Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.02.2004, Az. 1 StR 566/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4582

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Nachschlagewerk:ja[X.]St:jaVeröffentlichung jaStPO § 250, § 255aDer Augenschein durch Vorführen der zu Beweiszwecken erstellten [X.] über die Erklärung eines Zeugen ist im Zusammenhang mit [X.] zulässig (Fortführung von [X.], [X.], Beschluß vom 12. Februar 2004 - 1 StR 566/03 Œ [X.] StR 566/03vom12. Februar 2004in der [X.] -wegenschweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.- 3 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 12. Februar 2004 gemäߧ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. August 2003a) im Schuldspruch dahin geändert, daß in den Fällen II. 1 und2 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen jeweils tatein-heitlich begangenen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbe-fohlenen entfällt,b) im Strafausspruch dahin ergänzt, daß zum Ausgleich für [X.], die der Angeklagte in teilweiser Erfül-lung der ihm durch das [X.] am [X.] erteilten Bewährungsauflage geleistet hat, fünf [X.] auf die Vollstreckung der Gesamtfreiheits-strafe von vier Jahren angerechnet wird.Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels und die [X.] im Revisionsverfahren entstandenen [X.]:Dem Angeklagten liegt zur Last, seine beiden minderjährigen Stieftöch-ter M. und [X.]ab 1995 in einer Vielzahl von Fällen mißbraucht zuhaben. Das [X.] hat ihn deshalb wegen sexuellen Mißbrauchs von [X.] in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von [X.] in vier Fäl-len, wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit [X.] Mißbrauch von [X.] in 13 Fällen unter Einbeziehung ei-ner Verurteilung des [X.] vom 6. Juli 2000 zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von vier Jahren und wegen schweren sexuellen Mißbrauchsvon Kindern in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von [X.] in 17Fällen, wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellemMißbrauch von [X.] in vier Fällen, wegen sexuellen Mißbrauchsvon [X.] in 13 Fällen sowie wegen Beleidigung zu einer weiterenGesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendetsich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der allgemein erhobenen Sach-rüge. Das Rechtsmittel führt zu geringfügigen Änderungen im Schuldspruchund im Strafausspruch und hat im übrigen keinen Erfolg.I.1. Die Verfahrensrüge, das [X.] habe es unter Verstoß gegendie Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) unterlassen, nach dem letzten [X.] Angeklagten erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, hat keinen Erfolg.Die Revision trägt selbst vor, der Angeklagte habe nur erklärt, es sei über dievon ihm eingeräumten drei Fälle zu weiteren sexuellen Handlungen mit derGeschädigten M. gekommen. Einzelheiten hat er nicht mitgeteilt. Wie der- 5 -[X.] in seiner Zuschrift zutreffend dargelegt hat, wäre es [X.] unbenommen gewesen, zu erklären, nunmehr —reinen Tischfi ma-chen zu wollen. Damit hätte er selbst den Wiedereintritt in die Beweisaufnahmeherbeiführen können. Daß das [X.] dem Angeklagten verwehrt hätte,ein weitergehendes Geständnis abzulegen, behauptet die Revision nicht.2. Die Verfahrensbeschwerde wegen Verletzung des [X.] nach § 250 StPO dringt ebenfalls nicht durch. Der Rüge liegt fol-gender Verfahrensablauf zugrunde:a) [X.] hat am ersten Verhandlungstag die beiden geschä-digten Mädchen M. und [X.]als Zeuginnen vernommen und sie [X.] daran entlassen. Am zweiten Verhandlungstag hat sie die Vorführungder [X.] der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der [X.] vom 3. April 2003 vor dem [X.] beschlossen.Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die Vorführung werde auf § 255aAbs. 2 StPO gestützt, da die Zeuginnen unter 16 Jahre seien und der [X.] und sein Verteidiger der aufgezeichneten Vernehmung beigewohnt [X.]. Der Umstand, daß die Geschädigten bereits in der Hauptverhandlung ver-nommen worden seien, hindere die Inaugenscheinnahme der [X.] nicht. Die Angaben der Zeuginnen bei dieser Vernehmungmüßten zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, um die Kon-stanz der Aussagen zu überprüfen.b) Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung der Vorführung und [X.] der [X.] widersprochen. Mit ihrer Revisionmacht sie geltend, die Strafkammer habe mit der Vorführung der [X.] nach der persönlichen Vernehmung der beiden Zeuginnen nichtnur gegen § 255a StPO, sondern auch gegen den [X.]verstoßen. Die Zeuginnen hätten in ihrer Vernehmung in der [X.] ausgesagt. Durch die Vorführung der gesamten [X.] sei es zu einer kompletten Wiederholung der gesamten [X.] zum Tatgeschehen gekommen. Hinsichtlich der sich ergebenden [X.] habe die Verteidigung aus Gründen des Opferschutzes auf ihr Nachbefra-gungsrecht verzichtet. Die Verteidigung hätte in einer anschließenden [X.] die Zeuginnen zu Differenzen zu der vorher in Augenschein genom-menen [X.] befragen können.c) Die Vorführung der [X.] der ermittlungsrichterli-chen Vernehmung des Zeugen neben dessen persönlicher Vernehmung istzulässig; sie verstößt nicht gegen den [X.] (§ 250 StPO).Zu einer ergänzenden Protokollverlesung im Wege des [X.] hat der [X.] ([X.]St 20, 160, 161 f.; vgl. im übrigen [X.] 37, 317 f.; [X.], 609; [X.], Beschluß vom 30. Januar 2001 [X.]; [X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 250 [X.]