenpostfachs als potentieller Adressat für die [X.]erichte und Rechtsanwälte sichtbar. Sie hat sich für die Nutzer der digitalen Kommunikation über das beB[X.]o erkennbar objektiv empfangsbereit gehalten und damit zumindest auch subjektiv konkludent den Zugang eröffnet, ohne dass hierfür [X.] erforderlich wäre (vgl. Urteil des [X.] vom 08.12.2020 - S 179 AS 10734/19, juris, Rz 26; vgl. Beschluss des [X.] vom 06.05.2021 - L 6 AS 64/21 [X.], Anwalt/Anwältin im Sozialrecht 2021, 277).

(2) Der Zulässigkeit der Übermittlung des Antrags über das [X.] an das beB[X.]o steht auch nicht § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] entgegen. § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] entfaltet keine Sperrwirkung für die Übermittlung eines Antrags in einer anderen als der in dieser Vorschrift vorgesehenen elektronischen Form, sofern auch für diese andere Übermittlungsart der Zugang nach § 87a [X.] eröffnet ist. Insoweit ist § 67 Satz 1 ESt[X.] nicht in der Weise (restriktiv) zu verstehen, dass sämtliche elektronische Kommunikationsformen nunmehr ausschließlich von § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] erfasst werden.

Für die Interpretation eines [X.]esetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des [X.]esetzgebers maßgebend. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des [X.]esetzgebers dienen neben der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), die [X.]esetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung), der Zusammenhang (systematische Auslegung) sowie der Zweck (teleologische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der [X.] dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen ([X.]-Urteil vom 13.09.2023 - II R 49/21, [X.]/NV 2024, 226, Rz 17, m.w.N.).

(a) Eine Sperrwirkung gegenüber anderen elektronischen Übermittlungsformen ist im Wortlaut des § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] nicht angelegt. Der zweite Halbsatz des § 67 Satz 1 ESt[X.] enthält keine Beschränkung der elektronischen Antragstellung im Kindergeldverfahren, welche beispielsweise durch die Worte "nur" oder "ausschließlich" hätte verdeutlicht werden können. Des Weiteren folgt aus der Formulierung "eine elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz … ist zulässig" gerade nicht, dass alle anderen elektronischen Formen ausgeschlossen sind. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich anderer steuerrechtlicher Regelungen, in denen eine Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Steuererklärungsdaten angeordnet wird. Eine derartige Verpflichtung begründen beispielsweise § 25 Abs. 4 und § 41a Abs. 1 Satz 2 ESt[X.], § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes, § 31 Abs. 1a Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes und § 14a Satz 1 des [X.]ewerbesteuergesetzes. In diesen Normen wird der Erklärungspflichtige durch die Worte "ist" oder "hat" zur Übermittlung "nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Datenfernübertragung" verpflichtet. Nur in diesen Fällen sind die Behörden regelmäßig nicht verpflichtet (Ausnahme Härtefall, vgl. § 150 Abs. 8 [X.]), einen anderen Übertragungsweg zu akzeptieren (vgl. [X.]-Beschluss vom 17.08.2015 - I B 133/14, [X.]/NV 2016, 72; [X.]-Urteil vom 15.05.2018 - VII R 14/17, [X.]/NV 2018, 1137). Eine derartige zwingende Formulierung enthält § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] hingegen gerade nicht. Der Wortlaut der Norm steht daher --sofern die Behörde einen Zugang eröffnet hat-- einer einfachen elektronischen Antragstellung, wie beispielsweise mittels einer E-Mail, nicht entgegen, wenn das [X.]esetz --wie hier für den Antrag auf [X.] nicht die Schriftform mit einer Unterschrift verlangt, sondern eine Erklärung genügen lässt, die zwar schriftlich, das heißt in Text- oder [X.]apierform erfolgen, aber keine Unterschrift enthalten muss (vgl. [X.]surteile vom 13.05.2015 - III R 26/14, [X.]E 250, 12, [X.], 790, Rz 16; vom 12.10.2023 - III R 38/21, [X.]/NV 2024, 199, Rz 31 ff.; a.A. Hessisches F[X.] [Vorinstanz], Urteil vom 20.04.2023 - 9 K 39/23, EF[X.] 2023, 1189, Rz 35, das seit der Änderung des § 67 ESt[X.] auch bei einer schriftlichen Antragstellung eine Unterschrift fordert).