. 17 [X.], [X.]. [X.]. 1094) ausgeführt:—§ 250 StPO untersagt nämlich nur die Ersetzung der Zeugenaussa-ge durch die Verwertung einer berichtenden, zu Beweiszwecken erstellten Ur-kunde, mag es sich dabei nun um ein Protokoll oder um eine schriftliche Erklä-rung des Zeugen handeln. Daß neben der Vernehmung der in Betracht [X.] als Zeuge eine frühere protokollarisch oder in einer schriftli-chen Erklärung festgehaltene Äußerung dieser Person im Wege des [X.] -denbeweises verwertet wird, verbietet die Vorschrift nicht. (–) Das Gesetz hatinsofern in § 253 StPO nur eine besondere Vorkehrung für die Verwendungvon P r o t o k o l l e n getroffen, deren Verlesung zum Zweck des [X.] es erst (als letzten Ausweg) zuläßt, nachdem Vorhalte aus dem Pro-tokoll keine Übereinstimmung der gegenwärtigen Aussage mit dem Inhalt [X.] bewirkt und auch nicht dazu geführt haben, daß der Zeuge bekun-dete, bei der Aufnahme des Protokolls abweichend von seiner gegenwärtigenAussage tatsächlich das im Protokoll Festgehaltene ausgesagt zu haben. [X.] kann hieraus nicht der Schluß gezogen werden, daß das [X.] schriftlicher Erklärungen neben der Zeugenaussage überhauptverbiete, – , noch kann daraus gefolgert werden, daß § 253 StPO auf schriftli-che Erklärungen entsprechend anzuwenden, die Verlesung zum Zweck [X.] also erst nach vergeblichen Vorhalten zulässig sei. Es istvielmehr von dem der Systematik des Gesetzes zu entnehmenden allgemeinenGrundsatz auszugehen, daß das Gesetz den [X.] zuläßt, wo [X.] nicht ausdrücklich untersagt.fiDiese Grundsätze gelten auch für die ergänzende (nicht ersetzende) In-augenscheinnahme der [X.] der ermittlungsrichterlichenZeugenvernehmung. Das —Videoprotokollfi ist insoweit der Niederschrift einerZeugenvernehmung gleichzusetzen. In Fällen dieser Art kommt auch § 255aStPO als Rechtsgrundlage für die Vorführung nicht in Betracht, weil diese Be-stimmung nur die vernehmungsersetzende Vorführung regelt (vgl. [X.],268). Eine ergänzende Vorführung der [X.] kann insbeson-dere zur Prüfung der Aussagekonstanz in Betracht kommen (vgl. [X.]St 20,160, 161 f.). Wegen des authentischen Beweiswerts der [X.] ist eine Vernehmung des Ermittlungsrichters regelmäßig nicht- 8 -veranlaßt. Auch insoweit ist der [X.] nicht berührt. [X.] Beweis zur Aussage des Zeugen beim Ermittlungsrichter beruht nicht —[X.] Wahrnehmung einer Personfi (§ 250 StPO), sondern auf der [X.] als [X.]) Der Senat sieht für Fälle der vorliegenden Art Anlaß zu folgendemHinweis: Der Tatrichter hat sich regelmäßig zunächst die Frage vorzulegen, obdie persönliche Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung nach §255a Abs. 2 StPO ersetzt werden kann. Dabei hat er die Zwecksetzung dieserBestimmung zu bedenken, zum Schutz kindlicher Zeugen deren wiederholteVernehmung zu vermeiden. Macht er von der Vernehmungsersetzung [X.], so ist die durch Vorspielen der [X.] eingeführteVernehmung so zu behandeln, als sei der Zeuge in der [X.] gehört worden. Im Ausnahmefall kann danach die ergänzende Verneh-mung des Zeugen in der Hauptverhandlung nach Maßgabe der Aufklärungs-pflicht oder auch des Beweisantragsrechts erforderlich werden (dazu [X.]St48, 268).Kommt der Tatrichter allerdings bei der Vorbereitung der Beweisauf-nahme zu dem Ergebnis, daß die persönliche (originäre) Vernehmung [X.] in der Hauptverhandlung unabweisbar geboten ist und nicht durch [X.] der Aufzeichnung der früheren richterlichen Vernehmung ersetztwerden kann, so ist er von Rechts wegen nicht gehindert, dem Zeugen bei [X.] die [X.] vorzuhalten oder sie im Anschluß er-gänzend durch Vorspielen in Augenschein zu nehmen, etwa um die Frage derAussagekonstanz zu [X.] 9 -II.Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat bis auf die ausdem Tenor ersichtlichen Änderungen im Schuld- und Strafausspruch, die ausden Gründen, die der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend [X.] hat und denen sich der Senat anschließt, erforderlich waren, keinen [X.] belastenden Rechtsfehler ergeben. Herr Ri[X.] Schluckebier befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert.[X.] Boetticher [X.] Hebenstreit Elf

Meta

1 StR 566/03

12.02.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.02.2004, Az. 1 StR 566/03 (REWIS RS 2004, 4582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4582

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