(b) Die "elektronische Antragstellung" in § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] ist durch das [X.]esetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der [X.]ewährung von Familienleistungen eingefügt worden. Die Regelung soll nach der [X.]esetzesbegründung nur eine Klarstellung enthalten (BTDrucks 19/21987, S. 29). So wurde auch bisher bereits eine Antragstellung per E-Mail als möglich angesehen, wenn die Familienkasse nach § 87a [X.] einen Zugang für elektronische Dokumente eröffnet hat ([X.]/[X.], § 67 ESt[X.] Rz 6). Der Ausschluss einer anderen als der in Halbsatz 2 genannten elektronischen Antragstellung (und damit auch durch eine einfache E-Mail) wäre aber keine Klarstellung, sondern eine Einschränkung. In der [X.]esetzesbegründung wird weiterhin ausgeführt, dass der Nutzen des [X.]esetzes in erster Linie darin bestehen soll, "neue" nutzerfreundliche digitale Anwendungen bei der Beantragung von Familienleistungen zu ermöglichen (BTDrucks 19/21987, S. 2). Im Fokus stand zudem die [X.] und die Entbürokratisierung der Beantragung von Familienleistungen (BTDrucks 19/21987, [X.]). Dies spricht ebenfalls dafür, die bisher schon vorhandenen Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation bei entsprechender Zugangseröffnung weiterhin als zulässig und für eine Antragstellung ausreichend anzusehen. Auch soweit in der [X.]esetzesbegründung ausgeführt wird, dass die "elektronische Übermittlung … nur unter Verwendung eines standardisierten Datensatzes zulässig sein" (BTDrucks 19/21987, S. 29) soll, kann dies dahin verstanden werden, dass es sich nur um eine Vorgabe für die Übermittlung nach § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.], nicht hingegen für andere elektronische Übermittlungsarten handelt. Jedenfalls aber hat der möglicherweise bestehende Wille, alle anderen Formen der elektronischen Antragstellungen auszuschließen, im [X.]esetz --wie [X.] keinen hinreichenden Ausdruck gefunden.

(c) Für eine Beibehaltung auch anderer Formen der Übermittlung elektronischer Anträge bei entsprechender Zugangseröffnung spricht zudem der Sinn und Zweck des § 67 Satz 1 ESt[X.]. Wie der [X.] bereits in seinem Urteil vom 12.10.2023 - III R 38/21 ([X.]/NV 2024, 199, Rz 34) ausgeführt hat, dient das Kindergeld dazu, einen Einkommensbetrag in Höhe des [X.] von der Besteuerung freizustellen. Soweit es dazu nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 1 und 2 ESt[X.]). Was die Freistellung des [X.] anbelangt, ist zu berücksichtigen, dass das Kindergeld schon während des laufenden Jahres einen (vorläufigen) Ausgleich für den über die Lohnsteuer oder die Einkommensteuervorauszahlungen erfolgenden Zugriff des Staates auf den für den Kindesunterhalt erforderlichen Einkommensanteil schaffen soll. Schon dies spricht dafür, den Zugang zum Kindergeld niederschwellig zu halten und vom [X.]n nicht mehr zu fordern, als für die Einleitung und die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens erforderlich ist. Aber auch soweit das Kindergeld eine einkommensteuerrechtliche Förderung der Familie durch eine Sozialzwecknorm (s. hierzu [X.]surteil vom 09.02.2012 - III R 68/10, [X.]E 236, 421, [X.], 686, Rz 14, m.w.N.) beinhaltet, entspricht es dem vom [X.]esetzgeber verfolgten [X.], den Zugang zum Kindergeld nicht durch strenge Formanforderungen zu erschweren.

(d) Die Zulassung der Antragstellung durch Übermittlung einer anderen als der in § 67 Satz 1 Halbsatz 2 ESt[X.] vorgesehenen elektronischen Form führt auch nicht dazu, dass die auch durch das elektronische Dokument zu wahrenden Funktionen der "schriftlichen Antragstellung" (s. hierzu im Einzelnen [X.]surteil vom 12.10.2023 - III R 38/21, [X.]/NV 2024, 199, Rz 32 ff.) unterlaufen werden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 1 F[X.]O. Da der Kläger mit seiner Klage obsiegt, sind die Kosten des Klageverfahrens der Familienkasse aufzuerlegen. Die Revision des [X.] hat aber nur teilweise Erfolg, daher sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens verhältnismäßig zu teilen. Insoweit ist eine Kostenentscheidung nach Verfahrensabschnitten sachgerecht ([X.]-Urteil vom 28.04.2020 - VI R 45/17, [X.]/NV 2020, 1053, Rz 26). Auch diese wahrt den [X.]rundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung ([X.]surteil vom 04.08.2011 - III R 71/10, [X.]E 235, 203, [X.], 380, Rz 15).

Meta

III R 15/23

30.01.2024

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 20. April 2023, Az: 9 K 39/23, Urteil

§ 67 S 1 EStG 2009 vom 03.12.2020, § 87a Abs 1 S 1 AO, § 118 Abs 2 FGO, § 126 Abs 3 FGO, § 135 FGO, § 136 FGO, § 143 FGO, § 1 EGovG, § 2 EGovG, § 6 Abs 2 ERVV, § 19 RAVPV, EStG VZ 2021

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.01.2024, Az. III R 15/23 (REWIS RS 2024, 2299)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2299

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